Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Heilig Abend II, Erzählpredigt zu Lukas 2

 

 

Liebe Gemeinde, heute am Heiligen Abend! In einem Sonntagsanzug, so las ich es einmal, geht man normaler Weise nicht in einen Stall. Denn da riecht es nicht nur nach duftendem Heu, ... Aber genau dorthin werden wir gebeten. Seit nun rund zweitausend Jahren feiern Christen eine Geburt, und die fand nun einmal in einem Stall statt. Und zwar in einem von der einfachsten Sorte. So erzählt es uns die alte, lieb gewordene Tradition.

 

Mittlerweile ist aus dem Stall eine große Kirche geworden, so dass es sich gut in ihr feiern lässt. Die meisten, vielleicht mit Ausnahme der Weihnachtsgänse, lieben das „Oh du fröhliche“ und die „Stille Nacht“. Denn Weihnachten berührt auch die distanziertesten Seelen. So ist das Bild vom Stall kein Zufall, sondern ein Symbol für Gottes überraschende Weise Mensch zu werden. Mit Leidenschaft sagt er uns damit: Nichts und niemand ist zu klein oder zu unbedeutend, um von Gott nicht gekannt zu sein. Weihnachten erinnert mich  daran, dass der im Stall Geborene auch heute an die „Hecken und Zäune“ der Welt drängt, und in mein Leben:

 

„Siehe ich bin da!“

Das ist seine Botschaft. Das genügt.

 

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Heute, am Heiligen Abend bin ich alter Esel einmal aus dem Pfarrhaus zu Ihnen in die Kirche gekommen, ja, auch in Pfarrhäusern leben alte Esel. Ich bin gekommen, um Ihnen zu erzählen, wie ich das alles damals erlebt habe, was der Evangelist Lukas Ihnen in seinem Evangelium schildert. Wir Tiere, der Ochse und ich, kommen ja in seinem Evangelium gar nicht vor, weil er, was ich Ihnen heute verraten darf, eigentlich gar keine Weihnachtsgeschichte für Sie aufschreiben wollte. Dafür findet man uns aber auf den ältesten Weihnachtsbildern und in jeder Weihnachtskrippe, denn was wären diese ohne uns Tiere?

 

In der jungen Kirche feierte man mit jedem Gottesdienst das Osterfest. An Weihnachten, die Geburt Jesu, dachte damals niemand. Erst viel später, im 3./4. Jahrhundert interessierten sich die Menschen auch für den Lebenslauf Jesu. Wenn Gott ein Mensch wird, dann muss sein Leben auf dieser Erde doch einen Anfang gehabt haben, wie jedes andere menschliche Leben auch: wo und wann also wurde dieser Jesus geboren, wer waren seine Eltern und was hatte gerade dieses Kind mit Gott zu tun?

 

Lasst mich erzählen. Wir, der Ochse und ich, standen ruhig in unserem Stall, auf einem der weiten Felder um Bethlehem herum. Kennen Sie Bethlehem? Da müssen Sie einmal hin. Wenn Sie von Jerusalem kommen, fahren Sie nur wenige Kilometer durch die karge judäische Berglandschaft, dann taucht am Horizont schon die Stadt auf. Wenn ich mir Eure Weihnachtskrippen anschaue, dann muss ich sagen, dass unser Stall so nicht ausgesehen hat. Es war vielmehr eine der vielen geräumigen Erdhöhlen, die sich in dieser Hügellandschaft gebildet hatte.

 

Irgendwann, an das genaue Datum erinnere ich mich nicht mehr, kamen plötzlich zwei junge Menschen herein, ein Mann und eine Frau. Ich weiß noch, dass es bitter kalt war. Bei uns kann in dieser Jahrezeit sogar einmal Schnee liegen. Wie Ihr die beiden von Bildern kennt, haben sie natürlich nicht ausgesehen. Da war keine junge Frau in einem blauem, weiten Mantel, deren Kopf von einem Goldkranz umstrahlt wurde, sondern eine ganz normale jüdische Frau. Merkwürdig, ich erinnere mich sogar daran, dass sie Miriam - Maria hieß. Ihre Kleider sahen aus, wie die aller jungen Frauen in jener Zeit. Schicke Moden, wie Ihr das kennt und wofür Ihr viel Geld ausgebt, gab es bei uns noch gar nicht. Die Menschen zogen im Sommer an, was den Körper einigermaßen kühlte und im Winter, was ihn wärmte. Das reichte.

 

Auch der junge Mann war anders, als Ihr ihn Euch vorstellt. Bei Euch sieht Joseph, so heißt der Mann, immer alt und verbraucht aus, so, als könne er seine Frau Maria gar nicht mehr richtig lieben, doch es war ein richtiges Liebespaar, das da hereinkam. Er hielt sie fest und half ihr den felsigen Weg in die Höhle hinein, suchte ihr einen Platz und war sehr besorgt um sie. Ich erinnere mich gut an jene Nacht, weil es eine ganz andere Nacht war, als die, die ich bisher in meinem Leben kennen gelernt hatte. Glaubt einem alten Esel, ich habe wirklich viele Nächte auf meinem Kreuz.

 

Fremde Menschen kamen ja nie zu uns, das war wirklich ungewöhnlich. Mein Freund, der Ochse, brummte vor sich hin, weil er sich in seiner Ruhe gestört fühlte. Bethlehem, das hatten wir mitbekommen, war voll, es gab nirgendwo mehr einen Platz. Es war wohl wieder einmal so eine Schikane vom Kaiser in Rom, denn alle Juden sollten sich in Listen eintragen lassen, damit er und sein Landpfleger in Jerusalem abschätzen konnten, was an Steuern einzunehmen wäre. Die Steuerfrage wurde damals bei uns heiß diskutiert und jeder versuchte, für sich das Beste herauszuholen. Das mit den Steuern war in unserer Zeit kaum anders als bei Euch – oder zahlt Ihr sie inzwischen lieber?

 

Plötzlich wurden wir in unserer Ruhe gestört. Wir sahen, dass die Frau ein Kind bekommen würde, mitten in diesem Stall, unterwegs – ohne ihre Mutter, die Nachbarn, eine geschickte Hebamme, die hätte helfen können. Ratlos fraß ich noch ein wenig Heu. Die Welt schien verrückt geworden zu sein, und dann legten wir uns zurück ins Stroh, denn was sollten wir schon tun? Mein Freund, der Ochse, kaute noch ein wenig nachdenklich an seinem Mittagessen herum und dampfte still vor sich hin. Ich überlegte, was diese Nacht wohl noch alles bringen würde, als wir, müde von all dem Erlebten schließlich doch einschliefen. Mitten in der Nacht wurden wir von lauten Geräuschen aus dem Schlaf gerissen. Und dann hörten wir das neugeborene Kind, das mit einem lauten Schrei sein Leben begrüßte.

 

Und der Vater! Habt Ihr schon einmal einen jungen Vater erlebt, der bei der Geburt seines Kindes dabei war? Er schaute ja nicht nur zu, sondern half seiner Frau bei der Geburt. Ganz aufgelöst war er, kramte aus seinen Reisesachen Tücher hervor und suchte dann einen Ort, wo er das Kind hinlegen konnte. Maria wollte es gar nicht aus ihrer Hand geben, doch sie war so erschöpft, dass sie bald einschlief. Joseph fand schließlich eine Futterkrippe. Dort legte er Stroh hinein und darauf den Neugeborenen in warme Tücher gehüllt. Wir beide versuchten, so gut wir konnten, das Kind mit unserem Atem zu wärmen.

 

Jetzt erst merkten wir in unserer Aufregung, dass unser Stall sich verändert hatte. Denn welcher Esel und welcher Ochse waren je bei der Geburt eines Menschenkindes dabei? Ich kann es gar nicht richtig beschreiben, aber es war noch stiller als sonst und die Luft war erfüllt von einem wärmenden Gefühl. Ein Esel kennt die Welt, glauben Sie mir: Der Bauer und seine Frau ärgern sich herum, wenn einmal etwas nicht so läuft, wie sie es sich vorstellen; die Händler auf dem Markt streiten um das kleinste Geldstück. Begegneten wir den Soldaten auf ihren stolzen Pferden, so mussten wir vom Weg herunter. Und selbst mein gutmütiger Freund, der Ochse, vergisst alle Freundschaft, wenn es ums Fressen geht. Nein, friedlich ist unsere Welt nicht gewesen.

 

Jetzt, wo diese fremden Menschen hier ihr Kind zur Welt gebracht haben, schien alles anders zu sein, so als wäre mit diesem Kind Gott selbst zur Welt gekommen. Ja, ich glaube schon, dass Gott in jedem Kind zur Welt kommt und sein Schöpfungswerk fortsetzt, aber bei diesem Kind war es anders. Der Raum war erfüllt von einer unbeschreiblichen Ruhe und doch war es so, als hörte man den Himmel auf die Erde kommen, ausgerechnet in unseren Stall. Ich war so aufgeregt, dass ich erst mal einen saufen musste, und da sah ich, dass es meinem  Freund nicht anders erging. Wir spürten deutlich, dass es mit diesem Kind etwas Besonderes auf sich hatte. -Plötzlich hörten wir in der Ferne Lärm, dann wurde es wieder ganz still.

Die hartgesottenen, ruppigen Hirten vom Feld draußen kamen ganz leise in die Höhle gestolpert. Aufgeregt und sich immer wieder zur Stille ermahnend, erzählten sie dem Vater, dass ihnen auf dem Feld von der Geburt eines Kindes berichtet worden war. Sie erzählten so davon, als wäre der Himmel über ihnen aufgegangen. Und nun standen diese Männer da ein wenig verlegen und doch staunend und voller Erregung. Schließlich legte einer von ihnen ein Fell – ich erinnere mich noch – es war ein ganz sauberes Fell, unter das Kind. Nach einer ganzen Weile, die sie da so fassungslos herumstanden, zogen sie sich leise zurück, doch wir hörten sie, aufgeregt diskutierend, nach Bethlehem laufen.

 

Und dabei blieb es noch einige Tage. Menschen kamen, auch ganz vornehme in wertvollen Gewändern, die Geschenke brachten und das Kind sogar anbeteten. Ich Esel brauchte eine ganze Zeit bis ich merkte, dass Gott, der Schöpfer, der Welt mit diesem Kind sein Kind geschenkt hat. Mein Freund, der Ochse, schlug immer nur mit den Ohren und man sah es ihm an, dass nicht in seinen Kopf hinein wollte, was da vor seinen Augen geschah. Aber wenn ich ihn so ansah, hatte ich doch den Eindruck, dass er zufriedener schaute, manchmal fast ein wenig freundlich. Dieses Menschenkind in unserem Stall hatte ihn verändert.

 

Ja, und so sind wir dann doch noch – viel später – in Eure Weihnachtskrippen gelangt. Wir Tiere sind ja nun einmal ein ganz wesentlicher Teil der Schöpfung Gottes und so durften wir natürlich auch damals nicht fehlen. In der jungen Kirche sah man in meinem Freund, dem Ochsen, das Volk der Juden und in mir, dem Esel, alle Heiden. Ich weiß ja, dass es bei Euch nach wie vor viele alte Heiden gibt, aber ob die sich freuen, mit mir altem Esel verglichen zu werden? Andere sahen später – ausgerechnet in uns beiden – die wir doch bei der Geburt dabei waren, all jene, die in diesem Kind eben nicht das Gotteskind erkennen konnten, und voller Unverstand nichts von dieser nächtlichen Botschaft begreifen wollten. Aber das änderte sich bald.

 

Immerhin bin ich das Tier, das immer wieder einmal in der Bibel vorkommt, ja aus mir hat Gott selbst sogar einmal gesprochen. Ich bin eines der ältesten Tiere mit denen der Mensch zusammen lebt und arbeitet. Und man sagt mir nach, dass ich geduldig meine Lasten trage, wenngleich ich manchmal – wie Ihr Menschen ja auch – ein wenig störrisch bin. Später durfte einer meiner Nachkommen das Kind, das inzwischen zum Mann geworden war, selbst tragen. Das Tier des Messias zu sein, war schon eine besondere Ehre für uns Esel.

 

Letztlich sah man in uns dann doch die Kreaturen, welche diesem Kind die Treue gehalten haben, weil wir schließlich in jener Nacht dieser göttlichen Geburt dabei waren. Und so sind wir etwa im 6. Jahrhundert in Eure Weihnachtskrippen gelangt. Nun verkündigen wir Euch bis in diese Nacht hinein, dass Gott der ganzen Welt, Euch Menschen und uns anderen Lebewesen der guten Schöpfung, in diesem Kind zur Welt gekommen ist. Denke ich an diese Nacht – damals - zurück, die in Euren weihnachtlichen Krippen so wunderschön nachgestellt ist, so wundere ich mich immer noch über diese unglaubliche himmlische Stille und einen Frieden, der wohl nur jenen spürbar ist, welche in diesem Kind auch ihrem Gott begegnen. Glaubt einem alten Esel, und feiert ein friedliches und schönes Weihnachtsfest in Euren Familien und in Eurer Welt. Ich gehe nun in meinen Stall im Pfarrhaus zurück, ich muss endlich wieder einmal etwas saufen und fressen. Ein gesegnetes und fröhliches Fest Euch allen!

 

Letzte Änderung: 25.12.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider