Liebe Gemeinde! Versetzen wir uns einmal in einen Menschen, der nicht hören und nicht sprechen kann, der in sich selbst und dem daher auch die Welt verschlossen ist. Denken wir in diesem Gottesdienst einmal dankbar aus dem Lärm unserer Tage darüber nach, auf was wir hören und wie wir mit anderen Menschen reden? Unsere Ohren und unser Mund sind wesentliche Organe zur Wahrnehmung der Welt und zum Zusammenleben mit anderen Menschen. Darum heißt es in der Bibel: "Wer Ohren hat, zu hören, der höre!" (Matth. 11,15)
Herr, guter Gott! Wir bitten dich, lass uns dein Wort recht gehört haben, damit wir selbst im Umgang untereinander, in der Familie, im Berufsleben, im Alltag unseres Lebens und wenn Freunde uns begleiten, Worte finden, die wahr und gut sind, die heilen und helfen. Lass uns unterscheiden lernen, was gut und wichtig zu hören ist und ausblenden, was inhaltsleer, nicht weiterhilft und keinen Sinn macht. Herr, dabei danken wir dir natürlich für die Musik, auch jene, die uns unterhält, für Sprache, Kunst und Literatur.
Herr, wir denken an alle, denen ein Wunder der Heilung in ihrem Leben verwehrt ist. Wir beten für alle Schwerhörigen unter uns und all jene, die zum Schweigen verurteilt sind, - für alle kranken Menschen, - für alle Ärzte, das Pflegepersonal und für alle medizinischen Hilfen, die heute möglich sind. Herr, wir beten aber auch für all jene, die ihren Körper zu einem Gott machen und aus ihrem Aussehen, einen Kult. Lass sie lernen, das rechte Maß zu finden.
Wir danken dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in
unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller
Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind - und beten für uns,
unsere Gemeinde, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt.
Amen.
Jesus verließ wieder das Gebiet von Tyrus und zog über Sidon zum See von Galiläa, mitten ins Gebiet der Zehn Städte. Dort brachten sie einen Taubstummen zu ihm mit der Bitte, ihm die Hände aufzulegen. Jesus führte ihn ein Stück von der Menge fort und legte seine Finger in die Ohren des Kranken; dann berührte er dessen Zunge mit Speichel. Er blickte zum Himmel empor, stöhnte und sagte zu dem Mann: "Effata!" Das heißt: "Öffne dich!" Im selben Augenblick konnte der Mann hören; auch seine Zunge löste sich, und er konnte richtig sprechen. Jesus verbot den Anwesenden, es irgend jemand weiterzusagen; aber je mehr er es ihnen verbot, desto mehr machten sie es bekannt. Die Leute waren ganz außer sich und sagten: "Wie gut ist alles, was er gemacht hat: Den Gehörlosen gibt er das Gehör und den Stummen die Sprache!"
Was bedeutet es eigentlich, nicht hören, was, nicht reden zu können? Aber: Was hören und was reden wir selbst? Sollten wir es nicht immer wieder einmal wagen, den Telefonstecker herauszuziehen und die Türschelle abzustellen, um Ruhe zu finden und nichts hören und nichts reden zu müssen? Sind denn unsere Ohren nicht längst verstopft vom Lärm-Müll unserer Umwelt, und das, was wir oft reden eigentlich nur überflüssig? Wo wird das Wort zur vernichtenden Waffe gegen andere und unser Ohr, als das Tor zur Welt, zum Kanal für Leid, Trauer und Schmerz? Schon auf den ersten Seiten der Bibel ist ja, als menschliche Urerfahrung beschrieben, wie unsere Sprache in Unordnung geraten ist, und nun neben allen positiven Möglichkeiten eben auch Unheil stiftet.
Gott sei Dank, hören wir nicht alles, was die Menschen den lieben langen Tag hinter anderen an Gerüchten, Halbwahrheiten oder glatten Lügen hinterher reden und dann als fürsorgliches Interesse verkaufen. Auch das Schweigen können hat seinen Wert, wenn man sich selbst dazu entscheiden kann. Wie gern denke ich immer wieder an meine Aufenthalte in der Trappisten Abtei Mariawald, einem strengen Schweigeorden, wo wirklich nur das Allernötigste geredet wird und alle, die dort leben, bei aller Arbeit doch Zeit und Ruhe finden, über die wirklich wesentlichen Dinge des Lebens nachzudenken: "Vacare Deo" so lautet der Wahlspruch dieser Abtei: "Frei sein für Gott" oder ein wenig freier übersetzt, vielleicht sogar "Ferien haben für Gott."
Dabei ist es ja ein unglaubliches Geschenk, das zu unserem Menschsein gehört, hören zu können, um dann schon sehr früh in unserem Leben das Sprechen zu lernen, wie anders könnten wir denn die Welt erfahren? Dort, wo wir nicht hören, ist ja auch das Lernen fast unmöglich; wo nicht geredet werden kann, ich nicht zur Sprache finde, fällt der natürlichste Zugang zum anderen Menschen weg. Wie schwer werde ich das "Ich" vom "Du" unterscheiden lernen, wenn ich nichts höre, wenn selbst Worte, wie Mutter oder Vater, Bruder oder Schwester, Danke oder Bitte nicht gehört und nicht ausgesprochen werden können, kein Wort der Liebe, des Trostes der Trauer gehört oder gesagt werden kann?
Nehmen wir uns einmal einen kleinen Augenblick Zeit, Ferien für Gott, und bedenken wir, was wir eben als das Wort des Evangeliums gehört haben. Hören wir einmal in uns hinein, um empfinden zu können, was hier für einen Menschen geschieht, und dankbar zu werden, für das Geschenk von Ohr und Mund, von Gehör und Sprache.
Stille: .....................
Nach einer Pause, die Gemeinde fragen, wer eigene Anmerkungen machen möchte?
Jesus, so haben wir es eben gehört, heilt einen Taubstummen. Ein Wunder. Doch hören wir da nicht gleich lieber
weg und denken an die Welt der alten Märchen und Mythen, anstatt an unsere eigene? Verwundern wir uns denn noch
über die vielfältigen Geschenke des Lebens, die wir vielleicht doch zu selbstverständlich nehmen: Das Geschenk
menschlicher Zuwendung, der Gesundheit, der Liebe, der Lebenszeit? Gehören wir denn nicht längst selbst zu den
Tauben und Stummen, die das richtige Hören und das rechte Sprechen längst verlernt haben?
Jesus kommt in die Gegend der Zehn Städte am See Genezareth, das heißt, er wendet sich auch an Menschen, die
außerhalb des Volkes Israels leben, auch sie sollen das Wort Jesu hören und dann selbst verkündigen dürfen.
Man bringt einen Taubstummen zu ihm, mit der Bitte, diesem die Hand aufzulegen. Ein Hinweis darauf, wie sehr
viele Menschen Jesus vertrauten, ja, ihm zutrauten, in seinem Wort, in seiner Tat - jenseits des Paradieses
- etwas von einer guten, heilen Schöpfung aufleuchten zu lassen.
Jesus nimmt den Mann zur Seite, die Neugier der Menschen muss nicht befriedigt werden. Er will keine Show, sondern Ruhe und Konzentration auf das Wesentliche und das ist einerseits dieser behinderte Mensch in seiner Not und andererseits Gott, dem sich Jesus ohne jedes Wenn und Aber zuwendet. Das Merkwürdige an dieser Geschichte ist, dass Jesus nun etwas ganz Praktisches tut, wo er sonst ein vollmächtiges Wort sagt. Er legt seine Finger in die Ohren des Gehörlosen und benetzt mit Speichel die Zunge des Stummen. Dann wendet er sich dem Himmel zu, und spricht den Behinderten in seiner Krankheit an.
Jesus nimmt Kontakt mit dem Taubstummen auf. Die Berührungen lassen diesen spüren, jetzt geht es nur noch um Gott und um dich. Es ist wie die Geste einer Mutter, eines Vaters, die ihr gefallenes Kind berühren und damit trösten. Dieses Verständnis, diese unmittelbare Nähe tröstet und heilt. Doch Jesus wendet sich nun "dem Himmel" zu, das heißt, er holt Gott in die zerstörte Schöpfung zurück. Gott muss zur Welt kommen, sollen Menschen so etwas wie Heil und Heilung erfahren. Ein jeder von uns hat im Ohr, wie die Menschenmassen des Dritten Reiches ihrem falschen Gott ihr "Heil" zubrüllten und taub waren, für den aus ihrem Glauben verdrängten Gott. Propagandageschrei das unmittelbar in das Unheil, ja den Untergang hinein führte, für das nachher niemand mehr verantwortlich sein wollte.
Erst diese Nähe zu Gott "ist der Ort, der ihm (Jesus) selber den Mut gibt, das Äußerste zu wagen. Es ist die Stelle, an der Glaube entsteht..." [1] Das Wort, das Jesus an diesen Mann richtet, deutet das Geschehen, die Ohren öffnen sich und der Behinderte findet Worte. Jesus aber verbietet, davon jetzt zu reden, woran sich natürlich kein Mensch hält. Eine Sensation muss schließlich unters Volk.
Vordergründig geht es noch einmal um ein Wunder Jesu in seiner Zeit und Welt, doch das ist für mich nicht das
Entscheidende. Entscheidend ist für mich die Frage, wie wir unsere eigenen Ohren so geöffnet bekommen, dass wir
wieder einmal das Zuhören lernen. Erst dort, wo wir zuhören können, wenden wir uns einem anderen Menschen ganz
zu. Entscheidend ist für mich selbst, in einer bestimmten Situation dann auch das rechte Wort zu finden: Worte
der Liebe, des Trostes, der Ermutigung, der Hoffnung, Worte, die gehört werden können und dem Leben dienen.
Wir selbst sind über die Zeit hinweg angesprochen, Wunder geöffneter Ohren und guter Worte füreinander zu
haben, angesichts unserer eigenen verstopften Ohren und fehlender Worte. Nicht umsonst heißt es im
Johannesevangelium, dass Gott im Wort zur Welt kommt. So schenke Gott uns offene Ohren und ein
glaubwürdiges Reden.
Amen.