Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

2. Sonntag nach Epiphanias, Römer 12,4-16

 

 

 

 

 

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Was bedeutet uns unser Glaube, der Glaube an Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist? Wie sieht das aus, unser Christsein, wenn wir es wirklich leben wollten? Allein auswendig gelernte Antworten helfen uns ja kaum in unserem Leben. Vielleicht kann dieser Gottesdienst uns da ein wenig weiterhelfen?

 

Danket dem Herrn und ruft seinen Namen an. Verkündigt sein Tun unter den Völkern (Psalm 105, 1).

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Es gibt so viele richtige und gute Sätze des Glaubens in der Bibel, doch oft hören wir sie gar nicht mehr, sind gelangweilt oder fühlen uns überfordert. Wir rechtfertigen uns damit, dass wir ja als Menschen ganz in Ordnung sind und dass es schließlich darauf ankomme. Doch wodurch unterscheiden wir uns dann von anderen Menschen, Religionen, Konfessionen und Kulturen? Herr, schenke uns den Mut, ganz neu danach zu fragen, was unseren, den christlichen Glauben, für uns heute ausmacht und wie wir ihn wieder glaubwürdiger leben lernen. Weil wir letztendlich eben doch um unsere Grenzen wissen, die vielen Selbstrechtfertigungen, darum bitten wir dich um deinen guten, verheißungsvollen Geist.

 

Schenke es unserem Leben, dass wir immer wieder einmal in unseren eigenen, oft eigenwilligen Gedanken gestört werden, um hören zu können, was du uns zu sagen hast und leben zu lernen, was deinem guten Geist entspricht. Schenke uns allen eine „fröhliche Zuversicht“ für alle Tage unseres Lebens, denn auch damit werden wir unseren Glauben leben. Amen.

 

 

 

Predigtext:

 

Denkt an den menschlichen Leib: Er bildet ein lebendiges Ganzes und hat doch viele Teile, und jeder Teil hat seine besondere Funktion. So ist es auch mit uns: Als Menschen, die zu Christus gehören, bilden wir alle ein unteilbares Ganzes; aber als einzelne stehen wir zueinander wie Teile mit ihrer besonderen Funktion. Wir haben ganz verschiedene Gaben, so wie Gott sie uns in seiner Gnade zugeteilt hat. Einige sind befähigt, Weisungen für die Gemeinde von Gott zu empfangen; was sie sagen, muss dem gemeinsamen Bekenntnis entsprechen. Andere sind befähigt, praktische Aufgaben in der Gemeinde zu übernehmen; sie sollen sich treu diesen Aufgaben widmen. Wer die Gabe hat, als Lehrer die Gemeinde zu unterweisen, gebrauche sie. Wer die Gabe hat, andere zu ermahnen und zu ermutigen, nutze sie. Wer Bedürftige unterstützt, soll sich dabei nicht in Szene setzen. Wer in der Gemeinde eine Verantwortung übernimmt, soll mit Hingabe bei der Sache sein. Wer sich um Notleidende kümmert, soll es nicht mit saurer Miene tun.

 

Die Liebe darf nicht geheuchelt sein. Verabscheut das Böse, tut mit ganzer Kraft das Gute! Liebt einander von Herzen als Brüder und Schwestern, und ehrt euch gegenseitig in zuvorkommender Weise. Werdet im Eifer nicht nachlässig, sondern lasst euch vom Geist Gottes entflammen. Dient in allem Christus, dem Herrn. Seid fröhlich als Menschen der Hoffnung, bleibt standhaft in aller Bedrängnis, lasst nicht nach im Gebet. Sorgt für alle in der Gemeinde, die Not leiden, und wetteifert in der Gastfreundschaft. Wünscht denen, die euch verfolgen, Gutes. Segnet sie, anstatt sie zu verfluchen. Freut euch mit den Fröhlichen, und weint mit den Traurigen. Seid alle miteinander auf Einigkeit bedacht. Strebt nicht hoch hinaus, sondern gebt euch für die undankbaren Aufgaben her. Verlasst euch nicht auf eure eigene Klugheit.

 

Römer 12,4-16

 

 

 

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Brücken zu schlagen, hilft manchmal weiter. Denken wir noch einmal an die Predigt vom vergangenen Sonntag zurück und versuchen wir damit einen Brückenschlag zu dem, was wir heute miteinander bedenken wollen. Wir dachten mit ihr über die Mission nach, die angesichts des großen Schuldkapitels der Kirchen, eigentlich bei uns selbst beginnen müsste. Ich sagte dazu: „Es geht um die „Gute Nachricht“, die öffentlich bekannt gemacht werden soll bis auf den heutigen Tag. Wir sind die Menschen, ein jeder von uns, die diese neue Sprache in überzeugenden und glaubwürdigen Worten und Taten zu sprechen lernen müssen, um uns nicht selbst weiterhin um die Wahrheit des christlichen Glaubens zu betrügen und andere zu täuschen. Wahrhaftigkeit im Denken, Reden und Tun, eine ganz umfassende Friedensfähigkeit, ein engagiertes, grenzensprengendes soziales Empfinden und Engagement, die Offenheit für Randgruppen und Fremde, das wäre ein überzeugender Hinweis auf den Geist, aus dem heraus wir Christen leben und ein missionarischer Dienst an der Welt...“ [1]

 

Heute geht es mit unserem Text aus dem Römerbrief um die inneren Voraussetzungen unseres Christseins, um ein wesentliches Vorverständnis, bevor wir überhaupt auch nur einmal den Mund öffentlich zu unserem Glauben aufmachen. Für Christen sollte ja eigentlich klar sein, worum es dem „christlichen“ Glauben geht, doch unser Leben und Zusammenleben zeigen, dass uns heute vielfach schon die einfachsten Grundkenntnisse fehlen, ganz zu schweigen von den wirklich zentralen und entscheidenden Aussagen des Glaubens und einem dem entsprechenden Leben.

 

In einer der immer wiederkehrenden vorweihnachtlichen Rundfunkumfragen wurde Weihnachten als der Tag bezeichnet, an dem der Weihnachtsmann geboren wird und Jesus von den Toten auferstanden ist. Aussagen von Menschen, die vermutlich brav ihre Kirchensteuern zahlen und doch religiöse Analphabeten sind. Da kennen wir uns perfekt in Bezug auf die Fettverbrennung beim Fitnesstraining aus und wie wir nun nach Weihnachten am Besten ein paar Gramm abnehmen können, doch wenn es um die zentralsten Fragen unseres Glaubens geht, wissen oder empfinden wir letztendlich kaum noch etwas.

 

Es hat keinen Sinn dies lautstark zu beklagen, denn dadurch ändern wir ja nichts. Aber wir müssen aufrichtiger Weise eingestehen, dass dies wohl der hohe Preis ist, den wir als „Volkskirche“ zu zahlen haben, einer Kirche, in der Kinder getauft werden, ohne sich selbst dazu entscheiden zu können, - von Eltern, die schlicht ratlos oder überfordert sind, wenn es um die „christliche“ Erziehung ihrer Kinder geht. Nach wie vor, wird unser Christsein damit verwechselt, dass wir unsere Kinder zu ordentlichen Menschen erziehen, die eben nicht stehlen, lügen, morden oder später einmal die Ehe brechen. Glaube wird mit Anstand verwechselt, nachzulesen im alten Knigge. Hat sich damit aber das Christentum erledigt, in moralischen Qualm aufgelöst, still und langsam aus der Wirklichkeit der Welt verabschiedet?

 

Kein geringerer als Adolf Hitler hat in seinen Gesprächen mit Hermann Rauschnigg das Ende der 10 Gebote verkündet. Er sagte: „Wir stehen vor einer ungeheuren Umwälzung der Moralbegriffe und der geistigen Orientierung der Menschen. Mit unserer Bewegung ist erst das mittlere Zeitalter, das Mittelalter, abgeschlossen. Wir beenden einen Irrweg der Menschheit. Die Tafeln vom Sinai haben ihre Gültigkeit verloren. Das Gewissen ist eine jüdische Erfindung...“ [2]

Sieht es nicht ganz danach aus, als habe dieser unsägliche Mensch wenigstens an dieser Front seinen Krieg letztendlich doch noch gewonnen? Dann aber wären wir selbst es, die das vermutlich mehr unbewusst als bewusst zugelassen und ermöglicht haben. Jedenfalls ist es an der Zeit, wieder einmal ernsthaft über die eigenen gedanklichen Wurzeln nachzudenken, aus denen das Christentum lebt, jenseits von all dem, was Menschen aus ihrem Empfinden heraus für „christlich“ halten.

 

Wer sich dem Römerbrief aussetzt, setzt sich den zentralsten Fragen des christlichen Glaubens aus, denn Paulus formuliert hier nicht nur eine Dogmatik des Glaubens, sondern auch ihre daraus folgende Ethik. Hier wird uns gesagt, was der christliche Glaube theoretisch ist und worin er sich von den vielen Religionen der Welt unterscheidet, und es wird ganz praktisch deutlich, welche Konsequenzen der Glaube an Christus für das Leben in einer jeweiligen Zeit und Gesellschaft hat. Glaube lebt immer in Theorie und Praxis oder er lebt gar nicht mehr.

 

Weder die zehn Gebote, die heute vielleicht gerade noch als allgemeingültige Anstandsregeln angesehen und verstanden werden, noch das, was Paulus in unserem Text zunächst den Römern schreibt, ist letztlich aufgehoben und ungültig geworden, nur weil wir es nicht mehr verstehen. Jeder dieser tiefgreifenden Gedanken ist eine Säule unserer Kultur. Es ist das Fundament eines bedachten Glaubens, der ebenso privat, wie öffentlich gelebt und erlebt werden muss. Das aber bedeutet, dass uns das Nachdenken des Glaubens bis in unsere Gottesdienste hinein nicht erspart wird.

 

Der reformierte Theologe Karl Barth, der ja in vielen seiner Äußerungen den Kern der Sache trifft, überschreibt in seinem Römerbriefkommentar unseren Abschnitt mit den Worten: „Die große Störung!“ Paulus stört uns, er durchkreuzt unsere eigenen ganz persönlichen Vorstellungen vom Glauben, von uns Menschen als Christen. Er stört unsere Art und Weise, wie wir uns selbst ständig rechtfertigen, zwanghaft bemüht, anderen zu zeigen, dass wir im Grunde doch ganz gute Menschen sind, die nur gelegentlich, - dort, wo es keiner so mitbekommt, lügen, stehlen, mit Worten töten oder die Ehe brechen. Ja, ein Mann wie Paulus muss unsere Kreise stören und deshalb ersparen wir uns heute diese Lektüre und greifen zu etwas, was uns doch lieber gleich in unserer eigenen Meinung bestärkt, wenn es denn Paulus und damit das biblische Wort schon nicht tut.

 

Nein, Paulus kann uns gar nicht in unserer Meinung bestärken, weil wir ja erst wieder einmal lernen müssen, mit dem „Anfang anzufangen“, das Alphabet des Glaubens zu erlernen. Der Prüfstein dazu ist ganz einfach: Es fragt sich, ob wir als Christen wirklich noch wie Glieder an einem Leib sind, die alle ihre eigene Funktion haben, ein lebendiges Ganzes - in unserem Glauben, der Kirche, unserer Gemeinde? Barth schreibt: „Gewiss soll dieses Gleichnis den Einzelnen an die „Gemeinde“ erinnern, d.h. an die anderen Einzelnen. Denn eben am Problem des Andern entsteht das Problem der Ethik, die Frage: Was sollen wir denn tun?“ [3]

 

Und da ist die theoretische Antwort zunächst etwas einfacher. Wenn uns erst einmal klar geworden ist, was es bedeutet, dass wir alle als Christen zu einem Leib gehören, wie einzelne Glieder zu ihrem Körper, dann haben wir auch je nach unseren eigenen Fähigkeiten und Begabungen unterschiedliche Funktionen. Die Hand macht etwas anderes als der Fuß, die Augen, etwas anderes als die Ohren, der Magen etwas anderes als das Rückgrad.

Im Kern bedeutet das, jeder von uns kann sich mit seinem Glauben so in das Ganze der Kirche einbringen, wie es seinen Möglichkeiten entspricht, doch eines ist klar, fehlen darf niemand, weil sonst bestimmte Funktionen in der Gemeinde fehlen. Bedenken wir das ganz ernsthaft und ohne unsere eigenen Rechtfertigungen, dann sehen wir, wie sehr wir unserer Welt mit einem wirklich bedachten und begründeten Glauben fehlen. Wir fehlen in unserer Zugehörigkeit zu Christus, wir fehlen in unserer Kirche, wir fehlen in unserer Gemeinde – und daher verfehlen wir letztendlich Gott und unseren Nächsten.

 

Wenn wir den Glauben also nicht mehr mit einigen moralischen Grundsätzen oder ethischen Werthaltungen verwechseln, die man beliebig leben oder aber nach eigenem Gutdünken so interpretieren kann, wie sie mir gerade passen, dann stehen wir mit ihm an einem Anfang, der alle Chancen in sich birgt. Darum drangsaliert Paulus uns nicht einfach mit ein paar frommen Grundsätzen, auch wenn er gelegentlich so gelesen und gehört wird, sondern er ermutigt uns. Er sagt: „Seid fröhlich als Menschen der Hoffnung...“ und diese Hoffnung, so führt er weiter aus, zielt nun über das Leben des Einzelnen hinaus. Hier wird der Glaube herzlich, menschlich, sozial. So verknüpfen sich der Glaube an Christus und das ganz konkrete Leben in der Welt.

 

Wir taufen heute zwei Kinder. Sind wir damit denn nicht an einen Anfang gestellt? Wozu wollen wir denn unsere Kinder als Eltern, Familien, Paten, als christliche Gemeinde erziehen? Was ist zu tun, wenn es uns nun nicht mehr um irgendeinen Glauben, den sagenhaften guten Menschen, sondern um uns als Christen geht? Diese Frage wird wohl kaum heute, mitten in einem so schönen Familienfest zu beantworten sein, dafür aber im Alltag unseres Lebens. Es gibt keine fertige, abschließende Antwort, weil uns der Glaube ja jeden Tag neu an einen Anfang stellt: An einen Anfang unserer Auseinandersetzung mit dem biblischen Wort, das den christlichen Glauben ja überhaupt erst begründet, - an einen Anfang mit Gott, - an einen Anfang mit dem Nächsten, - an einen Anfang mit der Welt, wie sie mir begegnet. So werden wir letztendlich wohl erst am letzten Tag unseres Lebens wirklich fertig sein.

 

So stehen wir, wie ein neugeborenes Kind, an einem Anfang und sind gefragt: „Was sollen wir tun?“ Paulus hat darauf viele Antworten, so viele, wie sie das Leben und Zusammenleben unter uns aufwerfen. Doch im Wesentlichen gilt ihm auf dem Boden des Glaubens, dass wir Menschen hoffnungsvoll leben. Und so stehen nun gerade Eltern mit der Taufe ihrer Kinder für eine „Erziehung zur Hoffnung“ ein, eine Erziehung, die eben nicht mehr beliebig ist, sondern lebt, was mit der Taufe und einer „christlichen„ Erziehung versprochen wird. Hoffnung für das Leben unserer Kinder, ja für unser eigenes zu haben, bedeutet ja mehr, als einige gute Pläne zu haben, gute Zielsetzungen, Vorsätze oder Wünsche.

 

Erst wo uns ein solches Leben aus der Hoffnung heraus in kleinen Schritten besser und besser gelingt, wird die „große Störung“ unseres Lebens sich in eine verheißungsvolle Perspektive wandeln. Dann werden wir uns nicht mehr als vermeintlich gute Menschen selbst rechtfertigen und irgendein pseudo-religiöses Fähnchen vor uns hertragen müssen, sondern wir werden bei dem Gott angekommen sein, der sein Ja zu uns sagt, jenseits unseres Verstehens. Das allein schon begründet eine Erziehung unserer Kinder zur Hoffnung. Denn es begründet einen Glauben, in dem Dogmatik und Ethik, also die Theorie und gelebte Praxis des Glaubens, nicht mehr auseinandergerissen werden. Gott helfe uns auf unserem Weg. Amen.

 

 

 

 

Literatur:

 

  1. Schneider, H.-H., Predigt vom 1. Sonntag nach Epiphanias 2004 - zu Epheser 3, 2-3a,5+6, in: http://www.evang-kirche-kenzingen.de

  2. Gronemeyer, R., Eiszeit der Ethik, Würzburg, 2003, S.33
  3. Barth, K., Der Römerbrief, München, 19243, S. 427

 

 

 

 

Wir weisen darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:

 

http://www.evang-kirche-kenzingen.de oder:

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