Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

3. Sonntag nach Epiphanias, Matthäus 8, 19-22,

Gottesdienst u.a. für die neuzugezogenen Gemeindeglieder des vergangenen Jahres

 

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Wir Menschen sind unterwegs, manchmal freiwillig, ein anderes Mal durch irgendwelche Umstände dazu gezwungen. Immer bewegen wir uns irgendwohin, müssen Abschied nehmen oder neu anfangen. Heute begrüßen wir sehr herzlich in unserer Mitte alle Evangelischen Christen, die im vergangenen Jahr neu nach Kenzingen gezogen und damit auch neu in unserer Gemeinde sind. Wir heißen Sie alle sehr herzlich in unserer Mitte willkommen. Von Mallorca, Nord- und Ostdeutschland sind Sie hierher in den Süden gezogen, um hier zu leben, zu arbeiten, vielleicht auch ihren Lebensabend zu verbringen. Wir hoffen, dass Sie sich alle inzwischen gut eingelebt haben und auch wirklich angekommen sind.

 

Befiehl dem Herrn deine Wege (Psalm 37 5a).

 

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Wir danken dir für dein Wort und für deinen guten Geist, der Menschen aufeinander zuführt und miteinander verbindet. Wir bitten dich heute vor allem für die Gemeindeglieder, die neu nach Kenzingen gezogen sind und hier nun auch in unserer Gemeinde eine Heimat finden dürfen. Lass uns so miteinander umgehen, dass wir für alle Menschen mit ihren je unterschiedlichen Eigenarten und Begabungen einladend wirken und offen sind. So erst werden wir lernen, uns wirklich als eine zusammengehörende Gemeinde zu empfinden, in der – bei allen Unterschieden und Andersartigkeiten - dennoch einer für den anderen da ist. Schenke es uns, dass wir nicht nur Orte als Heimat empfinden, sondern auch in unserem Glauben an dich, unseren Gott, heimisch werden. Herr, dir vertrauen wir unseren Lebensweg an, wohin wir auch geführt werden. Amen.

 

 

 

Da kam ein Gesetzeslehrer zu ihm und sagte: »Lehrer, ich bin bereit, dir zu folgen, ganz gleich, wohin du gehst!« Jesus antwortete ihm: »Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihr Nest; aber der Menschensohn hat keinen Platz, wo er sich hinlegen und ausruhen kann.« Ein anderer, einer von den Jüngern, sagte zu Jesus: »Herr, erlaube mir, dass ich erst noch hingehe und meinen Vater begrabe.« Aber Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir! Überlass es den Toten, ihre Toten zu begraben!«

 

 

 

 

 


Liebe Gemeinde!

 

 

Mir fällt da eine ganz bekannte Geschichte von Franz Kafka ein, Der Aufbruch:

 

Ich befahl, mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen. Ich fragte ihn, was das bedeute. Er wusste nichts und hatte nichts gehört. Beim Tore hielt er mich auf und fragte: „Wohin reitest du, Herr?“ „Ich weiß es nicht“, sagte ich, „nur weg von hier, nur weg von hier. Immer fort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.“ „Du kennst also dein Ziel?“ fragte er. „Ja“, antwortete ich, „ich sagte es doch! Weg von hier, das ist mein Ziel!“ „Du hast keinen Essvorrat mit“, sagte er. „Ich brauche keinen“, sagte ich, „die Reise ist so lang, dass ich verhungern muss, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein Essvorrat kann mich retten. Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise“. [1]

 

Ist dieser Reiter nicht verrückt? Was soll das, einfach wegzureiten, ohne zu wissen, wohin die Reise gehen soll? Das Ziel seines Weges ist: „Nur weg von hier“! Es sieht aus, als folge da jemand einem illusorischen Traum. Aber so oder so, er geht seinen Weg, unbekümmert und unbesorgt vor der Zukunft, die so unbekannt und offen vor ihm liegt. Wer sich auf den Weg macht, hat in der Regel ein Ziel. Man möchte oder muss etwas hinter sich lassen, anderes erreichen. Dazu sind wir aber zuerst einmal gezwungen aufzubrechen, sonst bleiben wir ja dort, wo wir immer schon waren.

 

So planlos träumerisch wird sich gewiss niemand auf den Weg gemacht haben, der im vergangenen Jahr hierher nach Kenzingen in den schönen Breisgau gezogen ist. Niemand verlässt einen Wohnort, dem man für eine bestimmte Zeit seines Leben verbunden war, ohne einen guten Grund, schon gar nicht, wenn mit diesem Ort Erinnerungen verbunden sind. Erinnerungen an Menschen, bestimmte Gebäude, eine Kirche, vielleicht sogar die, in der man getauft, konfirmiert oder getraut wurde, an eine bestimmte, prägende Landschaft. Es ist ja eben nicht einfach egal, ob ich an der Ostsee, vielleicht in Lübeck aufgewachsen bin oder im tiefsten Schwarzwald, hochdeutsch spreche oder meine Muttersprache eigentlich alemannisch ist.

 

Wer sich auf den Weg macht, einem neuen Ziel entgegen, wagt einen Aufbruch, denn er lässt Bekanntes und Vertrautes zurück, um an einem anderen Ort weiter zu leben. Er macht sich auf den Weg, um einer neuen Arbeit nach zu gehen, vielleicht aber auch, weil er einem Menschen folgt, den er liebt. So viele Gründe gibt es gar nicht, weshalb ein Mensch seinen Lebensraum wechselt und mit einem anderen eintauscht. Auf alle Fälle ist jeder Aufbruch und Wechsel einem neuen Ziel entgegen ein einschneidender Umbruch im Leben, eine tiefe Zäsur, die glücklich, aber auch unglücklich machen kann. Was man hatte, weiß man, was nun kommt, bleibt zunächst einmal ungewiss.

 

Wenn wir heute alle Neuzugezogenen des vergangenen Jahres in unserer Mitte begrüßen möchten, so tun wir das nicht pro Forma, des Scheins wegen, sondern, weil wir als Gemeindeglieder der „Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen“ fast alle wissen, wie das ist, sich auf den Weg zu machen und irgendwo an einem fremden Ort heimisch werden zu müssen.

Als relativ junge Kirchengemeinde, die vor allem immer nach Kriegsjahren, durch Flüchtlinge, und mit den beiden großen Neubaugebieten in der Stadt wuchs, sind viele von uns hier erst nach und nach heimisch geworden. Ein herzliches Willkommen darum allen, die nun mit uns zusammen in unserer kleinen Stadt leben wollen. Sie, die Neubürger, prägen von nun an das Gesicht unserer Stadt und unserer Kirchengemeinde mit.

 

Ich sehe ein, es ist ein merkwürdiger Text, den wir gerade aus dem Matthäusevangelium gehört haben. Wieder einmal antwortet Jesus auf eine Anfrage mit einem erschreckend klaren Wort. Es ist ein Gesetzeslehrer, der Jesus folgt und diesem mit fast unverständlicher Gewissheit sagt: „Ich bin bereit, dir zu folgen, ganz gleich, wohin du auch gehst!“ Das klingt fast so, wie bei einer Trauung, wo das Brautpaar ja am Anfang ihres gemeinsamen Weges gefragt wird: „Wollt ihr einander in Freud und Leid die Treue halten, bis Gott durch den Tod euch scheidet?“

 

Jesus antwortet ziemlich kurz und bündig mit einem vermutlich bekannten Wort seiner Zeit: »Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihr Nest; aber der Menschensohn hat keinen Platz, wo er sich hinlegen und ausruhen kann.« Da hören wir keinen Dank, kein Lob, so nach dem Motto: „das finde ich aber toll, herzlich Willkommen im Kreis meiner Jünger, meiner Schülerinnen und Schüler, Gott wird sich freuen, dass du mir folgen willst.“ Nichts davon. Jesus kennt die Lehrer des jüdischen Religionsgesetzes und er erkennt, dass die Voraussetzungen bei diesem Mann nicht stimmen.

 

Er will vollkommen sein, auch in seinem Glauben und Gott noch dichter und dichter kommen in seinem Bemühen um den Glauben in Wort und Tat. Das muss man diesen Strenggläubigen – damals – lassen, sie meinten es wirklich ernst. Für ihren Glauben waren sie durchaus bereit, andere zu verfolgen, die einen anderen Weg zu Gott suchten. Jesus selbst sollte das ja bitter zu spüren bekommen. Jesus versucht mit seiner Symbolsprache diesem Menschen deutlich zu machen, dass die gesetzestreue Frömmigkeit an einem scheitert, zwingend scheitern muss, nämlich am Menschen selbst, an der „Offenheit der menschlichen Existenz“ (Drewermann).

 

Da ist der Fuchs, der seinen Bau tief in der Erde hat. Er kann sich verstecken, verkriechen, ja ganz und gar unsichtbar machen, wenn er verfolgt wird. So, kennen wir es ja auch von uns, wenn wir uns am Liebesten einmal verkriechen, im Erdboden verschwinden würden. Es gibt Menschen, die sich ständig dafür entschuldigen müssen, dass sie da sind, man sieht sie kaum, man hört sie nicht, weil sie sich, wie ein Erdtier, in ihrer Existenz eingraben und unsichtbar machen möchten. Das Gegenstück dazu sind die Vögel. Tiere, die zwischen Erde und Himmel leben, ungebunden, fast frei schwebend, unfassbar, wie Menschen, die ihren Illusionen und Träumen nachleben. Sie hat Jesus im Blick, wenn er sich mit den Gesetzeslehrern auseinandersetzt. Doch in beiden Weisen sein Leben zu leben, sieht Jesus ein Problem, weil der Mensch noch nicht in dieser Welt angekommen ist, ein stückweit heimatlos lebt.

 

Und auch der Jünger, der Jesus gern nachfolgen möchte, doch zuerst seinen Vater bestatten will, bekommt eine für uns erschreckende Antwort: „Komm, folge mir! Überlass es den Toten, ihre Toten zu begraben!“ Jesus weiß, die „Beerdigung des Vaters (oder der Mutter) kann seelisch oft ein ganzes Leben lang dauern“ (Drewermann). Man bleibt auf die Vergangenheit fixiert und so der Zukunft verschlossen.

Wer zur Nachfolge bereit sein will, der muss es wagen, sich auf den Weg zu machen, mal erdverwurzelt leben wie ein Fuchs, dann wieder dem Himmel zugewandt wie ein Vogel. Nachfolge fordert die Bereitschaft zur Offenheit, so, wie ein Mensch offen sein muss, der sich auf den Weg macht, um eine neue Heimat zu finden.

 

Mit seinem Bild stellt sich Jesus den Mitmenschen als „heimatlos“ vor, als ein Mensch ohne ein Bett und Dach über dem Kopf, frei und ungebunden. Doch diese Heimatlosigkeit gilt eigentlich in einem übertragenen Sinne. Er möchte, dass die Menschen, wir alle, eben nicht nur ein gutes, gemütliches Zuhause haben, so oder so fixiert leben. Er will, dass der Mensch, jenseits von all dem, was man haben, besitzen kann, in seinem Glauben, seinem Vertrauen zu Gott lebt. Hier sollen wir einen Halt bekommen, eine Heimat finden, die nichts und niemand uns nehmen kann, ganz gleich, wo und wie wir leben. Ja, wir dürfen immer wieder in unserem Leben ankommen, uns in vielfacher Weise in der Welt einleben und heimisch werden und dennoch offen leben, denn nur so leben wir letztendlich zukunftsorientiert. Wir stellen uns der Welt in der wir konkret leben und nicht der, die wir uns erträumen, und gestalten sie auf diese Weise aktiv und konstruktiv mit.

 

Menschen, die sich auf den Weg machen, sehen dies oft als eine neue Chance an. Manche treten ganz still und leise bei der Ab- oder Anmeldung auf dem Rathaus aus der Kirche aus, weil man diesen Schritt so am Besten verheimlichen kann. Andere suchen umgekehrt nach so etwas wie einer Heimat, die aber über das neugestrichene Wohnzimmer hinaus reicht. Diese „wahrhaft ungeheure Reise“ einem neuen unbekannten Ziel entgegen, birgt ja auch neue Chancen für unser Leben. „Reisen ist keine Produktlinie des ADAC, Reisen geht über die Veränderung der Lokalität hinaus – Reisen kann ein metaphysischer Akt des Erkennens und Erfahrens sein...“ Und so wird einmal gesagt: „Reise nicht von der Heimat in die Fremde und wieder zurück, sondern verwandle die Fremde in Heimat. Stelle dir vor, du müsstest  ein Leben lang an dem fremden Ort verbringen. Wurzeln können auch in die Zukunft wachsen. [2]

 

Daher möchten wir alle Neuzugezogenen, sehr herzlich in unsere Gemeinde einladen. Bei uns kann musiziert, gesungen, geredet, gelacht und getrauert, über Gottes Wort nachgedacht werden. Wir alle möchten hier in Kenzingen angekommen sein und doch miteinander unterwegs bleiben.

 

In diesem Sinne beendet der Philosoph Ernst Bloch sein großartiges Werk „Das Prinzip Hoffnung“. Mit seinem letzten Satz drückt er die Hoffnung aus, dass so etwas in der Welt entstehen möge, „das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ [3] Heimat als ein Ort, der uns mehr unbewusst als bewusst als ein tiefes Urvertrauen aus unserer Kindheit her bekannt ist und wonach sich wohl ein jeder Mensch sehnt. Es ist die stille, tief in uns verankerte Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, vielleicht sogar nach Gott.

 

Das ist es, was ich uns allen wünsche, vor allem aber allen, die im vergangen Jahr hierher in unsere kleine Stadt und Gemeinde zogen, dass wir ein Stück Heimat finden, jenseits unserer Wohnzimmer, eines neuen Arbeitsplatzes, der Schulklasse, der Vereine, Organisationen und Parteien, in denen wir unsere Freizeit sinnvoll verleben können. Herzlich willkommen allen, die mit uns nach einer Heimat fragen und suchen, die jenseits unserer Möglichkeit liegt – nämlich auch bei unserem Gott. Er zieht mit, wenn wir es zulassen, sogar hierher nach Kenzingen. Amen.

 

 

 

 

 

Literatur:

 

  1. Kafka, F., Sämtliche Erzählungen, Fischer Bücherei, Frankfurt, 1970, S. 321
  2. Trojanow, I., Reisen, in: 111 Inspirationen – Spirituell leben, Freiburg, 2002 S. 306f
  3. Bloch, E., Das Prinzip Hoffnung, Band 3, Frankfurt, 1968, S. 1628

 

Wir weisen auch in diesem Jahr darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:

 

http://www.evang-kirche-kenzingen.de oder:

http://www.predigten.de/ (Powersearch anklicken, Text oder Name eingeben)