Lege mich wie ein Siegel an dein Herz,
wie ein Siegel an deinen Arm!
Denn stark wie der Tod ist die Liebe,
die Leidenschaft mächtig wie die Unterwelt!
Die Gluten der Liebe sind feurige Gluten, -
mächtige Brände!
Selbst Wassermassen können die Liebe
nicht löschen, selbst Ströme töten sie nicht!
Mit dem Versuch, diesem uralten und doch blutjungen Liebeslied der Bibel nachzuspüren, sind wir in eine andere, ja in eine Gegenwelt hinein genommen. Wer von uns lebt denn nicht realistisch? Wer von uns würde denn nicht die Welt sehen und wahrnehmen, wie sie nun einmal ist und eben nicht allein, wie wir sie uns wünschen, ja erträumen? Und doch sind wir alle Liebende: Liebhaber und Liebhaberinnen des Lebens, - ja der Liebe selbst in fast jeder Weise.
Es ist ein Gegenlied, das wir hier hören: Gegen den grauen Alltag, gegen die Sachzwänge, gegen die Schwermut und das Alleinsein, gegen die Gleichgültigkeit, gegen eine schrille, oft brutale Vermarktung und Darstellung der Liebe in Form von Sexualität. Doch dieses "Gegenlied" ist empfindsam, fürsorglich, frei und fröhlich. Es ist wie ein Lied aus einer anderen Welt, doch für unsere Welt gesungen und gespielt, damit wir uns zuhörend, nachdenklich, anregend, phantasievoll in der Liebe neu probieren, denn stark wie der Tod ist die Liebe ...
Komm küss mich und leg deinen Mund auf den meinen! Mehr als den Wein lieb ich es, wenn du mich liebst! Gut tut dein Duft, der in der Luft liegt! Dein Name ist ein betörendes Öl! Deswegen sind alle die Mädchen ganz außer sich! Komm zieh mich, mach rasch, komm zieh mich mit dir, ich folge dir nach! Heut bist du der König, der mich ins Gemach führt!Aufjauchzen lass uns, weil wir uns freuen, dass du so gut bist und dass deine Liebe mehr ist als Wein! Sag mir doch, wen, wenn nicht dich, sollte ich lieben?
Der prächtigen Stute am prunkvollen Wagen, in dem der Pharao fährt, vergleiche ich dich, meine Freundin! Die Kettchen rechts und die Kettchen links hängen so hübsch am Pharaowagen der Wangen! Dein Hals erstrahlt in Korallengirlanden, und von mir bekommst du noch ein Halsband in Gold und Silber!
Sonst trag ich Myrre zwischen den Brüsten, heut ruht mein Freund an meinem Busen!
Du bist schön, meine Freundin, ja du bist schön. Deine Augen sind wie der Tauben!
Du bist schön, mein Freund, ja du bist außerordentlich schön!
Horcht, hört ihr ihn? Es ist mein Geliebter! Seht, wie er kommt, wie er springt von Berg zu Berg und wie er hüpft von Hügel zu Hügel! Gazellenschnell ist mein Geliebter, flink wie ein Junghirsch kommt er zu mir! Da steht er ja schon draußen vor dem Haus und späht nach mir aus, das Auge am Gitter!
Steh auf, meine Freundin, komm mit, meine Schöne! Der Winter ist um, es regnet nicht mehr! Schon sprießen die Blumen, schon klingen die Lieder, die Turteltaube ruft wieder im Land! ... Steh auf, meine Freundin, komm mit, meine Schöne! ... Zeig dein Gesicht, lass deine Stimme mich hören. Süß ist ihr Ton, lieb dein Gesicht!
Mein Freund ist der Meine, und ich bin die Seine! ... Komm nun, mein Freund, gazellenschnell komm, flink wie ein Junghirsch auf duftenden Bergen!
Du bist schön, meine Freundin. Ja du bist schön, deine Augen hinter dem Schleier sind Tauben! Deine Haare sind Ziegen, die an den Hängen des Gilead ziehen! Deine Zähne sind Schafe, die frisch geschoren und frisch gewaschen der Schwemme entsteigen. Keinem der Zähne fehlt sein Gegenüber, keiner von ihnen hat einen Makel! Deine Lippen sind purpurne Bänder an deinem herrlichen Mund! Gut tut deine Liebe, ja, Schwester Braut, mehr als den Wein lieb" ich es, wenn du mich liebst! Gut tut dein Duft, besser einzuatmen als Balsamduft! ... Dein Mund fließt von Milch und Honig! ...
Mein Freund ist mein, und ich bin sein! Nach mir steht sein Verlangen!
Ich lag des Nachts in meinem Bett und begann den, zu dem mich mein Herz zieht, zu suchen! Ich suchte ihn, und er war nicht da! Da verließ ich mein Bett und durchsuchte die Stadt, um auf allen Plätzen nach ihm, zu dem mich mein Herz zieht, zu sehen! Ich suchte ihn, und er war nicht da!
Die Wächter der Stadt trafen mich an beim nächtlichen Rundgang: Habt ihr ihn, zu dem mich mein Herz zieht, gesehen? Kaum war ich vorbei an den Wächtern der Stadt, da habe ich den, zu dem mich mein Herz zieht, gefunden! Ich packte ihn fest, ich ließ Ihn nicht los und zog ihn mit mir ins Haus meiner Mutter! Ins Haus meiner Mutter habe ich den, zu dem mich mein Herz zieht, gezogen!
Komm mit, mein Freund, gehen wir aufs Land, wandern wir über die Felder! Das Nachtlager machen wir uns am Rande der Dörfer, und wenn"s wieder tagt, wollen wir gleich in die Weinberge gehen, den Weinstock zu sehn, ob er schon austreibt, die Rebknospe, ob sie schon offen steht, die Granatbäume, ob sie schon blühen.
Dort geb" ich mich dann, Liebster, dir hin!
Töchter Jerusalems, bei Hirsch und Gazelle lasst euch beschwören: Seid nicht zu rasch und weckt mir die Liebe nicht auf, ehe sie nicht von selber erwacht!
Mach mich zum Siegel auf deinem Herzen, steck mich als Siegelring an deine Hand!
Stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft mächtig wie die Unterwelt. Die Gluten der Liebe sind feurige Gluten, mächtige Brände! Selbst Wassermassen können die Liebe nicht löschen, selbst Ströme töten sie nicht!
Mit dem Hohenlied hören wir ein altes Liebeslied der Bibel, genauer: Lieder Liebender aus dem alten Orient. Doch wie hören wir heute, wie Menschen in grauer Vorzeit einander liebend begegneten und andere an ihrer Liebe teilhaben ließen? Wie lesen oder hören wir diesen biblischen Text und was könnte er uns sagen, wozu uns anregen? Wir haben es mit Sprache und Texten zu tun, die - sollen sie sinnvoll für uns werden - nach Interpretation verlangen.
"Durch Auslegung, Unterlegung, Überlegung schafft sich, bemerken wir, jeder und jede Lesende ein je eigenes Liebeslied aus dem Hohenlied der Liebe. Dieses Nachdichten im Eigenen über den schönen Umweg des Dichtwerkes ist es, das sogar älteste Poesie jung und lebendig erhält. Die Wahrheit des Hohenliedes darf somit durchaus als ewige gelten, soweit die Liebe als solche darin gepriesen wird. Die Liebe wird aber immer nur erfahren durch wirkliche Personen, will sagen Liebhaberinnen und Liebhaber aus Fleisch und Blut." [1]
Wer sich in das Hohelied hineinhört und hineinfühlt, der hört, wie hier zwei junge Menschen ihr "Herz auf die Zunge legen". Die überbordende Freude aneinander läßt sie zu Poeten werden, zu Botschaftern einer zärtlichen Liebe. Die Sprache des Hohenliedes ist bildreich und spielerisch, fast könnte man glauben, dass sie unernst gemeint sei. Hören wir noch einmal hinein in dieses Lied:
Komm, küss mich und leg deinen Mund auf den meinen, mehr
als den Wein lieb' ich es, wenn du mich liebst ... (Hl, 1,2f)Sonst trag' ich Myrrhe zwischen den Brüsten, heut' ruht mein
Freund an meinem Busen"... (Hl 1,13f)Ein Apfelbaum mitten im Wald, das ist mein Freund, mitten
unter den Männern ... (Hl 2,2f)Wer ist sie, die glänzt wie das Morgenrot?
Wer ist sie, die strahlt wie der Mond?
Wer ist sie, die scheint wie die Sonne? (Hl, 6,10)
Aber es ist nicht einfach ein Lied der Liebe, eine kluge Analyse, die wir hier zu hören bekommen, sondern, es wird all das zum Ausdruck gebracht, was an Wünschen und Sehnsüchten bei diesen jungen Leuten gewachsen ist und nun liebend einander bekannt wird.
Wir lauschen aus der zeitlichen und räumlichen Ferne. Ja, es wäre geradezu indiskret, würden wir das traute Gespräch Liebender belauschen. Es gibt Gespräche, die gehören einem selbst und allein dem Menschen, mit dem man sie teilt. Beim Hohenlied ist es etwas anderes:
"Die Sänger, die Dichter, die Akteure und die damaligen Hörer dieser Lieder sind längst tot. Kein Name ist mehr bekannt, kein Ort, kaum die Zeit. Lebendig sind die Lieder und lebendig ist die Botschaft - weil die Menschheit hoffen kann, solange Menschen die Liebe wagen." [2]
Es ist zu vermuten, dass diese Lieder aus unterschiedlichen Lebensräumen stammen. So hören wir ja Textfragmente aus dem bäuerlichen Leben, wie aber auch aus der Jerusalemer Stadtkultur. Doch auch die Entstehungszeit ist nicht mehr eindeutig festzumachen. Vermutlich entstanden diese Liedteile im 3. oder 4. Jahrhundert vor Christus. Teile des Liedes dürften aber sehr viel älter sein.
Mit dem König Salomo - dem das Hohelied zugeordnet ist - werden die beiden Liebenden nur wenig zu tun gehabt haben, denn Salomo lebte ja sehr viel früher (um 930 v.Chr.). Doch gerade dieser König stand ja für Weisheit und Liebe, so soll er rund tausend Frauen gehabt haben, und Heiraten gehörten zu seiner Friedenspolitik. Und so unterstellte man gerade diese Texte seiner Autorität. Dagegen wissen wir, dass das Hohelied - nach heftigen Diskussionen - schon bald in den Kanon biblischer Schriften aufgenommen wurde. Heute hat es seinen besonderen Platz in der jüdischen Religiosität, da es gerade zum Passah-Fest gelesen wird.
Sieht man von der ungewöhnlich erotischen Dichtung in der Bibel einmal ab, so verwundert weiteres: Das Hohelied ist das einzige Buch der Bibel, in dem Gott nicht ausdrücklich vorkommt. Dies stellte die Interpreten - wie wir noch sehen werden - vor schwierige Überlegungen.
Es gibt eine ganze Reihe von Interpretationen, die für dieses kleine Büchlein denkbar sind und auch Sinn machen. Nur einige wenige sollen angedeutet werden, wobei ich hier sinngemäß der Zusammenfassung von Peter Paul Kaspar folge. Dabei übernehmen die Ausleger in der Regel die allegorische (= Bild- oder Gleichnisrede) Deutung und Auslegung dieser Texte:
Helmut Gollwitzer fasst für mich alle Auslegungsmodelle sehr treffend zusammen: Das Nebeneinander von historisch-menschlicher und allegorischer Deutung kann uns ein Hinweis sein auf die Mehr-Dimensionalität des biblischen Wortes: Alles steht hier in mehrfachem Bezug, im horizontalen wie im vertikalen; alles bewegt sich zwischen Mensch und Mensch und zugleich zwischen Gott und Menschen, und deshalb tut sich hinter allem, was wir schon verstanden haben, immer noch eine neue Dimension von Bedeutung auf. [4]
In jedem Fall ist das Hohelied darum zu Recht ein Buch der Bibel, weil hier etwas besungen wird, was unendlich viel mit Gott zu tun hat: der Liebe. Die Bibel als Sammlung einzelner und sehr unterschiedlicher Texte, leistet es sich, einen wichtigen Text in sich zu haben, in dem es scheinbar vordergründig nicht um Gott (!) geht und zu dem um Liebende, die unverheiratet (!) miteinander auch sexuell verkehren, ohne dass dies moralisch gewertet oder gar verurteilt wird.
Komm mit, mein Freund,
gehn wir aufs Land,
wandern wir über die Felder!
Das Nachtlager machen wir uns
am Rande der Dörfer ...,
dort geb' ich mich dann,
Liebster, dir hin!
(Hl, 7, 12+13)
Religion und Moral werden hier - gegen vielfaches Unverständnis - umgedeutet. Dies aber muss auch für uns heute Konsequenzen haben. Dennoch ist unstrittig, dass auch der Gott des Alten Testamentes ein Gott der Liebe ist. Der Satz: "Du wirst deinen Nächsten lieben wie dich selbst, denn ich bin der Herr ..." kann in der Umkehrung durchaus so verstanden werden: "Weil ich der Herr bin, wirst und kannst du deinen Nächsten lieben wie dich selbst ..." Hier wird Gott selbst zum Grundton der Liebe.
Diese Auffassung korrespondiert mit dem berühmten Hohenlied der Liebe im Neuen Testament, das ja in den Worten gipfelt: "Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, doch die Liebe ist die größte unter ihnen." (1. Kor. 13,13). Dabei ist erstaunlich, dass auch im neutestamentlichen Hohenlied der Liebe Gott formal nicht erwähnt ist, eben weil "Gott die Liebe ist" (1. Joh. 4,16b), der sich in und aus der Liebe heraus äußert.
Aus diesem Geist heraus wird Gott verstanden, und so darf es biblische Texte geben, die es einfach nicht nötig haben, diesen Gott nochmals besonders zu erwähnen, der aber dennoch aus jeder Zeile spricht.
Es bleibt festzuhalten, dass das Hohelied wohl darum in der Vergangenheit kaum Beachtung fand, weil das Christentum von seiner leib- und sexualfeindlichen Prägung her, kein Interesse an dieser erotischen Dichtung der Bibel finden konnte. "Immerhin läuft so manches in diesem Text auf eine voreheliche Beziehung, eine unbefangene Erotik und ein Lob der sexuellen Lust hinaus ..." [5]
Umgekehrt wird aber gerade dadurch auch verständlich, weshalb das Hohelied auf die Leser oft beunruhigend wirkte. Die einen stören sich an der Sinnlichkeit der Lieder dieser Liebenden, andere reduzieren den Text verkürzend auf Aussagen über die Sexualität. Eva-Maria Alves hält fest:
"Wir spüren zugleich Anziehungskraft und Gefahr für unser innerliches Gleichgewicht. Was uns in einem Text anzieht, ist meist gerade das, was wir in etwa bereits aus uns selbst kennen. Es ist das ästhetische Wiederfinden eines großen Gefühls, das uns, wie die Psychoanalytiker deuten, in wundersamen Rausch versetzt ...Es ist nicht ausschließlich unser eigenes Erleben, dem wir nachgehen oder nachgeben, sondern es ist eine soziale Handlung. Im Erleben der Gemeinsamkeit fühlt sich der Einsame aufgehoben und erhoben. So vermag durch veröffentlichte Poesie - wie im Hohenlied - aus Minnedienst sogar Gottesdienst werden. Auf diese Weise wird das gesungene und gesagte Wort zum Überwort. Das Hohelied ist entsprechend also nicht nur ein pastoral - weltliches Einsprengsel im Gotteswort der Bibel. Es ist darüber hinaus eines der beunruhigensten Kapitel darin ..." [6]
Interessant und brisant zugleich ermutigt es uns, unser Verständnis von der Liebe in Ehe und Partnerschaft zu überdenken.
"Die Liebe ein sterbender Gott?", so fragt der Theologe Hans-Eckehard Bahr. [7] Und mit dem Aufmacher "Dauerhaft ist nur die Trennung", wurde einmal im Spiegel über den Zerfall stabiler Beziehungen nachgedacht. [8]
Es ist keine Frage, dass in den letzten Jahrzehnten bisher scheinbar feste Grundstrukturen unserer Gesellschaft ins Wanken geraten sind, kritisch hinterfragt werden und an selbstverständlicher Gültigkeit verlieren.
Diese Entwicklung ist historisch absehbar. Bedingt durch die Aufklärung, verlorene Kriege, unterschiedlichste Gesellschaftssysteme, die zu ertragen, zu überleben oder auch neu zu gestalten waren, - eine radikale Zunahme der Massenmedien mit allen Möglichkeiten auch einer modernen Werbung, sowie einer unglaublichen Beschleunigung der technologischen Entwicklung, musste unser gesellschaftliches Gefüge erschüttert werden. Davon konnte Ehe und Familie nicht ausgenommen bleiben. Die Sozialforscher sprechen von einer "Singularisierung", einem Trend zur Vereinzelung, den wir heute festzustellen haben. Die Folge ist ein Mehr an Freiheit, doch auch an Vereinsamung und Fremdheit. [9]
Dabei ist der Wunsch nach stabilen, verbindlichen und festen Partnerschaftsformen nach wie vor sehr groß, doch es gelingt heute nur noch schwer, sie auch zu leben.
Gründe hierfür liegen für die Fachleute z.T. im "Wertewandel der letzten Jahrzehnte, insbesondere der mit der Ehe verknüpften geschlechtsspezifischen Erwartungen, die Säkularisierung der Ehe und die Liberalisierung der Sexualmoral, der allgemein gestiegene Wohlstand, der "teure" Wohnformen in Einzelwohnungen erlaubt, die zunehmende Verstädterung und die steigenden beruflichen Anforderungen an Mobilität, zunehmende Individualisierung und ein allgemeiner politischer Institutionsprotest - ein Sammelsurium also von sozialpsychologischen, moralischen, wirtschaftlichen und politischen Beweggründen oder Voraussetzungen ..." [10]
Es ist für alle Fachleute zu sehen, dass die Einbindung in stabile soziale, also auch familiäre Netze abgenommen hat, dies führt dazu, dass "außerfamiliäre Lebensformen" gesucht werden. Die Geburtenrate ist in der Bundesrepublik inzwischen besorgniserregend gesunken. Man stelle sich für eine Familie einmal vor, was es bedeutet, wenn ein Einzelkind wieder nur ein Einzelkind heiratet und aus dieser Ehe wieder nur ein Kind hervorgeht. Familie im klassischen Sinn ist dann nicht mehr erfahrbar.
Dabei sind die Erwartungen an eine Ehe überaus hoch. Noch nie in der Geschichte des Menschen konnten Ehebeziehungen allein auf Emotionen aufgebaut werden. Auf diese Weise wurde die Ehe von vorneherein emotional überfrachtet und dem Scheitern ausgeliefert. Die Folge ist die Einsicht, dass Partnerschaft auch in anderen lebensgemeinschaftslichen Formen erlebt werden kann. Relativ stabil in ihren Bindungen für die Zeit ihrer Dauer, doch schneller wechselnd bei Zunahme einer inneren Distanz.
Hans-Eckehard Bahr stellt m.E. zutreffend zu dieser Entwicklung fest: "Nicht wenige Therapeuten warnen heute vor der romantischen Überforderung der Liebe, vor dem Beibehalten der Sehnsüchte. Ich denke, es wird Zeit, gerade die Unterforderung zu befürchten, das Kleinbeigeben, das Aufgeben der Sehnsucht und damit das Aufgeben der Kraft, die Visionen zu realisieren. Wer nicht hofft, wird dem Unverhofften nie begegnen." [11]
Der Hamburger Sexualwissenschaftler Gunter Schmidt unterscheidet zwischen der traditionell negativ verstandenen "Sexualmoral" (z.B.: Voreheliche oder außereheliche Sexualität, wie aber auch diverse sexuelle Praktiken, die außerhalb gesellschaftlicher Normen liegen) und einer "Verhandlungsmoral". Dabei ist von Belang, dass alles, was innerhalb der Sexualität geschieht, "ausgehandelt" wird. [19]
Erreicht wird positiv damit, dass sexuelle Übergriffe, wie Missverständnisse vermieden werden können. Die Sexualität würde damit einem durchaus oft fraglichem Sündenverständnis aus ersichtlichen Gründen entzogen. Doch eine solche Rationalisierung führt dazu, dass so etwas wie eine durchaus positiv zu verstehende "Erotik" oder gar "Zärtlichkeit" auf der Strecke bleiben.
Bei meinen Überlegungen stieß ich auf eine Abhandlung der amerikanischen Verhaltensforscherin Helen E. Fisher. Sie setzt sich in einem Artikel "Das ist die Liebe der Nomaden" gerade mit unserem Thema auseinander. [12] Ihre Überlegungen sind daher in diesem Zusammenhang nachdenkenswert:
Die "Hausfrau und Mutter" war offenbar eine nur vorübergehende gesellschaftliche Erscheinung, die sich mit unserem biologischen Erbe nicht gut verträgt. Bei unseren nomadischen Vorfahren jedenfalls waren Mann und Frau über Jahrtausende gleichberechtigt und "Doppelverdiener". Monogam (also in einer Einehe) lebten die Paare meist nur eine Zeitlang - dann versuchte man es mit neuen Lebensgefährten. Vieles spricht dafür, dass wir zu diesen Wurzeln der Partnerschaft zurückkehren.
Am auffallendsten ist, dass die Scheidungen in der Regel frühzeitig erfolgen - die Häufigkeit erreicht im oder um das vierte Ehejahr ihren Höhepunkt und nimmt dann mit wachsender Zahl der Ehejahre allmählich ab. Das Auseinanderbrechen von Ehen vollzieht sich in allen Kulturen nach dem gleichen Muster. Fisher fragt: Ist die Vier-Jahres-Marke etwa eine Art Sollbruchstelle menschlicher Paarbindung? Man würde erwarten, dass Eheleute einander mit zunehmendem Alter langweiliger finden und satt bekommen oder dass sie aus der Ehe ausscheren, wenn die Kinder beruflich selbständig sind oder studieren. Doch das trifft nicht zu. Statt dessen lassen sich Männer und Frauen mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit sehr viel früher scheiden - auf dem Höhepunkt ihrer Fortpflanzungsfähigkeit und ihrer Elternrolle.
Um in der Frühzeit der Menschheit zu überleben, mussten unsere Ahnen, die vom Sammeln und von erbeutetem Aas lebten, immer weiterziehen; Nüsse, Beeren, Früchte und Fleisch waren über die Savanne verstreut. Ein Nomade konnte nicht genügend Vorräte zusammentragen oder verteidigen, um sich einen Harem anzulegen ... Unter normalen Umständen konnte Polygamie (= Vielehe) nicht funktionieren. Mit einer Frau allein konnte der Mann jedoch allein weiterziehen, konnte sie während der Zeit ihrer Fruchtbarkeit gegen Mitbewerber abschirmen und ihr bei der Aufzucht der Kinder helfen.
Die Frau befand sich in einer noch größeren Zwangslage. Als unsere Vorfahren von vier Beinen auf zwei wechselten, wurden die Kinder zur Last, die buchstäblich zu tragen war. Dies schränkte die Bewegungs- und Fluchtmöglichkeiten ein und erhöhte das Schutzbedürfnis. Da also die Paarbildung für die Frauen zur einzigen und für die Männer zur brauchbaren Möglichkeit wurde, bildete sich die Monogamie heraus. Ihre Theorie lautet daher:
Die Paarbildung des Menschen bestand ursprünglich nur so lange, bis ein Einzelkind die Kleinkindphase beendet hatte, nämlich vier Jahre, es sei denn, es kam zu einer zweiten Schwangerschaft. Und sie führt u.a. weiter aus: Kein Werkzeug in der Geschichte der Menschheit hat sich so verheerend auf das Verhältnis von Mann und Frau ausgewirkt und die Verhaltensmuster von Liebe und Sex so nachhaltig verändert, wie der Pflug. Bei Völkern, die das Feld nur mit einer Hacke bearbeiten, erledigen Frauen das Gros der Arbeit ...
Aber mit der Erfindung des Pfluges, dessen Handhabung mehr Kraft erforderte, wurde die Feldarbeit vor allem Männersache. Die Frau verlor ihre Rolle als gleichberechtigte Nahrungsbeschafferin ...
These: Erst mit der industriellen Revolution, als Fabriken hinter den Scheunen des landwirtschaftlichen Europa und Amerika auftauchten, begannen Männer und Frauen ihre Unabhängigkeit zurückzugewinnen. Das Muster von Sex und Liebe pendelt seither wieder zurück - in die Zeit unserer nomadischen Vorfahren ...
Wir halten demnach für uns einmal fest, dass die Entwicklung, die wir heute im Zusammenhang von Ehe und unterschiedlichen Partnerschaftsformen vorfinden, entwicklungsgeschichtlich bereits bei unseren Vorfahren anzutreffen war.
Ein wenig provokant ist jetzt zu fragen: Waren Adam und Eva verheiratet? Wer hat sie getraut? Waren Kain und Abel legitime, außereheliche oder voreheliche Söhne?
Nun, wir können gleich beruhigt aufatmen, denn Adam und Eva waren natürlich keine historischen Menschen. Schon ihre Namen weisen ja darauf hin, dass an diesen beiden Menschen etwas für den Menschen Wichtiges und Wesentliches schöpfungstheologisch deutlich gemacht werden sollte:
Adam heißt im hebräischen schlicht "Mensch". Der Name wird oft auch für die "Menschheit" verwandt. "Der Zusammenhang des Namens, mit dem hebräischen Wort "adama" Erde, ist erwägenswert." [13] Das würde mit dem biblischen Gedanken korrespondieren: "Du, Adam, bist Erde und wirst wieder zu Erde werden ..." (Genesis 3, 19) Eva bedeutet "lebend" (hebräisch: chaj, nach Genesis 3,20). Sie ist also die Mutter all dessen, was lebt.
Schon die beiden Namen sind Teil einer großen Theologie der Schöpfung. Doch es wird in den ersten Kapiteln der Bibel mehr ausgesagt: Adam und Eva stehen für den Menschen schlechthin, also nicht für ein isoliertes erstes Menschenpaar. Gott schafft sich den Menschen (Adam) als Gegenüber. Zunächst gibt es - allem Unsinn zum Trotz, der immer wieder behauptet wird - also nicht den biologischen Mann, sondern eben einen Menschen. Erst, indem "Eva" als ein Mensch hinzukommt, der die Fähigkeit besitzt, zu gebären, wird aus dem Menschen Adam, der Mann. Mann und Frau entstehen von Gott aus geschlechtlich also im gleichen Augenblick.
Mit diesem Menschenpaar wird ausgedrückt, dass Gott die Einsamkeit aufhebt, ja für nicht lebensfähig hält. Partnerschaft und Gemeinschaft ist - gegen alle Einsamkeit - gewollt. Da auch Mann und Frau unter den Vorhalt Gottes fallen, dass alles, was ER geschaffen hat, "gut" ist (also zu dem dient, wozu es erschaffen wurde!), bleibt festzuhalten, dass hierzu eben auch die Geschlechtlichkeit des Menschen gehört. Wollte Gott aber den Menschen in zwei Geschlechtern und nicht allein in einem, so ist zwangsläufig auch die menschliche Sexualität von Gott aus gewollt und bejaht. Der Mensch darf Freude an ihr haben, ohne sie vorschnell zu tabuisieren.
"Und sie werden ein Fleisch sein ..." (Genesis 2, 24): Hier wird in unmissverständlicher Deutlichkeit von einem Menschenpaar, das sich seiner Triebe bewusst ist und diese auch auslebt, gesprochen.
Von einer Ehe in unserem Sinne, wie es oft verstanden wird, wird hier auf den ersten Seiten der Bibel nirgendwo geredet. Es geht in der biblischen Aussage zunächst einmal um ein Menschen-Paar, das einander in einer bestimmten Weise zugeordnet ist. Die Leib- und Sexualfeindlichkeit in großen Teilen unserer zivilisierten Gesellschaften haben andere Ursachen und können sich dabei jedenfalls nicht vorschnell auf Gott oder das biblische Wort berufen.
Nicht nur für den theologischen Laien, sondern leider auch für viele Theologen ist die "Institution Ehe" in der theoretischen Reflexion, wie in der Tradition unserer Eheauffassung, ungebührlich hypostasiert worden. Man verklärt unsere Auffassung der Ehe, ohne sich bewusst zu sein, dass es auch ganz andere, durchaus funktionierende Eheformen gab und gibt.
Vor allem die Berufung auf die Bibel und Gott gehen so schlicht und einfach nicht auf, ja sind durchaus fragwürdig. Bis hinein in die Liturgie zur Eheschließung. In der Agende III zur kirchlichen Trauung werden Texte vorgegeben, die eben nur scheinbar Aussagen zur Ehe selbst machen, vielmehr geht es um den Menschen in seiner Zweisamkeit (1.Mose 2,18), es geht weiter um eine Abgrenzung der Scheidung gegenüber, die wirklich nur im Ausnahmefall neutestamentlich legitimiert wird (Matth.19, 4-9), und es geht um die Liebe (Kol.3,12-15a). Hiermit werden somit Vorstellungen sanktioniert, die eben nicht einfach auf die Ehe zu übertragen sind.
Worum geht es bei diesen Überlegungen? Es geht darum, zu erkennen, dass nach biblischer Auffassung die Frage einer Eheform seitens des Staates mit seiner Ordnung zu entscheiden ist. Eine Entscheidung über die Rechtsform der Ehe gehört in die Welt hinein und muss darum auch in der Welt entschieden werden. Dagegen muss nun allerdings auch festgehalten werden, dass beim Propheten Hosea im Alten Testament immerhin das Bild der Ehe für das Verhältnis von Gott und Israel steht. Paulus übernimmt im Neuen Testament dieses Bild für das Verhältnis von Christus zu seiner Gemeinde, wodurch die Ehe schon in der Bibel in besonderer Weise ihre herausragende Würde erhält.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat daher aus gutem Grund festgehalten: "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung." (Grundgesetz, Artikel 6,1) Unter das Gebot Gottes fällt allerdings, dass diese Ordnungen auch respektiert und eingehalten werden. Zu diesem Zweck dient ja auch das 5. Gebot: "Du wirst die Ehe nicht brechen!" (Exodus 20,14) Dann nämlich nicht, wenn dir deine Beziehung zu deinem Gott (und daher auch der Mitmensch) wichtig ist. So ist die Ehe als Einehe in unserer Gesellschaft historisch gewachsen und nun durch den dazu legitimierten Gesetzgeber geschützt.
Das Gebot gegen den Ehebruch galt ja auch schon für Salomo, dem 1000 Frauen zugesagt werden. Diese waren legitime Ehe-Frauen, da er mit seinen Eheschließungen eben nicht in bestehende Ehen eingebrochen ist.
David dagegen bricht mit der schönen, jungen Nachbarin Bathseba deren bestehende Ehe mit ihrem Mann Uria (2.Samuel, 11), was zur Bestrafung durch Nathan führt.
Dem Scheitern einer Ehe wird heute schon dadurch seelsorgerisch Rechnung getragen, dass gottesdienstliche Trennungsrituale angeboten werden. [20]
Für Martin Luther (und seine Zeit) war die Trauung vor und die Segnung in der Kirche eine freiwillige Handlung des Paares. Erst durch die Einführung der Zivilehe - in Preußen 1874 - wird die Trauung wieder zu einer rein kirchlichen Feier.
Der bekannte Schweizer Theologe Karl Barth hält in seiner groß angelegten, 13-bändigen, Kirchlichen Dogmatik fest: "Es ist nämlich im Alten Testament so, dass einerseits die Vielehe offenbar bedenkenlos und auch ohne dass ihr durch das Gesetz und die Propheten direkt widersprochen wurde, gelebt wurde ...
Und es ist im Neuen Testament so, dass die Vielehe faktisch wie auf einen Schlag verschwunden scheint, dass alle von der Ehe handelnden Stellen sich mit großer Selbstverständlichkeit auf das Verhältnis je eines Mannes und einer Frau zu beziehen scheinen, dass man aber andererseits kaum auf eine Stelle mit voller Gewissheit den Finger legen kann, in der die Vielehe ausdrücklich verboten, die Einehe allgemein geboten wäre ..." [14]
Und Dietrich Bonhoeffer schreibt aus seiner Gefängniszelle heraus 1943 eine Traupredigt, in der er sehr deutlich macht, wie eine Ehe heute auch für Christen aufzufassen ist:
"... Wenn alle Schwierigkeiten, Widerstände, Hindernisse, Zweifel und Bedenken - nicht in den Wind geschlagen, aber ehrlich ausgestanden und überwunden sind - und es ist sicher gut, wenn nicht alles gar zu selbstverständlich geht -, dann haben die beiden in der Tat den entscheidenden Triumph ihres Lebens errungen. Mit dem Ja, das sie zueinander gesprochen haben, haben sie ihrem ganzen Leben in freier Entscheidung eine neue Wendung gegeben ...
Es ist nicht gut, hier allzu schnell und ergeben von Gottes Willen und Führung zu reden. Es ist zunächst einfach und nicht zu übersehen euer ganz und gar menschlicher Wille, der hier am Werk ist und der hier seinen Triumph feiert; es ist zunächst durchaus euer selbst gewählter Weg, den ihr beschreitet; es ist auch nicht in erster Linie ein frommes, sondern ein durch und durch weltliches Ding, das ihr getan habt und tut. Darum tragt auch ihr selbst und allein die Verantwortung dafür ... Es wäre eine Flucht in falsche Frömmigkeit, wenn ihr nicht heute zu sagen wagtet: Es ist unser Wille, es ist unsere Liebe, es ist unser Weg ..." [15]
Wir sehen, dass unsere Auffassung von Trauung und Ehe durchaus in unsere Verantwortung hineingehört - gerade, da wir sie ja als eine Liebesbeziehung zweier Menschen zueinander verstehen. Doch woher nun das Missverständnis? Ich zitiere noch einmal Hans Eckhard Bahr: "Kirchliche Lehre hatte jahrundertelang die angebliche Überlegenheit der Agape gegenüber dem Eros behauptet, die Agape als gottgegeben und selbstlos definiert und den Eros als unrein, lüstern und egoistisch."
Das katholische Mittelalter behauptete dann - auf der Basis jener leibfeindlichen Trennung - die abendländisch-westliche Form der Ehe als Satzung Gottes, ja als Sakrament, was sich zwar, wie dargelegt, kaum biblisch, dafür aber durch eine absichtsvolle Theologie der Kirche und ihrer Auffassung von Moral begründen lässt.
"Als von Gott gegebene Lebensgemeinschaft ist die Ehe der Verfügung durch Staat und Gesellschaft entzogen", erklärt noch 1985 auch die Kirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Mit dieser sakramentalisierenden Haltung fällt die EKD-Kirchenkonferenz beträchtlich hinter die Auffassung der Reformation zurück. Martin Luther hatte ja seinerseits energisch gegenüber der klerikalen Besetzung der weltlichen Institution Ehe durch die Herrschaftskirche seinerzeit festgehalten: "dass die Ehe ein äußerlich weltlich Ding ist, wie Kleider und Speise, Haus und Hof, weltlicher Obrigkeit unterworfen ..." [16]
Gerade die Lektüre des Hohenliedes und das theologische Wissen, um biblische Aussagen, können heute dazu beitragen, die Ehe und unterschiedliche Partnerschaftsformen kritisch zu reflektieren. Es kann ja nicht darum gehen, die Ehe nur darum in Frage zu stellen, weil sie zur Zeit einer scheinbaren Krise unterliegt. Dennoch müssen parallel zur Ehe auch andere Partnerschaftsformen denkbar und erlaubt sein.
Bereits 1971 wird in der "Denkschrift zu Fragen der Sexualethik" seitens der EKD festgestellt:
Gegenwärtig werden geschlechtliche Beziehungen vor der Ehe - wenn auch unter bestimmten Vorbehalten - in der Gesellschaft gebilligt. Die Kirche steht vor der Frage, wie sie sich zu dieser Tatsache stellen soll. In der christlichen Ethik herrscht die einhellige Überzeugung, dass volle geschlechtliche Partnerschaft ihren Ort in der Ehe hat. Doch wird die Notwendigkeit anerkannt, sexuelle Entwicklungsprozesse differenziert zu sehen. Daher wird Geschlechtsverkehr verlobter oder fest befreundeter Paare in einer ganzheitlich-personalen Beziehung, die mit der Absicht auf Dauer verbunden ist, grundsätzlich anders gesehen als das Ausprobieren mit wechselnden Partnern. [17]
Diese offizielle Auffassung der EKD ist gegenüber der oben zitierten Auffassung der Kirchenkonferenz der EKD hilfreich, eröffnet sie doch Möglichkeiten, auch andere Partnerschaftsformen neben der Ehe andenken und evtl. sogar akzeptieren zu können, zumindest ohne fragwürdige moralische Wertungen. Dies betrifft inzwischen sogar die Haltung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften gegenüber, die in manchen Landeskirchen bereits, einer kirchlichen Trauung vergleichbar, doch nicht identisch, gesegnet werden können. Als "eingetragene Lebensgemeinschaften" sind sie ja inzwischen vom Gesetzgeber akzeptiert, auch wenn höchstrichterliche Entscheidungen noch ausstehen.
Ich glaube, dass die Ehe weiterhin Bestand haben wird. Wir werden uns aber zunehmend und ruhig darauf einstellen können, dass es neben der Ehe auch andere Partnerschaftsformen geben wird und dass dennoch gerade die Ehe in unserer Gesellschaft die Partnerschaftsform schlechthin bleiben wird. Ernst zu nehmende und verbindlich verstandene Partnerschaftsformen sind moralisch nicht negativ zu werten. Sie sind legitime Formen für das menschliche Zusammenleben, die wie die Ehe selbst, immer wieder neu ethisch zu reflektieren sein werden.
Verwirft die Bibel die Homosexualität an einigen Stellen mit harschen Worten (z.B.: 3. Mose 18, 22: "Kein Mann darf mit einem anderen Mann geschlechtlich verkehren; denn das verabscheue ich.") so darum, weil sie eine ganz andere, nämlich eine von Abhängigkeit und nicht von frei entschiedener Liebe vor Augen hat. Diese Erkenntnis wird heute mitbedacht und ethisch neu bewertet:
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat zum Thema Homosexualität 1996 eine Orientierungshilfe unter dem Titel "Mit Spannungen leben" vorgelegt. Darin wird festgehalten, "dass es keine biblischen Aussagen gibt, die Homosexualität in eine positive Beziehung zum Willen Gottes setzen - im Gegenteil" (s. [21]).
Die Orientierungshilfe hat gleichwohl vom Liebesgebot als dem Inbegriff des Willens Gottes her die Aufgabe der ethischen Gestaltung einer homosexuellen Beziehung bejaht: "Denjenigen, denen das Charisma sexueller Enthaltsamkeit nicht gegeben ist, ist zu einer vom Liebesgebot her gestalteten und damit ethisch verantworteten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft zu raten ..."" Und weiter heißt es:
"Die Tatsache neuer, über den Status quo hinausgehender rechtlicher Regelungen für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften stellt freilich für sich allein noch keine Schwächung und Aushöhlung der Institution Ehe dar. Denn Ehe und Familie können nicht das allgemeine, also für alle Menschen verbindliche und verpflichtende Leitbild für das menschliche Zusammenleben sein ... Aus der Sicht des evangelischen Glaubens und der evangelischen Ethik erscheint es aber durchaus vertretbar, sich für rechtliche Regelungen einzusetzen, die geeignet sind, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften als Verantwortungsgemeinschaften zu festigen ..." [21]
Dabei plädiert die Studie der EKD aber nachhaltig dafür, für neue, andere "Partnerschaftsformen" nicht den Begriff der "Ehe" zu verwenden, sondern andere zu wählen. Dies würde dann auch für den Begriff der "Trauung" gelten, wenngleich einer Segnung ernstgemeinter und auf Dauer angelegter Partnerschaften theologisch ernstlich kaum etwas entgegenstehen würde.
Auch wenn die Ehe in die Verantwortung des Menschen und ihre Formgebung in die des Staates gehört, so sind unsere Ehen eine dankbare Möglichkeit, der Liebe eine besondere Form zu geben. Sie wird immer eine Herausforderung bleiben, doch zugleich besondere Möglichkeiten bieten, das Leben gemeinsam zu erleben. Auf die eingangs mehr theoretisch gestellte Frage, "Ist die Ehe noch zu retten", würde ich die Antwort wagen, dass sie ernstlich gar nicht in Frage gestellt ist, wenngleich sie sich in Zukunft verstärkt anderen Partnerschaftsformen stellen muss. Im Entscheidenden geht es der Bibel um die Liebe, sie ist gar nicht hoch genug zu würdigen.
Wie hörten wir es eben am Ende des Hohenliedes:
Mach mich zum Siegel auf deinem Herzen,
steck mich als Siegelring an deine Hand!
Stark wie der Tod ist die Liebe,
die Leidenschaft mächtig wie die Unterwelt! [18]
Wer so singt, wer wollte da die Hoffnung aufgeben? Ich wünsche uns allen glückende Beziehungen und die Phantasie, der Ehe oder anderen Partnerschaftsformen eine Zukunft zu geben, denn: Stark wie der Tod ist die Liebe!
Weiterreichende Literatur:
Der Text des Hoheliedes, der verlesen und zu Grunde gelegt wurde, stammt aus: