Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres (Volkstrauertag)
Offenbarung 2, 8-11

Begrüßung:

Sehr herzlich begrüße ich Sie alle in diesem Gottesdienst zum Volkstrauertag. Es ist ja ein Tag, der nachdenklich macht, der uns gerade in unserem Handeln als Christen in unserer Welt hinterfragt, herausfordert. Wie verlässlich ist unser Glaube und worin wird deutlich, was wir glauben? Nur zu oft verwechseln wir unseren eigenen Willen, mit dem, was Gott will. So ist heute unsere Treue hinterfragt, eine Treue, die Gott, doch damit auch dem Menschen dient.

Sei treu bis in den Tod; dann werde ich dir den
Siegeskranz, die Krone des Lebens geben.

Predigttext:

An den Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: So spricht Er, der Erste und der Letzte, der tot war und wieder lebendig wurde: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut; und doch bist du reich. Und ich weiß, dass du von solchen geschmäht wirst, die sich als Juden ausgeben; sie sind es aber nicht, sondern sind eine Synagoge des Satans. Fürchte dich nicht vor dem, was du noch erleiden musst. Der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, um euch auf die Probe zu stellen, und ihr werdet in Bedrängnis sein, zehn Tage lang.

Sei treu bis in den Tod; dann werde ich dir den Siegeskranz, die Krone des Lebens geben.

Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.

Offenbarung 2, 8-11

Gebet:

Herr, unser Gott! Wir bitten dich um Frieden zwischen Völkern und Staaten, Rassen, Konfessionen und Religionen. Wir beten darum, dass jede Form von Gewalt endlich ein Ende findet, weil wir aus unserer Geschichte gelernt haben, weil wir wissen, dass es immer einen Schwächeren gibt.

Wir beten für die Politiker in unserer Stadt, im Land und im Bund, für alle, die in unserer Gesellschaft, in der Wirtschaft, den Verbänden und Organisationen, den Schulen und Kirchen Verantwortung tragen, für die Medien, dass sie das Recht auf ein menschenwürdiges Zusammenleben verteidigen und aller Gewalt entgegen treten.

Wir beten um Mut und Entschlossenheit, so dass wir nicht mehr wegsehen und weghören, wenn unser Wort, unsere Fürsorge, ja schließlich unser Glaube gebraucht wird, um dieser Welt ein menschliches Gesicht zu geben. Herr, so kommen wir gerade heute zu dir und bringen vor dich, was uns bewegt ...
Amen.


Liebe Gemeinde!


Mit dem "Volkstrauertag" gehen wir nun auf das Ende des Kirchenjahres zu, letztendlich ja auch auf das Ende dieses Jahres 2000, in das einige mit so großen Erwartungen hineingegangen sind, andere mit ebenso großen Befürchtungen. Früher nannte man diesen Tag den "Heldengedenktag". Heute gedenken wir in allen Kirchen der Bundesrepublik der Menschen, die durch die beiden großen Kriege des vergangenen Jahrhunderts umgekommen sind, die unter Verwundungen an Köper und Seele zu leiden, den Verlust von Heimat und Besitz zu beklagen haben. Dieser Tag macht uns empfindsam für alle Menschen weltweit, die auch heute noch Krieg, Verfolgung, Gewalt und Zerstörung erleben müssen.

Fragten wir am vergangenen Sonntag nach der Gerechtigkeit Gottes, dem "Warum" angesichts der unzähligen ungelösten Rätsel und offenen Fragen in unserem Leben, danach, wie Gott so etwas zulassen kann, was wir aus unserem Leben heraus nicht verstehen können, so heute nach unserem Tun, nach dem, wofür wir verantwortlich sind, nicht etwa Gott. Wo wir nicht mehr weiter kommen, unser Verstand nicht mehr ausreicht, dort versuchen wir nur allzu schnell Gott für etwas verantwortlich zu machen, wofür er uns verantwortlich gemacht hat. So wird Gott zum Lückenbüßer unseres begrenzten Denkens, er wird aus unserem Bewusstsein hinausgeschoben, anstatt ihn umgekehrt in alle Lebenssituationen hineinzudenken und uns von dorther in unserem Tun leiten zu lassen.

Sei treu bis in den Tod; dann werde ich dir den Siegeskranz, die Krone des Lebens geben.
Wer kennt ihn nicht, diesen vielzitierten Satz aus der Offenbarung, der Generationen von Täuflingen und Konfirmanden mit auf den Lebensweg gegeben wurde, der am Anfang unzähliger Ehen stand, wie dann aber auch auf dem Friedhof, beim Abschied von einem vertrauten Menschen. Ein Wort, das Menschen an den Schwellen ihres Lebens oft zu leichtfertig mitgegeben wurde, weil es unreflektiert und unverstanden blieb. Wohl am deutlichsten begegnet uns die erwartete Treue bis zum Tod bei einer Hochzeit in der Trauliturgie, dort heißt es:
Nun frage ich euch vor Gott und vor dieser Gemeinde:

Liebes Brautpaar! Glaubt ihr, dass Gott euch einander anvertraut hat? Wollt ihr zusammen nach Gottes Geboten leben, euch lieben und ehren, und im Vertrauen auf Jesus Christus einander in Freud und Leid die Treue halten, bis Gott durch den Tod euch scheidet, so antwort: Ja.

Wie oft habe ich dieses Ja von Brautleuten gehört und dann die Scheidungen erlebt: Sei treu bis in den Tod; dann werde ich dir den Siegeskranz, die Krone des Lebens geben. Gemeint ist bei diesem Wort an die Gemeinde zu Smyrna (Izmir) nämlich die Treue Gott gegenüber, nicht aber zu einem Menschen. Doch gerade weil wir unsere Maßstäbe verloren, unserem Glauben das Fundament entzogen haben, darum verletzten wir so oft auch die Regeln, welche wir Menschen uns für unser Zusammenleben gemacht haben: Begriffe wie Humanität, Redlichkeit, Ehrfurcht oder Treue verkommen zu platten Sonntagsreden.

Wer würde bei großen Worten denn nicht Beifall klatschen, doch umgekehrt, wer von uns möchte damit anfangen, Wertebegriffe wieder einmal zu leben, sie glaubhaft und verlässlich werden zu lassen? Natürlich gibt es einen Zusammenhang der Treue oder der Treulosigkeit innerhalb unserer Beziehungen, wie dann aber auch Gott gegenüber. Denn wenn ich schon einem Menschen nicht die Treue halten kann, den ich liebe, mit dem ich ja mein Leben teile, wie viel schwerer ist es dann, Gott die Treue zu halten, den ich nicht sehe. In jedem Fall gilt, dass der Wunsch nach Treue, nach Verlässlichkeit, sei es Gott oder auch Menschen gegenüber, die Auseinandersetzung nicht erspart, in beiden Fällen sind wir gefordert.

Gleiches gilt für unser Ja bei der Taufe, für unser Ja bei der Konfirmation, welchen Wert hat unser dort gegebenes Versprechen? Wir erleben es ja in unserer Gesellschaft tagtäglich, dass ein Wort kaum noch gilt, eine Lüge bagatellisiert, eine Halbwahrheit durchaus salonfähig geworden ist.

Liebe Gemeinde, es ist erschütternd, wie sehr wir einerseits Werte einfordern, die wir andererseits selbst mit Füßen treten, wir müssen uns da nicht weiter wundern, wenn unser Zusammenleben von so viel Unzuverlässigkeit geprägt ist. Es liegt nicht an denen da oben, da drüben, da hinten, es liegt an mir selbst, es liegt an uns, dass sich etwas verändert bis tief in unseren Glauben, in unsere Gottesbeziehung hinein. Dabei mag es in unseren menschlichen Verbindungen durchaus Situationen geben, wo eine Scheidung, eine Trennung sinnvoll ist, dann nämlich, wenn das Leben miteinander zur Qual wird. Doch aus der seltenen Ausnahme, wohl bedacht, wird mit der Zeit Normalität.

Von niemandem ist eine Niblungentreue verlangt. Wir haben in unserer Geschichte ja gesehen, was daraus wird, wenn Menschen den dumpfen Parolen von Volk und Vaterland folgen, einem Führerkult und einer Treue bis zur letzten Patrone. Auf den Koppelschlössern der Soldaten stand: "Gott mit uns", dennoch lief man Gefahr, den falschen Göttern hinterher zu laufen. So folgte man treu den wohlklingenden Verführungen, bis in den Tod, die Zerstörung, den Untergang hinein. Doch Vorsicht: Welchem Gedankengut folgen wir, und dient es dem Zusammenleben unter uns, fördert er das Vertrauen zwischen Menschen mit ihren unterschiedlichen Interessen, bringt es uns näher heran an einen Glauben, der durchträgt bis über die Grenze des Todes hinweg?

Aus unserer Geschichte können wir lernen, dass es ein Recht zum Widerstand, ja vielleicht sogar eine Pflicht dazu gibt, wenn die Situation dies erforderlich macht. Es gilt mit diesem Volkstrauertag, die Chance zu nutzen, nach verbindlichen Werten zu fragen - und es sich nicht zu einfach zu machen. Wie schnell sind wir dabei, uns unsere Maßstäbe selbst zurecht zu legen, wir bestimmen darüber, wann Gott uns einmal wieder wichtig sein darf, doch Gottesdienst und geteilter Glaube im Zusammenleben einer konkreten Gemeinde, das ist uns oft zu anstrengend, zu herausfordernd, zu unbequem. Aber woher nehmen wir die Werte, wenn ausgerechnet die uns vorgegebenen verlässlichen Werte des Glaubens schon so missachtet werden? Wo bleibt in unserer Gesellschaft die Ehrfurcht vor Gott, wie drückt sie sich aus und wird erlebbar in unserer Mitte lebendig gehalten? Ist uns anderes im Leben nicht viel wichtiger, worüber alle Glaubensfragen dann in den Hintergrund treten?

Sei treu bis in den Tod; dann werde ich dir den Siegeskranz, die Krone des Lebens geben.
Was bedeutet das für uns, der Siegeskranz, die Krone des Lebens? Hier sind wir danach gefragt, was wir mit unserem Leben erreichen wollen, welchen Wert es für mich, damit aber auch für andere bekommen soll. Was ist erstrebenswert, wenn wir an die Grenzen unseres Lebens denken, an den Tod, den Verlust des Lebens - und was erhoffen wir dann für uns?

Als Seelsorger wage ich es ja kaum zu sagen, aber fragen wir uns dennoch einmal danach: was wird, wenn ich hier gottlos gelebt habe, das heißt ganz schlicht und einfach nach meinen Regeln der Religion, mit meinen Göttern, die ich mit Gott verwechsele, nicht aber nach den Verheißungen Gottes? Was wird werden, worin besteht meine Hoffnung, worin begründet sie sich, wenn es um den biblischen Gott, um Jesus Christus geht?

Dieses kleine Wort aus der Apokalypse, gegen Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus verfasst, soll die jungen Gemeinden angesichts der beginnenden Christenverfolgungen trösten und stärken. Den Christen wird zugesagt, dass ihr Gott die Geschichte der Völker zum Ziel führt, dennoch und trotz allem, was weltliche Herrscher - zeitlich begrenzt - an Katastrophen in Gang setzen können. So widerstand man Verfolgung, Not und Armut, weil man immer mit dem Kommen des Herrn in der eigenen Lebenszeit rechnete.

In unserem Text geht es aber auch um die beginnende Auseinandersetzung mit dem Judentum, denn am Verständnis des Messias schieden sich die Geister. Sie zollten dem Kaiser in Rom Tribut, während die Christen schon verfolgt wurden. Das setzte schließlich eine leidvolle Geschichte in Gang, in der sich dann zunehmend die Christen selbst schuldig machten.

An einem Tag, wie diesem, dem Volkstrauertag, ist es gut, wenn wir einmal inne halten, zur Ruhe kommen und unsere Geschichte bedenken, ja, auch unsere kleine Lebensgeschichte, die immer hineingenommen ist in die große Weltgeschichte. Und es gibt manches, worüber wir zu trauern haben. Doch alles, was wir heute wieder an Reden hören, wird die Verhältnisse nicht ändern, es sei denn, ein jeder fängt bei sich selbst an, den Maßstäben zu folgen, die Gott uns vorgegeben hat. Allein auf dieses Anfangen kommt es an, das uns in unserem Glauben auf Gott zu bewegt und damit sofort auf den Menschen, der mir in meinem Lebensweg hinein gestellt ist.

Damit übernehme ich eine Verantwortung für die Welt, die bei mir beginnt und alle einschließt, die nicht irgendeine, sondern meine Fürsorge brauchen: die Trauernden, die Kinder, die Alten, die Behinderten, die Fremden, alle die so ganz anders sind, als ich selbst. Darin drückt sich dann die Treue aus, die in unserem kleinen Wort gemeint ist. Es ist eine Treue, die sich auf Gott bezieht, gerade darum aber die Welt im Blick behält, weil es die geteilte Welt Gottes und des Menschen ist, einen weltlosen Glauben gibt es nicht, so wenig, wie eine letztendlich gottlose Beziehung zum biblischen Gott. Das wäre menschliche Ideologie, aber kein christlicher Glaube.

Sei treu bis in den Tod; dann werde ich dir den Siegeskranz, die Krone des Lebens geben. Das ist ein Ziel, das zu erreichen sich lohnen würde, wenn wir einmal an die Grenze unseres Lebens gekommen sind und unseren Frieden in der Gegenwart Gottes finden dürfen. Begleiten und Ermutigen wir uns gegenseitig auf unserem Weg.
Amen.

Letzte Änderung: 19.11.2000
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider