Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Osternacht, den 19. April 2003, in St. Laurentius Kenzingen

mit der Taufe von Johannes Schneider + Mats Billharz und der Feier der Hlg. Messe

Lieber Johannes, lieber Mats!

Heute werdet ihr getauft. Unzählige Menschen sind in dieser Nacht in die dunkle St. Laurentius Kirche gekommen, um miteinander die Osternacht zu feiern. Stockdunkel war sie, als wir zusammen vom Osterfeuer vor der Kirche in die Kirche einzogen. Vorangetragen wurde eine Kerze, die Osterkerze, an der dann die Kerzen aller Gottesdienstbesucher angezündet wurden, so dass die Kirche nun in einem warmen hellen Schein leuchtet. Wir kamen aus der Dunkelheit und schenkten uns miteinander das Licht.

Ich schreibe euch zu eurer Taufe diesen Brief, damit ihr euch mit euren Eltern, Paten und Familien an diese besondere Nacht in eurem Leben erinnern könnt. Ich möchte euch ein wenig teilhaben lassen an dem, was uns alle heute bewegt. Ich bin der evangelische Pfarrer von Kenzingen, der mit vielen anderen evangelischen Gemeindegliedern in diese alte ehrwürdige katholische Kirche gekommen ist, um mit seinen katholischen Mitchristen die Osternacht zu feiern. Mein katholischer Freund und Pfarrer Frank Martin wird euch gleich taufen und uns das Abendmahl austeilen.

Gestern war Karfreitag, der in diesem Jahr durch den völkerrechtswidrigen Krieg im Irak eine besondere Bedeutung hatte. Wir sind daran erinnert, dass das eine Kreuz Jesu sich tagtäglich auch in unserer Welt, in unserer Mitte wiederholt. Das Kreuz ist keine fromme Vergangenheit, sondern die traurige Gegenwart. Nach wie vor leiden Menschen unter Menschen und immer noch werden Menschen aufs Kreuz gelegt. Damit der Karfreitag mit seiner Botschaft vom Kreuz, von den Kreuzen dieser Welt aber eben nicht das letzte Wort hat, darum sind wir hier. Wir feiern ein Fest unseres Glaubens, ein Fest gegen den Tod und die todbringenden Strukturen dieser Welt. Auch wenn ihr beide das heute noch nicht verstehen könnt, so werdet ihr es einmal verstehen lernen. Und dabei soll dieser Gruß euch helfen.

In dieser ganz besonderen Nacht wollen wir uns dankbar daran erinnern lassen, dass der Tod nicht das letzte Wort in unserer Welt hat, auch die Gewalt, die Armut, die Not nicht. Das was am Karfreitag - damals - für uns geschah bleibt uns unverständlich, wenn wir es nicht als tiefsten Ausdruck der Liebe Gottes zu uns verstehen. Gott liebt uns Menschen und diese Welt so leidenschaftlich, dass er sich selbst das Leiden an uns und für uns nicht erspart und so musste Jesus auch für uns sterben. Man kreuzigte ihn, um Gott los zu werden. Er war der Welt durch die Botschaft und das Wirken Jesu zu unbequem geworden.

Gerade mit eurer Taufe in dieser Nacht sind wir alle danach gefragt, wie die Antwort auf die Frage nach unserem Glauben aussieht? Und eure Eltern, Paten und Familien werden euch nun vorleben müssen, was es heißt, dem Glauben heute Leben zu schenken, Gott selbst ein menschliches Gesicht, Gefühl und Verstand, Hände und Füße zu geben.

Sie werden glaubwürdig sein, würdig also, dass man ihnen ihr heutiges Ja zu eurer Taufe glaubt oder sich einreihen in die Schar der vielen, deren Glaube kaum mehr als ein Rückversicherungsvertrag mit Gott ist - so nach dem Motto: Schaden kann es ja nicht! Mit eurer Taufe sind wir alle danach gefragt, welchen Wert und Sinn unser christlicher - und nicht etwa irgendein - Glaube noch hat, wenn er nicht gelebt wird bis hinein in die politischen Strukturen dieser Welt: von Macht und Ohnmacht, Oben und Unten, Recht und Rechtlosigkeit, Wahrhaftigkeit und Lüge.

Der christliche Glaube will gelebt sein. Er muss erlebbar werden, weil sonst gar nie begriffen wird, worum es geht. Ich sehe ein, dass das unbequem und lästig sein kann, aber billiger und einfacher werden wir das Wort Gottes kaum in unser Leben und in die Welt hinein übertragen können. Auch das hat etwas mit diesem Weg vom Karfreitag hinüber zum Osterfest zu tun: Hier der Tod, die Vertreibung Gottes aus der Welt und das auch noch rechtlich und religiös gut begründet. Schon damals redete man sich seinen eigenen Glauben so zurecht, wie man ihn brauchte, damit er nicht zu lästig wurde und passte. Dort dann Gottes entschiedendes Nein zum Tod und Ja zum Leben.

Ich möchte euch beiden und uns allen hier in der Kirche mit einer kleinen Geschichte, die ich vor einigen Jahren einmal las, versuchen deutlich zu machen, worum es bei dieser Spannung von Karfreitag und Ostern geht:

Bei den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen erschien als Zeuge ein Man, der eine Zeitlang in einem Grab eines jüdischen Friedhofes in Wilna gelebt hatte. Es war das einzige Versteck, wo er - und viele andere - leben konnten, nachdem sie der Gaskammer entkommen waren. Während dieser Zeit schrieb er Gedichte, und eines davon war die Beschreibung einer Geburt. In einem Grab, ganz in seiner Nähe, gebar eine junge Frau einen Sohn. Der 80-jährige Totengräber, in ein Leichentuch gehüllt, half ihr bei der Geburt. Als das neugeborene Kind seinen ersten Schrei ausstieß, betete der alte Mann: "Großer Gott, hast du nun endlich den Messias zu uns gesandt? Denn wer anders als nur der Messias selbst könnte in einem Grab geboren werden? Drei Tage später sah er, wie das Kind die Tränen seiner Mutter trank, weil sie keine Milch geben konnte.

Diese Geschichte übertrifft wohl alles, was menschliche Einbildungskraft sich ausdenken könnte: Die Geburt eines Menschen aus einem Grab heraus, neues Leben aus dem vollendeten Tod. Hier wird die Ostergeschichte noch einmal auf eine andere Weise erzählt und gedeutet, eine Ostergeschichte, die auch die Karfreitage der Welt nicht ausspart.

Ihr werdet also gleich getauft und damit in die Gemeinschaft aller Christen aufgenommen. Später werdet ihr vielleicht einmal diesen Gruß aus dieser Osternacht, eurer Taufe, lesen, ihr werdet mit euren Eltern darüber reden und eure Fragen stellen können. Dann werdet ihr selbst eine Antwort auf die Frage nach eurem Glauben geben und Gott wird durch euch zu Menschen kommen oder der Welt, eurer Welt, verschwiegen: im Kindergarten, der Schule, in eurem Beruf oder in der Familie, die ihr einmal haben werdet. Auch durch euch wird diese Welt einmal menschlicher oder die alten Verhältnisse und Machtstrukturen, die wir eigentlich so leid sind, zementiert werden.

So entscheidet sich dann auch, ob Gott weiterhin gekreuzigt wird oder ob das endlich einmal aufhört, - ob die Welt ein anderes Gesicht bekommt oder bleibt, wie sie ist, - ob der Glaube gelebt und umgesetzt oder eben doch nur etwas für die religiöse Rumpelkammer ist, aus der man Gott dann hervorholt, wenn man ihn in seinem Leben einmal braucht. Wir sind mit unserem Glauben oder Unglauben ein Kommentar für Gott, denn uns sehen und hören, uns glauben oder misstrauen die Menschen, mit denen wir unser Leben teilen. Lassen wir jeden Tag neu das eine Kreuz Jesu zur Kreuzung unserer Entscheidungen werden: wie wir leben, was wir glauben wollen und was für ein Gesicht wir unserer Welt damit geben. Wollen wir nicht nur über die Welt und die Zustände in ihr jammern und klagen, sondern sie wirklich und entscheidend verändern, dem Leben damit auch seinen eigenen Wert und tiefen Sinn schenken, dann muss der Glaube jeden Tag neu beginnen und sich in den Herausforderungen der Welt bewähren.

Das ist der Weg vom Karfreitag in diese Nacht hinein, der Weg aus dem Dunkel dieser Welt unter dem auch Gott mitleidet, zu einem neuen Tag der Schöpfung, dem Ostertag. Dass so etwas geht, wirklich möglich ist, zeigt dieser Gottesdienst in der Osternacht, der evangelische und katholische Christen miteinander über mancherlei Vorurteile und konfessionelle Schranken hinweg verbindet. Diese Gemeinschaft macht uns miteinander stark, auch wenn manche in unserer Mitte auch heute noch die Mauern gern ein wenig höher und trennender hätten. Bei allem, was unsere Kirchen eint oder auch trennt, bleibt zu fragen: was würde der Herr der Kirchen uns sagen, wozu raten? Hüten wir uns davor, unsere menschlichen Vorstellungen zum Gottesgesetz zu erheben. Denn vor Gott zählt zuerst einmal die Liebe, dann erst das Recht und die Ordnung.

Lieber Johannes, lieber Mats, in dieser Nacht rufen wir alle uns den uralten Ostergruß der Kirche zu: Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. Zu erfahren, was das im Leben, auch in eurem und für euer Leben bedeutet: in den Höhen und Tiefen, die auch ihr erleben werdet, den Herausforderungen und Grenzen, der Freude und der Trauer, dem Gelingen oder Misslingen, dass wünsche ich euch. Möge der Glaube auf den ihr heute getauft werdet auch durch euch mit neuem Leben erfüllt, es würde das Leben vieler anderer Menschen verändern helfen. So segne unser aller Gott euer ganzes Leben, das eurer Familien und unserer Kirchen, er segne unsere Stadt und diese eine Welt, die wir uns teilen.

Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden! Das ist die Botschaft von dem Geschenk eines neuen Lebens mitten im alten, das Geschenk des Friedens Gottes an uns und an die ganze Welt. Den guten Geist unseres Gottes und seinen Frieden wünsche ich Dir, Johannes, und Dir, Mats, für euer ganzes Leben - und uns allen hier in dieser Osternacht. Feiern wir das Fest des Lebens gegen den Tod.

Eure
 Hanns-Heinrich Schneider, Pfr.+ Frank Martin, Pfr.
 Evang. Kirchengemeinde    Kath. St.-Laurentius-Pfarrei


Letzte Änderung: 28.04.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider