Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

5. Sonntag nach Trinitatis, 20.7.2003
Lukas 5,1-11

Begrüßung:

Liebe Gemeinde! Heute werden wir über die Berufungsgeschichte von Petrus, Jakobus und Johannes nachdenken, die von ihrer Arbeit als Fischer in die Nachfolge Jesu berufen werden - und ihm ohne zu zögern folgen. Wenn wir heute in diesem Gottesdienst Daniel, Jenny und Kevin taufen, so sind wir alle damit erneut an unsere Berufung zum Christsein erinnert. Wenngleich wir natürlich mit unserer Taufe unwiderruflich Christen geworden sind, so bleibt unser Glaube dennoch immer eine tiefgreifende Aufgabe und Herausforderung für uns, mit der kein Mensch fertig wird. Glaube verlangt Glaubwürdigkeit und das an jedem Tag unseres Lebens.

Sehr herzlich begrüße ich unsere Täuflinge Daniel, Jenny und Kevin mit ihren Familien und Paten in unserer Mitte. Wir hoffen, dass diese Kinder nicht nur ihren Weg ins Leben finden, sondern sich immer wieder einmal daran erinnern, dass Sie mit ihrer Taufe nun auch zur Nachfolge Jesu berufen sind. "Du Gott, tust mir kund den Weg zum Leben..." (Ps. 16,11).

Gebet:

Herr, wir danken dir für dein gutes Wort, für ein Wort, das uns in unserem Alltag abholt, das uns in unserem Glauben ernst- und beim Wort nimmt, so lass uns nun auch jeden Tag neu lernen, unsere Berufung zum Christsein zu leben. Schenke uns so viel Ernsthaftigkeit, dass wir uns an unseren Glauben und damit an dich, Gott, nicht nur dann erinnern, wenn es dazu in unserem Leben einen Anlass gibt. Schenke uns nach und nach ein Gefühl der Ehrfurcht vor deiner Göttlichkeit, um dadurch auch zu unserer eigenen Menschlichkeit zu finden.

Wir danken dir für die Taufen von Daniel, Jenny und Kevin, die wir damit in den weltweiten Kreis aller Christen aufgenommen haben. Lass sie durch ihre Eltern, Familien und Paten glaubwürdig auf ihrem Weg, auch auf ihrem Weg ins Christsein hinein, begleitet werden. Wir danken dir für diesen Tag in ihrem und im Leben unserer Kirche und Gemeinde.

Wir danken dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind - und beten für uns, unsere Gemeinde, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt
Amen.

Predigttext:

Eines Tages stand Jesus am Ufer des Sees von Gennesaret. Die Menschen drängten sich um ihn und wollten Gottes Botschaft hören. Da sah er zwei Boote am Ufer liegen. Die Fischer waren ausgestiegen und reinigten ihre Netze. Er stieg in das eine, das Simon gehörte, und bat ihn, ein Stück vom Ufer abzustoßen. Dann setzte er sich und sprach vom Boot aus zu der Menschenmenge. Als er seine Rede beendet hatte, sagte er zu Simon: "Fahr hinaus auf den See und wirf mit deinen Leuten die Netze zum Fang aus!" Simon erwiderte: "Herr, wir haben uns die ganze Nacht abgemüht und nichts gefangen. Aber weil du es sagst, will ich die Netze noch einmal auswerfen." Sie taten es und fingen so viele Fische, dass die Netze zu reißen begannen. Sie mussten die Fischer im anderen Boot zur Hilfe herbeiwinken. Schließlich waren beide Boote so überladen, dass sie fast untergingen.

Als Simon Petrus das sah, warf er sich vor Jesus nieder und bat: "Herr, geh fort von mir! Ich bin ein sündiger Mensch!" Denn ihn und alle anderen, die bei ihm im Boot waren, hatte die Furcht gepackt, weil sie einen so gewaltigen Fang gemacht hatten. So ging es auch denen aus dem anderen Boot, Jakobus und Johannes, den Söhnen von Zebedäus, die mit Simon zusammenarbeiteten. Jesus aber sagte zu Simon: "Hab keine Angst! Von jetzt an wirst du Menschen fischen!" Da zogen sie die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten Jesus.


Liebe Gemeinde!

Stellen wir uns die Situation einmal ganz praktisch vor: da kommt ein Fremder zu Ihnen an Ihren Arbeitsplatz und wirbt sie ab. Ganz nebenbei erteilt er ihnen auch noch eine Lektion in dem Beruf, den sie seit Jahrzehnten und Ihre Familie seit vielen Generationen ausübt. Sie wissen, dass Sie in Ihrer Arbeit gut sind, Sie können Ihre Familie ernähren, und nun kommt da jemand an und bittet sie, ihm zu folgen: Keine Gehaltszusagen, eine offene Zukunft, viele ungelöste Fragen und eine Familie, die ratlos zurückbleibt und nicht weiß, wovon sie in der nächsten Woche leben soll? Keine große Zukunftsperspektive also.

Es ist ja ganz schön und es ehrt einen natürlich, wenn einem beruflich eine interessante Position angeboten wird, und das mit einem viel besseren Gehalt, als man es bisher erhielt. So etwas ist natürlich nicht nur finanziell verführerisch und verlockend. Doch alles, was uns in dieser biblischen Berufungsgeschichte überliefert wird, klingt - wie so oft in der Auseinandersetzung mit Jesus - ganz anders: es ist wie eine Alternative zu unserer Art zu leben, uns anderen gegenüber zu behaupten und zu beweisen. Dabei wäre es ganz falsch, zu meinen: Na ja, das waren damals eben auch noch andere Zeiten.

Die Bedeutung dessen, was uns hier überliefert wird, ist nicht zu unterschätzen. Jesus und die von ihm angesprochenen Fischer kannten das Problem der Arbeitslosigkeit nur zu genau. Wir wissen, dass zeitweilig die gesamte Handwerkerschaft Jerusalems keine Arbeit hatte. Wer aber keine Arbeit hat, verdient auch nichts, da gab es keine Sozialpläne für einen sanften Übergang in die Arbeitslosigkeit, keine Übergangsgelder oder irgendwelche anderen Sozialleistungen. Wenn man keine Arbeit und kein Geld hat, wartet zu Hause die Familie aber immer noch. Dieser Hintergrund macht deutlich, warum Jesus oft so kritisch mit Unternehmern, Arbeitgebern, Besitz und Eigentum umgeht. Das zeigt aber auch, auf was die Berufenen sich mit diesem Mann einlassen, der nichts anderes anbietet als die Arbeitslosigkeit und eine Aufgabe, die weit davon entfernt ist, als ein bürgerlicher Beruf anerkannt zu sein.

Nach diesem ungeheuerlichen Schritt in die Nachfolge Jesu wird es beruflich kein Zurück mehr geben, man folgt diesem Fremden in eine ungewisse Zukunft. Die Schiffe bleiben am Land, die Fische im Wasser. Die Ehefrauen - wir wissen, dass zumindest Petrus, der ja in der katholischen Überlieferung als der 1. Papst gilt, verheiratet war - sonst hätte Jesus später wohl kaum dessen Schwiegermutter von einer Krankheit heilen können. Die zurückgelassenen Familien mussten ab sofort von der Großfamilie mit ernährt werden. Dabei gilt aber zu bedenken:

"Es gibt menschliche Ziele und Inhalte, für die es sich lohnt, alles stehen- und liegen zulassen; es gibt tiefere Berufungen und Fügungen als die Verfügungen des Berufes, des Jobs. Und eines ist es, etwas zu machen und herzustellen, wovon man leben kann; aber etwas anderes ist es, was uns als Menschen ausmacht und wofür zu leben sich lohnt..." [1] Die Frage aber bleibt, ob die Fischer Petrus, Jakobus und Johannes etwas von dem ahnten, worauf sie sich hier einließen? In letzter Konsequenz wohl kaum, was sehr viel über Jesus von Nazareth aussagt. Was muss das für ein Mensch gewesen sein, wenn andere ihm so blind vertrauen und folgen konnten?
Die Frage ist also nicht, was wir gelernt haben und was wir heute sind, sondern es stellt sich die Frage, ob und in wie weit wir es wagen, selber zu denken und darauf zu vertrauen, dass uns der Glaube an Gott durch das Beispiel Jesu weiter und tiefer in uns selbst hinein führt, als bis zu unserem Tresor in der Bank und den Spareinlagen, die wir irgendwo sicher angelegt haben?

Wir taufen heute drei Kinder, die damit ja nicht in einen Verein oder irgendeine Organisation aufgenommen werden, wie die Feuerwehr, die Stadtmusik oder einen Fußballverein, sondern in die Kirche, die Kirche Jesu Christi. Doch was sagt uns das heute? Denken wir bei der Taufe unserer Kinder weiter als bis zu einem schönen Fest im Kreis der Familie, denken wir daran, dass diese ganz konkrete Taufe meines Kindes eine Berufung in eine bestimmte Art von Leben darstellt, für das ich als Mutter oder Vater, als Paten oder Familie - stellvertretend - verantwortlich bin? Was gilt mein Ja bei der Taufe, wenn es dann im Lebensvollzug zu einem gelebten Nein, zu einer Verweigerung von Glaubensvermittlung wird?

Es ist nicht zu verkennen, dass dies heute ein wirkliches Problem unserer Volkeskirche geworden ist. Taufe? - Ja, natürlich, das gehört irgendwie dazu, doch alles andere, was mich etwas an Zeit, an Engagement kosten würde, das blende ich lieber aus. Gott darf uns heute nichts mehr kosten, nur, dass wir, die modernen Menschen dabei verkennen, dass es den biblischen Gott eben nicht zu Billigpreisen, wie im Ausverkauf, geben kann. Und so stellt sich mit diesem Gottesdienst für uns alle die Frage nach unserer eigenen Berufung, danach, was uns der Glaube kosten darf und wie glaubwürdig wir ihn leben oder umgekehrt verweigern werden.

Ausreden finden wir immer dafür, warum wir gerade heute nicht zum Gottesdienst gehen können, und die Gründe dafür, warum unser Glaube nicht gelebt wird, liegen immer bei anderen: Da beginnt der Gottesdienst zu früh - wobei vergessen wird, dass wir mindestens einmal im Monat unseren Abendgottesdienst feiern. Da sind die Kinder zu klein und wir haben am Sonntag keinen Babysitter, - wobei man immer noch nicht gemerkt hat, dass wir seit vielen Jahren eine Krabbelecke für Kleinkinder in unserer Kirche und einen wirklich tollen Kindergottesdienst haben. Da ist der Pfarrer zu fromm oder zu liberal, - ohne zu bedenken, dass der Glaube nie von einem Pfarrer abhängt, sondern von der eigenen Bereitschaft zur Auseinandersetzung und zum Hören auf Gott. Da möchten wir "modernen" Menschen gern, dass unsere Kinder getauft und in den Religionsunterricht gehen, doch ansonsten wollen wir lieber in Ruhe gelassen werden, - ohne gemerkt zu haben, dass unser Christsein uns zutiefst herausfordert und letztendlich durch die Frage nach der Glaubwürdigkeit unseres Lebens beunruhigen muss.

Wir also, sind mit unserer Taufe, mit der unserer Kinder eingeladen, wie die drei Jünger Jesu, einzusteigen in das Boot, das sich Gemeinde nennt. Das Wunder eines reichen Fischfangs zu einer unmöglichen Tageszeit besteht nicht darin, dass die Netze reißen und Kollegen herbeigerufen werden müssen, um einen guten Fang bergen zu können, - nein, das Wunder besteht darin, dass Menschen sich auf den Weg machen, diesem Mann aus Nazareth zu folgen, um Gott zu begegnen. Dafür nehmen sie alle Unbequemlichkeiten auf sich, Spott und Hohn, sie werden verstaubt und unter offenem Himmel schlafen, obgleich sie zu Hause ein warmes Bett stehen haben, und ihre Zukunft ist ungewiss, - ein herausforderndes Wagnis. Ihr Glaube wird kostbar, er kostet sie alle Sicherheit durch den Beruf und die Familie.
Aber sie gewinnen mehr, als sie mit ihrem Fischfang verdienen konnten. Sie gewinnen mit dieser Herausforderung ein Leben an der Seite Gottes und damit einen Mehrwert, der ihnen verdeutlicht, wofür es wirklich zu leben lohnt.

Natürlich können wir nun nicht alle aus unseren Berufen aussteigen und zu Wanderpredigern werden. Das ist auch gar nicht nötig, denn Jesus selbst hat ja auch nur zwölf Männer in seine Nachfolge berufen, und eine unbestimmte Zahl von Frauen folgten ihm als Jüngerinnen nach. Das aber ändert nichts an der Tatsache, dass jeder Christ dazu berufen ist, seinen Glauben in der Nachfolge Jesu so glaubwürdig und überzeugend zu leben, dass es andere reizt, sich mit dem Glauben auseinander zusetzen, ihn einmal selbst zu wagen.

Der Glaube der Kirche ist also keine Privatangelegenheit für eine kleine Gruppe haupt-, neben- und ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern für einen jeden, der getauft und der mit der Taufe seiner Kinder nun auch herausgefordert ist, diesen ein Vorbild und Beispiel zu sein. Der Glaube gehört daher zu aller erst ins Kinderzimmer und dann in die Schulklasse, den Verein, an den Arbeitsplatz, in die Nachbarschaft und auf die Strasse. Was soll ein armer Pfarrer mit Konfirmandinnen und Konfirmanden anfangen, die religiöse Analphabeten sind, woran ja auch der Religionsunterricht nichts ändert? Er muss sich auf die Begleitung der Eltern verlassen, soll wenigstens die Konfirmandenzeit in die Kirche und die Gemeinde hineinführen - und nicht nur zu einem reichen Gabentisch am Tag der Konfirmation (so sehr ich den allen Jugendlichen gönne).

Das Wunder, um das es geht, ist das der Nachfolge, des Glaubens und damit die Bereitschaft alles stehen und liegen zu lassen, um das Wagnis eines unbekannten Weges, jenseits aller möglicher Versicherungen einzugehen. Wir müssten für unseren Glauben nichts aufgeben, wir können leben, wo wir es wollen, auch der Arbeitsplatz steht nicht in Frage, denn wir gehen durch unserem Glauben nicht in die Arbeitslosigkeit. Dennoch bleibt der Glaube an Gott eine unendliche Herausforderung an unsere Art zu leben. Berufen, ihn zu leben, sind wir alle seit wir getauft wurden und unsere Eltern stellvertretend für uns "Ja" zum Glauben der Kirche sagten und eine entsprechende Erziehung versprachen. Es fragt sich also, was aus unserer Berufung wurde und wie wir damit umgehen, dass wir es dabei immerhin mit Gott zu tun haben und nicht mit einem beliebigen Menschen, der unseren Weg kreuzt?

Unser Text von der Berufung der ersten Jünger fordert auch uns heraus, bis hin zu der Erkenntnis des Petrus: "Ich bin ein sündiger Mensch!" Damit stellt er sich der Wahrheit seines Lebens, womit er nun ein neues Leben anfangen kann. Erst die Erkenntnis, dass auch wir in vielen Bereichen fragwürdig leben, wird dazu führen, dass wir unser Leben ändern können. Dort aber, wo wir um unsere Berufung zum Christ-sein wissen, werden Fragen, die wirklich großen Fragen, wie die nach unserem Menschsein, nach Orientierung und Sinn, Antworten finden, und unserem Leben wird ein ganz anderer Wert beigemessen, als es sich materiell beziffern ließe. Lassen wir es doch einmal zu, dass auch wir die Stimme Gottes in uns hören, um unserer eigenen Berufung zu folgen. Immerhin wäre das ein Anfang um dem Menschen und unseren Kindern ein Stück Himmel auf die Erde zu holen.
Amen.


Literatur:

  1. Drewermann, E., Das Markusevangelium, Erster Teil, Freiburg, 19917, S. 167
Letzte Änderung: 20.07.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider