Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

10. Sonntag nach Trinitaris, 24.8.2003
Matthäus 25, 14-30

Begrüßung:

Es hat nie
an Leuten gefehlt
die ihn
auf den besseren Weg
zu bringen versuchten
es braucht sich
Niemand
einen Vorwurf zu machen

er aber wich
seinen Ratern und Rettern
geflissentlich aus
und wählte
meistens
den schlechteren Weg -
oder was wir
den schlechteren nennen

bleibt die Frage:
ob vielleicht
der schlechtere Weg
für ihn
der bessere war?

Marti, Kurt, Leichenreden, Sammlung Luchterhand, Darmstadt, 19772, 43

Gebet:

Guter Gott! Du hast einen jeden von uns mit vielen guten, unterschiedlichen Gaben beschenkt und begabt. Keinem hast du alles gegeben und niemandem von uns nichts. Lass uns nicht ständig vergleichen, wer mehr hat oder besser lebt, klüger oder hübscher ist, als wir es sind. Schenke uns mit deinem Wort einen Kompass, der uns dabei hilft, unser eigenes Leben leben zu lernen, damit unsere Maßstäbe wieder stimmen. Wir sehen es überall, wie verkehrt wir leben. Darum bitten wir werde du selbst uns zu einem Kompass für unser Leben und schenke uns deinen guten Geist.
Amen.

Predigttext:

»Es ist wie bei einem Mann, der verreisen wollte. Er rief vorher seine Diener zusammen und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Zentner Silbergeld, dem anderen zwei Zentner und dem dritten einen, je nach ihren Fähigkeiten. Dann reiste er ab. Der erste, der die fünf Zentner bekommen hatte, steckte sofort das ganze Geld in Geschäfte und konnte die Summe verdoppeln. Ebenso machte es der zweite: Zu seinen zwei Zentnern gewann er noch zwei hinzu. Der aber, der nur einen Zentner bekommen hatte, vergrub das Geld seines Herrn in der Erde. Nach langer Zeit kam der Herr zurück und wollte mit seinen Dienern abrechnen. Der erste, der die fünf Zentner erhalten hatte, trat vor und sagte: `Du hast mir fünf Zentner anvertraut, Herr, und ich habe noch weitere fünf dazuverdient; hier sind sie!´ `Sehr gut´ , sagte sein Herr, `du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du hast dich in kleinen Dingen als zuverlässig erwiesen, darum werde ich dir auch Größeres anvertrauen. Komm zum Freudenfest deines Herrn!´

Dann kam der mit den zwei Zentnern und sagte: `Du hast mir zwei Zentner gegeben, Herr, und ich habe noch einmal zwei Zentner dazuverdient.´ `Sehr gut´, sagte der Herr, `du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du hast dich in kleinen Dingen als zuverlässig erwiesen, darum werde ich dir auch Größeres anvertrauen. Komm zum Freudenfest deines Herrn!´

Zuletzt kam der mit dem einen Zentner und sagte: `Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist. Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nichts ausgeteilt hast. Deshalb hatte ich Angst und habe dein Geld vergraben. Hier hast du zurück, was dir gehört.´ Da sagte der Herr zu ihm: `Du unzuverlässiger und fauler Diener! Du wusstest also, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nichts ausgeteilt habe? Dann hättest du mein Geld wenigstens auf die Bank bringen sollen, und ich hätte es mit Zinsen zurückbekommen! Nehmt ihm sein Teil weg und gebt es dem, der die zehn Zentner hat! Denn wer viel hat, soll noch mehr bekommen, bis er mehr als genug hat. Wer aber wenig hat, dem wird auch noch das Letzte weggenommen werden. Und diesen Taugenichts werft hinaus in die Dunkelheit draußen! Dort gibt es nur noch Jammern und Zähneknirschen.«


Liebe Gemeinde!

Wer sagt, man muss das Evangelium nur hören, dann wird es auch einen Weg in unser Herz oder unseren Verstand finden, macht es sich schnell zu leicht, unser heutiger Predigttext zeigt es. Hört oder liest man ihn oberflächlich, so kann er schnell zu einer Rechtfertigung dessen dienen, was Jesus selbst bestimmt nicht wollte, nämlich den Wucher im Umgang mit unserem Geld zu loben, den Egoismus, der dafür sorgt, dass ich möglichst viel in der eigenen Kasse habe, ganz gleichgültig davon, was mit anderen Menschen neben mir passiert. Und wer am Ende nichts hat, der muss eben sehen, wo er bleibt und wird auch noch bestraft. Eine solche Moral finden wir zwar vielfach um uns herum, aber sie passt keinesfalls zu Jesus. Man muss also schon ein wenig genauer hören oder lesen, will man ein solches Wort richtig verstehen.

Seit es den Menschen gibt, lebt er damit, das Gefühl zu haben, zu kurz gekommen zu sein: Die Freundin ist hübscher als ich, ich fühle mich zu dick oder zu dünn, mein Gesicht, meine Augen oder Haare gefallen mir nicht. Der Kumpel hat den stärkeren PC, der Nachbar das schönere Haus, das schnellere Auto, den besseren Job. Und jeder Mensch findet irgendetwas in seinem Leben mit dem er sich im Vergleich zu anderen benachteiligt fühlt. Ist es denn gerecht, dass der eine eine Arbeit hat, der andere sie schuldlos verliert, - der eine mit silbernen Löffeln im Mund geboren wird, ein anderer aber kein Gymnasium besuchen kann, weil für eine so lange Schulzeit einfach das Geld fehlt? Ist es gerecht, wenn jemand viel zu früh im Leben seinen Mann oder seine Frau verliert, während es andere gibt, die gerne sterben würden, es aber nicht können? Schnell fragen wir nach dem "Warum" und spüren gar nicht, dass uns diese Frage in die falsche Richtung führt. Man muss einem Menschen, vor allem einem jungen Menschen, nur lange genug einreden, dass er nicht hübsch, zu dick oder zu dünn, nicht besonders klug, ja vielleicht sogar dumm ist, - er wird es schließlich selbst glauben. Seine Zuversicht ins Leben und in seine eigenen Fähigkeiten werden gebrochen. So nimmt man einem anderen die Freiheit, sich entwickeln zu können, um sich selbst in seiner eigenen Art, mit den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten hervorzutun und zu brüsten. Das nennt die Bibel Sünde, weil es jedes Vertrauen in Gott, letztlich aber gerade auch in einen selbst zerstört.

Unser Maßstab ist immer ein anderer, an dem wir uns orientieren und da liegt das Problem, das Leben erscheint uns ungerecht, wir leben in einer falschen Abhängigkeit. Wie anders hätte der letzte Diener das Verhalten seines strengen Herrn verstehen können, der ihm so viel weniger Kapital, als den beiden anderen anvertraute? Die Chancen etwas aus den ihm mitgegebenen Möglichkeiten zu machen, waren ja von Anfang an zu ungleich verteilt. Das Konkurrenzdenken, der neidische Vergleich, die Rivalitätskämpfe gehören zur menschlichen Natur, doch gerade dadurch werden die Lebensfreude, ja auch die Lust am Leben eingeschränkt. Und nun sage einer, dass Jesus das Leben nicht kennt, denn mit seinem Gleichnis versucht er gerade darauf eine Antwort zu geben.

Scheitern wir mit unserem Fragen nach dem "Warum", weil es darauf keine Antwort gibt, ja auch gar keine Antwort geben kann, so lässt uns das Gleichnis Jesu einmal nach dem "Wozu" fragen. Und darauf gibt es Antworten, oft sogar viele, sogar Antworten des Glaubens.
Vom Maßstab, den Gott an unser Leben anlegt, will Jesus reden und nur, wenn wir das verstehen, wird dieses Wort zum Evangelium, zu einer befreienden, ja von unsachlichen Zwängen befreienden Botschaft.

Was den dritten Diener bewegt, ist seine Angst vor dem Herrn. Sie besteht darin, dass er ahnt, ihm in seiner Erwartung nicht gerecht werden zum können. Und so vergräbt er sein Kapital, um wenigstens das ihm Anvertraute zu sichern, wenn er es schon nicht schafft, es zu vermehren. Gott, so sagt es Jesus, will, dass wir mit dem, was gerade uns selbst anvertraut ist, wuchern.

Dabei aber geht es also eben nicht um den Menschen neben mir, sondern ganz allein um mich. Ich selbst bin gefragt, wen oder was ich mir zum Maßstab nehme, woran ich mein Leben, meine Fähigkeiten und Möglichkeiten, meine Begabungen oder auch meine Grenzen messe? Das Problem sind also nicht die ersten beiden Mitarbeiter dieses strengen Herrn, der zunächst so ungerecht erscheint, sondern der dritte Diener, der sich von vorneherein mit dem begnügt, was ihm anvertraut ist, ohne den Mut zu haben, sich zu entwickeln, die anvertrauten Mittel zu mehren.

Sein Leben ist vom Vertrauensverlust gekennzeichnet, von der Mutlosigkeit das Leben zu wagen, und sich dazu herausfordern zu lassen, seine Grenzen auszuloten. Ein solches Leben ist erfüllt von der Angst: Von der Angst zu versagen, von der Angst anderen nicht gerecht zu werden, von der Angst zu den Verlierern zu gehören - und so begnügt man sich mit dem, was man hat und versucht gar nicht erst, seine Chancen zu nutzen. Ein solches Leben wird in seinem Reichtum gar nicht ausgeschöpft, sondern es wird allein am Leben anderer gemessen und daher resigniert und mutlos gelebt.

Der Maßstab dafür, ob wir unser Leben leben oder ihm seine Möglichkeiten nehmen liegt also gerade nicht im Vergleich mit anderen Menschen. Maßstäblich ist allein Gott, dem wir mit unserem Leben auch unsere sehr verschiedenen Voraussetzungen verdanken, unser Leben anzugehen, es leben zu dürfen. Alles andere wäre ein Verstoß gegen das erste Gebot: "Ich bin der Herr, dein Gott, du wirst keine anderen Götter haben neben mir..." Dieses stärkende Urvertrauen in Bezug auf Gott, doch auch in meine eigenen Fähigkeiten muss schon im Kinderzimmer vermittelt werden und reifen, denn wie soll ich Gott vertrauen und etwas leisten lernen, wenn ich es nicht im Elternhaus erfahren durfte? "Die Bilanz unseres Lebens ist geschrieben", so sagt es Eugen Drewermann, "mit der Unterschrift unseres Charakters, dessen was wir sind, nicht was wir wollten..." [1] Oder um es noch einmal anders zu sagen: "Wenn es darauf ankommt", sagt in M. Bubers Schriften zum Chassidismus einmal Rabbi Sussja, "wird Gott mich nicht fragen, warum bist du nicht Abraham oder Moses gewesen, er wird mich nur fragen: warum bist du nicht Rabbi Sussja gewesen?" [2]

Das ist der entscheidende Punkt, der Kern dessen, was Jesus mit seinem Gleichnis sagen will, denn der dritte Mitarbeiter versagt, weil er hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, sich im Vergleich mit anderen, auch seinem strengen Herrn, angstvoll dem Leben verweigert. So wird man immer nur ein ganz anderer sein wollen als man es selbst ist und lebt damit ein verkehrtes Leben. Jesu Wort ist ein ermutigender Appell sein Leben, die unzähligen Möglichkeiten und Grenzen von Gott her zu verstehen, vertrauensvoll leben zu lernen und nicht aus Abhängigkeiten zu anderen.
Unser ständiges Vergleichen und Messen führt immer wieder nur zu Neid, Missgunst, Versagensängsten und Minderwertigkeitsgefühlen, was uns schließlich nur abhängig von den ganz anderen Voraussetzungen anderer für ihr Leben macht, ihren je eigenen Möglichkeiten und Grenzen. So wird das Leben mitten im Leben zur Hölle, worauf Jesus ja auch drastisch verweist. Umgekehrt möchte sein Wort uns dazu ermutigen, unseren eigenen, ganz persönlichen Weg zu finden, das Leben zu meistern, es ausschöpfen zu lernen und so ein Stück "Himmel" in den vielfachen "Höllen" unseres Lebens zu finden.

Dort, wo wir unser Leben so sehen und unseren Weg dem entsprechend zu gehen lernen, wird es ein Weg sein, der uns zu einer großen inneren Freiheit und zur Freude am Leben führt - gerade auch angesichts uns gesetzter Grenzen, vielleicht unerfüllter Erwartungen oder auch enttäuschter Hoffnungen. Die Frage nach dem "Wozu" hilft uns dann andere Antworten zu suchen, neue Wege zu finden und dennoch und trotz allem, was uns belasten mag, hoffnungs- und vertrauensvoll zu leben.

Worauf es für einen jeden von uns also ankommt, ist einen neuen, wirklich tragfähigen Maßstab zu finden, ganz und gar unabhängig von dem, was andere über mich denken, wie sie mich sehen und haben wollen - und umgekehrt, woran ich mein Leben messe? Worauf es für uns ankommt ist, dass wir unser Leben überdenken und einen Kompass finden, der uns den richtigen Weg durch unser Leben zeigt. Dabei liegt es auch an uns, den Mut aufzubringen, die Bibel in die Hand zu nehmen und Gott selbst aus seinem Wort heraus zuhören.

Das ist es, worauf Jesus uns mit seinem Gleichnis hinweisen und Mut machen will, unser eigenes Leben hoffnungsvoll zu leben und dankbar für die Fähigkeiten und Möglichkeiten zu sein, die mir - und nicht meinem Nachbarn, dem Mitschüler, einem Kollegen oder meinem Vorgesetzten - mitgegeben sind. Wie gesagt: Wir werden einmal nicht gefragt, warum wir nicht Abraham oder Mose wurden, wir werden aber danach gefragt, ob wir wir selbst wurden, und daher, so wie wir wurden, mit den vielfältigen Gaben Gottes gelebt, gearbeitet und geliebt haben. Das ist die Antwort auf die Frage nach dem "Wozu" unseres Lebens, dessen Maßstab Gott ist. Wo wir das erkennen, werden wir auch zu unserer eigenen Menschlichkeit finden. Gott helfe uns auf unserem Weg.
Amen.


Literatur:

  1. Drewermann, E., Wenn der Himmel die Erde berührt, Düsseldorf, 19932, S. 162
  2. Drewermann, E., Das Matthäusevangelium, Band III, Düsseldorf, 1995, S. 221
Letzte Änderung: 1.09.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider