Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

3. Sonntag nach Epiphanias, 26.01.2003
Matthäus 8, 5-13

Begrüßung:

Liebe Gemeinde! Lassen wir uns einladen, heute noch einmal über ein Wunder Jesu miteinander nachzudenken. Dabei handelt es sich um die Geschichte vom Hauptmann zu Kapernaum. Jesus hilft einem Soldaten, einem Offizier. Angesichts des derzeitigen Aufmarsches der USA in der Golfregion dürfen wir uns angesichts eines solchen Textes dann auch einmal danach fragen, wie Jesus selbst eigentlich mit der Frage nach Militär und Krieg umgegangen ist? Weise mir Herr, deinen Weg, dass ich wandle in deiner Wahrheit ...(Ps.86,11).

Gebet:

Herr, wir danken dir für dein gutes Wort, für ein Wort, das uns nachdenklich macht, - herausfordert, darüber nachzudenken, wo wir anders leben müssten. Lass uns erkennen, dass wir oft hinter unseren Möglichkeiten als Christen zu leben zurückbleiben, weil wir dir zu wenig vertrauen, von dir zu wenig erwarten. Unser Glaube hat oft kaum noch die Kraft, das Leben, unser Denken und Tun zu beeinflussen, darum bitten wir dich um einen neuen Geist, den Geist Jesu.

Schenke es uns, dass wir die vielen Wunder erkennen, in denen du, Gott, sichtbar und spürbar bist, und dass wir selbst fähig werden, so zu handeln, dass andere darüber ins Staunen geraten. Lass durch uns selbst die Bereitschaft zum Frieden und die Ehrfurcht vor allem Leben wachsen, damit Menschen nicht mehr bedroht leben müssen. Herr, zeige uns Wege der Menschlichkeit zu gehen und schenke die Kraft und den Mut, dieser Welt anders zu begegnen als unmenschlich, unbarmherzig, fried- und lieblos. Ja, Herr, es liegt auch an uns, wie das Gesicht der Welt aussieht in der wir leben.

So danken wir dir für alle Menschen unter uns und weltweit, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche einbringen, die Frieden und Gerechtigkeit wachsen und reifen lassen.
Amen.

Predigttext:

Der Hauptmann von Kafarnaum

Jesus kam nach Kafarnaum. Da trat ein Hauptmann, ein Nichtjude, an ihn heran und bat ihn um Hilfe: »Herr«, sagte er, »mein Diener liegt gelähmt bei mir zu Hause und hat furchtbare Schmerzen!« Jesus fragte ihn: »Soll ich etwa kommen und ihn gesund machen?« Der Hauptmann erwiderte: »Herr, ich weiß, dass ich dir, einem Juden, nicht zumuten kann, mein Haus zu betreten. Aber sag nur ein Wort, und mein Diener wird gesund. Auch ich unterstehe höherem Befehl und kann meinen Soldaten Befehle erteilen. Wenn ich zu einem sage: "Geh!’, dann geht er; wenn ich zu einem andern sage: "Komm!’, dann kommt er; und wenn ich meinem Diener befehle: "Tu das!’, dann tut er's.«

Als Jesus das hörte, staunte er und sagte zu den Leuten, die ihm folgten: »Wahrhaftig, solch ein Vertrauen habe ich in Israel nirgends gefunden! Doch ich sage euch: Viele werden kommen, aus Ost und West, und zusammen mit Abraham, Isaak und Jakob in Gottes neuer Welt zu Tisch sitzen. Aber die Menschen, die bis jetzt das Anrecht darauf hatten, werden in die Dunkelheit hinausgestoßen. Dort gibt es nur noch Jammern und Zähneknirschen.« Dann sagte Jesus zu dem Hauptmann: »Geh nach Hause! Wie du es im Vertrauen von mir erwartet hast, soll es geschehen.« Zur selben Stunde wurde sein Diener gesund.

Matth. 8, 5-13


Liebe Gemeinde!

Ein Wunder! Lösen Wunder heute noch Gespräche, ja Diskussionen unter uns aus? Es gibt Menschen, die glauben, dass die Wunder Jesu tatsächlich geschehen sind. Es gibt andere, die glauben, dass die Wunder nicht geschehen sind, und es gibt nochmals eine andere Gruppe unter uns, die hinterfragt ein Wunder auf seine tiefere Bedeutung. Immerhin: alle diese Menschen verbinden etwas mit einem Wunder, denn eine weitere Gruppe von Menschen, mit denen wir tagtäglich zusammen leben, glaubt im Grunde an gar nichts mehr - außer nur noch an sich selbst.

Ein Wunder!? Da kommen Menschen an einem Sonntagmorgen in die Kirche, sie setzen sich freiwillig auf mehr oder weniger harte Bänke, obgleich sie doch zu Hause warme und gemütliche Betten hätten. Sie hören sich eine mehr oder weniger langweilige Predigt an, wobei sie im eigenen Wohnzimmer im Fernseher vielleicht Spannenderes sehen und hören könnten. So wundere ich mich immer wieder: über mich selbst, über meine Gemeinde, über das Wort, welches ich Sonntag für Sonntag zu verkündigen habe - und das uns auch heute wieder hier und weltweit, wo immer es Christen gibt, zusammenführt. Ist das kein Wunder? Oder umgekehrt, ist das nicht wunderbar, dass das auch heute noch möglich ist und bis in unsere Gemeinde hinein geschieht?

Wir alle reden von Wundern, obgleich wir doch unsere Probleme damit haben: wir reden von den sieben Weltwundern, vom Wirtschaftswunder (das leider schon fast vergessen ist), vom Wunder der Technik, von den Wundern der Natur - alles Wunder, die der Mensch gemacht hat oder die Natur, jedenfalls oberflächlich betrachtet nicht Gott! So gab es, ungewollt aber dennoch aus diesem Geist heraus, vor vielen Jahren den berühmten Besteller "Und die Bibel hat doch recht!" Es war ein vielgelesenes, vieldiskutiertes Buch über die Wunder der Bibel. Schon der Titel dieses Buches macht deutlich, dass es heute eben viele Menschen geben muss, die damit rechnen, dass die Bibel selbstverständlich kein Recht hat - und es sich somit auch gar nicht mehr lohnt, in sie hineinzuschauen.

Das Problem, ja fast würde ich sagen, das Ärgernis dieses Buches ist, dass es sich an Menschen wendet, die dem Glauben ausweichen wollen, die Tatsachen fordern: sauber, überprüfbar, beweisbar. Und da gibt es ja wirklich vieles in und um die Bibel herum, was uns hilft: innerbiblische und außerbiblische Urkunden, Ausgrabungen, Sprach- und Literaturforschung, Belege über Belege, nur, dass sie eben noch gar nichts über den Glauben aussagen. Die Bibel - und es ist sicher gut, daran im "Jahr der Bibel" wieder einmal zu erinnern - will uns spüren lassen, wie Gott in diese Welt kommt, in der ganzen Schöpfung so unglaublich, ja auch wunderbar sichtbar wird und an den Menschen handelt. Sie will uns empfindsam dafür machen, wie eben dieser Gott Menschen in ihrem Leben begegnet und diese Gott. Darum geht es doch, wenn wir heute noch von Abraham, Isaak und Jakob reden, von Mose oder den Propheten, von Jesus und den Menschen seiner Zeit.

Wer danach fragt: "ob die Bibel wirklich recht hat", läuft Gefahr, an ihrem Geist vorbei zu fragen - und wird mit seinem Glauben oft irgendwo ankommen, doch eben nur schwerlich den biblischen Gott reden hören und handeln sehen, er wird - wie so viele Zeitgenossen Jesu - eigenen Götterbildern folgen.
Das geht dann heute bis hin zu den modernen Götzen und Göttern, die sich ihren Gottesdienst um sich selbst herum feiern lassen und um Menschen, die damit an ihren eigenen "goldenen Kälbern" bauen .

Da ist ein Hauptmann, ein Heide! Er gehört als Römer und als Teil der Besatzungsmacht in Israel zu den Menschen, mit denen kein anständiger Jude freiwillig Kontakt aufnehmen würde. Schlimmer, er ist Soldat, dazu auch noch ein Offizier. Seine Leute grenzen die Freiheit des jüdischen Volkes ein, unterdrücken jeden Protest gegen die heidnische Obrigkeit schon im Keim. Sie tragen die Bajonette, auf denen der Statthalter in Jerusalem thront und dem Kaiser in Rom seine Weltmacht sichert. Ein solcher Mann kommt zu Jesus.

Er, der so große Macht hat, bittet für einen Untergebenen, er kann nichts mehr tun und sieht seine Grenzen. Muss Krankheit denn sein, wenn doch die Juden an einen Schöpfergott glauben und da einer ist, der von sich sagt, dass nun - mit ihm - dieser Gott in der Welt sichtbar wird, von dem gesagt wird, dass er Wunder vollbringt und vollmächtig ist? So geht er,dieser römische Machthaber zu dem, von dem andere sagen, dass er der Herr sei! Was für eine Erniedrigung, was für eine Demütigung, auch für seine eigenen Götter, die Götter Roms. Diesen Widerspruch erträgt er bis dahin, dass er sich der Lächerlichkeit seiner Leute und der Schadenfreude vieler Juden preisgibt, wenn dieser jüdische Rabbi ihn mit Verachtung strafen würde.

So mutet er Jesus auch gar nicht erst zu, sein Haus zu betreten, schon ein Wort würde reichen, um den Diener gesund zu machen. In dieser Begegnung mit Jesus spürt er eine Kraft, die wirklich "Berge" versetzen kann und er ahnt etwas davon, dass der Gott Israels gegenwärtig ist. Das nennt meine Bibel "Glaube" und dementsprechend reagiert auch Jesus. Er wirft ihm nicht vor, ein Militarist zu sein, den falschen Beruf, einen falschen Glauben zu haben, sondern ist überrascht von dem Vertauen dieses mächtigen Mannes. Ja, dieses Vertrauen und diesen Glauben stellt er seinen Hörern vor Augen. Da gibt es keine Berufung auf Abraham, Isaak und Jakob mehr, die Väter des Glaubens, wenn dieser Glaube und dieses Vertrauen fehlen.

Sind wir da als Christen nicht in gleicher Weise betroffen - und gefragt, ob wir selbst noch diese Menschen sind, die einen solchen Glauben riskieren? Dabei sehen wir, dass selbst in der Bibel Wunder nicht immer erbeten und auch nicht immer vollbracht werden. Uns werden einige Wunder berichtet, doch Jesus heilt und hilft eben nicht jedem Kranken. Er lässt seine Umwelt spüren, dass in jeder Krankheit etwas von der Unordnung des verlorenen Paradieses (um im Bild zu sprechen) aufleuchtet, und dass mit ihm, seinem Reden und Tun, Gott der Welt auf eine neue Art begegnen will. Es ist einerseits ein Hinweis darauf, dass wir die heile Welt, das Paradies, als Ort der Gegenwart Gottes verloren haben, andererseits aber auch darauf, dass wir auf eben diese zuleben, wo unser Glaube uns trägt, das wir aber endgültig verlieren, wo der Unglaube uns von Gott trennt.

Mitten im Chaos der Welt, in der Unordnung, der Krankheit, dem Verlust, der Unterdrückung wird durch Jesus etwas von Gottes neuer Welt spürbar - und darum geht es bei seinen Wundern, dafür werden sie weitererzählt. An einem solchen Wunder des Glaubens, wie dieser römische Hauptmann ihn lebt und erlebt, möchte ich heute teilhaben. Die Frage danach, ob die Wunder denn nun geschehen sind oder nicht interessiert mich dabei nur noch am Rande.

Liebe Gemeinde! In unserem Text geht es um einen Soldaten. Jesus hat ihn nicht einfach abgewiesen und gesagt: Du hast leider den falschen Beruf, du bist ein Militarist. Und doch sind wir heute wohl danach gefragt, wie sich Jesus und damit auch wir Christen zu kriegerischen Auseinandersetzungen zu verhalten haben? Ganz sicher werden wir das Militär nicht abschaffen können, wir leben in einer schuldverflochtenen Welt, in der es als eine Ordnungsmacht und ausschließlich für den Verteidigungsfall seinen Platz hat. So gibt es kein Recht eines Landes gegen ein anderes in den Krieg zu ziehen - schon gar nicht, wenn es ganz offenbar um sehr vordergründige Interessen, nämlich um Öl geht. Es wird ja von der amerikanischen Regierung nicht einmal mehr der Versuch unternommen, das zu beschönigen. Dieser Aufmarsch einer Weltmacht gegen ein anderes Land ist - in der Sprache der Bibel - Sünde, Auflehnung gegen Gott, weil hier zerstörerische Kräfte am Werk sind, anstatt solche, die dem Leben dienen.

"Krieg soll nicht sein! Und doch - ebenso entschieden fügen wir hinzu - Krieg muss sein ...!", so klang es 1916 in Kriegspredigten. "Gott sei Dank, dass wir heute sagen können: Unser Volk zieht mit reinem Gewissen in den Krieg. Wir danken es unsrer Regierung, wir danken es unserem Kaiser, die sich in diesen Tagen glänzend bewährt haben, dass sie uns das gute Gewissen zum Krieg ermöglicht haben. Es war eine wunderbare Beruhigung, aus Mitteilungen unserer Regierung zu sehen, dass sie friedensentschlossen war bis zum Äußersten, aber ebenso kriegsentschlossen, als es nicht anders mehr ging. Sie hat damit unserm Volk einen moralischen Halt und eine Fülle moralischer Kraft gegeben ..." [1] Ebenso hörten wir es beim Vietnamkrieg, beim ersten Krieg gegen den Irak und in etwa auch jetzt wieder. Auf diese Weise wird jeder Krieg gerechtfertigt und der Öffentlichkeit gegenüber verkauft.

Was aber auch heute wieder nachdrücklich zu sagen ist, ist ein klares, deutliches Nein zu einem weiteren Krieg, der durch nichts als Eigeninteressen zu rechtfertigen ist. "Da Kriege im Geiste des Menschen entstehen, so müssen auch im Geiste des Menschen die Werke zur Verteidigung des Friedens errichtet werden ..." Das ist kein Satz der Bibel und des Glaubens, sondern der erste Satz der Präambel der UNESCO. Wenn die Verantwortlichen für Krieg und Frieden in der Welt alles daran setzen würden, den Frieden zu erhalten, anstatt ganze Armeen in Marsch zu setzen, dann sähe es anders in der Welt aus. Es gäbe weniger Menschen, die getötet würden, an Leib und Seele verwundet, zerstörte Städte, Flüchtlinge und Heimatvertriebene.

Angesichts der militärischen Möglichkeiten die wir heute haben, ist jeder Krieg zu ächten. Es ehrt das "alte Europa" [2], vor allem Deutschland und Frankreich, wenn man heute auf dem Hintergrund einer langen leidvollen Kriegsgeschichte davor warnt, einen Krieg anzufangen. Jesus verurteilt den römischen Hauptmann nicht, sondern er hilft ihm als einem bedrängten Mitmenschen in seiner persönlichen Not. Dennoch werden wir als Christen immer wieder neu zu hören haben, dass gerade die Menschen von Gott geachtet sind, die Frieden stiften. Das ist die Aufgabe eines jeden Menschen ganz gleich, welchen Beruf er hat, die Aufgabe einer guten Politik. Wir haben Gottes Wort gehört. Hat es Konsequenzen für uns und unsere Auffassung vom Leben? Wäre es denn nicht ein ganz besonderes Wunder des Glaubens, wenn wir noch einmal lernen könnten, die Welt mit den Augen und dem Herzen Jesu zu sehen? Ja, das wäre ein Wunder, aber eines, das sogar uns möglich ist.
Amen.


Literatur:

  1. Rittelmeyer, F., Christ und Krieg, Predigten aus der Kriegszeit,
    München, 1916, S. 3
  2. Badische Zeitung, Freitag, 24.01.03, S. 1
außerdem: Letzte Änderung: 05.02.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider