Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

3. Sonntag nach Trinitatis, 6.7.2003
1. Mose 11,1-9

Begrüßung:

Liebe Gemeinde! Wo die Bürger einer Stadt feiern, können die Christen dieser Stadt nicht abseits stehen. Kenzingen feiert sein Historisches Altstadtfest und wir feiern mit. Mit diesem Gottesdienst begleiten wir gedanklich das bunte Treiben in unserer Stadt, "ein Fest der Bürger für die Bürger!", wie es Bürgermeister Guderjan sagte.

Bei den vielstimmig diskutierten Fragen der großen Politik spüren wir im Augenblick eine fast babylonische Sprachverwirrung. Doch auch wir leben ja nicht nur im Frieden und konfliktfrei miteinander, da müssen wir uns täglich neu zusammenraufen, auseinandersetzen, verstehen lernen. So wollen wir heute einmal über die alte biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel nachdenken. Wir wollen nicht den Himmel stürmen, sondern uns daran erinnern lassen, der Erde treu zu bleiben. Da kann ein Fest, das den Alltag wieder einmal unterbricht nicht schaden, so wenig, wie eine gewisse Nachdenklichkeit, die nach dem Woher und Wohin einer Stadt und ihrer Bürger fragt. In diesem Sinne sagt Gott seinem Volk Israel in schwerer Zeit durch den Propheten Jeremia: Suchet der Stadt Bestes (Jer. 29,7).

Gebet:

Herr, guter Gott! Unsere Stadt feiert, Freude, Fröhlichkeit und gute Laune sind angesagt, ein Fest der Gemeinschaft, doch wo hast du da deinen Ort? Mitten im bunten Treiben, wo hören wir dich? Herr, wie oft wollen wir den Himmel stürmen, die Welt nach unseren Vorstellungen gestalten, das Leben in die eigene Hand nehmen, doch dabei vergessen wir nur allzu oft unsere Grenzen. Lass dich hören im Lärm unseres Festes, lass dich spüren im Grau unseres Alltags und wende unseren Übermut in eine besonnene Nachdenklichkeit. Herr, komm in unser Leben hinein und in das fröhliche Fest in unserer Stadt.
Amen.

Predigttext:

Die Menschen hatten damals noch alle dieselbe Sprache und gebrauchten dieselben Wörter. Als sie nun von Osten aufbrachen, kamen sie in eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an. Sie sagten zueinander: »Ans Werk! Wir machen Ziegel aus Lehm und brennen sie!« Sie wollten die Ziegel als Bausteine verwenden und Asphalt als Mörtel. Sie sagten: »Ans Werk! Wir bauen uns eine Stadt mit einem Turm, der bis an den Himmel reicht! Dann wird unser Name in aller Welt berühmt. Dieses Bauwerk wird uns zusammenhalten, so dass wir nicht über die ganze Erde zerstreut werden.« Da kam der HERR vom Himmel herab, um die Stadt und den Turm anzusehen, die sie bauten. Als er alles gesehen hatte, sagte er: »Wohin wird das noch führen? Sie sind ein einziges Volk und sprechen alle dieselbe Sprache. Wenn sie diesen Bau vollenden, wird ihnen nichts mehr unmöglich sein. Sie werden alles ausführen, was ihnen in den Sinn kommt.« Und dann sagte er: »Ans Werk! Wir steigen hinab und verwirren ihre Sprache, damit niemand mehr den anderen versteht!« So zerstreute der HERR sie über die ganze Erde, und sie konnten die Stadt nicht weiterbauen. Darum heißt diese Stadt Babel, denn dort hat der HERR die Sprache der Menschen verwirrt und von dort aus die Menschheit über die ganze Erde zerstreut.

Liebe Gemeinde!

Kenzingen feiert! Wir feiern wieder einmal ein Fest und das ist gut so. In einer so alten Stadt wie der unseren, die in ihrer Geschichte eine ganz eigene, ja auch zentrale Bedeutung hatte, ist es gut, sich seiner Wurzeln zu erinnern, sich der Vergangenheit zu stellen, um die Gegenwart und bestimmte Entwicklungen besser verstehen zu können und so offen für die Fragen zu sein, die sich angesichts einer uns allen unbekannten Zukunft stellen. Das Historische Altstadtfest mit seinem vielfältigen, bunten und fröhlichem Treiben erinnert uns daran, dass wir eben nicht geschichtslos leben.

"Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?"[1], so fragt der große deutsche Schriftsteller Thomas Mann am Anfang seines vielbändigen Werkes: Joseph und seine Brüder. Was wäre denn ein Mensch ohne seine Vergangenheit, ohne das, was ihn prägt, und gleiches gilt natürlich für eine Stadt. Auch sie hat ja ihr eigenes Gesicht, ihre Möglichkeiten und Grenzen, ja vielleicht sogar so etwas wie einen ganz bestimmten Geist aus dem heraus sie lebt. So feiern wir dieses Fest und das ist wirklich gut!

Wo sich 19 Vereine in das Stadtfest einbringen, Musiker auf historischen Instrumenten spielen, Gaukler, Krämer und Handwerker mittelalterliches Leben nachempfinden lassen, da hat auch die wirklich uralte und doch hoffentlich immer noch sehr lebendige Kirche ihren Platz. Vier Klöster prägten das Gesicht von Kenzingen, eine wirklich spannende Reformationsgeschichte mit Belagerung der Stadt durch die Schweden und eine lebendige Ökumene fordern ja geradezu dazu heraus, dass auch die Kirchen nicht abseits stehen, sondern sich auf ihre Weise einbringen und das Fest geistig und geistlich begleiten. Was wäre denn schon das schönste und bunteste Fest, wenn es unreflektiert bliebe und damit nur etwas für die Augen, die Ohren und den Bauch bieten würde?

Menschen bauen einen Turm, so wird es uns auf den ersten Seiten der Bibel erzählt. Sie wollen Kraft ihrer Fähigkeiten und neuerworbenen Möglichkeiten ein Gebäude errichten, dass bis an den Himmel reichen soll. Ein Bauwerk soll sie in der Welt berühmt machen und zusammenhalten. Doch gerade, als die Menschen glauben, mit ihren eigenen Werken den Himmel stürmen zu können, werden ihnen ihre Grenzen aufgezeigt. Ironie klingt an, denn sie bauen sich dem Himmel entgegen, doch Gott muss herunter kommen, um zu sehen, was seine Geschöpfe da schon wieder im Sinn haben. Wollen sie ganz hoch hinaus, so muss Gott ganz tief hinab in die Tiefen des menschlichen Treibens.

Es ist ein Text aus den biblischen Urgeschichten. Babylon gilt als eine der ersten Städte der Welt. Der antike Name Babel bedeutet so viel wie das "Tor der Götter". Die alten Hebräer hörten aus der Namenszusammensetzung den Begriff "verwirren" heraus. Es ist der Versuch, eine Antwort auf die uralte Frage zu geben, warum es unterschiedliche Sprachen in der Welt gibt. Dabei geht es letztlich um das Unvermögen des Menschen, den anderen Menschen zu verstehen, ja, die menschliche Hybris, aus der Gottesferne heraus, selbstgefällig den Himmel und damit Gott selbst auf die Erde holen zu wollen. Dem maß- und grenzenlos denken und handelnden Menschen wird eine Grenze gesetzt.

Wir alle kennen das aus unserem Leben. Wie oft wollen wir selbst den Himmel stürmen, um dann zu erkennen, dass wir gescheitert sind. Wo unsere Zielsetzungen die Bodenhaftung verlieren, wird das Risiko groß, zu scheitern: "Die Pläne werden maßlos, Größenwahn macht sich breit, die Macht wird egoistisch, die Menschen verstehen sich nicht mehr - und am Ende steht das Gegenteil von dem, wofür man gearbeitet hat..."[2] Unsere Hybris, der menschliche Übermut und unsere grenzenlose Vermessenheit führen dazu, dass wir oft genug vor den Trümmern unseres Fortschrittsglaubens stehen.

Auch wir erleben die Sprachverwirrung, obgleich wir oft die gleiche Sprache sprechen. Missverständnisse führen zu Uneinigkeit, ja zum Streit untereinander. Denken wir im politischen Bereich nur an die derzeitigen Diskussionen um die Steuer- oder die Gesundheitsreform, wo viel geredet, aber vermutlich wohl doch zu wenig voneinander verstanden wird. Und jeder Lobbyist trägt auf seine Weise dazu bei, dass eine Einigung - oft gegen bessere Einsicht - nicht möglich ist. Denken wir weiter das Scheitern der Gewerkschaften im Osten die 35 Stundenwoche durchzusetzen. Man ist schlicht an Missverständnissen und Fehleinschätzungen gescheitert, obgleich man meinte, die gleiche Sprache zu sprechen und sich für die gleichen Anliegen einzusetzen. Wie oft zerbrechen menschliche Träume, weil man seine persönlichen babylonischen Türme an den Realitäten vorbei in den Himmel bauen wollte. Durch Sprachlosigkeit und Missverstehen brechen Beziehungen auseinander, die Würde des anderen wird verletzt, die Menschlichkeit bleibt auf der Strecke, die Pflicht zur Fürsorge wird vernachlässigt.

In der vergangenen Woche konnten wir in unserer Zeitung lesen, dass eine Emmendinger Pfarrei entgegen einem Beschluss der Landessynode der Badischen Landeskirche beschlossen hat, eingetragene gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften zu segnen. Was passiert? Die einen drohen verletzt damit, die Kirche zu verlassen, wenn eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare nicht endlich möglich wird und ihre Diskriminierung auch in kirchlichen Kreisen damit endlich aufhört, - die anderen drohen damit, wenn solche Segnungen vorgenommen und ermöglicht werden, ebenfalls aus der Kirche auszutreten. Eine Denk- und Sprachverwirrung. Wo man hinschaut, lässt Babel grüßen. Dabei sollten Christen doch wohl eine Sprache finden, die nicht bürgerliche Moral mit der Liebe Gottes verwechselt, die unteilbar nun wirklich jedem Menschen gilt und eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung ermöglichen sollte.

Antoine de Saint Exupery sagte einmal: "Wenn Menschen gottlos werden, sind die Regierungen ratlos, die Lügen grenzenlos, die Schulden zahllos, die Besprechungen ergebnislos, die Aufklärung hirnlos, die Politiker charakterlos, die Christen gebetslos, die Kirche kraftlos, die Völker friedlos, die Verbrechen maßlos..."[3]

Wohl jeder Mensch hat diese warnende Korrektur zu hören, will er nicht gottlos weiter an seinen Türmchen arbeiten und Scheitern auf Scheitern erleben. Es geht unter uns daher um die sehr konkrete Frage, wohin sich eine Stadt aus seiner Vergangenheit heraus über die konkrete Gegenwart in die Zukunft hinein entwickeln will. Es geht weiter um die Frage, in wie weit der moderne Mensch noch mit Gott rechnet oder sich selbst zum Maß der Dinge setzt? Ich habe angesichts dieser Predigt einmal unseren Bürgermeister, Herrn Guderjan, gefragt, was ihn denn zur Zeit im Blick auf unsere Stadt und ihre Entwicklung bewegt. Seine Antwort:
"Was bewegt einen Bürgermeister: Bahn, Kindergarten, Gymnasium ... Die Stadt tut das ihr Mögliche, um Kenzingen für die Bürgerschaft als wirklich lebenswertes Gemeinwesen zu erhalten und zu entwickeln. Dazu gehören große Anstrengungen wie die Verbesserung im Bereich der Kinderbetreuung oder des Schulwesens, der Ausbau der Infrastruktur. Sorge macht uns das dafür notwendige Geld, das sehr knapp ist. Sorge bereitet uns auch die Bahn, weil wir hier nicht der Herr des Verfahrens sind und uns arrangieren müssen, möglicherweise mit Lösungen, die viel mehr Nach- als Vorteile für die Stadt beinhalten. Wichtig ist, dass die Bürgerschaft sich davon nicht auseinander dividieren lässt. Gemeinsamkeit zu demonstrieren bietet das Stadtfest Gelegenheit, an dem Hunderte von Bürgerinnen und Bürger unmittelbar beteiligt sind und das in diesem Jahr mit den Gästen aus Vinkovci gefeiert wird..."

Die Verantwortlichen in unserer Stadt, auch in den Kirchen, der Wirtschaft, den Verbänden und Vereinen stehen zur Zeit vor einem Berg. Himmelstürmende Türme können da kaum gebaut werden, sieht man einmal von den Plänen der Bahn ab, uns ein Bauwerk vor die Stirn zu setzen, das ebenso so monumental, wie rücksichtslos ist. Ein moderner Turmbau zu Babel, der gegen die Natur, ein geprägtes Landschaftsbild und die betroffenen Menschen durchgesetzt werden soll.

Kenzingen feiert! Wir feiern wieder einmal ein Fest. Feste verbinden, sie schaffen Kommunikation in oft sprachloser Zeit, in einem Sprachenwirrwar der Unfrieden und Missverstehen schafft. Wir feiern auf den Straßen unserer Altstadt, um uns immer besser verstehen zu lernen und wir feiern diesen Gottesdienst, um uns daran erinnern zu lassen, Gott mitzunehmen in die Zukunft unserer Stadt. Da müssen Entscheidungen von großer kommunalpolitischer Bedeutung, die wirtschaftliche Entwicklung in finanzschwacher Zeit ins Auge gefasst werden, und immer wieder geht es um den Kraftakt zwischen dem, was wünschenswert wäre und dem, was machbar ist. Wir sollten also in keiner Hinsicht Türme in den Himmel bauen wollen, sondern mit beiden Beinen in der Wirklichkeit unserer Welt stehen.

Ein "Fest der Bürger für die Bürger", wie es unser Bürgermeister sagte, kann uns gerade in dieser durchaus schwierigen Zeit helfen, Verständnis füreinander zu entwickeln und unsere Achtsamkeit zu schärfen. Ja, uns sind Grenzen gesetzt, vielfache sogar, aber wo wir als Bürgerschaft Gott mitnehmen in die Zukunft unserer kleinen Stadt, da werden wir eine Sprache finden, die nicht ausgrenzt, eine Sprache, die sich bemüht, einander zu verstehen, auch über Gräben und unterschiedliche Meinungen und politische Ansichten hinweg. Unsere Städtepartnerschaft mit Vinkovci in Kroatien ist ja umgekehrt ein schönes Beispiel dafür, wie sprachliche Barrieren durch eine sich entwickelnde Freundschaft aufgehoben werden können, Menschen sich über Worte hinweg verstehen, miteinander feiern und aneinander Anteil nehmen können.

Laden wir Gott doch einfach einmal ein, dieses Fest in unserer Stadt mit all dem bunten Treiben, mitzufeiern. Ich denke, dass es ihm eine Freude und uns gut tun würde. Wie sagte es Martin Luther immer wieder einmal und in seinem unerschütterlich festen Gottvertrauen: "Auf lasst uns auf ein gut Wittenberg´sch Bier gehen, das Evangelium läuft von selbst..." Also: lassen Sie uns nun wieder auf die Strasse gehen und weiter feiern, immer aber in der Hoffnung, dass Gott mit uns geht, damit wir nicht maßlos und unsere Grenzen achten werden. Er segne heute das bunte Treiben um uns herum, wie aber gerade auch die Zukunft unserer Stadt, mit allen Menschen die darin leben.
Amen.


Literatur:

  1. Mann, Th., Joseph und seine Brüder, Die Geschichten Jaakobs, Berlin, 1933. S. IX
  2. Lübking, H.-M., Törner, G., Beim Wort genommen, Gütersloh, 2002, S. 112
  3. Badische Pfarrvereinsblätter, Juni 2003 (Titelblatt)
Letzte Änderung: 06.07.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider