Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Ökumenische Osternacht, Karsamstag (30.3.2002), St. Laurentius,
Mk. 16,1-7

Die Frauen am leeren Grab

Am Abend, als der Sabbat vorbei war, kauften Maria aus Magdala und Maria, die Mutter von Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um den Toten damit zu salben. Ganz früh am Sonntagmorgen, als die Sonne gerade aufging, kamen sie zum Grab. Unterwegs hatten sie noch zueinander gesagt: »Wer wird uns den Stein vom Grab wegrollen?« Denn der Stein war sehr groß. Aber als sie hinsahen, bemerkten sie, dass er schon weggerollt worden war. Sie gingen in die Grabkammer hinein und sahen dort auf der rechten Seite einen jungen Mann in einem weißen Gewand sitzen. Sie erschraken sehr. Er aber sagte zu ihnen: »Habt keine Angst! Ihr sucht Jesus aus Nazaret, der ans Kreuz genagelt wurde. Er ist nicht hier; Gott hat ihn vom Tod auferweckt! Hier seht ihr die Stelle, wo sie ihn hingelegt hatten. Und nun geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: `Er geht euch nach Galiläa voraus. Dort werdet ihr ihn sehen, genau, wie er es euch gesagt hat.’«


Liebe Gemeinde!

Habt ihr. nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: "Ich suche Gott, ich suche Gott" Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregt er ein großes Gelächter. "Ist er denn verlorengegangen?" sagte der eine, "hat der sich verlaufen wie ein Kind?" sagte der andere. "Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen, ausgewandert?" - so schrien und lachten alle durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. "Wohin ist Gott", rief er, "ich will es euch sagen. Wir haben ihn getötet - ihr und ich! Wir sind seine Mörder!" [1]

Das ist der menschliche Karfreitag, den der Philosoph Friedrich Nietzsche hier beschreibt - und der setzt sich fort an jedem Tag, wo wir Menschen Gott in uns töten, so wie Jesus von Nazareth, den Gottesssohn und Menschenbruder - damals - am Kreuz auf Golgatha. Auch damals wurde es Nacht, ein Bild der Finsternis, in das Menschen durch ihre Schuld, ihre Auflehnung Gott gegenüber hineingeraten können.

Frauen kommen aus der Nacht, ganz früh am Morgen, um das Grab Jesu zu besuchen, den Toten zu salben, ihm die letzte Ehre zukommen zu lassen, die Menschen einander tun können. Sie werden von der Sorge umgetrieben, "wer wird uns wohl den Stein vom Grab wegrollen?" Doch was sie erfahren, ist das Wort, weshalb auch wir in diesem Abend hineingegangen sind, um miteinander diesen Gottesdienst zu feiern, eine Osternacht. Wie sie kommen wir vom Karfreitag her, auch wir wissen um die Dunkelheiten des Lebens, oft genug bedrücken uns die Felsbrocken, die in unserem Lebensweg herumliegen, uns stolpern lassen, Beziehungen verhindern, uns die Luft zum Atmen rauben - und wie oft könnten wir selbst uns fragen: "wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?"

Auch wir tragen die Gedanken an Todesstrukturen und Gräber in der Welt mit uns herum, die Nachrichten aus der Welt sind voll davon: das können die Sorgen um eine bedrohende Arbeitslosigkeit sein, - der Schulalltag, - die Sorgen um die persönliche Zukunft einer Beziehung, - verlorene Hoffnungen, - vergebliche Träume, - verlorene Menschen, die wir liebten - und immer wieder könnten wir fragen: wer befreit uns von diesen Felsen, die uns den Zugang zum Leben, einem sinnerfüllten Leben, versperren, denn wir selbst sind doch diese "tollen Menschen", die Gott aus ihrem Leben herausdrängen, töten und dann, wenn sie ihn verloren haben, nach ihm suchen und schreien - und da ist kein Licht hell genug, um diese Finsternis auszuleuchten.

Wir kommen, den Karfreitag hinter uns lassend, in die Nacht hierher mit all dem, was uns beschäftigt, gerade auch, weil wir uns nicht von den beschriebenen oder ganz anderen Todeserfahrungen gefangen nehmen lassen wollen. Wer lebt, will mehr. Wir wollen die Felsen, die uns die Zugänge zueinander versperren, beiseite geräumt haben und damit selbst die Dunkelheit, die Nacht zurücklassen. Wir sind hier hergekommen, um ein Wort zu hören, dass die Grenzen unseres Verstandes sprengt, und die unserer menschlichen Möglichkeiten schon allemal. Von Gott her ist selbst der Tod, dieser Tod am Kreuz eben nicht das letzte Wort. Er lässt uns nicht in den Dunkelheiten stehen, daran wollen wir uns erinnern zu lassen. Gott setzt sein Ja unserem Nein entgegen: Ostern: das Ja Gottes zum Leben.
Die beiden Frauen damals werden aus dem offenen Grab heraus angesprochen: "Habt keine Angst! Ihr sucht Jesus aus Nazareth, der ans Kreuz genagelt wurde. Er ist nicht hier; Gott hat ihn vom Tod auferweckt!" Das ist die Osterbotschaft, an der sich unser Glaube messen lassen muss, kein historischer Tatsachenbericht, sondern der bezeugte Glaube, dass Jesus Christus nicht mehr bei den Toten zu suchen ist, sondern von Gott das Leben geschenkt bekommen hat.

Wir sind aus dem Dunkel des Abends in diese Kirche hineingekommen, wir haben uns Lichter angezündet, doch nun weniger der Dunkelheit wegen, als vielmehr um uns heimleuchten zu lassen, dorthin, woher das Leben gegen den Tod geschenkt wird. Wir haben Lichter der Hoffnung angezündet, um deutlich zu machen, der Karfreitag mit all seinen Schrecken der Kreuzigung Jesu, die Karfreitage, die, auf welche Weise auch immer, unser eigenes Leben begleiten sind Sinnbilder dieser menschlichen Destruktion, welche wir hinter uns lassen dürfen. Sie sollen der Vergangenheit angehören und von Gott aus in Leben und Zukunft verwandelt werden. Dennoch, und all dem zum Trotz, was sich uns an Felsbrocken auch in der Zukunft auf die Seele legen wird und welche Dunkelheiten wir weiterhin zu erleben und zu durchleiden haben werden.

Wir sind heute hier, um dieses eine Wort zu hören und uns in ihm für unser Leben bestärken zu lassen: "Habt keine Angst! Ihr sucht Jesus aus Nazareth, der ans Kreuz genagelt wurde. Er ist nicht hier; Gott hat ihn vom Tod auferweckt!" Was uns hierher gebracht hat, ist doch die Hoffnung, dass nicht der Tod das letzte Wort hat, sondern Gott, dass nicht die Todesstrukturen, die Menschen anderen Menschen, aber eben auch der guten Schöpfung Gottes antun, nicht letzte, sondern allenfalls vorletzte Worte sein werden, Worte und Taten des Menschen, nicht jedoch unseres Gottes.

Wir schauen an diesem Abend auf das Osterfest, den Tag, an dem Gott einmal dem Tod den Tod ansagte. Das ist zu viel für unseren Verstand, wer wollte und könnte sich das ausdenken? Ostern, das ist die Revolution des Erbarmens Gottes mit seinem Geschöpf, mit uns und seiner bedrängten Schöpfung. Das ist es, was wir für unser Leben bedenken wollen, was aber auch für unsere Zukunft gilt: ganz gleich, was da kommen mag. In jedem Jahr wird uns jeder Karfreitag und jedes Osterfest eben daran erinnern, dass dem Tod in der Welt von Gott der Tod angesagt ist und dass sich Gott eben so in unser bedrängtes Leben hineinstellt.

Wir Menschen brauchen Bilder, um das begreifen zu können: das Kreuz, Gräber, die Felsbrocken, die Nacht, das Licht und den Tag, gesprochene Bilder, hineingemalt in unsere Existenz. Und eben diese Stellung hat diese Nacht inmitten der Nächte eines Jahres, inmitten der unzähligen Nächte unseres Lebens. Während der Karfreitag uns an den von uns mitverschuldeten Tod Jesu erinnert und das Osterfest uns an das Ja Gottes zum Leben - gegen allen Tod in der Welt - verbinden sich in dieser Nacht und mit diesem Gottesdienst alle Elemente: Wir kommen vom Karfreitag mit seiner Botschaft her und glauben uns in dieser Nacht hinüber zu dem, was auch die Frauen am Grab erfuhren: "Habt keine Angst! Ihr sucht Jesus aus Nazaret, der ans Kreuz genagelt wurde. Er ist nicht hier; Gott hat ihn vom Tod auferweckt!"

Selbst dass wir diesen Gottesdienst nun erstmals hier in Kenzingen ökumenisch feiern, wird zu einem grenzensprengenden Bild, denn wir weigern uns, unsere Konfessionen, die ihr gutes Recht, ihren Sinn für uns alle haben, als trennend zu empfinden.
Wir sind hier, um bei dem, was immer uns trennt und durchaus auch weiterhin schuldig bleiben lässt, das Gemeinsame zu betonen: die versöhnte Verschiedenheit! Es bleibt noch viel für uns zu tun - denn es war uns nicht möglich, diesen ökumenischen Gottesdienst, gerade in dieser Nacht mit einer Taufe und dem gemeinsamen Abendmahl zu feiern. Begreifen wir es als ein Bild dafür, dass wir miteinander auf dem Weg bleiben müssen, auf dem noch mancher Felsbrocken liegt und darauf wartet, endlich beiseite geschafft zu werden.

Lasst uns in einem ökumenischen Geist nun auf das in jeder Weise grenzensprengende Osterfest zugehen und miteinander das feiern, was die beiden Marias am Grab Jesu erfuhren: Er, Jesus Christus ist nicht hier in einem Grab, nachdem man ihn aufs Kreuz gelegt hat, "Gott hat ihn vom Tod auferweckt." Gott interessiert (so weit wir das von Gott her ahnen und uns vorstellen können) nun wirklich nicht, ob wir katholisch oder evangelisch sind, aber eben an dieser Botschaft entscheidet sich, ob wir Christen sind. Lasst uns miteinander gegen den von "tollen Menschen" proklamierten "Tod Gottes", den lebendigen Gott glauben und durch Wort und Tat bezeugen, den Gott, der selbst dem Tod den Tod angesagt hat. Das ist die unfassliche Osterbotschaft, doch gerade sie gilt - uns.

So grüße ich Sie und Euch alle mit dem alten Osterruf der Kirche: "Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!" Das ist es, was wir miteinander in dieser Nacht bezeugen und darum auch miteinander feiern wollen.
Amen.


Literatur:

  1. Nietzsche, Friedrich (1844-1900), Die fröhliche Wissenschaft,
    Hanser, Band 3, München 1980, nach der 5. Auflage 1966, S. 126
Letzte Änderung: 22.04.2002
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider