Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 9.2.2003
Matth. 17, 1-9

Begrüßung:

Mosaik Verklärung Jesu

Liebe Gemeinde! Der Weihnachtskreis im Kirchenjahr geht nun mit diesem Gottesdienst endgültig zu Ende, die folgenden Sonntage gehen schon stark auf die Passionszeit zu. Was nehmen wir an Erkenntnissen aus dem Leben Jesu und seiner Menschlichkeit mit in unser eigenes Leben hinein? Wie können wir etwas von dem erahnen lernen, in welch einer Weise Gott in diesem Menschen in die Welt kommt und selbst Mensch wird? Vieles bleibt uns sicher verschleiert, wenn wir es mit der Gottheit Gottes zu tun haben und seiner Menschlichkeit, doch vielleicht dürfen ja auch wir hier und da etwas davon in den Höhen oder Tiefen unseres Lebens erfahren?

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei einem Namen gerufen; du bist mein! (Jes. 43,1)

Gebet:

Herr, unser Gott! Oft bist du uns unbegreiflich und doch begegnest du uns, du bist unnahbar und scheinbar unerreichbar, aber du kommst uns nah und erreichst uns oft unerwartet, gerade in den Tiefen unseres Lebens. Bewahre uns davor, dich in der Hand haben und in den Griff bekommen zu wollen, denn dann sind wir auf dem Weg zu ganz anderen Göttern und Götzen. Lass uns nicht über dich verfügen wollen, sondern ganz schlicht und einfach auf das hören, was du uns durch dein Wort und auf welchen Wegen auch immer zu sagen hast. Bewahre uns davor, nur dann auf dich zu hören, wenn es uns zusagt und sprich so zu uns, dass wir uns angesprochen wissen. Bewahre uns davor, dich für unsere Zwecke zu missbrauchen, sondern gebrauche du uns mit unserem Glauben für Deine Absichten in der Welt.

Herr, guter Gott, so lass uns selbst mit dem, was wir sagen und tun, zu glaubwürdigen Zeugen einer ganz anderen Wahrheit und Wirklichkeit in der Welt werden und schenke uns den inneren wie äußeren Frieden.
Amen.

Predigttext

Drei Jünger sehen Jesus in Herrlichkeit (Die »Verklärung«)

Sechs Tage später nahm Jesus die drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes, den Bruder von Jakobus, mit sich und führte sie auf einen hohen Berg. Sonst war niemand bei ihnen. Vor den Augen der Jünger ging mit Jesus eine Verwandlung vor sich: Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden strahlend weiß. Und dann sahen sie auf einmal Mose und Elija bei Jesus stehen und mit ihm reden. Da sagte Petrus zu Jesus: »Wie gut, dass wir hier sind, Herr! Wenn du willst, schlage ich hier drei Zelte auf, eins für dich, eins für Mose und eins für Elija.« Während er noch redete, erschien eine leuchtende Wolke über ihnen, und eine Stimme aus der Wolke sagte: »Dies ist mein Sohn, ihm gilt meine Liebe, ihn habe ich erwählt. Auf ihn sollt ihr hören!« Als die Jünger diese Worte hörten, warfen sie sich voller Angst nieder, das Gesicht zur Erde.

Aber Jesus trat zu ihnen, berührte sie und sagte: »Steht auf, habt keine Angst!« Als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus allein. Während sie den Berg hinunterstiegen, befahl er ihnen: »Sprecht zu niemand über das, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn vom Tod auferweckt ist.«

Matth. 17, 1-9


Liebe Gemeinde!

Kennen Sie das auch, dass einen manchmal im Leben einfach etwas ganz plötzlich und unerwartet umhaut? Da gibt es Nachrichten, Begegnungen, Erfahrungen, auf die wir innerlich nicht eingestellt sind und schon ist es passiert, wir fühlen uns wie vom Blitz getroffen und kaum noch fähig, zu vernünftigen Reaktionen. Vielleicht verstehen wir nach und nach einmal, was eigentlich mit uns und in unserem Leben geschehen ist, doch oft bleiben Rätsel, die unlösbar scheinen. So gut wie jeder von uns, der in seinem Leben schon einen längeren Weg hinter sich hat, kennt das.

Das, was die drei Jünger Jesu: Petrus, Jakobus und Johannes auf dem Berg Tabor erleben, lässt sie zu Boden fallen. Unfassliches ist geschehen, das Unbegreifliche erschrickt und entsetzt sie. Das, was uns von Jesus und diesen drei Jüngern berichtet wird, lässt sich von uns nicht nachvollziehen. Wir können es uns einfach nicht vorstellen, was sie dort erlebt und so aus ihrer Lebensbahn geworfen hat. Was sie dort erfahren, hat wohl etwas mit dem Glanz zu tun, der der Welt längst abhanden gekommen ist, von dem wir Menschen aber reden müssen, wenn wir es einmal mit der Gottheit Gottes zu tun bekommen haben. So erleben die Jünger einfach etwas Unaussprechliches, was sie nun mit ihren Worten weitererzählen, weil sie es einfach nicht verschweigen können.

Mit der Wahrnehmung von Mose und Elija wird Jesus in einer ganz bestimmten jüdischen Tradition erlebt. Mose ist der Mann, der das Volk Israel in die Freiheit führt, Elija bewahrt Israel in der Freiheit davor, in einer neuen Abhängigkeit, ja Versklavung an den Kult der Macht, des Besitzes, des oberflächlichen Erfolges anzukommen. Er kämpft für das Recht der Armen gegen den Gott der Starken: Baal - und gegen alle, die diesem Götzen dienen. Jesus wird also in einem ganz bestimmten Licht gesehen und so dem Volk Israel vorgestellt, in dem von dieser Begegnung berichtet wird. Und das erste Wort, das er seinen entsetzten Jüngern sagt, ist fast eine Kurzfassung des Evangeliums: "Fürchtet euch nicht!"

Vor kurzem unterhielten wir uns im Konfirmandenunterricht über "Gott". Eine Konfirmandin fragte mich sinngemäß, ob ich persönlich denn Gott schon einmal gehört, ihn irgendwie in meinem Leben erlebt oder wahrgenommen hätte? Die Frage, sehr persönlich gestellt, verschlug mir zunächst die Sprache, bis ich dann die Antwort versuchte, dass mir Gott gerade in den schwersten Momenten meines Lebens in biblischen Bildern ungewöhnlich nahe kam und gegenwärtig war: in sehr existentiellen Bildern, wie dem des Berges, über dem uns Gott begegnen kann; - der Tiefe, aus der er sich ansprechen lässt; - einer trennenden und behindernden Mauer, die wir überspringen können; - eines fesselnden Netzes, das zerreißt - oder dem Bild einer Wüste, in der wir Gott bei uns wissen.

Jesus geht mit seinen Jüngern auf einen Berg. Es wird der wunderschön gelegene Berg Tabor gewesen sein. Traumhaft liegt er kegelförmig 588 m hoch in einem weiten Tal. Seine besondere Form regte schon immer die Fantasie der Menschen an, so dass gerade dieser Berg in der Bibel immer wieder eine Rolle spielt. Von seinem Gipfel hat man einen wunderbaren, weiten Blick in das Land Israel hinein. Berge ziehen uns an. Für uns sind sie ja längst zu einem tiefgreifenden Bild bestimmter Lebenssituationen geworden. So sagen wir: "Ich stehe wie vor einem Berg, - ich komme einfach nicht darüber hinweg ..."
Wir erleben physische und psychische Berge, die uns die freie Sicht versperren, uns bedrängen. So heißt es im 121. Psalm: "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe?" Oder im 130.: "Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir ..."

Herbert Grönemeyer, der Liedermacher, drückt das lange nach dem Tod seiner Frau, der ihn zunächst sprachlos machte, in seinem Lied Mensch so aus: "Der Mensch heißt Mensch - Weil er irrt und weil er kämpft - Weil er hofft und liebt - Weil er mitfühlt und vergibt - Weil er lacht, weil er lebt, Du fehlst - Es ist alles o.k. - Alles auf dem Weg - Und es ist Sonnenzeit - Ungetrübt und leicht - Der Mensch heißt Mensch - Weil er vergisst, weil er verdrängt - Weil er schwärmt und glaubt - Sich anlehnt und vertraut - Weil er lacht, weil er lebt, Du fehlst - Ist schon o.k. - Es tut gleichmäßig weh - Es ist Sonnenzeit - Ungetrübt und leicht - Der Mensch heißt Mensch - Weil er erinnert, weil er kämpft - Weil er schwärmt und liebt - Weil er mitfühlt und vergibt - Weil er lacht, weil er lebt ..." [1]

Grönemeyer kommt uns - wie die tiefgreifenden Bilder der Bibel - mit seiner Sicht vom Menschen doch daher so nah, weil viele von uns sich und ihr Leben darin wiedererkennen, weil sie ihm abspüren, was er sagt und singt und wie er es tut.

Scheinbar ist man Gott in der Höhe eines Berges näher als im Tal, weil man den Alltag, das Bedrängende und Dunkle, das, was uns entmutigt, zurücklassen kann. Wer einen richtigen Berggipfel erklettert, der ahnt ja oft etwas davon - auch wenn er ganz unreligiös ist - dass man hier Gott irgendwie entgegensteigt. Dabei wissen wir natürlich, dass sich Gott eben nicht auf Orte festlegen, ja begrenzen lässt. Es ist aber unser Gefühl, das hier seinen Ausdruck findet.

Auf einem Berg, herausgelöst aus dem Alltag und allem Alltäglichen, erfahren die drei Jünger, wie mit Jesus etwas Unerklärbares vor sich geht und er eingereiht wird, in die Reihe derer, die zwischen Gott und dem Volk Israel stehen. Sie, Männer wie Mose und Elija, haben den Glauben an den Gott Israels lebendig gehalten auch in den tiefsten Tiefen der Geschichte dieses Volkes und gegen unzählige Widerstände und Hindernisse. Nun hören die Jünger die Stimme Gottes, der das Wort bei der Taufe Jesu durch Johannes wiederholt: "Dies ist mein Sohn, ihm gilt meine Liebe, ihn habe ich erwählt. Auf ihn sollt ihr hören ...!" Es ist wie eine Proklamation, ein Hinweis auf diesen Einen: JesusChristus.

Matthäus sieht seine Gemeinde, seine Hörer. Es sind vor allem Menschen jüdischen Glaubens, denen er sagen möchte, wer dieser Jesus eigentlich ist und woher er seine spürbare Autorität denn bekommt - oder sie sich nimmt. Wie sollten denn fromme, gottesfürchtige Juden mit diesem Jesus umgehen und seinem ungeheuren Anspruch an den Glauben Israels? Wer legitimiert eigentlich diesen Mann aus Nazareth zu solchen Aussagen und Taten? Diese Spannung löst der Schreiber unseres Evangeliums mit unserem Text auf: Jesus, so macht er deutlich, gehört zum Volk Israel und er hat seinen Auftrag von Gott selbst, was durch die drei Jünger bezeugt wird, die sich an diese Begegnung aber nur mit Furcht und Zittern erinnern.

Petrus, der Aktivist, will Zelte aufbauen, er möchte den Moment festhalten, ihn zementieren, um vielleicht auch damit anzuknüpfen an die Zeit der Wüstenwanderung, die Zeit des Unterwegsseins und der Heimatlosigkeit Israels. Doch das entspricht ja gerade nicht dem Auftrag Jesu.
Er muss herunter von diesem Berg, in die Tiefen menschlicher Existenz: in die Gottlosigkeit und Gottverlassenheit des Menschen, seine Schuldhaftigkeit, er muss hinein in die menschlichen Erfahrungen von Konflikten, Kampf und Friedlosigkeit, der Angst und der Einsamkeit, der Krankheit und dem Tod. Hier findet er den Menschen, der Gott braucht, der an der Sehnsucht nach Leben hungert, nach Hoffnung und Sinn. Das Tal, die Tiefe ist der Ort an dem das Wort Jesu trifft, ermahnt, aufrichtet, ermutigt. Hier - mitten in der Welt - muss Gott erfahren werden und nicht irgendwo, jenseits des Lebens über den Wolken. Der Weg vom Berg hinunter ist so der Weg in den Alltag hinein, der oft genug seine tiefen Schatten in unserem Leben wirft. Und Jesus weiß worauf er sich einlässt.

Er ist auf dem Weg in die Verfolgung, das Leiden und in den Tod hinein. Er wird hier auf dem Berg von den Jüngern begleitet, die dann später auch im Garten Gethsemane von ihmbeiseite genommen werden. Jetzt sollen sie zunächst von dem Erlebten schweigen, denn niemand würde verstehen, was hier geschehen ist. Später wird man dann wenigstens bestimmte Zusammenhänge erkennen können. Erst mit der Vollendung seines Lebens, seines gottgegebenen Auftrages wird der "Messias" endgültig als solcher erkannt, geglaubt und der Welt verkündigt werden.

Sicher, vieles bleibt uns wohl rätselhaft, unerklärlich, aber das muss wohl auch so sein, wenn die Welt Gottes unserer menschlichen Welt begegnet. Doch ganz gleich, aus welchen Tälern unseres Lebens wir auf welche Höhen und aus welchen Höhen wir in welche Täler geführt werden, sich daran zu orientieren, dass uns der menschenfreundliche Gott seinen Sohn an die Seite stellt, das lohnt das Wagnis des Glaubens. Denn das Wort Jesu: "Fürchtet euch nicht!" gilt ja auch uns und unserem Lebensweg, ganz gleich was kommen mag.

Als Karl Barth am Abend vor seinem Tod im Dezember 1968 noch einmal mit seinem langjährigen Freund und Weggefährten Eduard Thurneysen telefoniert und man die düstere Weltlage erörtert, sagt Barth seinem Freund: "Aber nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert ..." Ich denke, dass es das ist, womit auch wir - trotz mancherlei Dunkelheiten in unserem Leben - ermutigt leben können, darum zu wissen, dass es Gott ist, dem diese Welt und unser aller Schicksal am Herzen liegt, da mögen die Regierungen in Washington, London oder Bagdad entscheiden, ja selbst tun, was immer sie wollen: "Es wird regiert!"[2] Natürlich enthebt uns das nicht unserer Verantwortung für die Welt, aber es relativiert doch unsere letztendlichen Möglichkeiten. Darum: "Fürchtet euch nicht!"
Amen.


Literatur:

  1. Grönemeyer, H., Text und Musik, 2002, EMI Electrola GMBH & CO. KG
  2. Busch, E., Karl Barths Lebenslauf, München, 19762, S. 515
außerdem: Letzte Änderung: 10.02.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider