Begrüßung:
Liebe Gemeinde! Wer wäre in diesen Tagen nicht bewegt vom Krieg im Irak, von dem Fragen nach der eigenen Machtlosigkeit, der wir ausgeliefert scheinen, wenn "die da oben" ja doch tun und lassen, was sie wollen. Fragen wir in diesem Gottesdienst einmal nach dem, was Christen "dennoch" tun können, um nicht traurig zu resignieren und ohne Hoffnung leben zu müssen. So stehen zwei Worte heute im Mittelpunkt unseres Nachdenkens:
Beim alttestamentlichen "Prediger" heißt es:
"Ich beobachtete alles, was Menschen auf der Erde tun, und ich fand: es ist alles vergeblich, wie ein Haschen nach Wind ..."
Wogegen der Psalmbeter sagt:
"Und dennoch gehöre ich zu dir! Du hast meine Hand ergriffen und hältst mich; du leitest mich nach deinem Plan und holst mich am Ende in deine Herrlichkeit ..."Gebet:
Herr, guter Gott! Lass uns nicht vergessen, dass es an uns liegt, dem Menschen, was wir aus unserer einen Welt machen: Es liegt an uns, welche Spuren du in der Welt hinterlässt. Es liegt an uns, ob Menschen in unserer Nähe Angst bekommen oder aufatmen können. Es liegt an uns, ob unsere vielen Gaben nur uns oder auch anderen zugute kommen. Es liegt an uns, ob Menschen ihren eigenen Wert erkennen können oder an sich zweifeln müssen. Es liegt an uns, ob andere durch uns im Frieden oder im Unfrieden leben. Es liegt an uns, ob Hoffnung in der Welt möglich ist oder nicht.
Lass uns erkennen, dass wir deine Möglichkeiten, Gott, in der Welt sind, so viel liegt an uns selbst! Amen.
Prediger 1,14
Ich beobachtete alles, was Menschen auf der Erde tun, und ich fand: es ist alles vergeblich, wie ein Haschen nach Wind.Psalm 73, 23+24
Und dennoch gehöre ich zu dir! Du hast meine Hand ergriffen und hältst mich; du leitest mich nach deinem Plan und holst mich am Ende in deine Herrlichkeit.
Der Blick in die Zeitung zeigt es: es ist manchmal zum Verzweifeln, zum Resignieren. Der nun in voller Härte und mit allen Konsequenzen eines Krieges ausgebrochene Krieg im Irak lässt viele Menschen danach fragen, ob denn eigentlich wirklich alles "umsonst" ist: Haben wir umsonst um den Frieden gebetet, - umsonst für den Frieden demonstriert, - umsonst in Predigten und öffentlichen Reden und privaten Unterhaltungen Stellung bezogen, umsonst an das Gute im Menschen geglaubt, - uns umsonst an großen, weltweiten E-Mail Aktionen beteiligt, um deutlich zu machen, dass wir gegen den Krieg sind, - war es umsonst, dass Politiker vieler Länder gegen den Krieg argumentierten und sich für andere Lösungen des Konfliktes stark machten - war das alles wirklich umsonst?
Die Bibel selbst und die Welt der Bibel kennt ja beides nur allzu genau: die Resignation und den Mut, aus einer scheinbar verzweifelten Gegenwart heraus, in die Zukunft hinein zu leben. Diese Spannung wird fassbar in den beiden kleinen Texten, die unserer Predigt vorangestellt sind: So heißt es beim "Prediger":
Ich beobachtete alles, was Menschen auf der Erde tun, und ich fand: es ist alles vergeblich, wie ein Haschen nach Wind (1,14). Und in Psalm 73:
Dennoch gehöre ich zu dir! Du hast meine Hand ergriffen und hältst mich; du leitest mich nach deinem Plan und holst mich am Ende in deine Herrlichkeit.Hat der alttestamentliche Weisheitslehrer eine eher pessimistische Weltsicht: es ist ja doch alles, was wir tun vergeblich, so vergeblich, als wollten wir nach dem Wind greifen, so setzt der Beter im 73. Psalm seinen düsteren Lebenserfahrungen sein trotziges "dennoch" entgegen. Natürlich ist die Welt weit davon entfernt, etwas von der guten Schöpfung Gottes widerzuspiegeln, das Paradies ist uns verloren, aber dennoch leben wir nicht ohne Hoffnung, ohne Perspektiven für die Zukunft.
Erinnern wir uns: am vergangenen Sonntag sagte Frau Reisner uns in ihrer Predigt: "Jesus sagt: blickt nach vorne - nicht mehr zurück. Das Leben kommt von vorne und nicht von hinten ... Die Gewalt hat sich durchgesetzt. Und das schmerzt ..."
Was können Christen angesichts solcher Erfahrungen tun: die Hände in den Schoß legen, ihrer Verzweiflung und Resignation nachgeben, das Regieren den Politikern überlassen und nach dem Motto wegschauen: die machen ja doch, was sie wollen? Was können wir als Christen angesichts unserer ganz persönlichen Tiefpunkte und Leidenserfahrungen tun, an denen wir im Leben leiden, die uns bedrücken?
Zunächst einmal gilt ja, dass wir alle Kinder dieser Welt sind, wir wissen realistisch um menschliche Grenzen, das Versagen, die Schuld, - wir erleben die Krankheit, das Altwerden und den Tod mitten in unserem eigenen Leben und da ist nichts, was sich verdrängen ließe, ohne dass wir dadurch krank würden, und dem wir uns daher nicht zu stellen hätten. Dem Gefühl, dass alles doch umsonst ist, vergeblich, wie ein Haschen nach Wind, können wir nur mit dem Trotz eines bedachten und verwurzelten Gottvertrauens begegnen: Dennoch - und trotz allem - gehöre ich zu dir! Du hast meine Hand ergriffen und hältst mich ..." Daran haben Christen die Welt zu erinnern!
In einer sehr alten Geschichte jüdischer Emigranten wird dieses trotzige "dennoch" sehr nachdenklich zum Ausdruck gebracht:
Ich hörte von alten Emigranten aus Spanien, dass ein Schiff mit Flüchtlingen von der Pest heimgesucht wurde. Der Kapitän warf sie auf einem unbebauten Ort ans Land. Viele starben vor Hunger, einige wenige rafften sich auf und gingen, bis sie etwa einen bewohnten Ort fänden. Einer der Juden hatte seine Frau und zwei kleine Söhne mit sich. Die Frau, des Marschierens ungewohnt, wurde schwach und starb. Der Mann trug die Kinder weiter, bis er ohnmächtig niedersank. Als er aufwachte, fand er beide Söhne tot. In seinem Schmerz stand er auf und sprach: "Herr der Welten! Viel tust Du, damit ich meinen Glauben aufgebe. Wisse aber, dass ich sogar den Himmelsbewohnern zum Trotz ein Jude bin und ein Jude sein werde. Da wird nichts nützen, was Du auch über mich gebracht hast und noch über mich bringen magst. Dann raffte er ein wenig Staub und Gräser auf, bedeckte damit die toten Kinder und ging seines Weges, um eine bewohnte Stätte zu suchen. [1]Hier kommt ein Gottvertrauen zum Ausdruck, dass sogar noch mit Gott rechnet, wo einem scheinbar dieser Gott entgegensteht, ein Gottvertrauen also gegen Gott. Dieser jüdische Vater glaubt selbst in den tiefsten Tiefen seiner Existenz aus diesem "dennoch" heraus, das ihm die biblischen Beter vorgelebt haben, es waren Menschen, wie er, Menschen, wie wir es sind. Wir sind an Hiob erinnert, der durch seinen Glauben ermutigt, Gott selbst vor die Schranken eines Gerichtes fordert, weil ihm der ihm vertraute Gott scheinbar abhanden gekommen ist - und ungerecht erscheint.
Wie der uns unbekannte Schreiber dieses Wortes aus dem Buch "Prediger", so weiß dieser jüdische Vater um den verborgenen Gott, ja, er verehrt ihn gerade auch als den verborgenen. Er wehrt sich dagegen, aus Gott einen Schönwettergott zu machen, einen Gott also, der nur dann wirklich für uns Menschen Gott ist, wenn das geschieht, was wir uns wünschen, was wir wollen, einen Gott, den wir nach unseren Vorstellungen manipulieren können. Gerade er wird so zu einem Mahner gegen alle Grenzüberschreitung, alle Schwärmerei und menschliche Überheblichkeit.
Er ahnt etwas von dem Gott, der selber weiß, was er will und was seiner Schöpfung und seinem Geschöpf gut tut. Dabei bleibt aber immer zu unterscheiden, wofür wir Gott verantwortlich machen und wofür wir selbst in unserer Weltgestaltung verantwortlich sind. Der Irakkrieg istweder ein"heiliger", noch ein "gerechter" Krieg. Er ist gegen die Charter der Vereinten Nationen, gegen die Mehrheit der Völker dieser Welt bewusst von Menschen mit Namen und Gesichtern angefangen worden - und diese Menschen werden zu verantworten haben, was sie jetzt tun, so, wie auch alle Diktatoren sich und ihr Tun einmal zu verantworten haben.
Sünde, also Rebellion gegen Gott, ein Verstoß gegen das erste und zweite Gebot ist es allerdings, wenn Menschen den Namen Gottes in den Mund nehmen und ihn für ihre sehr vordergründigen Zwecke missbrauchen. Die Berufung auf das mehrmalige Beten am Tag für den Frieden, das Ausrufen eines "Fasten- und Gebetstages für den Sieg" und das Erflehen von "Gottes Segen für die Truppen." [2] ist eine Blasphemie, eine Gotteslästerung, wenn ich im gleichen Atemzug den Marschbefehl zu einem Angriffskrieg aus ideologischen Gründen gebe, mein eigenes Versagen, meine Schuld aber nicht sehe.
Sinnvoller wäre es, einen Buß- und Versöhnungstag auszurufen, an dem wir alle uns zu beteiligen hätten, denn schuldlos sind auch wir nicht. Krieg mag dann, aber auch nur dann, gerechtfertig erscheinen, wenn ich angegriffen werde und mich, meine Angehörigen, meine Heimat verteidigen muss. Meinen wir denn nicht, dass auch die Moslems für den Frieden, wie für den Sieg beten würden? Auf welcher Seite sollte da der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs stehen, der Gott Jesu, der gemeinsame Gott von Juden, Christen und Moslems? Und ein ranghoher syrischer Theologe hat ja mit Recht darauf verwiesen, dass Präsident Busch zu einem Kreuzzug aufgerufen hat, warum dann nicht auch die islamische Welt? Spüren wir eigentlich wohin uns persönliche und nun auch politische Rechthaberei und mangelnde Demut führen?
Ein "heiliger" Krieg aus biblischer Sicht ist der Krieg, den Israel rückblickend mit Gott in einen Zusammenhang bringt, weil man um das Geschenk des verheißenen Landes, der neuen Heimat, wusste, und eben diese Landnahme nur mit Gott in Verbindung bringen konnte. Der so genannte "heilige" oder "gerechte" Krieg wie er dann später in der Christenheit vor allem von Thomas von Aquin angedacht wurde, ist weit von dem, was wir im Irak erleben, entfernt. Und alles Berufen auf das Recht eines solchen Krieges mit religiösen Begriffen ist eine weitere - unter den vielen Verführungen - eines Volkes. Wir haben das in Deutschland erlebt: "Für Gott, Volk und Vaterland!", wir sind hier gewarnt.
Ist also wirklich alles "umsonst"? Nein! denn ich glaube an den Gott, der größer ist als alle menschliche Vernunft (Phil 4,7). Einfach - und auch das weiß ich - ist ein solches Gottvertrauen sicher nicht, aber es hilft uns dennoch und trotz allem unser Leben zuversichtlich zu leben. Da mag es für uns unverständliche Kriege geben, Hunger und Durst, Verwundung und Not, Unterdrückung oder Heimatlosigkeit, - da mag es unsere eigenen Erfahrungen von Krankheit, dem Altwerden und dem Tod mitten in unserem Leben geben, aber das alles gehört zu unserem Menschsein dazu, so schwer es im Großen, Fernen oder im Kleinen, Nahen zu erleben, zu durchleiden ist. Das alles zeigt uns, dass diese Welt nicht mehr und noch nicht das Paradies ist, das haben wir auf dem Weg unserer Mündigkeit als Menschen zurücklassen müssen, aber auf eben dieses Paradies leben wir zu, wo wir es mit Gott zu tun bekommen - und das kann schon heute beginnen. Ich glaube, wie Hiob oder der alte Psalmbeter trotz allem, sonst würde ich die Welt ja ihrem Geist und damit der Macht des Stärkeren überlassen, und wo das hinführt, sehen wir.
Liebe Gemeinde! Wir müssen wohl damit leben, dass scheinbar manches im Leben "umsonst" ist, vergeblich scheint. Darum möchte ich mit dem biblischen Psalmbeter beten und sagen: "Dennoch gehöre ich zu dir! Du hast meine Hand ergriffen und hältst mich ..."
Bitten wir alle um das Geschenk eines solchen
Gottvertrauens, denn dann bliebe kein Platz
mehr für das Gefühl, dass ja doch nur alles
"umsonst" wäre, Perspektiv- und Hoffnungslos
und wie ein "vergebliches Haschen nach Wind!".
Mein Glaube sagt mir, dass trotz allem,
was mich beschwert und was mich traurig
macht, Gott selbst "das A und das O, der
Anfang und das Ende ist", der Gott, "der
da ist und der da war und der da kommt ...",
sogar in mein Leben, mein Denken und mein
Fühlen. Das ist der Glaube der Kirche und
die Hoffnung für uns Christen auch im Zusammenleben
mit Menschen, die eine andere Meinung, Religion
oder Kultur haben. Das zu leben und zu bezeugen
macht uns der Welt gegenüber als Christen
glaubwürdig.
Amen.
Letzte Änderung: 10.04.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider