Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Heilig Abend, 24.12.2000
Lukas 2, 1 - 14

Impuls und Begrüßung:

Liebe Gemeinde!

Eine Geschichte zum Nachdenken, zum Mitnehmen!

"Also alles zusammen: Das Gelbe vom Ei war Weihnachten wirklich nicht! Und doch! Es war das Fest der Liebe! Was wir uns sonst das ganze Jahr über nur immer wieder einmal verschaffen können, das gab's zu Weihnachten satt: Liebe, Liebe, Liebe! Von morgens bis abends. Wir haben uns lieb ins Auge geguckt, uns lieb angefasst und lieb miteinander geredet. Wir haben lieb hingehört, die Kinder haben lieb geschlafen. Beim Spaziergang am Weihnachtsmorgen haben die Nachbarn sich lieb gegrüßt. In rauen Mengen gab es Liebe!

»Weißt du was«, sagt Mutter zum Vater: »Wir haben soviel Liebe - ich frier was ein!« - »Recht so, Mutter«, sagt der Vater. »Ich mach kleine Portionen«, sagt Mutter, »da kann man öfter mal ein Häppchen nehmen, als Nachtisch oder wenn Besuch kommt. Und wenn wir im Frühling mal wieder wandern, haben wir ein bisschen Marschverpflegung!« - »Eiserne Ration haben wir das im Krieg genannt«, sagt Opa. »Schön, schön.« sagt Vater, der in seiner Sorge um die Familie immer weit vorausdenkt: »Wenn wir dann sparsam mit der Liebe umgehen, langt sie bis nächste Weihnachten! «

Heute Abend probieren wir ein Fest, das durchträgt, weiter als nur bis Mitternacht. Ich wünsche uns einen gesegneten Gottesdienst und ein schönes Christfest.

Die Weihnachtsgeschichte aus Lukas 2:

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die aller- erste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Laßt uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.

Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Gebet:

Herr, da sind wir nun an diesem Heiligen Abend mit all unseren Gefühlen, die so schön, wie aber auch gefährlich sind, die deuten, doch auch ablenken können. Schenke uns ein Fest für unser Herz und unseren Verstand, für diesen herausgehobenen Abend im Laufe des Jahres, wie für unseren Alltag. Lass die Botschaft, die wir hören, ankommen, mitteilbar werden, damit wir Dich, so oft verlorener Gott, wieder finden.

Wir lassen uns daran erinnern, dass der Glaube teilbar ist, dass Liebe und Frieden keine leeren, inhaltslosen Worte bleiben müssen, sondern Herausforderungen sind - für einen jeden von uns. Lass uns heute einmal einig sein: einig im Lachen, im Singen, im Beten, im Feiern. Schenke es uns, dass dieses mitgeteilte Fest, auch jene auffindet, die gerade heute einsam, krank oder traurig sind, die arbeiten müssen und denen das Herz schwer ist. Dir sagen wir Dank durch Jesus Christus.
Amen.


Weihnachten ist zer-zählt [1], so sagte es einmal ein bekannter Schriftsteller, doch was wäre dieses Fest ohne weiterführende, vertiefende Erzählungen, die unser Leben beleuchten und unseren Glauben teilbar, auch mitteilbar machen. Was wäre Weihnachten ohne das Weihnachtsevangelium?

Vor kurzem las ich eine kleine Geschichte:

Ein Priester wird von einem Fremden am Heiligen Abend gebeten, ihm doch ein wenig aus seinem Dom von Gott abzugeben, was aber nicht möglich ist, da der Erzbischof erwartet wird, der hier beten will. In diesem Augenblick verschwindet Gott aus dem Dom. Der Priester läuft verzweifelt zu einer befreundeten Familie, die gerade Weihnachten feiert, um Gott zurückzuholen, doch auch sie will nichts von Gott abgeben. In diesem Augenblick verlässt Gott sogleich das Haus.

Der Priester rennt durch die Straßen der Stadt. Vor den Toren sieht er Gott über den Feldern schweben. Er fällt nieder. Erstaunt findet ihn dort ein Bauer. Er bittet diesen, ihm doch für die Stadt, den Dom, die Menschen, ein wenig von Gott abzugeben, doch auch der Bauer verweigert es, Gott zu teilen. In diesem Augengenblick wird es dunkel über den Feldern, Gott hatte sie verlassen. Der Priester rennt und rennt bis an den Rand der Heide, wo er in der Ferne Gott entdeckt.

"Warte auf mich, o Herr", bittet er flehentlich ... Seine Füße waren zu Eis erstarrt, er lief im Schnee weiter und sank bis ans Knie ein, und alle Augenblicke fiel er der Länge nach hin ... Endlich vernahm er einen großen, leidenschaftlichen Chor von Engelstimmen, ein Lichtstrahl brach durch den Nebel. Er öffnet ein hölzernes Türchen in eine riesige Kirche, und in ihrer Mitte betet ein Priester zwischen einigen Lichtern. Und die Kirche war voll des Paradieses.

"Bruder" -, seufzt der beklagenswerte Priester, am Ende seiner Kräfte ..., "hab Mitleid mit mir. Mein Erzbischof ist durch meine Schuld allein geblieben und braucht Gott. Gib mir ein bisschen von ihm, ich bitte dich ..." - Langsam wendet sich der Betende um ... - "Ein gesegnetes Weihnachten dir, Don Valentino" -, ruft ihm der Erzbischof zu und kommt ihm entgegen, ganz von Gott umgeben. - "Aber Junge, wo bist du nur hingelaufen? Was hast du um Himmels willen in dieser bärenkalten Nacht draußen gesucht?" [2]

Liebe Gemeinde!

Es ist Weihnachten! Wohin laufen wir, um Gott zu finden? Geht es uns nicht ganz ähnlich, wie den Menschen aus unserer kleinen Geschichte, dass wir Gott nicht mehr miteinander teilen können, weil wir ihn längst aus der Mitte unserer Städte verloren haben? Von Zeit zu Zeit - und sei es am Heiligen Abend - laufen wir los, um noch einmal etwas von diesem verlorengegangenen Gott in der Welt zu finden. Es ist auch um uns herum kälter geworden, frostiger, - doch sind wir schon so weit, den Verlust Gottes aus unserer Mitte auch vor und nach Weihnachten noch wahrzunehmen? Die Weihnachtsgeschichte erzählt es uns ganz ähnlich: Das Kind ist geboren, über dem sich der Himmel öffnet, doch auf der Erde hört man nichts und sieht man nichts.

So muss schließlich der Himmel eingreifen, um Menschen auf dieses Kind Gottes aufmerksam zu machen, das in die Tiefe hineingeboren ist. Die Engel sind weg und die erstaunten Hirten machen sich auf den Weg: "Laßt uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist ..."

Die erzählte Geschichte zeigt uns, dass wir Gott dort verlieren, wo wir nicht mehr bereit sind, ihn mit anderen Menschen zu teilen. Wo wir einander fremd werden durch die verlorengegangene Menschlichkeit, dort verlieren wir auch Gott aus unserer Mitte. Und umgekehrt: Wo wir ihn aus dem Leben verdrängen, finden wir auch nur noch schwer zum Mitmenschen: Es ist auch der Fremde, Andere, der, der eben nicht sofort zu uns gehört, in dem sich Gott finden lässt. Er ist in dem, der neben uns lebt, aber den wir immer noch nicht wahrnehmen, er ist in dem, der uns braucht, aber dem wir lieber ausweichen, er ist in dem, den wir fürchten oder lieben.

So ist Gott oft gerade dort zu finden, wo wir ihn gar nicht erwarten. Er ist in jenen und bei jenen zu finden, die uns brauchen, aber für die wir kein Ohr, keinen Mund, keine Hände und Füße haben. Das ist ja der Grund, warum er in diesem Kind ein Mensch, ein Mit-Mensch wird. Klein, unscheinbar und bedeutungslos teilt Gott sich zunächst der Welt mit, einer Welt, die von damals bis heute aus ihm einen Abgott gemacht hat, sich ihre eigenen Götter sucht und erfindet. Das ist auch der Grund dafür, warum wir ihn niemals als einen so persönlichen Besitz anschauen dürfen, dass er nicht teilbar wäre. Gott wird verloren, ja er ist längst verloren, wo er nicht geteilt und mit-geteilt wird, weil nur ein geteilter Gott wirklich Gott ist. Davon wird uns heute erzählt.

Die Weihnachtsgeschichte, mit Bethlehem und Hirtenvolk, lädt dazu ein, Gott außerhalb der eingetretenen Bahnen zu suchen. Sie wird zer-zählt und unser Fest läuft Gefahr, rührselig zu werden, wo der Weltbezug, die Bodenhaftung des Glaubens fehlt. Ich finde das nicht nur überraschend und von unserem Gott aus recht phantasievoll in Szene gesetzt, sondern für uns eben darum auch so ermutigend. Mitten in unserem Leben und all dem, was uns tagtäglich bewegt, hören wir die Botschaft von der Geburt dieses Kindes. Und über aller Verwunderung, dass es ausgerechnet ein Kind ist und ein unscheinbarer Ort im Bergland hinter Jerusalem, dass es zunächst einer `Randgruppe' verkündigt wird, dürfen wir Gott und das Kind, Bethlehem mit den Hirten nun in uns selbst suchen und finden. Es ist da. Gott ist Mensch geworden inmitten unserer Welt.

Zu keiner Zeit des Jahres wird uns so deutlich, wie groß unsere Ohnmacht ist. Die Botschaft der Liebe inmitten einer lieblosen Welt, die Botschaft des Friedens inmitten einer friedlosen Welt wirft uns auf uns selbst zurück ... Die "Stille Nacht", das Heilige der Niedrigkeit Gottes mitten unter uns konfrontiert uns mit der eigenen Machtlosigkeit. [3]

So wird Weihnachten zur Geburt Gottes in einer sich selbst entfremdeten, entwurzelten Welt. Die alten Weihnachtstexte sind Geschichten, in denen sich auch unser Leben widerspiegelt. Wir sollten sie wieder und wieder hören, von ihnen lernen und mit ihnen leben. Sie erinnern uns immer wieder daran, dass Gottes Sohn ein Mensch wurde, damit der Mensch eine Heimat habe in Gott, wie es Hildegard von Bingen einmal sagte. [4] Schenken wir Gott eine Heimat in uns, dann müssen wir ihn nicht mehr - oft vergeblich - in der ganzen Welt suchen.

Nun können wir dann auch in ein Leben zurückgehen, das ist, wie es ist und Gott loben und danken für all das, was in jener fernen, dunklen Nacht an jenem fremden Ort geschehen ist, - und für all das, was wir in dieser Nacht, heute, neu begreifen dürfen. Die Weihnachtsbotschaft gehört uns allen, teilen wir sie miteinander mitten in unserem Leben, denn so wird auch für uns der oft unbekannte, verlorengegangene Gott in unsere Familien zurückkehren, in unsere Nachbarschaft, unsere Arbeit, in unsere Stadt. Hier wird er dann auch unsere Erwartungen mit seinem Geist begleiten, unsere Wünsche und Hoffnungen und all jenes, was uns Angst und Sorgen bereitet, wovor wir uns fürchten. Laufen wir nicht - wie blind - in der Nacht herum, um Gott zu suchen. Er ist längst da, wo wir es zulassen.
Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und allen Menschen seine Nähe.
Amen.


Literatur

  1. Marti, Kurt, Warum ich keine Weihnachtserzählungen mehr schreibe,
    in: Walter Jens, Es begibt sich aber zu der Zeit, Radius, Stuttgart, 1989, S. 304
  2. Buzzati, Dino, Die Nacht im Dom,
    in: Walter Jens, a.a.O. S. 81
  3. Ludwig, Ralph, Vom Himmel hoch, da komm ich her, Standpunkte 12/2000, S. 20
  4. Käuflein, Albert, Heimat haben
    in: konradsblatt 50/2000, Wochenzeitung für das Erzbistum Freiburg, S. 15

Letzte Änderung: 24.12.2000
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider