Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Weihnachten, 25.12.2000
Lukas 2, 25-33

Begrüßung und Impuls:

Anruf

ich möchte
dich anrufen

aber
ich kann dich
nicht anrufen
du hast mir
deine Nummer
verschwiegen -

jetzt warte ich
zeitlebens
auf deinen anruf

zeitlebens
gespannt -
ob
und
wann
und
wie
du
mich
an-
rufst

GOTT

es ist schwer
aus den vielen
anrufen
deinen anruf
zu erkennen

wann werde ich
den hörer abnehmen
und sagen

ah
endlich

DU

W. Willms, der geerdete himmel, kevelar 1979/4, 4.2

Predigttext:

Damals lebte in Jerusalem ein Mann namens Simeon. Er war fromm, hielt sich treu an Gottes Gesetz und wartete auf die Rettung Israels. Er war vom Geist Gottes erfüllt, und der hatte ihm die Gewissheit gegeben, er werde nicht sterben, bevor er den von Gott versprochenen Retter (den Christus des Herrn) mit eigenen Augen gesehen habe. Simeon folgte einer Eingebung des Heiligen Geistes und ging in den Tempel. Als die Eltern das Kind Jesus dorthin brachten und es Gott weihen wollten, wie es nach dem Gesetz üblich war, nahm Simeon das Kind auf die Arme, pries Gott und sagte:

"Herr, nun kann ich sterben, nach deinem Wort in Frieden. Denn meine Augen haben dein rettendes Tun gesehen, das du bereitet hast vor aller Völkerstämme Angesicht. Enthüllendes Licht: den Völkern! Und Herrlichkeit: deinem Volk Israel!"

Der Vater von Jesus und seine Mutter wunderten sich aber über das, was Simeon von dem Kind sagte.

Gebet:

Herr, guter Gott! Dir danken wir für diesen Gottesdienst, für dein gutes Wort und unsere Gemeinschaft. Schenke uns eine tragfähige und dauerhafte Verbindung mit dir.

Oft meinen wir, dass uns der Himmel verschlossen sei, dass Du, Gott, uns fern bist, unnahbar, wie fremde Menschen auf der Straße. Wir bitten gerade an diesem Fest um deine Nähe. Manchmal gehen wir durch unser Leben wie durch eine Nacht, verstört durch Sorgen und Ängste, irregeführt durch den Lärm des Alltags, belastet durch so vieles, was versäumt wurde. Wir freuen uns über Zeichen der Nähe, der Liebe.

Mitten in das Dunkel der Welt wurdest du, Gott, ein Mensch. Das Dunkel kann weichen, weil ein Engel sagt: Fürchtet euch nicht.
Amen.


Liebe Gemeinde!

Das letzte Wort, das ich als Theologe und auch als Politiker zu sagen habe, ist nicht ein Begriff wie "Gnade", sondern ist ein Name: Jesus Christus. Er ist die Gnade, und er ist das Letzte, jenseits von Welt und Kirche und auch von Theologie. Wir können ihn nicht "einfangen". Aber wir haben es mit ihm zu tun. Um was ich mich in meinem langen Leben bemüht habe, war in zunehmendem Maße, diesen Namen hervorzuheben und zu sagen: dort ... ! ... Dort ist denn auch die Gnade. Dort ist auch der Antrieb zur Arbeit, zum Kampf, auch der Antrieb zur Gemeinschaft, zum Mitmenschen. Dort ist alles, was ich in meinem Leben in Schwachheit und in Torheit probiert habe. Aber dort ist's. [1]

Nur wenige Tage vor seinem Tod bezog der 82-jährige Karl Barth in einem Rundfunkinterview in dieser Weise Stellung zu seinem Glauben, zu seinem Leben, zu dem, was er oft so kämpferisch gesagt, in dickleibigen Büchern geschrieben und so vielen über Jahrzehnte hinweg gelehrt hatte. Worte, die einen Bogen spannen vom alten Simeon im Tempel über zwei Jahrtausende hinweg in die Gegenwart.

Maria und Joseph bringen den nach dem Gesetz gerade beschnittenen Jesus als ihren Erstgeborenen in den Tempel nach Jerusalem, um ihn Gott zu weihen und das gebotene Opfer für das Kind, wie die Mutter darzubringen. Das Tieropfer löste das Menschenopfer ab und die Mutter eines Neugeborenen musste sich einer Reinigung unterziehen, wozu Martin Luther in einer Predigt in seiner unnachahmlichen Art kategorisch feststellt:

War’s ein Knäblein, so ward die Mutter 40 Tage beiseit getan und von anderen Menschen geschieden, wie bei uns die Pestkranken. ... Das war ein schwer, unlustig Gebot, das bei uns unträglich und unleidlich wäre, wenn man’s so streng sollt halten. Dazumal war es ein verdammt Ding, denn niemand durft mit einer solchen Frau essen, trinken, bei ihr sitzen; alle Ding, womit sie umging, waren unrein. Es ist ein unlustig Gesetz gewesen ... [2]

Übrigens wurde daraus bei uns, um diese Diskriminierung zu beenden, der Segen einer Mutter bei der Taufe, die - und so habe ich es noch am Anfang meines Dienstes hier und da erlebt - vor dem Tauftag nicht in die Öffentlichkeit zu gehen hatte. Heute wird dieser Segen nun auch als einer für die ganze Familie verstanden und gerade nicht mehr mit dem Reinigungsgedanken in Verbindung gebracht.

Die Welt Simeons ist der Tempel. Dorthin geht er und wartet auf das kommende Heil für Israel, denn wo anders sollte er darauf warten, als im Hause seines Gottes? Auf dem Boden ihres Glaubens kommen die Eltern Jesu mit diesem in den Tempel, um das zu tun, was das Gesetz von ihnen erwartet. Und wir?

Man braucht über diese Welt nicht länger zu reden, denn wir kennen sie, wir leben jeden Tag in ihr, wir atmen ihre Atmosphäre bis zur Vergiftung und bis zum Ersticken, sie bestimmt uns, prägt den Alltag, sie würde uns unentrinnbar erscheinen, wüssten wir nicht, dass es eine andere Welt auch gibt ... Wie bekommt man es fertig, gegen allen Augenschein die Hoffnung nicht zu verlieren und gegen alles, was man sonst sieht, durch das Dunkel auf ein Licht zu warten ... [3]

Manchmal gelingt es Menschen, andere darauf hinzuweisen, dass es mehr gibt in der Welt, als das, was wir aus unserem Leben machen. Simeon lobt seinen Gott, weil er endlich das Kind auf seinen Armen tragen kann, auf das er - unwissendlich - so lange gewartet hat. Barth verweist uns, wie der Johannes vom Grünewaldaltar aus Colmar mit einem lang ausgestreckten Finger, auf den Christus hin. Wieder ist es Weihnachten geworden in unserem Leben und wieder einmal sind wir gefragt, was wir denn mit diesem Fest für uns selbst hören oder sehen, was wir mitnehmen in unser Leben, seine Höhen und Tiefen, seine Freuden wie Beschwernisse?

"Piepsen und Quasseln zum Fest", so schrieb es DER SPIEGEL kürzlich.

Es ist das Trendgeschenk dieses Jahres: Noch nie wurden in Deutschland so viele Handys verkauft wie jetzt in der Vorweihnachtszeit. Vor allem Kinder und Jugendliche erwarten unterm Tannenbaum ein Mobiltelefon - auch für den Austausch winziger Textbotschaften. Wunschzettel heißen so, weil Wünsche draufstehen - und keine verbindlichen Bestellungen. Jedenfalls in der Theorie. Es gibt jedoch ein Argument, mit dem Kinder ihrem Wunschzettel einen starken Aufforderungscharakter verschaffen, und das lautet so: `Alle anderen kriegen das auch!’ [4]

Da fragt es sich, ob die Verbindung bei uns heute eigentlich stimmt und was für Botschaften ausgetauscht werden? Da mögen die Leitungen noch so sehr für wichtige oder unwichtige Nachrichten offen sein, stimmt denn auch - so bleibt doch an Weihnachten mit einigem Recht zu fragen - unsere Verbindung zu Gott, von der dann viele andere geprägt sein werden? Weihnachten soll uns helfen, mit seinen unendlich vielen Bildern, Symbolen, Geschenken und Geheimnissen, den bekannten Liedern und Texten, einen Kontakt, eine Verbindung zu Gott herzustellen. Sie ist möglich, weil sich Gott aus seiner Gottheit heraus in Jesus von Nazareth zu seiner Menschenfreundlichkeit bekennt. Gott selbst stellt von sich aus die Verbindung her, wie aber reagieren wir auf seinen Anruf?

Gott wird ein Mensch, das ist das Ungeheuerliche, was Simeon erkennt und die Eltern Jesu noch verwundert, weil sie in ihrem Kind - jetzt - noch nicht das Heil für Israel, für die Welt erkennen können. Ein Kind ist ein Kind, doch immerhin wissen wir, dass es mit jedem Kind auch neue Hoffnungen für das Leben in der Welt gibt. Simeon schaut in seiner Zeit, was dieses Kind, der Christus, für die Welt einmal bedeuten wird, worauf Karl Barth zurückverweist.

Doch was bedeutet das für uns heute - hier in Kenzingen an diesem Weihnachtsfeiertag? Wie also steht es um das, was Simeon endlich sieht, worauf er so lange gewartet, weil er etwas von Gott gehört hatte? Wie steht es um dieses "dort", worauf uns der alte Karl Barth, nur wenige Tage vor seinem Tod, verweist? Wie bekommen wir eine solche Verbindung hin, die weiterreicht, als bis zum nächsten Telefonanschluss oder Handy?

Ich weiß keine glatte Antwort, niemand weiß sie, aber ich weiß, dass jedes Weihnachtsfest neu etwas mit unseren ganz und gar menschlichen Wünschen und Hoffnungen zu tun hat, dass wir ja wirklich oft mehr wollen, als ein schnelllebiges, vergängliches kleines Glück. Wir wünschten uns doch alle - ohne Ausnahme - einen Frieden, "der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft ...", der uns durchträgt durch die Herausforderungen unseres Lebens. Und eben daran erinnert uns Weihnachten, mit der Erinnerung an die Geburt Jesu, jedes Jahr neu.

Simeon ist am Ende seines Lebens, Karl Barth war es, konnten sie vielleicht daher, also aus der Weisheit ihres Alters heraus, Gott in diesem Menschen Jesus von Nazareth erkennen, muss man also erst einmal alt geworden sein, um Gott so hören zu dürfen? Ich denke nicht! Aber ein bedachtes, eben nicht unreflektiert gelebtes Leben führt ganz sicher zu Erkenntnissen, von denen junge Menschen vielleicht doch noch ein stückweit entfernt sind. Ganz sicher aber braucht es seine Zeit, bis wir, ein jeder für sich selbst, den Anruf Gottes akzeptieren lernen, um dann auch einmal sagen zu können: Ah, endlich Du, Gott! oder: Aber dort ist’s!

Wir sind eingeladen, die richtige Verbindung herzustellen, die Gott uns in diesem Kind anbietet und dafür Sorge zu tragen, dass sie nicht unterbrochen und gestört wird. Simeon selbst erfährt in diesem Kind seinen Gott, in dem er ihn sieht, hört, erkennt und schließlich annimmt.

Eugen Drewermann beendet eine Predigt zu unserem Text mit den Worten:

Alles, was wahr ist, beginnt schon hier auf Erden. Alles, worauf wir zugehen in den Verheißungen Gottes, lebt schon heute in unseren Herzen, und Gott wird uns niemals wegschicken ohne die Bilder einer erfüllten Hoffnung. ... Sie zu sehen, darauf hat ein jeder Mensch einen Anspruch, und wir brauchen Räume des Heiligen, Tempel des Irdischen, in denen wir Gott so nahe sind, dass alle seine Verheißungen fühlbar, sichtbar werden, bis dass es anhebt in unserer Seele wie ein Gesang, wie ein Gebet, wie ein nicht endender Lobpreis über uns und alle Welt. [5]

Niemand von uns muss ohne Hoffnung leben, und in jedes Leben darf ein Schimmer, eine Ahnung von Gott hineinstrahlen, das ist es, worauf wir mit diesem Fest hingewiesen werden. Bekümmern wir uns um die richtige Verbindung, damit wir mit unserem Glauben und dem, was wir leben, auf den hinweisen, dessen Geburt wir gedenken, Jesus, der für sein Volk, für uns zum Christus wurde. Vielleicht werden dann - wenn die Zeit gekommen ist - auch wir einmal einstimmen können in diesen alten Lobgesang des Simeon:

Herr, nun kann ich sterben, nach deinem Wort in Frieden. Denn meine Augen haben dein rettendes Tun gesehen, das du bereitet hast vor aller Völkerstämme Angesicht!
Amen.

Literatur:

  1. Barth, Karl, Letzte Zeugnisse, EVZ, Zürich, 1970/2, S. 30f
    Rundfunkinterview vom 17.11.1968 (Karl Barth starb am 10.12.1968)
  2. Luther, Martin, in: Luthers Evangelienauslegung Band 1,
    Hrsg. E. Mülhaupt, Göttingen, 1984, S. 249
  3. Drewermann, Eugen, Der offene Himmel, Patmos, Düsseldorf 1990, S. 193+211
  4. DER SPIEGEL, 49/2000, S. 164
  5. Drewermann, E., a.a.O., S. 212

Letzte Änderung: 05.01.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider