Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Gott liebt Musik
Wolfgang Amadeus Mozart

Ein theologischer Beitrag

War Mozart fromm?

Zugunsten des Förderkreises der evangelischen Kirchengemeinde Kenzingen hielt Pfarrer Hanns-Heinrich Schneider einen Vortrag zum oben genannten Thema.

Einerseits geht es um die Frage nach der Religiosiät Mozart, andererseits wird der Versuch unternommen, Mozarts Frömmigkeit u.a. einmal aus theologischer Sicht darzustellen. Eingebettet sind diese Überlegungen in eine knappe Darstellung über Leben und Werk Mozarts.

Musikalisch wird dieser Abend durch Frau Brigitta von Wilpert, Gertrud von Wilpert und Julia Arnegger gestaltet

im Festsaal des Kreisaltenheims St. Maximilian Kolbe Offenburger Str. 10 in Kenzingen, am Donnerstag, den 23. April 1998 um 20 Uhr
Wir danken Herrn Orgelbaumeister Berthold Hess aus Malterdingen für die kostenlose Überlassung eines geeigneten Instrumentes zum Musizieren.


Inhalt

  1. Drei Einstimmungen
  2. Bekenntnis zu Mozart
  3. Wer war Wolfgang Amadeus Mozart?
    1. Die Anzeige des Vaters
    2. Das überlieferte Mozartbild
    3. Leben und Werk
    4. Mozarts Ringen um Freiheit
    5. Das musikalische Genie
  4. Werthaltung: Glaube, Tod und Freimaurerei
    1. Mozarts Glaube
    2. Mozart und der Tod
    3. Mozart und die Freimaurer
  5. Von Sören Kierkegaard bis zu Karl Barth
    1. Mozart als Mensch des 18. Jahrhunderts
    2. Daniel Friedrich Schleiermacher
    3. Sören Kierkegaard
    4. Karl Barth
      1. Rückfragen von Karl Barth an D.F. Schleiermacher
      2. Mozart in der 'Kirchlichen Dogmatik' Karl Barths
      3. Mozarts Freiheit
  6. Gott liebt Musik
  7. Literaturverzeichnis

Drei Einstimmungen

1. Martin Luther
Von der Musik aber ist zu sagen, daß nach dem heiligen Wort Gottes nichts so hoch zu rühmen ist, weil sie aller Bewegung des menschliches Herzens mächtig und gewaltig ist. Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Verzagten herzhaft, die Hoffärtigen demütig zu machen, die Hitzigen zu dämpfen, den Haß zu mindern. Der Heilige Geist ehre selbst diese edle Kunst als seines Amtes Werkzeug ... [Bainton, Martin Luther, 309]

2. Wolfgang Amadeus Mozart

Ich kann nicht Poetisch schreiben; ich bin kein dichter. ich kann die redensarten nicht so künstlich eintheilen, daß sie schatten und licht geben; ich bin kein mahler. ich kann sogar durchs deüten und durch Pantomime meine gesinnung und gedanken nicht ausdrücken; ich bin kein danzer. ich kann es aber durch töne; ich bin ein Musikus ... [Gagelmann, Mozart hat nie gelebt, 260]

3. Karl Barth

Ich möchte sagen: Was ich höre bei Mozart, ist ein letztes Wort über das Leben, soweit es von Menschen ausgesprochen werden kann. Vielleicht ist es kein Zufall, daß es gerade ein Musiker gesagt hat. Aber ich höre ein letztes Wort, das sich bewährt ( ...), ein Wort, das durchhält, auf das man zurückkommen, mit dem man immer wieder anfangen kann. Denn wir müssen schließlich alle jeden Morgen wieder neu anfangen - und das Neu-Anfangen mache ich am besten, wenn ich Mozart höre, nicht wahr? ... [Barth, Letzte Zeugnisse, 13f]

"Bekenntnis zu Mozart"

"Ein kurzes Bekenntnis zu Mozart soll ich ablegen? Ein Bekenntnis zu einem Menschen und seinem Werk ist eine persönliche Sache. So bin ich froh, persönlich reden zu dürfen. Musiker oder Musikwissenschafter bin ich ja nicht. Aber zu Mozart bekennen kann und muß ich mich wohl ... Er wurde mir je länger je mehr zu einer Konstanten meines Daseins ... Ich habe zu bekennen, daß ich (dank der nicht genug zu preisenden Erfindung des Grammophons) seit Jahren und Jahren jeden Morgen zunächst Mozart höre und mich dann erst (von der Tageszeitung nicht zu reden) der Dogmatik zuwende. Ich habe sogar zu bekennen, daß ich, wenn ich je in den Himmel kommen sollte, mich dort zunächst nach Mozart und dann erst nach Augustin und Thomas, nach Luther, Calvin und Schleiermacher erkundigen würde ..." [Barth, Wolfgang Amadeus Mozart, 7]
Mit seinem "Bekenntnis zu Mozart" ist Karl Barth im Mozartjahr 1956 neben einigen anderen Veröffentlichungen an die Öffentlichkeit herangetreten. Barth kannte und liebte Mozart. Er blieb ihm treu bis an den letzten Tag seines Lebens, war sein Lebensweg ansonsten ja durchaus auch dadurch gekennzeichnet, daß alte Freunde und Weggefährten seinen Weg des Denkens nicht auf diese Weise begleiten konnten. Wie der Mensch, so blieb und war auch seine Theologie eine ständige Herausforderung.

Im gleichen Jübiläumsjahr wurde Barth aufgefordert, einen "Dankbrief an Mozart" zu schreiben, was er dann reichlich 'kopfschüttelnd' auch tat. Er schrieb dort an Mozart: "Was ich Ihnen danke, ist schlicht dies, daß ich mich, wann immer ich Sie höre, an der Schwelle einer bei Sonnenschein und Gewitter, am Tag und bei Nacht guten, geordneten Welt versetzt und dann als Mensch des 20. Jahrhunderts jedes Mal mit Mut (nicht Hochmut!), mit Tempo (keinem übertriebenen Tempo!), mit Reinheit (keiner langweiligen Reinheit!), mit Frieden (keinem faulen Frieden!), beschenkt finde. Mit Ihrer musikalischen Dialektik im Ohr kann man jung sein und alt werden, arbeiten und ausruhen, vergnügt und traurig sein, kurz: leben ... [ a.a.O., 12]

Wie es mit der Musik dort steht, wo Sie sich jetzt befinden, ahne ich nur in Umrissen. Ich habe die Vermutung, die ich in dieser Hinsicht hege, einmal auf die Formel gebracht: ich sei nicht schlechthin sicher, ob die Engel, wenn sie im Lobe Gottes begriffen sind, gerade Bach spielen ich sei sicher, daß sie, wenn sie unter sich sind, Mozart spielen und daß ihnen dann auch der liebe Gott besonders gerne zuhört" ... [a.a.O., 13]

Das Mozartjahr 1991 fordert dazu heraus, Stellung zu nehmen, sich mit diesem ganz besonderen Musiker wie immer schon, oder auch wieder einmal neu auseinanderzusetzen. Wer Musik liebt, wird auch heute noch kaum um Mozart herumkommen. Und ich wage schon hier die Behauptung: "Gott liebt Musik", was mit diesem theologischen Beitrag zum Mozartjahr noch einmal ein wenig untersucht und begründet werden soll.

So zwiespältig Mozart auch gesehen wird, schillernd und in seinem Menschsein, trotz der Fülle der Literatur über ihn, kaum auszumachen, so sehr findet er dennoch durch die Zeiten hindurch tiefe Verehrung bei Musikern, Künstlern, Literaten, bei Sachverständigen und nicht-Sachverständigen, bei jungen und alten Menschen, die Mozart nur und ausschließlich nur, sich im Himmel als der Gegenwart Gottes vorstellen können.

Wer war Wolfgang Amadeus Mozart?

Die Anzeige des Vaters

Leopold Mozart, der ehrgeizige Vater einer musisch begabten Tochter "Nannerl" und dem jetzt siebenjährigen "Wolferl", war mit seinen beiden Kindern dreieinhalb Jahre unterwegs durch Europa, als er sie nun auch in der Kaiserstadt Wien vorstellen möchte. Doch:

"Das Unternehmen stieß auf Schwierigkeiten. Indem er von ihnen berichtet, schreibt der Vater, es gehe ihm darum, 'der Welt ein Wunder zu verkündigen, welches Gott in Salzburg hat lassen geboren werden. Ich bin diese Handlung dem allmächtigen Gott schuldig, sonst wäre ich die undankbarste Kreatur ... Nun habe ich einmal in meinem Leben ein Wunder gesehen ...' " [a.a.O., 33]

Mozart, das Genie! Mozart, das Wunder! Solange er ein Kind war, mochte dies gelten, und der Vater wußte ja nur allzugenau, daß auch die Sterne von Wunderkindern verblassen, wenn aus dem Kind erst einmal ein Mann geworden ist. Und so nutzt er die Zeit seines jungen Sohnes - auch zur Sanierung der Familienfinanzen und zum Ruhme der Familie Mozart.

Das überlieferte Mozartbild

Wolfgang Amadeus Mozart bleibt als Mensch merkwürdig unzugänglich. Er tritt ganz und gar hinter sein Werk zurück. Bald schon nach seinem Tod wurde er idealisiert, womit das ganze Mozartbild dann von der Romantik beeinflußt wurde. Es gibt keine Darstellung Mozarts, die einer anderen gleichen würde. Es ist bekannt, daß Mozart gerne aß, besonders gern Leberknödel mit Sauerkraut oder Forellen. Er ißt wohl eher schnell und viel, als bedacht und mäßig. Er hatte Hobbies, die er durchaus auch pflegte. So spielt er leidenschaftlich gern Billard und besaß sogar einen wertvollen eigenen Billardtisch, der dann später versteigert wurde, als das Geld knapp und die Schulden immer größer wurden. Er konnte reiten und besaß bis wenige Wochen vor seinem Tod ein eigenes Pferd. Er tanzte gern und wohl auch sehr gut.

"Sofern sich auf diesem Gebiet überhaupt ein Bild ergibt, so das einer gewissen Willkür und Unberechenbarkeit, Unpünktlichkeit, Ungeduld. Überdies berichten seine Schüler und Freunde von chaotischen Zuständen zwischen seinen Papieren und Noten. Manchmal mußte er seine Kompositionen aus dem Gedächtnis kopieren, da er die Originale nicht finden konnte und das Suchen ihm weit lästiger war als die Abschrift (Anm.: aus dem Kopf!), was bei ihm viel heißen will ... [Hildesheimer, Mozart, 287f]

Man hat behauptet, es habe keine waagrechte Fläche, keinen Tisch, kein Fensterpolster gegeben, auf denen er nicht sofort Klavier spielte. Hier sehen wir ihn, den quecksilbrig-unruhigen Mann, wie er uns zur Verzweiflung hätte bringen können ..." [a.a.O., 280]

Übereinstimmend wird berichtet, daß Mozart sich beim Klavierspielen verändert habe. Da wurde er ruhig, da kam er wohl ein stückweit zu sich selbst. Seine Stimme war eher sanft und hell und wie es Wolfgang Hildesheimer darstellt, soll er ein 'akzeptabler Violinist gewesen sein', wobei das Klavier jedoch sein eigentliches Instrument war und blieb.

"Mozarts Äußeres war unscheinbar. Seine Physis wandelte sich in den letzten Lebensjahren zum Unattraktiven. Er hatten Blatternnarben im Gesicht, seine Haut wurde gelblich und gedunsen, gegen Ende seines Lebens bildete sich ein Doppelkinn. Der Kopf war zu groß für den Körper, die Nase überdimensioniert. Seine Augen traten immer stärker hervor, er wurde dicklich ..." [a.a.O., 291]

Doch: Sehen wir Mozart so, wenn wir seine Musik heute immer noch und immer wieder neu hören?

Leben und Werk

Am 27. Januar 1756 wird Wolfgang Amadeus Mozart in Salzburg geboren. 1760 spielt Mozart als Vierjähriger erste Klavierstücke, was seinen Vater, Leopold Mozart, dazu ermutigt, seine Sohn selbst auszubilden. 1761 beginnt Mozart zu komponieren. Ab 1762 beginnt eine umfassende Reisetätigkeit, die in eine dreijährige Europareise einmündet. 1770 verleiht der Papst Mozart den Orden vom goldenen Sporn. Mozart darf sich nun 'Ritter' nennen.

1781 wird der 'Idemeneo' aufgeführt in München. 1783 macht Mozart die Bekanntschaft mit dem Liberettisten Lorenzo Da Ponte. 1782 heiratet Mozart die Mannheimerin Constanze Weber. 1783 Geburt seines ersten Sohnes 'Raimund Leopold'. 1784 tritt Mozart in die Freimaurerloge "Zur Wohltätigkeit" ein.

1785 arbeitet Mozart an seiner Oper "Hochzeit des Figaro", die 1786 erstmals aufgeführt wird. In Wien fand die Oper wenig Beachtung, in Prag dagegen sehr. Man pfiff die Melodien auf den Gassen. 1784 wird Mozarts zweites Kind 'Karl Thomas' geboren. 1786 Geburt von 'Johann Thomas Leopold' und Tod. 1787 Erstaufführung des 'Don Giovanni'.

1788 stirbt die einjährige Tochter 'Theresia Constancia'. 1789 Vollendung der Krönungs-Messe. Geburt und Tod der Tochter 'Anna Maria'.

1790 Aufführung von 'Cosi fan tutte'. 1791 Erstaufführung der Oper 'La Clemenza di Tito'. Sein Sohn 'Franz Xaver Wolfgang' wird geboren. 1791 Komposition und Erstaufführung der 'Zauberflöte' in Wien. Das Requiem bleibt unvollendet. Mozart stirbt am 5. Dezember in Wien.

Seit 1788 nehmen bei Mozart die Geldsorgen zu, trotz dessen, daß er im Grunde immer genug Geld verdiente. Mozart "sah-Musik, empfand-Musik, dachte-Musik. Andere drücken sich in Musik aus; Mozart empfängt-Musik, denkt-Musik ... ..." [Ringenbach, Gott ist Musik, 39]

Mozart schrieb schnell und praktisch fehlerlos. Für diesen Vorgang benötigte er auch keinerlei Konzentration und Ablenkung war ihm sogar willkommen. Musik in der Nachbarschaft, der Gesang des Vogels oder die Erzählung seiner Frau stören ihn keineswegs. Sein Niederschreiben einer Partitur war im Grunde nichts anderes als ein Abschreiben, indem er nur noch das zu Papier brachte, was in ihm bereits fertig war. Der schöpferische Akt war für Mozart also bereits abgeschlossen, wenn er zu Papier und Feder griff ... [Gagelmann, Mozart, 275]

Mozart war nach Berechnungen ein gutes Viertel seines Lebens unterwegs, zehn Jahre, zwei Monate und acht Tage. Damit zählte er zu den meistgereisten Menschen des achtzehnten Jahrhunderts. Trotz seiner Reisetätigkeit und der Kürze seines Lebens, war Mozart unglaublich produktiv: Hier nur eine kleine Auswahl aus seinem Werk: Sechs späte Opern aus der Wiener Zeit. Bei den Sinfonien sind vor allem die 'Haffner' und Parisersinfonie' zu nennen. Er komponierte siebenundzwanzig Klavierkonzerte sowie Violin- und Bläserkonzerte. Er komponierte Serenaden, Divertimenti und Casstionen. Mozart komponierte Kammermusik: Streichquartette und Streichquintette, beides ebenfalls für Klavier. Allein achtzehn Klaviersonaten sind bekannt, neben seiner Kirchenmusik, vor allem aus der Salzburger Zeit. Hier die fünfzehn Salzburger Messen und aus der Wiener Zeit die unvollendete c-moll Messe sowie das Requiem.

(s. Zeitschrift 'VITA', Merian I, 1991, 106f)

Wolfgang Amadeus Mozart wurde im Laufe der Zeit unterschiedlichst interpretiert und für jeden Geschmack aufgearbeitet. Wolfgang Schreiber, ein Musikkritiker stellt fest, Mozart ist "leicht und schwer zugleich ..." [Schreiber, Merian I, 1991, 114]

Es ist "daher kaum zu glauben, daß die kleine Nachtmusik und Don Giovanni nicht nur von demselbst Komponisten geschrieben wurden, sondern auch noch fast zur gleichen Zeit, im Sommer 1787 ..." [ebda.]

Mozart war für die Kunst ebenso Gegenstand wie für die Literatur. So gibt es über dreizehntausendsechshundert Werke über Mozart und etwa fünfzig Bühnenwerke vor allem aus dem neunzehnten Jahrhundert. Bekannte Schriftsteller und Dichter wie: Goethe, Mörike, Grillparzer, Kierkegaard, Hesse oder Bloch, um nur einige wenige zu nennen, haben sich mit Mozart befaßt. In der Nahrungsmittel- und Genußindustrie ist Mozart durch die 'Mozartkugel' verewigt. Und was wären Salzburg und Wien ohne Mozart als musikalische und touristische Attraktion?

Mozarts Ringen um Freiheit

Norbert Elias schreibt in seinem kleinen Mozartbuch 'Zur Soziologie eines Genies': "Im Blick auf das menschliche Verhalten und Empfinden schlug sein (Anm.: des Vaters) Versuch, aus Mozart einen Mann von Welt zu machen, völlig fehl..Obwohl er am Rande eines kleinen Hofes aufwuchs, und später von einem Hof zum anderen reiste, eignete er sich nie den höfischen Schliff an, er wurde nie ein Weltmann ..." [Elias, Mozart, 28]

"Er lernte von klein auf, sich in Höfischer Manier zu kleiden, Perücke mit eingeschlossen, lernte wohl auch, in der richtigen Weise zu schreiten und Komplimente zu machen. Aber man könnte sich denken, daß der Spitzbube in ihm schon früh begann, sich über das Gehabe und Getue zu mokieren ..." [a.a.O., 33 ]

"Leopold Mozart hatte seinen Sohn darauf trainiert, eine Karriere als Musiker in der höfischen Gesellschaft zu machen ..." [Gagelmann, Mozart, 194] Doch der Sohn spielte nicht mehr mit.

Mozart lehnt sich auf, rebelliert gegen die Bevormundung durch seinen Erzbischof und trennt sich schließlich 1781 von diesem. Dies war ein ganz und gar ungewöhnlicher Schritt, und Mozart wurde damit zu einem der ersten freischaffenden Musikkünstlern der Geschichte überhaupt. Der Grund für den Bruch lag darin, daß Mozart sich seine Art von Musik nicht vorschreiben lassen wollte, daß er reisen wollte, ohne sich abmelden zu müssen, daß er der Enge Salzburgs schlicht entfliehen wollte. Damit traf er aber zugleich auch den Vater.

Ein weiterer Schritt Mozarts in die persönliche Freiheit war seine Heirat mit Constanze Weber. So schreibt er dem ärgerlichen Vater: "Liebster, bester vatter" - ich muß sie bitten, um alles in der Welt bitten; geben sie mir ihre Einwilligung daß ich Meine liebe constanze heyraten kann ... mein herz ist unruhig, mein kopf verwirrt ..." [a.a.O., 209]

Hartmut Gagelmann stellt in seinem Mozartbuch dazu fest: "Mozarts Trennung von seinem Vater ist durch nichts besser dokumentiert als durch seine Opern "Idomeneo" und "Entführung". Zwischen beiden lag Mozarts Bindung an Constanze und seine Befreiung von Colloredo (Anm.: dem Erzbischof von Salzburg). Das alles stand zugleich für seine Befreiung vom Vater.

Mozart hatte sich damit (Anm.: erst um 1781/1782) die Bedingungen geschaffen, unter denen er als Mensch weiterleben und als Künstler weiter arbeiten konnte ... [Ringenbach, Gott ist Musik, 31]

Wir sehen, wenngleich auch nur kurz angedeutet, wie notwendig die Freiheit für Mozart war. Sie ist aufgenommen in den großen Opern und greift hier schon etwas vom Geist der französischen Revolution auf.

Das musikalische Genie

Reginald Ringenbach schreibt in seinem Büchlein "Gott ist Musik": Denn Mozarts Musik ist vielleicht nicht so sehr Inhalt, sondern eher ein Weg. Daher ist Mozarts Musik im Unterschied zu der von Bach keine Botschaft und im Unterschied zu der von Beethoven kein Lebensbekenntnis. Er musiziert keine Lehren und erst recht nicht sich selbst. Mozart will nichts sagen, er singt und klingt nur eben. So drängt er dem Hörer nichts auf, verlangt von ihm keine Entscheidung und Stellungnahmen, gibt ihn nur eben frei. Die Freude an ihm beginnt wohl damit, daß man sich das gefallen läßt ... [ebda.]

Seine Musik lotet die Abgründe der Verzweiflung des Menschen, seines Leidens, seiner fundamentalen Einsamkeit aus; doch auch hier, ohne Gefallen daran zu zeigen und ohne jemals diese strahlende Schönheit zu verlieren. So ist sie allerletzte Stütze der Hoffnung, die neu durchbrechen will ... [a.a.O., 33]

Von daher fragt der Dominikaner: "Ob Mozart Musik im gewöhnlichen Sinne des Wortes gemacht hat? Ich frage mich ohne eine Antwort zu wagen, ob nicht die Musik es war, die ihn zu Mozart gemacht hat? ..." [a.a.O., 38]

Sicher ist, daß das Kind Wolfgang Amadeus bei seinem Vater eine ebenso strenge, wie liebevolle Schule durchlaufen hatte, doch der Vater baute auf dem auf, was in dem Kind selbst steckte. Er forderte und förderte seinen Sohn.

Viel ist darüber diskutiert worden, ob Mozart ein "Genie" war, oder nicht. "Mozarts Leben fällt genau in die Übergangsphase, in der das Genie vom Gottbegnadeten zum überragend Begabten wird ..." [Gagelmann, Mozart, 257]

Mozart komponierte, wo immer er war und bei allem, was er tat. Die Melodien waren dann abrufbereit in seinem Kopf, und so schrieb er sie dann fehlerlos und ohne weitere Korrekturen vorzunehmen auf. Komponieren war so für ihn eigentlich keine Tätigkeit, die 'Konzentration oder Anstrengung' gebraucht hätte (H. Gagelmann). Alle Zeugnisse und spätere Arbeiten über ihn zeigen, daß der Mensch Wolfgang Amadeus Mozart immer wieder hinter sein eigenes Werk zurücktrat.

Ganz gleich, ob wir vom Renaissancebegriff des Genies - als dem von Gott Besessenen oder Getriebenen - ausgehen, oder von der Auffassung des Barock - in der das Genie von Gott unabhängig herausragende begabt ist - muß festgehalten werden, daß Mozart in einer unfaßbaren Weise begabt war. In wie weit aber seine Begabung auch mit Gott zu tun hat, werden wir weiter zu untersuchen haben.

Werthaltungen: Glaube, Tod und Freimaurerei

Mozarts Glaube

War Mozart fromm?, so fragt Peter Bichsel in seinem Büchlein "Möchten Sie Mozart gewesen sein?" Und er versucht für sich folgende Antwort: "Die Zärtlichkeit, wie er mit Musik die Worte des Benedictus (Anm.: aus der Credo-Messe KV 257) streichelt, läßt darauf schließen. Aber die frage, ob er fromm war, ist keine Frage an ihn, sondern an uns, an mich ...Musik ist kein Argument, und Mozart argumentiert nicht, und das macht es mir so leicht, hier mit den Frommen zusammen fromm zu sein. Nein - ich bin nicht fromm - ich weiß nur, daß es das gibt, und ab und an möchte ich es gern sein ..." [Bichsel, Möchten Sie ..., 28]

In seinem Aufsatz "Freiheit zur Musik" schreibt Hartwig Drude in der Festschrift zu Karl Barths achtzigsten Geburtstag am 10. Mai 1966: "Daher entscheidet sich das Verhältnis von Musik und Kirche überhaupt nicht auf dem Boden der Musik, sondern nur auf dem des Glaubens. Die Frage nach dem Glaubensstand der Künstler ist ausgeschlossen. Die Kirche hat über diesen so wenig zu befinden wie über ihren eigenen. Vielmehr ist ihr eigener Glaube gefragt, ob er sie freimache im Umgang mit dieser Welt, ob er ein Wagnis ertrage, ob er Hoffnung bei sich habe. Die Christenheit ist gefragt, ob sie es Gott glaube, daß er die eine Welt geschaffen hat (ohne Grenze zwischen heilig und profan) und daß er sie trotz ihres Widerspruchs gegen seine Herrschaft erhält ...In der heutigen Lage kommt - gerade von ihrer Geschichte her gesehen - alles auf eine freie, wagende Begegnung von Kirche und Musik an. Der Glaube hat dabei nichts zu fordern und kein Gesetz aufzurichten, sondern nur zu bezeugen und zu hoffen ..." [Barth, Zum Achtzigsten Geburtstag, 443]

Wie anders hat Mozart seine Kirche erlebt und all jene, welche das Monopol für die Musikkunst besaßen. Natürlich können wir uns kein Urteil darüber erlauben, ob Mozart fromm war oder nicht. Doch allzusehr wird auch heute noch vermutet, daß Mozart, der eine solche Musik schreiben konnte, fromm gewesen sein muß. Hier wird vom Werk auf den Glauben zurückgeschlossen, - ein Weg, der sich in diesem Fall verbietet. Wer würde es von uns denn schon gut finden, wenn von dem, was man tut, zurückgeschlossen würde auf den persönlichen Glauben?

Mozart hat sich wohl ganz und gar im Rahmen der Frömmigkeit seiner Zeit bewegt. Er war katholisch und verdiente lange Zeit sein Geld durch diese Kirche. Die evangelische Kirche war ihm fremd. Hildesheimer stellt zu recht in seinem Mozartbuch fest, daß wir uns 'Mozart so wenig andersgläubig vorstellen können wie Bach als Katholik' [ Hildesheimer, Mozart, 372]

Mozart glaubte Gott im Rahmen der Frömmigkeit seiner Zeit. Große theologische Gedanken machte er sich dabei kaum, jedenfalls sind diese nicht überliefert. "Andacht war seine Sache nicht, der Verlobten, Constanze, schrieb er ins Gebetbuch: 'seyn Sie nur nicht allzu andächtig ...' (Wien 1781). Wir haben keinerlei Zeugnis, daß Mozart nach 1782, außer zur Aufführung eines eigenen liturgischen Werkes, überhaupt noch jemals zur Kirche ging. Von jeher war die Messe für ihn eine Verrichtung gewesen, die er zu erledigen hatte, bevor er zum Kegeln oder zum Tarockspiel ging ... Seine häufigen brieflichen Ausrufe 'O Gott' haben mit Gott nichts zu tun ... Mozart war Musiker und Dramatiker; seine Musik beantwortet die Frage seiner Gläubigkeit nicht. Seine Messen mögen bei Gläubigen religiöse Inbrunst hervorrufen, sie waren bewußt darauf angelegt, doch nicht vom Glauben eingegeben, sondern vom Willen, ihn darzustellen ..." [a.a.O., 374]

Da unzählige Menschen durch die Musik Mozarts angesprochen, ja bewegt waren, durch die Zeiten hindurch, ist es wohl legitim, einmal danach zu fragen, ob hier nicht Gott selbst, als der Gott der Schöpfung, durch dieses Werk zu uns spricht. So kommt es dann nicht darauf an, danach zu fragen, in wie weit ein Mensch, wie Mozart, fromm war, die hat allenfalls ein biographisches Interesse, als vielmehr, in wie weit eine solche Musik den Gott der Schöpfung selbst verkündigt, der aus ihr und durch sie spricht. Hier kommt Gott auf einen Menschen zu, begabt ihn mit einer besonderen Gabe und läßt sich auf diese Weise musisch verkündigen.

Mozart und der Tod

Vor allem im Zusammenhang mit der Todesfrage spricht Mozart von Gott. "Über den Tod seiner Mutter schreibt er an Bullinger (3. Juli 1778), 'Gott hat es so haben wollen', aber es klingt halbherzig, wie immer, wenn er über den Willen Gottes spricht ... [a.a.O., 66]

In seinem Brief an Nannerl nach dem Tod des Vaters, den er als persönliche Befreiung empfunden haben muß, kommt er direkt zur Erbschaftsfrage. Hier wird Gott nicht einmal erwähnt. Doch angesichts einer Krankheit des Vaters, von der er hört, schreibt er am

4. April 1778: " ...nun höre ich aber, daß sie wirklich krank seyen! wie sehnlich ich einer Tröstenden Nachricht von ihnen selbst entgegensehe, brauche ich ihnen doch wohl nicht zu sagen und ich hoffe es auch gewiß - obwohlen ich es mir zur gewohnheit gemacht habe, mir immer in allen Dingen das schlimmste vorzustellen - da der Tod: genau zu nehmen der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein Paar Jahren mit diesem wahren, besten freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein nichts schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel beruhigendes und tröstendes! ...- ich lege mich nie zu bette ohne zu bedenken, daß ich vielleicht so jung als ich bin den anderen Tag nicht mehr seyn werde - und es wird wohl kein Mensch von allen die mich kennen sagn können daß ich im Umgang mürrisch oder traurig wäre ..." [Gagelmann, Mozart, 180/182]

Dieser Brief ist wohl die bekannteste Äußerung Mozarts zum Tod. Man wird ihn nicht überzubewerten haben.

Er schreibt seinem kranken Vater und bleibt damit - für seine Zeit und den Zeitgeschmack - im üblichen Rahmen. Dennoch ist es ein Dokument, das zeigt, in wie weit er sich mit dem Tod befaßt hat und wohl kaum reale Ängste kannte.

Mozart und die Freimaurer

Mozart war Freimaurer. 1784 tritt er in die Loge 'Zur Wohltätigkeit' ein. Kontakte hielt er wohl bis 1786. Danach erfährt man über Mozarts Logentätigkeit nichts mehr, bis wenige Monate vor seinem Tod. Gerade in diesen Jahren war die Freimaurerei großen Wandlungen unterworfen, mal fand sie Zustimmung, mal wurde sie abgelehnt. Im Sommer 1791 dirigiert Mozart dann seine kleine Freimaurerkantate zur Einweihung des 'Tempels' der Loge 'Zur neugekrönten Hoffnung'.

Es ist viel darüber spekuliert worden - bis hin zu verschiedenen Mordtheorien - in wie weit die Zauberflöte mit Mozarts Logenzugehörigkeit zu tun hat, in wie weit sie Motive der Freimaurerei aufnimmt und musikalisch verarbeitet. Anklänge finden sich in jedem Fall, wie auch Gedanken der Aufklärung in ihr verarbeitet sind.

Es ist inzwischen bekannt, daß die Zauberflöte (im letzten Lebensjahr 1791 komponiert und uraufgeführt) weder von den Freimaurern initiiert, noch für diese geschrieben worden war. Mozart bedient sich eines vorhandenen Librettos von Emanuel Schickaneder und anderen. Vermutlich wurde Mozart Freimaurer, weil er sich ganz schlicht einen vergrößerten Freundeskreis davon versprach und damit sicher auch die Möglichkeit weiterer finanziellen Unterstützung in seiner zunehmend finanziellen Misere.

Es ist bekannt, daß er Logenbrüder um Kredite anging. Es ist aber kaum anzunehmen, daß Mozart sich dem Gedankengut der Freimauererei in besonderer Weise geöffnet hätte. Sein Interesse galt nun einmal der Musik und nichts anderem wirklich ernsthaft ...

Von Sören Kierkegaard bis zu Karl Barth

Mozart als Mensch des 18. Jahrhunderts

Lassen wir zunächst einmal den großen evangelischen Theologen des zwanzigsten Jahrhunderts zu Wort kommen, den wir schon mit seinem 'Bekenntnis zu Mozart' hörten. In seinem Buch "Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert" setzt sich Karl Barth auch mit der Frage der Kunst auseinander und damit zugleich auch mit Mozart. Er schreibt dort u.a.: "Ein klassisches Dokument der Aufklärung ist gewiß auch Mozarts 1791 zum ersten Mal aufgeführte 'Zauberflöte', in der der Symbolkreis Sonne-Licht-Finsternis ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt ...Ich würde es für angemessen halten, von der Tatsache auszugehen, daß mit allen kleinen auch und gerade die großen Meister des 18. Jahrhunderts in ihrer eigenen Sicht, wie in der ihrer Zeitgenossen nicht sowohl das gewesen sind, was wir heute Künstler oder Komponisten nennen, als vielmehr ganz einfach Handwerker dieses bestimmten, der Ehre Gottes und der Ergötzung des Gemütes dienenden Faches ... Kunst ist Fertigkeit, Kraft dieser Fertigkeit wurde Bach zuerst berühmt ..., Kraft dieser Fertigkeit ist noch der junge Mozart in ganz Europa als ein Wunder bestaunt worden.

Das Komponieren aber war bei den Kleinen und bei den Grossen dieser Zeit nur eine Anwendung, Erweiterung, Vertiefung eben des Musizierens als eines Faches, der Beweis des vollendeten Könnens, das hier wie überall den Meister ausmacht. Nicht Empfindung, nicht Erlebnis, nicht Mystik und nicht Protestantismus, sondern Kunst als Können, als Fertigkeit in der Handhabung strengster Regeln ..." [Barth, Die protestantische Theologie, 17 und 50f]

Und Karl Barth beendet diese Überlegungen mit einigen Gedanken zu Mozart. Er schreibt: "Es gibt einen Musiker, der Alles auch hatte, was jene auszeichnete vor denen, die nach ihnen kamen. Er hatte aber darüber hinaus noch etwas für sich: Die Wehmut oder das Entsetzen des Wissens um die Grenze, vor der als Glücklicher Unwissender auch und gerade der absolutistische Mensch in seiner schönsten Gestalt steht. Er hörte, wie sein Don Juan, den Schritt des steinernen Gastes. Er ließ sich aber, wie sein Don Juan, nicht irre machen darin, rein weiter zu spielen in Gegenwart des steinernen Gastes. Er gehörte noch ganz dem 18. Jahrhundert an und war doch auch schon einer von den Menschen des Übergangs ... Wolfgang Amadeus Mozart ..." [a.a.O., 53]

Im Blick auf Karl Barths Überlegungen faßt Thomas Erne zusammen:

  1. Musik ist ein Dokument und Ausdruck des Geistes, der das kulturelle Schaffen einer Zeit bestimmt. Musik muß im geschichtlichen Rahmen des Ganzen einer Kultur verstanden werden, in der sie sich widerspiegelt und durch den sie bedingt ist.
  2. Im Rahmen des Kultur des 18. Jahrhunderts findet die Musik zum Vollzug einer Freiheit, mit der sie sich als autonomen Teil dieser Kultur begründet. In dieser Selbständigkeit ist die Musik wiederum beziehungsfähig, sie kann z.B. mit der Weisheit Gottes verglichen werden.
  3. In der besonderen Ausprägung der Musik als spielerische Freiheit ist die Musik des 18. Jahrhundert der oder zumindest ein Höhepunkt der Musikgeschichte. Alle vergangene und nachfolgende Musik muß sich von der spielerischen Freiheit des 18. Jahrhunderts her befragen lassen ... [Erne, Barth und Mozart, 240]
Diesen Hintergrund werden wir im Blick zu behalten haben, wenn wir uns Mozart nun auch von der theologischen Seite nähern wollen; wie aber auch die Vorwehen der französischen Revolution zu beachten sind (1789).

Daniel Friedrich Schleiermacher 1768-1834

Für unsere weiteren Überlegungen ist es sinnvoll, uns kurz mit dem großen evangelischen Theologen D.F. Schleiermacher zu befassen, der in seiner Zeit die 'mehrschichtigen Beziehungen zwischen Kunst und Kultur auf dem Boden eines theologischen Ansatzes systematisch zu ordnen' versuchte (H. Drude).

In seinem Aufsatz 'Freiheit zur Musik' stellt Hartmut Drude fest: "Kunst und Kultur gehören für ihn (Anm.: D.F. Schleiermacher) zum 'darstellenden Handeln', welches als eine ethische Kategorie den Gegenbegriff zum 'wirksamen' Handels bildet. Weder Künste noch Kultus sollen etwas bewirken wollen. Sie haben darzustellen: Die Kunst, das unmittelbare Selbstbewußtsein der Individualität in einer bestimmten Tätigkeit, der Kultus, das religiöse Selbstbewußtsein der versammelten Gemeinde. Dieses Bewußtsein gründet sich nach Schleiermacher in dem allen Menschen vorgegebenen Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit, welches im Christentum als ein durch Christus bedingtes uns näherbestimmtes erfahren wird ... [Barth, Zum achtzigsten Geburtstag, 436]

Der Gottesdienst, ja der Glaube überhaupt, dienst der 'Erbauung'. Die Form des Gottesdienstes sollte ein ästhetisches Kunstwerk sein, das der Erbauung zu dienen hat. Schleiermacher versucht für den Glauben zu retten, was zu retten ist, wenn er mit seiner Theologie einen Brückenschlag zwischen der persönlichen Frömmigkeit des Einzelnen und der Theologie versucht. Auf dem Hintergrund des Denkens seiner Zeit, die ja aufklärerisch geprägt ist, versucht er gerade den 'Gebildeten' ein Gesprächspartner zu sein. In seiner Schrift 'Über Religion - Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern' plädiert er für eine persönliche und reale Erfahrung von Glaube im Gegenüber zu Denken und Handeln (1799). Wie kaum ein anderer hat gerade Schleiermacher die Theologie und Frömmigkeit des 19. Jahrhundert bestimmt.

Einem solchen Denken, das den Glauben von der persönlichen Anschauung und dem Gefühl abhängig macht, mußte ein Theologe wie Karl Barth radikal widersprechen, gerade weil es dem Glauben seinem Grunde nach um etwas ganz anderes gehen muß und er auf diese Weise zu einem Teilbereich des Kultur degradiert wurde.

Sören Kierkegaard 1813-1855

In seinem Werk 'Entweder-Oder' setzt sich der dänische Theologe und Philosoph S. Kierkegaard in einem Kapitel über das 'Musikalisch-Erotische' mit Mozart und hier vor allem mit dem Don Juan auseinander. Er schreibt:

"Mit seinem Don Juan tritt Mozart in die kleine unsterbliche Schar jener Männer ein, deren Namen, deren Werke die Zeit nicht vergessen wird, da die Ewigkeit sich ihrer erinnert ... Ich bin wie ein kleines Mädchen in Mozart verliebt und muß ihn obenan stehen haben, koste es, was es wolle. Und ich will zum Küster und zum Pfarrer, zum Probst und zum Bischof und zum ganzen Konsistorium laufen, und ich will sie anflehen und beschwören, sie möchten meine Bitte erfüllen, und ich will die ganze Gemeinde um dasselbe anrufen, und will sie meine Bitte nicht erhören, so trete ich aus der Gesellschaft aus, so separiere ich mich vor ihrem Gedankengut, so bilde ich eine Sekte, die Mozart nicht allein obenan setzt, sondern gar keinen anderen hat als Mozart ... Unsterblicher Mozart! Du, dem ich alles verdanke, dem ich verdanke, daß ich den Verstand verlor, daß meine Seele erstaunte, du, dem ich verdanke, daß ich nicht durchs Leben gegangen bin, ohne daß etwas imstande gewesen wäre, mich zu erschüttern, du, dem ich es danke, daß ich nicht gestorben bin, ohne geliebt zu haben ... [Kierkegaard, Entweder-Oder, 58f ]

Ich zumindest fühle mich unbeschreiblich glücklich darüber, Mozart, wenn auch nur von ferne, verstanden und sein Glück geahnt zu haben, wieviel mehr dann die, die ihn vollkommen verstanden haben, wieviel mehr müssen die sich glücklich fühlen mit dem Glücklichen ..." [a.a.O., 163 ]

Hier geht es mehr als nur um eine ästhetische Erfassung des Don Juan, mit dem Kierkegaard sich auseinandersetzt. In diesen Sätzen wird Kierkegaard mit seiner ganzen Existenz erlebbar. Er, der sein Leben lang ein Fühlender, Leidender und Suchender war, der sich immer wieder in einen Widerspruch zur Gesellschaft seiner Zeit setzte, findet, was ein Mensch zum Leben braucht, bei Mozart. Erstaunlich auch, daß er es ausgerechnet in dem durchaus zwielichtigen Don Juan findet, der ja ebenfalls ein Suchender ist und bleibt, wenngleich auf eine ganz andere Artt und Weise. Kierkegaard geht es um eine Freiheit, die den Glauben wagt, Don Juan um die Freiheit einer Erotik ohne Bindung. Mozart bekommt bei Kierkegaard fast eine religiöse Dimension.

Karl Barth 1886-1968

Rückfragen von Karl Barth an D. F. Schleiermacher und S. Kierkegaard

Bevor wir uns mit K. Barths Haltung zu Mozart weiter beschäftigen, stellen sich gerade von Barths Theologie her einige grundsätzliche An- und Rückfragen an die beiden großen Theologen des 19. Jahrhunderts, die für unsere Auseinandersetzung mit Mozart nicht unerheblich sind.

In seiner Ansprache zu Mozarts zweihundertsten Geburtstag sagt Barth 1956 unter der Überschrift 'Mozarts Freiheit': "Wer Mozart hört, bekommt in seiner Musik die des ganzen 19. Jahrhunderts zu hören. Hat es wohl je einen Musiker gegeben, der auf allen Stufen seines Weges für die Versuche und Leistungen seiner älteren und gleichzeitigen, größeren und kleineren Mitmusiker, aber auch für die ganze Welt der Töne seiner Umgebung vom kirchlichen Choral bis hinunter zum Wiener Gassenhauer von damals so offen war wie er? ... [Barth, Wolfgang Amadeus Mozart, 35] Der Mann war schöpferisch, auch indem er und gerade er nachahmte. Er hat ja wahrhaftig nicht nur nachgeahmt. Er hat sich im Rahmen der Gesetze der Kunst seiner Zeit von Anfang an frei und dann immer freier bewegt. Er revoltierte aber nicht gegen sie. Er durchbrach sie nicht. Er suchte und hatte seine Größe darin, gerade in der Bindung an sie er selbst zu sein ..." [a.a.O., 36]

Und im Blick auf Schleiermacher stellt Barth fest, daß Mozart mit seiner Musik in einer ganz anderen und umfassenden Weise einen Gleichklang musiziert, als dies der Theologie Schleiermachers angedacht ist: Es geht eben nicht nur um ein vermittelndes Prinzip, das schließlich in der Indifferenz endet. "Es ist gerade die Abwesenheit aller Dämonen, gerade das Anhalten vor den Extremen, gerade die weise Konfrontierung und Mischung der Elemente, was noch einmal: Die Freiheit ausmacht, in der Mozarts Musik die echte vox humana in der ganzen Skala ihrer Möglichkeiten ungedämpft, aber auch unverbogen und krampflos zur Sprache kommt. Wer ihn recht hört, der darf sich als Mensch, der er ist - als der schlaue Basilio und als der zärtliche Cherubino als Don Juan, der Held, und als der Feigling Leporello, als die sanfte Pamina und als die tobende Königin der Nacht, als die alles verzeihende Gräfin und als die entsetzlich eifersüchtige Elektra, er darf sich als der weise Sarastro und als der närrische Papageno, die in uns allen stecken - er darf sich als der dem Tod Verfallene und als der noch Lebende, die wir ja alle sind, verstanden und selber zur Freiheit berufen fühlen ..." [a.a.O., 44f]

"So bringt die Musik Mozarts nach Barth eine Sicht der Wirklichkeit zur Geltung, die sowohl Kierkegaards Existenzdialektik, als auch Schleiermachers Vermittlungsprinzip überbietend, das Leben in seiner Wahrheit musiziert. In dieser Hinsicht tut sie es dem Theologen Karl Barth gleich, der die Welt als Einheit von Evangelium und Gesetz unter dem positiven Vorzeichen des Evangeliums interpretiert ..." [Erne, Barth und Mozart, 245]

Und der katholische Theologe Hans Urs von Baltharsar schreibt in seinem Buch über Karl Barth zum Verhältnis Kierkegaard - Barth im Blick nun aber auf Mozart: "Wie das Christentum im ganzen, so ist Barth, der es nachzeichnet, die Widerlegung der kierkegaardschen Grundthese von der Trennung zwischen dem Ästhetischen und dem Religiös-Ethischen. Das Religiöse ist darum ästhetisch, weil es in sich das Echteste ist ...Für Kierkegaard ist das Christentum unweltlich, asketisch, polemisch. Für Barth ist es die ungeheure, über aller Natur aufstrahlende und alle Verheißung erfüllende Offenbarung des ewigen Lichtes, das ewige Ja und Amen Gottes zu sich selbst und zu seiner Schöpfung. Nichts dürfte kennzeichnender sein als die Art, wie beide zu Mozart stehen. Für Kierkegaard ist Mozart der Inbegriff des Ästhetischen und deshalb des Gegensatzes zum Religiösen. Er muß ihn dämonisch interpretieren, unter dem Gesichtspunkt des Don Juan. Ganz anders (Anm.: wie wir sahen) der Mozartliebhaber Karl Barth ..." [Baltharsar von, Karl Barth, 36]

Mozart in der "Kirchlichen Dogmatik" Karl Barths

Es ist ja erstaunlich, daß ein katholischer Mensch wie Wolfgang Amadeus Mozart in einer großen und beachtlicher Dogmatik erscheint und dazu noch in der eines Reformierten Theologen - eben Karl Barths. Die Kirchliche Dogmatik ist das Hauptwerk Barths in dreizehn Bänden angelegt und dennnoch unvollendet geblieben. Mehrfach findet Mozart in diesem Werk Erwähnung. Doch es kommt, wie es Urs von Baltharsar sehr einfühlsam sieht, mehr auf den gemeinsamen Grundton an, der beide miteinander verbindet. So stellt er in seiner Auseinandersetzung mit Karl Barth fest:
"Man wird gut daran tun, Klänge Mozarts im Ohr zu behalten, wenn man Barths Dogmatik liest, Mozarts Grundtenor gegenwärtig zu haben, wenn man nach Barths Grundabsicht forscht. Man lese etwa so gewappnet jene Stück, die sich wie ungeheure Finale von Symphonien ausnehmen: Das Ende der Erwählungslehre mit der schlechthin meisterlichen 'Schlußfuge' über Judas und Paulus (4, 508-563), oder die ebenso strahlende Mündung der Schöpfungslehre in das Ja Gottes zur Welt (5, 418-476), oder die drei Kapitel über Gottes Vollkommenheit (3, 362- 764), oder jene Trippelfuge über Glaube, Gehorsam und Gebet, die die Vorsehungslehre beschließt (7, § 49), und man wird zugeben, daß die Erinnerung an Mozart keinesweg zufällig oder äußerlich ist. Ja man möchte sagen: Wer Barth nicht mit diesen Ohren zu hören vermag, der hat ihn schlechterdings nicht gehört. Es geht bei ihm nicht um die Ausfeilung einzelner Sätze und Begriffe ins immer kleinere und exaktere, sondern - bei aller Genauigkeit im Detail, auch darin wieder Mozart vergleichbar - um ein Öffnen ins immer größere ..." [Baltharsar, Barth, 38f]
In einem ganz unvermuteten Zusammenhang bringt Barth Mozart in die Dogmatik ein, nämlich im § 50 'Gott und das Nichtige'. Er sagt dort: " ...Es ist wahr, daß es in der Schöpfung nicht nur ein Ja, sondern auch ein Nein gibt: Nicht nur Höhen, sondern auch Tiefen, nicht nur Klarheiten, sondern auch Dunkelheiten, nicht nur Förderung und Fortgang, sondern auch Hemmung und Begrenzung des Lebens, nicht nur Wachstum, sondern auch Abnehmen, nicht nur Reichtum, sondern auch Armut, nicht nur Lieblichkeit, sondern auch Düsternis, nicht nur Anfänge, nicht nur Werte, sondern auch Unwerte. Und es ist wahr, daß es im Dasein des Geschöpfes und insbesondere des Menschen neben hellen auch dunkle Stunden, Tage und Jahre gibt, neben Gelingen auch viel Mißlingen, neben Lachen auch das Weinen, neben dem Jungsein auch das Altwerden, neben Gewinn auch Verlust, neben dem Geborenwerden auch das plötzliche oder langsame, aber so oder so Sterbenmüssen. Und es ist wieder wahr, daß die Anteile, die die einzelnen Kreaturen und Menschen an dem allem haben, sehr ungleich, nach einer sehr wunderlichen, oder sagen wir besser: nach einer sehr verborgenen Gerechtigkeit verteilt sind. Es ist aber auch noch wahrer, daß eben die gute Schöpfung, das gute Geschöpf, auch darin gut ist, daß alles, was ist,m, in diesem Unterschied und Gegensatz ist. In dem allem lobt sie - fern davon nichtig zu sein - ihren Schöpfer und Herrn: auch auf ihrer Schattenseite, auch in ihrem negativen Aspekt, in welchem sie dem Nichtigen benachbart ist ...." [Barth, Kirchliche Dogmatik III/3, 336]

In diesem Zusammenhang folgt nun eine lange Passage zu Mozart, aus der ich nur einen kleinen Ausschnitt zitieren kann, um die theologische Verknüpfung deutlich zu machen: "Ich muß hier wieder einmal auf Wolfgang Amadeus Mozart zu sprechen kommen. Warum und worin kann man diesen Mann unvergleichlich nennen? Warum hat er für den, der ihn vernehmen kann, das mit jedem Takt, der ihm durch den Kopf ging und den er aufs Papier brachte, eine Musik hervorgebracht, für die 'schön' gar kein Wort ist: Musik, die dem Gerechten nicht Unterhaltung, nicht Genuß, nicht Erhebung, sondern Speise und Trank ist, Musik voll Trost und Mahnung, wie er sie braucht, nie ihrer Technik verfallene und auch nie sentimentale, aber immer 'rührende', freie und befreiende, weil weise, starke und souveräne Musik? Warum kann man dafür halten, daß er in die Theologie (speziell in die Lehre von der Schöpfung und dann wieder in die Eschatologie) gehört, obwohl er kein Kirchenvater und dem Anschein nach nicht einmal ein besonders beflissener Christ - und überdies auch noch katholisch! - gewesen ist ...? Man kann darum dafür halten, weil er gerade in dieser Sache, hinsichtlich der in ihrer Totalität guten Schöpfung etwas gewußt hat, was die wirklichen Kirchenväter samt unserer Reformatoren ... so nicht gewußt oder jedenfalls nicht zur Aussprache und Geltung zu bringen gewußt haben ... Mozart hatte hinsichtlich des Theodizeeproblems den Frieden Gottes, der höher ist als alle lobende, tadelnde, kritische oder spekulative Vernunft ... Und es war bei ihm auch das von Grund aus in Ordnung, daß er nicht etwa einen mittleren, neutralen Ton, sondern den positiven stärker hörte als den negativen. Er hörte diesen nur in und mit jenem. Aber er hörte in dieser ungleichen Verteilung doch beide zusammen ...

Und indem er die Geschöpfwelt ganz und ohne Ressentiments und unparteiisch hörte, brachte er eigentlich nicht seine, sondern ihre eigene Musik hervor, ihr doppeltes nie sich selbst äußern und produzieren, weder seine Vitalität noch seinen Herzenskummer noch seine Frömmigkeit noch irgendein Programm. Er war wunderbar frei von dem Krampf, selber durchaus etwas sagen zu müssen oder zu wollen ... Er starb als eine Art unbekannter Soldat in der Misere und hat mit Calvin und in der biblischen Geschichte mit Mose dies gemeinsam, daß niemand weiß, wo er begraben wurde. Aber was hat das zu bedeuten? Was ist schon ein Grab, wo ein Leben diesen Dienst leisten, die gute Schöpfung Gottes, zu der auch des Menschen Grenze und Ende gehört, so ... zur Sprache bringen durfte? ...

Mozart macht hörbar, daß die Schöpfung auch nach dieser Seite und also in ihrer Totalität ihren Meister lobt und darum vollkommen ist ..." [a.a.O., 337ff]

Also mitten in der Lehre von der Schöpfung in ihrer ganzen Breite findet die Musik Mozarts ihren Platz und zwar ganz und gar theologisch reflektiert und begründet. So 'unvergleichlich' Barth Mozart beurteilt, so unvergleichlich dürfte es theologiegeschichtlich sein, wie Mozart hier gewürdigt wird.

Mozarts Freiheit

Wie wir gehört haben, überschreibt Karl Barth auf diese Weise seinen Festvortrag zu Mozarts zweihundertsten Geburtstag im Jahr 1956. Mozarts Freiheit - eine bloße Behauptung oder eine begründete Annahme? Barth beschreibt es so:
" ... Er hat in der Natur- und Geisteswelt gerade nur seine musikalischen Gelegenheiten, Stoffe und Angaben gesucht und gefunden. Gott, die Welt, die Menschen, sich selbst, den Himmel und die Erde, das Leben und vor allem den Tod vor Augen, in den Ohren und im Herzen, war er ein im tiefsten unproblematischer und so ein freier Mensch: in einer ihm, wie es scheint, erlaubten und offenbar gebotenen und so exemplarischen Weise.

Das bringt es nun aber mit sich, daß seine Musik in einer ganz ungemeinen Weise frei ist von aller Übersteigerung, von allen prinzipiellen Brüchen und Entgegensetzungen.

Die Sonne scheint, aber sie blendet nicht, verzehrt, verbrennt nicht. Der Himmel wölbt sich über der Erde, aber er lastet nicht auf ihr, er erdrückt und verschlingt sie nicht. Und so ist und bleibt die Erde, die Erde, aber ohne sich in einem titanischen Aufruhr gegen den Himmel behaupten zu müssen. So machen sich auch die Finsternis, das Chaos, der Tod und die Hölle bemerkbar, sie dürfen aber keinen Augenblick überhand nehmen. Mozart musiziert, wissend um alles, aus einer geheimnisvollen Mitte heraus, und so kennt und wahrt er die Grenzen nach rechts und auch links, nach oben und nach unten ..." [Barth, Wolfgang Amadeus Mozart, 43, hier: Mozarts Freiheit, 33ff]

Nach Barth ist Mozart ein überaus begnadeter Musiker, der die Freiheit besaß, das menschliche Leben in all seinen Schattierungen zu musizieren. Dabei hätte ja gerade ein Mozart allen Grund gehabt, ganz andere Stimmungen nachzugeben, nur allzuoft wurde gerade er in seinen Erwartungen enttäuscht. Ich fasse stichwortartig Mozarts Freiheit noch einmal so zusammen, wie Klaus Danzeglocke er sehr konzentriert versucht hat:

  1. Mozart hat sich im Rahmen der Gesetze der Kunst seiner Zeit von Anfang an frei und immer freier bewegt ...
  2. Mozarts Musik klingt durchweg unbeschwert, mühelos, leicht - und darum entlastend, erleichternd, befreiend ... Frei von billigem Optimismus, frei von depressivem Pessimismus hört Barth bei Mozart ein Musizieren auf dem Hintergrund strengster Arbeit, ... ein absichtsloses Umgehen mit den Möglichkeiten dieser Welt ...
  3. Mozarts Freiheit zeigt sich in seiner Sachlichkeit. Wo Spielen den Sinn des Ganzen ausmacht, da kann das Subjektive, das Ich nicht zum Thema werden ...
  4. Wo gespielt und eben nur gespielt wird, gibt es auch keine 'Moral von der Geschicht'.
  5. Und damit kommen wir zum Kernpunkt der Mozart-Interpretation Barths. Für ihn ist der Tenor der Musik Mozarts, daß die menschliche Existenz in der 'vox humana' Mozarts durchsichtig wird ...Mitte der Mozartschen Musik ist gerade jene 'Abwesenheit aller Dämonen' und eine dem Worte Gottes entsprechende Schöpfungsbejahung ... [Danzeglocke, Thema: Gottesdienst, 4ff]
Wir kommen damit zum Schluß, in dem wir noch einmal die Aussage wagen: 'Gott liebt Musik'.

Gott liebt Musik

Der Titel 'Gott liebt Musik', wie es Reginald Ringenbach zum Ausdruck zu bringen versucht, ist mir nun doch ein wenig zu steil, zu gewagt. Es dürfte schwer sein, einen solchen Titel aus dem biblischen Wort selbst abzuleiten. Dennoch ist die Bibel voll von Singen und Musizieren, so daß deutlich wird, daß Gott selbst in dieser Weise gelobt und verehrt werden will: David singt und spielt Harfe. In den Psalmen wird mit allen verfügbaren Instrumenten musiziert. Mose singt und mit ihm manch ein Mensch des Alten Testamentes. Und im Neuen Testament - um auch hier nur einige wenige Beispiele zu nennen - singen Maria und Zacharias, man pfeift auf den Gassen und spielt auf, zur Heimkehr des verlorenen Sohnes.

Jürgen Uhde schreibt in einem Beitrag zum siebzigsten Geburtstag von Karl Barth zum Thema: Zeit und Musik:

"Wie Gott Herr aller Zeit ist, so ist der schaffende Musiker Herr eines kleinen Stückchens Musikzeit., Wie die große Zeit Gott gehorcht, so gehorcht ein winziges Stück musikalischer Zeit dem Komponisten. Wie alles, was in der Zeit geschieht, geschehen ist, geschehen wird, vor Gott gegenwärtig ist, so ist dem Musiker jeder Ton, jeder Rhythmus, jede Melodie und jede Harmonie seiner Musikzeit gegenwärtig. So darf er sozusagen Lenker eines kleinen Stückes Zeit sein, wie Gott Zeit und Ewigkeit lenkt ..." [Barth, Antwort, Karl Barth zum siebzigsten Geburtsgtag, 761]

Auch hier sehen wir eine weitere Verknüpfung zwischen grundlegenden Voraussetzungen der Musik auf der Seite des Menschen und Gott selbst, der ja den Menschen mit seinen Möglichkeiten zur Gestaltung der Welt so bejaht und gewollt hat. Von hier aus darf nun noch einmal gefragt werden, wie es um Mozart steht? Bewegt er sich auf Gott zu, macht er gar eine göttliche Musik? Oder müssen wir nun nicht doch umgekehrt festhalten, daß es ja gerade Gott ist, der sich durch diesen Menschen und mit dessen Mitteln und Möglichkeiten der Musik uns zu Gehör bringt. Mozarts Spiel ist eine unter vielen Arten der Verkündigung, durch die Gott den Menschen anspricht und sich umgekehrt auch mit dieser loben läßt.

Schauen wir auf die großen Themen Mozarts, so stoßen wir immer wieder auf Kernbegriffe des christlichen Glaubens: Liebe - Mitleid - Vergebung und Dank. Wir finden die Vergebung und den Dank für diese Vergebung in der 'Entführung aus dem Serail'. Die angebotene aber zurückgewiesene Vergebung bei 'Don Giovanni'. Die zurückgewiesene, dann aber erflehte Vergebung in der 'Hochzeit des Figaro' und in der 'Zauberflöte' wieder die Liebe und die Vergebung (R. Ringenbach).

Ganz zu schweigen davon, wie diese Themen in Mozarts Messen zum Ausdruck gebracht werden.

Gott liebt Musik als einen ganz besonderen Ausdruck menschlicher Schaffenskraft. Er liebt Musik, weil hier sein Mensch selbst Anteil hat am Schöpfungswerk Gottes. Ihm ist es in aller Freiheit an die Hand gegeben, mit seinem Werk Menschen eine Freude zu machen und Gott zu loben - ausgesprochen oder unausgesprochen - oder aber umgekehrt auch das Gegenteil davon zu tun, es liegt bei ihm, dem Komponisten, dem Musiker, dem Künstler.

"Indem wir musizieren oder Musik verstehen, leben wir nicht in der erfüllten Zeit. Aber wir sind durch die Musik auf die erfüllte Zeit hingewiesen ...Denn unsere menschliche Musik ist nur ein ferner Widerklang des kosmischen Lobgesanges, von dem die Psalmen singen. Und dieser Lobgesang ist wieder nur eine unangemessene Antwort auf den unendlichen Jubel in Gott selbst ..." [a.a.O., 767]

Hören wir Mozart?!


Literaturverzeichnis

Die zitierten Quellen:
  1. BAINTON, Roland H., Martin Luther,
    Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1967
  2. GAGELMANN, Hartmut, Mozart hat nie gelebt, Herder, Freiburg 1990
  3. BARTH, Karl, Letzte Zeugnisse, EVZ-Verlag, Zürich 1970
  4. BARTH, Karl, Wolfgang Amadeus Mozart, 1756/1956,
    EVZ-Verlag, Zürich 1956
  5. HILDESHEIMER, Wolfgang, Mozart, Suhrkamp,
    Frankfurt 1977
  6. RINGENBACH, Reginald, Gott ist Musik, Kösel,
    München 1986
  7. Diverses aus: VITA, Merian, Heft I, 1991: 'Mozart'
  8. ELIAS, Norbert, Mozart, Suhrkamp, Frankfurt 1991
  9. BICHSEL, Peter, Möchten Sie Mozart gewesen sein?,
    TVZ-Verlag, Zürich 1991
  10. BARTH, Karl, Parresia,
    Karl Barth: Zum Achtzigsten Geburtstag, EVZ-Verlag, Zürich 1966
  11. BARTH, Karl, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert,
    TVZ-Verlag, 4. Aufl. Zürich 1981
  12. ERNE, Thomas, Barth und Mozart,
    in: Zeitschrift für Dialektische Theologie, 2. Jahrgang, Nr. 2, 1986
  13. KIERKEGAARD, Sören, Entweder-Oder, Teil I, DTV, München 1988
  14. BALTHARSAR von, Hans Urs, Karl Barth, Johannes Verlag, Einsiedeln 1976
  15. BARTH, Karl, Kirchliche Dogmatik, III/3,
    Evangelischer Verlag A.G., Zollikon-Zürich 1950
  16. BARTH, Karl, Kirchliche Dogmatik, III/4,
    Evangelischer Verlag A.G., Zollikon-Zürich 1951
  17. DANZEGLOCKE, Klaus, Thema: Gottesdienst,
    Materialien 4/91, Evangelische Kirche im Rheinland, Düsseldorf 1991
  18. BARTH, Karl, Antwort:
    Karl Barth zum siebzigsten Geburtstag am 10. Mai 1956, Evangelischer Verlag AG., Zollikon-Zürich 1956
    hier: UHDE, Jürgen, Zeit und Musik
  19. Die BIBEL, Lutherübersetzung, Württembergische Bibelanstalt, Stuttgart
  20. ANGERMÜLLER, Rudolph, Wolfgang Amadeus Mozart, Sämtliche Opernlibretti,
    Reclam, Stuttgart 1990
Die nichtzitierten Quellen in Auszügen:
  1. PAHLEN, Kurt, Wolfgang Amadeus Mozart, Pawlak,
    Zürich 1991
  2. BLOCH, Ernst, Das Prinzip Hoffnung, Band 3, Suhrkamp, Frankfurt 1968
  3. HONEGGER, Marc und MASSENKEIL, Günther,
    Das große Lexikon der Musik, Herder, Freiburg 1981
  4. NAGEL, Ivan, Autonomie und Gnade, Carl Hanser Verlag, München 1988
  5. Diverse Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften u.a. zum Mozartjahr 1991
  6. KEITEL, Wilhelm und NEUNER, Dominik,
    Mozart auf Reisen, Bertelsmann, München 1991
  7. Fernsehfilme zum Mozartjahr, Einführungen und Opern, 1991
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider
Letzte Änderung: 06.09.2000