Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes
gesagt haben ...
(Hebr. 13, 7)
Servire Deo est libertas
Hanns-Heinrich Schneider, Pfr.
Nieuwpoort (B), August 1998
Meinen Kindern Matthias und Maja
Collegium Borromaeum, Freiburg 1999/2000
Persönliche Anmerkung:
*) In meinem Vortrag folge ich dem Lebenslauf Karl Barths von E. Busch ohne weitere Hinweise auf Zitate. Diesem Werk sind auch die Bilder entnommen. Ihm, dem letzten Assistenten von Karl Barth, dem ich freundschaftlich verbunden bin, verdanke ich viele persönliche Hinweise zum Leben Karl Barths, wie aber auch Barths Tochter Franziska Zellweger-Barth und seinem Sohn Markus Barth. Viel erfahren habe ich auch von K. Barths Schüler, Helmut Gollwitzer, der mich ein wichtiges Stück im Leben begleitete. In einigen Gesprächen mit Marguerite Thurneysen, zu der meine Frau und ich in Basel Kontakt hielten, vervollständigten sich meine Informationen über K. Barth, sein Werk und ihn begleitende Persönlichkeiten.
Daneben beschäftigten uns die aktuellen Tagesthemen. In diese Zeit paßte für uns der Theologe Karl Barth nicht mehr, obgleich er uns als ein theologisches Fossil durchaus begleitete.
Viele Jahr später, längst ordiniert und mit einem Pfarramt betraut, lernte ich an der theologischen Fakultät der Universität Basel den ältesten Sohn Karl Barths kennen, den Neutestamentler Markus Barth. Ich belegte regelmäßig Vorlesungen bei ihm und Seminare und setzte mich nun erstmals ernsthaft und bewußt noch einmal mit dem Werk Karl Barths auseinander. Es ist ein Weg geworden, der sich über 20 Jahre hinstreckt und dessen Ende nicht abzusehen ist.
Warum Karl Barth? Die Antwort lautet: Weil man mit ihm nicht fertig wird, herausgefordert bleibt und wie kaum sonst in der Theologie auf das Zentrum aller Theologie verwiesen wird. So bleibt zu vermuten, dass der theologische Lehrer dieses Jahrhunderts, der schon zu Lebzeiten erlebte, ebenso in wie out zu sein, seine eigentliche Renaissance noch vor sich hat. Barth mutete sich anderen zu, er forderte und förderte. Für viele Weggefährten, Freunde, Schüler und Gegner war er eine Herausforderung, oft in seinen Positionen eine Zumutung, aber er wurde und wird gehört.
Karl Barths Werk ist abgeschlossen, doch es wird fortgeführt durch seine theologischen Schüler über die Zeit hinweg, durch Generationen hindurch, Grenzen sprengend und in sofern international und ökumenisch. Seine Theologie ist im 20. Jahrhundert formuliert worden, aber sie hat Zukunft. Die Antwort darauf, warum das so ist und sein wird, liegt im Leben und Werk dieses "Lehrers der Kirche". In seiner ersten Predigt sagt Karl Barth 1909:
Es kommt gerade für uns Theologen darauf an, dass wir all unser Handeln und Reden in unserem besonderen Beruf immer nur als einen Anfang ... betrachten, dessen Vollkommenheit in nichts anderem besteht als in der bleibenden Richtung auf das Ziel. Darum muß die erste Losung und die letzte für den Pfarrer und für die ganze Gemeinde sein, das Ziel im Auge zu behalten. Unser Anfang und unser Ziel ist aber Christus. [1]Mit diesem "Anfangen" lebt Karl Barth bis in die letzten Tage seines 82-jähigen Lebens. Auch darin ist und bleibt er ein Vorbild in einer Zeit, die nach Orientierungen und Werten gerade zu schreit, sich aber nur allzu gern weigert, sich gedanklich auf den Weg zu machen, Unsicherheit zu wagen, den Zweifel anzunehmen und damit der Geistlosigkeit zu wehren.
Unvergeßlich ist für ihn, als er seinen Vater
mit fünf, sechs Jahren einmal Klavierspielen
hört, es ist Mozart, ein kleines Stück aus
der Zauberflöte
"Tamino mein, o welch ein
Glück ...",
das sich ihm unauslöschlich einprägt.
Mozart
begleitet ihn nun bis an den letzten
Tag seines Lebens. Der Junge liest gern
und viel, und er schreibt Gedichte, Dramen,
historische Aufsätze. Seit seiner frühen
Jugend muß Karl Barth eine Brille tragen.
Ist seine Schrift zunächst groß und mit
breiter Feder geschrieben, so wird sie im
Laufe der Zeit immer kleiner und zierlicher.
1904 macht er sein Abitur. In der Rede,
die er zu halten hat, stellt er unverblümt
fest, wie ungern er zur Schule gegangen
ist.
2.2. Studium
Karl Barth beginnt in Bern zu studieren,
auch bei seinem Vater. Er schließt sich der
Studentenverbindung "Zofingia"
an. Hier wird er zum aktiven Biertrinker und vor
allem zu einem fröhlichen Pfeifenraucher
- auch dies bis zu seinem Lebensende. In
dieser Studentenverbindung lernt er
Eduard Thurneysen
kennen. Es beginnt eine lebenslange
Freundschaft, die ein späterer Schüler der
beiden,
Rudolf Bohren, in seinem Buch "Prophetie
und Seelsorge" einmal würdigen wird. Nicht
zu unterschätzen ist der Einfuß Thurneysens
auf das Lebenswerk Karl Barths.
Barth wechselt - auch auf Wunsch des Vaters, der das muntere Treiben seines Sohnes mißtrauisch beobachtet - mehrfach seine Studienorte.
So geht er nach Berlin, wo er den berühmten Adolf von Harnack hört. 1907 greift er jedoch wieder sein Studium in Bern auf, wo ihm seine erste große Liebe begegnet. Aber dem Willen beider Elternteile folgend, müssen die beiden sich trennen. Eine schmerzhafte Erinnerung bleibt ihm ...
Fritz Barth will seinem Sohn nun doch noch einmal eine anständige theologische Ausrichtung zukommen lassen, und so kommt Karl nach Tübingen, wo er u. a. auch Adolf Schlatter hört, um nach wenigen Semestern nach Marburg zu wechseln, wo er auf Wilhelm Herrmann stößt. Ihn bezeichnet Karl Barth als den Lehrer seiner Studienzeit. Am 4. November wird Karl Barth nach seinem Examen von seinem Vater im Berner Münster "konsekriert" ("ordiniert").
Für eine kurze Zeit geht Barth nach Marburg
zurück, wo er eine theologische Zeitschrift,
die "Christliche Welt" von Martin Rade redegiert.
In dieser Zeit lernt er
Rudolf Bultmann
kennen. Die beiden bleiben sich ihr Leben
lang - trotz unterschiedlicher theologischer
Standpunkte - freundschaftlich verbunden.
2.3. Vikar und Hilfspfarrer in Genf
Karl Barth wird 1909 Vikar, dann "Hilfsgeistlicher"
in
Genf. Große Aufmerksamkeit widmet er
schon damals seinen Predigtvorbereitungen,
die oft 16 (!) Seiten lang sind. Er sieht
sich selbst in jener Zeit als einen "Liberalen".
In seinen Konfirmandenstunden stößt er auf
die gleiche Unkenntnis und Unkirchlichkeit,
wie wir sie heute auch noch wahrnehmen.
In diese Zeit (1911) fällt seine Verlobung
mit der noch nicht ganz 18-jährigen
Nelly Hoffmann.
Sie gehört zu seinem ersten Konfirmandenjahrgang
und ist von ihm ein Jahr zuvor konfirmiert
worden. Karl Barth arbeitet über das, was
von ihm erwartet wird, hinaus, und setzt
sich auch weiterhin theologischen Fragen
aus, was dadurch erschwert wird, dass er
schon bald die Gemeinde allein zu versorgen
hat, da der Gemeindepfarrer die Stelle wechselt.
3. Safenwil (1911 - 1921)
3.1. Das Pfarramt
Das Leben Barths verändert sich schlagartig,
als er nun Pfarrer in der Arbeiter- und
Bauerngemeinde
Safenwil
im Aargau wird.
Der Ort hat zu jener Zeit 1625 Einwohner
mit 1487 evangelischen Christen. In seiner
Einführungspredigt drückt er seine Überzeugung
aus, "dass ich euch nicht von Gott rede,
weil ich einmal Pfarrer bin, sondern dass
ich Pfarrer bin, weil ich von Gott reden
muß, wenn ich mir selber, .., treu bleiben
will."
[2]
Viel Arbeit nimmt auch der 3 - 4 stündige
Konfirmandenunterricht in Anspruch, den
er gründlich vorbereitet. Verständlich,
dass einige Fabrikanten im Ort die Konfirmanden
lieber im Betrieb sehen, als beim Pfarrer
im Konfirmandenunterricht. So bekommt er
schon bald eine mächtige Opposition, als
er die Zahl der Konfirmandenstunden erhöht.
In seiner Funktion als Präsident der Schulpflege
führt er den Mädchensport ein.
3.2. Die politische Dimension
Nebenher hält er Vorträge im Arbeiterverein,
die große Beachtung finden. Dabei geht es
um Fragen der Arbeiterbewegung für die Barth
sich fürsorglich und engagiert einsetzt.
In seinem Vortrag "Jesus Christus und die
soziale Bewegung" führt er aus: "Der rechte
Sozialismus ist das rechte Christentum in
unserer Zeit, doch ist der rechte Sozialismus
nicht das, was die Sozialisten jetzt machen,
sondern was Jesus mache ... Und darum: Der
Geist, der vor Gott gilt, ist der soziale
Geist ..."
[3]
In dieser Zeit lernt Barth die beiden Begründer
der "Religiös-sozialen-Bewegung" der Schweiz
kennen:
Hermann Kutter
(1863-1931), er ist
Pfarrer am Neumünster in Zürich und
Leonhard Ragaz
(1868-1945), Pfarrer am Basler Münster.
Sein Kontakt zum "Religiösen Sozialismus"
ist für ihn in dieser Zeit wichtig, wenngleich
er immer gewisse Hemmungen beibehalten wird,
sich ganz mit ihm zu identifizieren.
Nur zweieinhalb Stunden von Safenwil entfernt,
wird Barths Freund Eduard Thurneysen Pfarrer.
Die Freundschaft der beiden vertieft sich
hier endgültig. Oft besucht man sich gegenseitig,
um sich über die Arbeit auszutauschen. Die
beiden bewegt die Theologie, die Situation
der Kirche, die politischen Ereignisse,
auf die in Predigten und Stellungnahmen
reagiert werden muß. Über 1000 Briefe (!)
haben die beiden im Laufe ihres Lebens gewechselt,
die später in mehreren Bänden publiziert
werden und die nun ein interessantes theologie-
und zeitgeschichtliches Dokument sind.
Rudolf Bohren schreibt in seinem Buch zu
dieser Freundschaft: "Mit dem Heiligen Geist
bekommen wir Freunde und mit den Freunden
Geist ... Das Gespräch ist der Geburtsort
aller Theologie ..."
[4]
An ihrem ethischen Versagen
zeigte sich, dass auch ihre exegetischen
und dogmatischen Voraussetzungen nicht in
Ordnung sein könnten ...
[5]
3.3. Ehe und Freundschaft
Im März 1913 heiratet Karl Barth Nelly Hoffmann
in der Nydeggkirche in Bern. Nelly ist sprachlich
und musisch begabt, verzichtet aber, wie
es damals oft geschieht, auf ein Musikstudium,
eine eigene berufliche Karriere. Sie begleitet
von nun an das lange, oft stürmische Leben
Karl Barths durch mancherlei Höhen und Tiefen.
1914 wird ihnen ihre Tochter Franziska geboren.
3.4. Die Krise
Am 1. August 1914 beginnt der erste Weltkrieg.
Mit Entsetzen nimmt Barth das Manifest von
93 deutschen Intellektuellen zur Kenntnis,
die öffentlich für die Kriegspolitik von
Kaiser Wilhelm II.
Stellung beziehen. Unter
dieser Erklärung findet er ebenfalls die
Namen seiner Berliner Lehrer, vor allem
den von Harnack.
Barth stellt rückblickend
dazu fest:
Ich habe eine Götterdämmerung
erlebt, als ich studierte, ... , wie Religion
und Wissenschaft sich restlos in 42 cm Kanonen
verwandelten ...
Doch Barth zweifelt nicht nur an seinen Lehrern,
sondern zugleich am europäischen Sozialismus,
dennoch - und das ist typisch für ihn -
tritt er gerade jetzt (1915) der Sozialdemokratie
bei. Seine Arbeiter im Ort nennen ihn ebenso
respekt-, wie liebevoll "Genosse Pfarrer!"
Barth erfährt Kirche, kirchliches Tun und
Theologie als höchst fragwürdig. Ihn stört
das "Tolleranzsüpplein" der Kirche, die
es nicht wagt, ihr eigenes Wort in dieser
Situation zu sagen. Erst die Kriegssituation
macht die Krise spürbar, in der man sich
unausweichlich gedanklich befindet. So sagt
er in Erkenntnis der Lage in seinem Vortrag
"Die Gerechtigkeit Gottes", der Furore macht:
"Es wird sich ... vor allem darum handeln,
dass wir Gott überhaupt wieder als Gott anerkennen
... Das ist eine Aufgabe, neben der alle
kulturellen, sozialen und patriotischen
Aufgaben ... (ein) Kinderspiel sind."
[6]
In einer Predigt stellt er fest: "Ein Pfarrer, der es den Leuten recht macht, ist ein falscher Prophet ...", und in einem Vortrag zur gleichen Zeit mit dem Titel: "Das Eine Notwendige": " Es sei bitter nötig, dass wir nun endlich, statt alles mögliche zu tun, mit dem Anfang anfangen und anerkennen, dass Gott Gott ist!" [7]
Um 1916 herum und angesichts der politischen, wie aber auch der theologischen und innerkirchlichen Situation spürt er, dass es in der Predigt noch ganz anders um Gott gehen muß. Die Gottesfrage ist für ihn nicht die Lösung des Problems, sondern zur ernsthaften Frage, ja Anfrage an seine Theologie geworden. Die "liberale" Theologie Schleiermachers und damit die des 19. Jahrhunderts kann keine Hilfe mehr sein. Diese Erkenntnis entfernt ihn zugleich immer weiter von den Religiös-Sozialen.
3.5. Der Römerbrief
Nach intensiven Gesprächen mit E. Thurneysen,
der gerade seine Frau Marguerite heiratet,
die sich gut mit Nelly Barth versteht, beginnt
er unter einem "Apfelbaum" sitzend, den
Römerbrief
neu zu studieren. Es wird eine
Entdeckung, die ihn in Atem hält. Die neuen
Erkenntnisse fließen sofort in seine Arbeit
ein. So sagt er in seinem Vortrag über "Die
neue Welt der Bibel": "..In der Bibel werde
etwas für uns ganz Ungeahntes sichtbar -
nicht Historie, nicht Moral, nicht Religion,
sondern eine geradezu neue Welt: Nicht die
rechten Menschengedanken über Gott, sondern
die rechten Gottesgedanken über den Menschen,
und somit geleitet uns die Bibel aus der
alten Menschenatmosphäre heraus und an die
Tür einer neuen Welt, der Welt Gottes ..."
[8]
Privat ändert sich in Barths Familienleben ebenfalls einiges, da im Oktober 1915 sein Sohn Markus geboren wird und im September 1917 ein weiterer Sohn: Christoph. Ein erster kleiner Predigtband, dem noch einige folgen, wird zusammen mit seinem Freund Thurneysen herausgegeben.
Neben aller Arbeit in der Gemeinde, neben Gottesdienst und Schuldienst, Vorträgen und seinen Studien am Römerbrief bleibt Barth auch politisch aktiv bis an die Grenzen seiner Gesundheit. In den sozialen Spannungen dieser Zeit gründet er in Safenwil eine Gewerkschaft, was die Unternehmer des Ortes nicht stillschweigend hinnehmen. Unnötiger Weise versagen sie sich einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Arbeiterbewegung und boykottieren Barth.
Im August 1917 kann Barth seine Arbeit am Römerbrief beenden. Dieses Werk, das Theologiegeschichte gemacht hat, kommt offiziell 1919 heraus, es liegt aber schon im Dezember 1918 dem Leser vor. Es geht hier um eine Neuentdeckung Gottes, eine entschlossene Ausrichtung auf seine Existenz hin, sein Handeln, sein Werk an den Menschen, so sagt es Barth später einmal. Ein wichtiges Ereignis ist der "Tambacher Vortrag", den er in jener Zeit (1919) in Deutschland, eben in Tambach zu halten hat: "Der Christ in der Gesellschaft". Scharf trennt Barth hier theologisch konsequent Christus und das Reich Gottes von allen denkbaren menschlich konservativen oder revolutionären Taten. Damit ist der Abschied vom Religiösen Sozialismus endgültig vollzogen.
Gerade dieser Vortrag macht ihn in Deutschland bekannt. Vergessen wir nicht, dass er bisher ein kleiner Landpfarrer im schweizerischen Aargau ist. Der Christian Kaiser Verlag übernimmt nun die weitere Betreuung des Römerbriefes, der bisher in der Schweiz keine überaus große Beachtung gefunden hat, was sich mit dem deutschen Verleger radikal ändert.
Barth macht sich seinen inneren Entwicklungen entsprechend - und weil eine neue Auflage notwendig wird - an eine Überarbeitung des Römerbriefes. Wieder ist der Freund E. Thurneysen eine große Hilfe. Barths sechsjährige Tochter erzählt stolz: "Der Papa schreibe jetzt an einem noch viel schöneren Römerbrief!" [9]
Und in Kreisen seiner Freunde kursiert die Anekdote: "Barth und Thurneysen sitzen sich einmal den ganzen Nachmittag rauchend gegenüber. Nach einer Stunde sagt Barth: "Vielleicht"!! und nach einer Stunde weiteren Schweigens der Freund: Vielleicht auch nicht!!! Das war das ganze Gespräch ..." [10]
Januar 1921 erhält Barth einen Ruf an die theologische Fakultät der Universität Göttingen. Im April wird dem Ehepaar Barth ein weiteres Kind geboren: Matthias.
Die 2. Fassung des Römerbriefes ist ein noch deutlicherer, ja radikalerer Versuch, sich von der Theologie des 19. Jahunderts abzugrenzen. Nicht mehr das fromme Selbstbewußtsein des Menschen, Gefühl und Anschauung stehen wie bei Schleiermacher im Mittelpunkt, sondern die Gottheit Gottes. Und so ist Gott "nicht die Beschwichtigung, sondern die Begrenzung des Menschen; er bringt ihn nicht ins Gleichgewicht, sondern in die Unruhe, in die Krisis ... [11]
Der Abschluß seiner Arbeiten am Römerbrief
fällt zusammen mit seinem Abschied aus Safenwil.
Ein wichtiger und einschneidender Lebensabschnitt
ist für Karl Barth und seine Familie damit
zu Ende.
4. Als Theologieprofessor in Göttingen und Münster (1921 - 1930)
4.1. Die Professur, eine neue Herausforderung
Karl Barth beginnt seine Arbeit in Göttingen
nicht, wie üblich, mit einer Vorlesung,
sondern mit einer Predigt, in der er ausführt:
"Gerade die Frage nach Gott kann nicht abreißen,
nicht aufhören, nicht erledigt werden ...
Wir können nie fertig werden mit ihm und
können es doch nicht lassen, immer neu mit
ihm anzufangen ..."[12]
Mehr als überrascht ist er, als er die Nachricht erhält, dass die theologische Fakultät der Universität Münster ihn zum Dr. theol. ernannt hat.
Noch am Ende seines Lebens stellt er rückblickend fest, dass er nie promoviert oder sich habilitiert hätte - und doch wird sein Leben von nun an vor allem durch die akademische Forschung und Lehre bestimmt werden.
Barth arbeitet hart und bereitet sich gründlich auf seine Vorlesungen und Seminare vor. Er ist inzwischen ein bekannter Theologe, aber seine Studenten freuen sich darüber, einen selbst studierenden Lehrer zu haben, der nicht aus Konserven lebt und lehrt. Mit den Kollegen verbindet ihn relativ wenig, stellen sie in der Regel ja den damals noch typischen deutschen Professorentyp dar. Als reformierter Theologe an einer lutherisch geprägten Fakultät hat Barth es ohnehin nicht einfach.
Hier begegnet er den Theologen Paul Tillich (1886-1965), der später in den USA lehrt und erneut Friedrich Gogarten (1887-1967), der ebenfalls einen Lehrstuhl in Göttingen übernimmt. Mit ihm gibt es mancherlei Übereinstimmung, doch im Laufe der Jahre auch viel Trennendes in Kernfragen. In Bremen lernt er auf einer Vortragsreise den Arzt Dr. Karl Stoevesandt kennen, dessen Sohn Hinrich später in Basel das Karl Barth Archiv leiten wird und die Gesamtausgabe der Werke Barths begleitet.
Im Laufe der Zeit lehrt Barth hier in Göttingen über den "Heidelberger Katechismus", "Calvin", "Zwingli", den "Jakobusbrief" und hält vor allem seine berühmte Vorlesung über "Schleiermacher", eine grundlegende Auseinandersetzung mit diesem maßgeblichen Theologen, des 19. Jahrhunderts.
Immer wieder wird Barth zu Vorträgen herangezogen. Ein viel beachteter ist der über "Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie". Hier bringt Barth prägnant zum Ausdruck, was dann die "Dialektische Theologie" genannt wird: "Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben ..." [13]
Es geht diesem theologischen Entwurf also um ein "Denken im Gespräch des Menschen mit dem ihm souverän begegnenden Gott." [14]
Im Gegenüber zur "liberalen Theologie" wird er auch angemessener als "Theologie des Wortes" bezeichnet. Sie prägt von nun an maßgeblich die Theologie des 20. Jahrhunderts.
Mit Thurneysen und Gogarten wird (1922) die theologische Zeitschrift "Zwischen den Zeiten" gegründet, damit bekommen die Freunde ein Organ an die Hand, um ihre theologischen Gedanken einem breiteren Interessentenkreis zur Kenntnis zu geben. Hier in Göttingen beginnt Barth im Frühjahr 1924 mit der Ausarbeitung seiner ersten Dogmatikvorlesung. Gerade dieses theologische Fachgebiet, die "Dogmatik", wird jetzt zu seiner Lebensaufgabe.
Im April 1925 wird sein Sohn Hans Jakob geboren.
Im Herbst dieses Jahres nimmt Barth einen
Ruf nach
Münster
in Westfalen an. Es ist
eine Professur für Dogmatik und neutestamentliche
Exegese. Zunehmend befaßt sich Barth mit
dogmatischen Fragen. Sein erstes Werk in
dieser Hinsicht, die "Prolegommena", liegt
1927 in gedruckter Form vor.
4.2. Charlotte (Lollo) von Kirschbaum
Einschneidend für Barth und sein Lebenswerk,
wie aber auch für die Familie ist die Mitarbeit
von
Charlotte (Lollo) von Kirschbaum.
1924 lernt er sie flüchtig kennen, nun folgt
sie ihm nach Münster, um ihm in seiner Arbeit
zur Seite zu stehen. Sie wird ihm zu einer
unerläßlichen Mitarbeiterin, ohne die er
sein künftiges Arbeitspensum so nicht hätte
schaffen können. Sie zieht zur Familie Barth
und wird im Laufe der Zeit ein Familienmitglied.
"An der Tatsache der Anwesenheit "Lollos"
in Barths Leben und dann eben auch in Barths
Hause nahmen in der Tat viele Anstoß, selbst
gute Freunde ... Keine Frage, die innere
Nähe, in die sie zu ihm kam, bedeutete besonders
für Barths Ehefrau Nelly ein hartes Verzichtenmüssen!
Sie mußte jetzt zurücktreten. Sie ließ ihren
Mann darum aber nicht los. Auch sie versuchte
auf ihre Weise, ihm auf seinem weiteren
Weg zu folgen ..."
[15]
Man kann sich vorstellen, wie belastend die
Situation für alle Beteiligten ist, vor
allem für die Kinder der Eheleute Barth.
Doch Lollo wird unersetzbar, daher ist für
die Beteiligten nichts an der Sitation zu
ändern. Viel ist über diese Beziehung spekuliert
worden. Die Rolle Lollos wird viele Jahre
später, im Rahmen der feministischen Theologie,
mit einem (in Teilaussagen) durchaus auch
fragwürdigen Büchlein reflektiert und z.T.
ein wenig gewagt kommentiert.
In seinem Vortrag "Das Wort Gottes und die
Theologie" von 1929 macht er noch einmal
deutlich, worum es ihm im Entscheidenden
geht. "Er will zur Besinnung aufrufen über
das, was da geredet und getan wird, Besinnung
auf das Eine, Notwendige, Unentrinnbare,
dem unsere Kirchen, dem wir Pfarrer und
Theologen ... mehr als je gegenüberstehen ..."
[16]
Es ist ein breiter Fächer theologischer
Fragestellungen, die Zeit und Kraft in Anspruch
nehmen, da jede Vorlesung, jedes Seminar,
jede Predigt und jeder Vortrag nach wie
vor gründlich bedacht und ausgearbeitet
werden. In dieser Zeit setzt sich Barth
auch gründlich mit dem Katholizismus auseinander.
1926 hat Barth neben seiner schweizer auch
die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.
Gegen Ende seiner Zeit in Münster kündigen
sich tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten
im Kreis der Vertreter der "Dialektischen
Theologie" an, Barth verliert alte, aber
er gewinnt auch neue Freunde. Die zwanziger
Jahre mit dem Ende seines Pfarramtes und
seinen Berufungen nach Göttingen und Münster
empfindet er rückblickend "als eine Zeit
zwischen den Zeiten"
[17]
So sammelt er eine große Schülerschar
um sich, u.a. den später selbst einmal sehr
bekannten Theologen
Helmut Gollwitzer, der
sich bereits in der
"Bekennenden Kirche"
einen Namen machen sollte. Seine Vorlesungen
eröffnet Barth morgens um 7.00 Uhr mit einer
kleinen Andacht, mit Schriftlesung und einem
gemeinsam gesungenen Choral.
Die Bonner Jahre sind vor allem durch den
Kirchenkampf
gekennzeichnet, doch zunächst
arbeitet Barth über den "Gottesbeweis" des
Anselm von Canterbury4.3. Barths Arbeit in Münster
Neben seinen Vorlesungen und Seminaren bleibt
Barth ein gefragter Vortragsredner. In immer
neuen Wendungen und Spiegelungen muß die
"neue" Theologie bedacht und ins Bewußtsein
der Menschen gebracht werden. Liest er ihm
Rahmen seiner Professur in Münster z.B.
über die "Eschatologie" (die Lehre von den
letzten Dingen), "Die Geschichte der protestantischen
Theologie seit Schleiermacher", die "Institutio
Calvins", "Ethik" und "Dogmatik", so hält
er darüber hinaus viele Vorträge zu verschiedensten
Themen, die er einem breiten Zuhörerkreisen
vorträgt..
5. Bonn (1930 - 1935)
5.1. Der Lehrer und die Lehre
Barth ist nun 44 Jahre alt, als er seine
Tätigkeit in
Bonn
aufnimmt. Nach wie vor
stellt er hohe Ansprüche an seine Schüler,
die eine strenge Aufnahmeprüfung über sich
ergehen lassen müssen, wenn sie an seinen
Seminaren teilnehmen wollen. Ihm ist es
aber gar nicht unlieb, "die Pforte zum Pfarramt
mit ein bißchen Furcht und Schrecken zu
umgeben".
[18]
1932 wird der erste Teilband der "Kirchlichen
Dogmatik" (KD) veröffentlicht. Ein Werk,
dass er ausdrücklich nicht nur für Theologen,
sondern ebenso für interessierte Laien verfaßt,
die ohnehin von Anfang an regen Anteil an
seiner Arbeit nehmen. Hier wird deutlich,
dass Barth aus einem Gemeindepfarramt kommt.
Zunehmend ist er von den politischen Ereignissen
beunruhigt, so hält er am 31. Januar 1931
in Berlin vor 1400 Menschen seinen Vortrag
über "Die Not der evangelischen Kirche".
5.2. "Theologische Existenz Heute"
Längere Zeit äußert sich Barth nicht weiter
öffentlich zu den politischen Ereignissen
in Deutschland. Doch immer stärker bedrängt,
verfaßt er im Juni 1933 seine Kampfschrift
"Theologische Existenz Heute". Vorausgegangen
ist ein starkes Anwachsen der
"Deutschen Christen" (DC),
die immer stärker eine Gleichschaltung
der Kirche mit dem NS-Staat fordern und
die den bis dahin unbekannten Marinepfarrer
Ludwig Müller
mit dem Segen A. Hitlers zum
"Reichsbischof" machen.
In dieser Schrift führt Barth aus:
Das, was jetzt unter keinen Umständen geschehen darf, ist dies, dass wir im Eifer für irgend etwas, was wir für eine gute Sache halten, unsere theologische Existenz verlieren ... [20]Er schreibt weiter:Diese unsere theologische Existenz, d.h. unsere Bindung an das Wort Gottes und die Geltung unserer besonderen Berufung zum Dienst am Wort Gottes kann uns heute verloren gehen ... [21]
Was ich dazu zu sagen habe (Anm.: Zur Position der DC), ist einfach: Ich sage unbedingt und vorbehaltlos Nein zum Geist und zum Buchstaben dieser Lehre. Ich halte dafür, dass diese Lehre in der evangelischen Kirche kein Heimatrecht hat. Ich halte dafür, dass das Ende der evangelischen Kirche gekommen wäre, wenn diese Lehre, wie es der Wille der "Deutschen Christen" ist, in ihr zur Alleinherrschaft kommen würde. Ich halte dafür, dass die evangelische Kirche lieber zu einem kleinsten Häuflein werden und in die Katakomben gehen sollte, als dass sie mit dieser Lehre auch nur von Ferne Frieden schlösse ... [22]Daraufhin entfaltet er in 9 Punkten seine fundamentale Ablehnung den Deutschen Christen und ihrem nationalsozialistischem Geist gegenüber. Barth beendet seine Schrift mit den Worten:
Darum kann die Kirche, kann die Theologie auch im totalen Staat keinen Winterschlaf antreten, kein Moratorium und auch keine Gleichschaltung sich gefallen lassen. Sie ist die naturgemäße Grenze jedes, auch des totalen Staates. Denn das Volk lebt auch im totalen Staat vom Worte Gottes ... Diesem Wort haben Kirche und Theologie zu dienen für das Volk ... [23]Am 1. Juli 1933 kommt die "Theologische Existenz Heute" in den Buchhandel. Innerhalb von 14 Tagen werden vier Auflagen mit zusammen 12 000 Exemplaren herausgegeben. Als im Juli 1934 die Bayrische Politische Polizei beim Christian Kaiser Verlag in München alle weiteren Schriften beschlagnahmt, sind 37 000 Exemplare gedruckt. Ein Exemplar sendet er auch an Adolf Hitler, der nicht darauf reagiert.
Wir können heute nur noch erahnen, wie sehr damals innerhalb der Kirche um die richtigen Wege gekämpft wird. Aber man schenkt sich nichts und bezieht Position, was oft vergessen worden ist. Dabei wird auch die Judenfrage in bestimmten Kreisen u.a. um Barth und Bonhoeffer herum deutlich und öffentlich angesprochen - z.B. in Flugblättern in Millionenauflage und Kanzelabkündigungen.
Unter den Bekenntnissynoden jener Zeit ragt die vom 29. bis 31. Mai 1934 in Wuppertal - Barmen heraus. Es ist die erste überhaupt, die reformierte, unierte und lutherische Christen vereint und an der auch Laien teilnehmen. Einer der Teilnehmer ist der Kenzinger Friedrich Dittes, der dort die Badische Landessynode vertritt.
Maßgeblich formuliert Barth, was dann als die sechs "Barmer Thesen" von der Synode verabschiedet wird und Kirchengeschichte gemacht hat.
"Wir wären stumme Hunde, wenn wir ein reformiertes Bekenntnis aufstellen würden und nichts sagten über den "totalen" Staat" [25], sagt Barth in Barmen. Alle sechs Thesen sind mit einem Bibelwort überschrieben, dem folgt eine positiv formulierte These, worauf sich eine Verwerfung anschließt. So heißt es in der 1. These nach dem Bibelwort:
Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.Barth, und das wird hier wieder überdeutlich, fühlt sich mit seiner Theologie dem ersten Gebot verpflichtet. Dabei sehen gerade die lutherischen Vertreter der Bekennenden Kirche in Karl Barth eine Gefahr, der das Gespräch mit dem NS-Staat fast unmöglich macht, wo sie immer noch auf Vermittlungsmöglichkeiten hoffen. So muß das, was bisher als die "Bekennende Kirche" gilt, in dieser Form (Nov. 1934) als gescheitert angesehen werden.Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen ... [26]
Die Bonner Jahre empfindet Karl Barth als die bisher lebendigsten und reichsten Jahre seines Lehramtes, aber situationsbedingt muß er aus Deutschland heraus. Barth nimmt das Angebot seiner Heimatstadt Basel auf einen außerordentlichen Lehrstuhl an. Mit seiner Familie und Lollo von Kirschbaum verläßt er im Sommer 1935 Bonn, um von Basel aus seinen Dienst fortzuführen.
Die Bekennende Kirche, gerade im Rheinland,
bleibt bestehen, sie ist inzwischen in den
Gemeinden verwurzelt, so dass Barth mit seinem
mutigen Wort und Einstehen für die Sache
der Kirche fehlt. Es kommt vor, dass die
Gemeinden der BK und der DC ihre Gottesdienste
nacheinander feiern, einmal steht dann das
Bild des Führers auf dem Altar und die Hakenkreuzfahne
dahinter, danach das Kruzifix. Dies führt
zu großen inneren Spannungen und ist in
vielen Gemeinden bis heute in lebendiger
Erinnerung.
Dieser Vortrag muß allerdings wegen des Redeverbotes
in Gegenwart Barths verlesen werden. Danach
wird Barth unter Begleitung der Staatspolizei
endgültig über die schweizer Grenze abgeschoben.
Dieser Vortrag wird also in Deutschland
zu seinem Abschiedswort.
Die nun folgende Zeit ist erfüllt mit seinem
Dienst an der theologischen Fakultät Basel,
mit Vorlesungen und Seminaren, mit diversen
Publikationen und Vorträgen in der Schweiz
und im Ausland. Er setzt aber den Kirchenkampf
aus der Schweiz fort, um in offener oder
verschlüsselter Form seinen Freunden und
Schülern zu helfen. Jetzt erst wird Barth
von der Notwendigkeit eines aktiven politischen
Widerstandes der Christen gegen den Nationalsozialistischen
Staat überzeugt, was weitreichende Konsequenzen
für ihn hat, da die neutrale Schweiz sein
Engagement weder aus politischen noch aus
wirtschaftlichen Gründen gern sieht. Die
offizielle Schweiz ist - wie es sich heute
immer deutlicher herausstellt - an einem
guten Verhältnis zu den Machthabern in Deutschland
interessiert. Barth ist auch hier - in seinem
eigenen Heimatland - hellsichtiger.
Ununterbrochen setzt sich Barth mit der Dogmatik
auseinander, unabhängig von den vielen anderen
Fragestellungen, denen er nachgeht. So denkt
er verstärkt über das Abendmahl nach und
später über die Taufe. Das hergebrachte
Sakramentsverständnis wird ihm in diesem
Zusammenhang immer fragwürdiger. Auf seine
Bitte hin, arbeitet sein Sohn Markus, der
Neutestamentler wird, grundlegend über die
Taufe, um seinem Vater in exegetischer Hinsicht
eine Hilfestellung zu geben. Lange nach
Barths Tod kommt der Sohn einer weiteren
ausdrücklichen Bitte nach und veröffentlicht
sein Werk zum Thema Abendmahl.
1938 gibt Barth eine neue theologische Zeitschrift
heraus, da er in Deutschland nicht mehr
publizieren darf. Im Herbst dieses Jahres
wird der Verkauf sämtlicher Schriften Barths
in Deutschland verboten.
Es erscheinen nun in der Schweiz die "Theologischen
Studien". Im ersten Exemplar veröffentlicht
Barth seinen Vortrag "Rechtfertigung und
Recht" zum Problem von Staat und Kirche.
Ohne einer Verwechslung von Staat und Kirche
das Wort reden zu wollen, leitete er ...
die politische Aufgabe der Kirche ab: "Nicht
im Sinn eines passiven Untertanengehorsams,
sondern einer aktiven, verantwortlichen
Teilnahme am Staat. Freilich, der entscheidende
Dienst der Kirche für den Staat sei ihre
Verkündigung: `In dem sie die göttliche
Rechtfertigung verkündigt, wird aufs Beste
auch die Aufrichtung und Erhaltung des menschlichen
Rechts gedient"
[28]
Barth stellt fest: "Er regiert die Welt,
auch wenn die Staaten der Welt schlecht
regiert werden ..."
[29]
Angesichts eines
totalitären Staates arbeitet Barth gründlich
die Frage von Staat und Kirche auf, die
beide ihre von Gott gegebenen Aufgaben zu
erfüllen haben, wollen sie ihren Dienst
recht versehen. Dabei bleibt Kirche Kirche
und hat sich vom staatlichen Tun schon durch
ihre andersgearteten Aufgaben zu unterscheiden.
Der Staat hat das Seine zu tun, ohne die
Aufgaben der Kirche übernehmen zu wollen ...
Barth stellt in diesem Zusammenhang die
Verantwortung des Wählenden,
wie des Gewählten
heraus. Für den Notstand gibt es ein Widerstandsrecht
gerade auch für den Christen.
Dies wird von ihm explizit in seinem Schreiben
an den tschechischen Theologen
Josef Hromadka
zum Ausdruck gebracht, bis hin zum bewaffneten
Widerstand gegen Hitler und zwar um des
Glaubens willen!
Als guter Schweizer - und in Konsequenz seines
Vortrages über "Rechtfertigung und Recht"
meldet sich Barth zum bewaffneten Hilfsdienst.
Da er ja seit seiner Jugend eine Brille
tragen muß, ist es jetzt das erste Mal,
dass er einen derartigen Dienst zu übernehmen
hat, dazu noch in der Grenzstadt Basel.
In einem viel beachteten Referat vor 2000
Menschen fordert er die Schweizer im Juli
1942 zum Widerstand auf: "Entweder nachgeben
oder widerstehen". Er übt Kritik, damit
der Widerstand widerstandsfähig sei,
Barth schreibt Briefe und äußert sich über
die Landesgrenzen hinaus sogar über den
Rundfunk. Er hilft den Betroffenen des Krieges
aller Seiten, wo immer er helfen kann. So
hat er in dieser Zeit auch Kontakt mit
Thomas Mann
und
Hermann Hesse.
Angesichts der deutschen
Niederlage Anfang 1945 ruft er in einem
Vortrag "Die Deutschen und wir" dazu auf,
den Deutschen freundlich zu begegnen, "Deutschland
braucht nunmehr Freunde, Freunde, trotz allem!"
[31]
Sofort nach der Kapitulation
ist Barth einer der ersten namhaften Ausländer,
die Deutschland besuchen, tief erschüttert
über das Ausmaß der Zerstörung und den Verlust
zahlreicher Schüler und Freunde.
Selbstkritisch in Bezug auf die schweizer
Haltung während des Krieges gibt Barth nach
seiner Rückkehr ein Interview in der
"Weltwoche"
unter dem Leitgedanken: "Und vergib uns
unsere Schuld".
Die "Stuttgarter Schuldbekenntnis"
einiger Kirchenführer auf deutscher Seite
findet Barth hingegen zu unkonkret. Am 2.
November hält er wohl als erster Ausländer
nach dem Krieg im Staatstheater Stuttgart
seine Rede: "Ein Wort an die Deutschen!"
Dabei lernt er Carlo Schmid kennen, dessen
Gast er ist. Unter dem Stichwort "Nüchternheit"
sagt er in dieser Rede, die dann mit der
Lizenznummer 21 der Nachrichtenkontrolle
der Militärregierung gedruckt werden darf:
Deutsche Nüchternheit würde jetzt wohl vor
allem bedeuten, dass man es unterläßt, sich
in brausenden Klagen und Anklagen gegen
die Anderen zu ergehen ... Deutsche Nüchternheit
würde jetzt weiter darin bestehen, dass man
sich nicht darauf versteift, nun möglichst
schnell und völlig zu den Zuständen der
Zeit vor 1933 zurückzukehren ... Und deutsche
Nüchternheit würde jetzt schließlich und
vor allem darin bestehen, dass man in allen
deutschen Lebensgebieten resolut aufhörte,
nach besonderen Führern, Autoritäten, anregenden
und leitenden Instanzen, nach irgendwelchen
Worten, Weisungen und Befehlen von oben,
nach irgendwelchen gewaltigen Stimmen aus
der Wolke zu fragen ... Deutsche Nüchternheit
bestünde heute in dem entschlossenen Willen,
dass der Führer, den Deutschland nun 12 Jahre
lang gehabt hat, sein letzter Führer gewesen
sein soll ...
[32]
Es ist Barths 50. Dozentensemester, verbunden
mit seinem 60. Geburtstag, den er im zerstörten
Bonn erlebt. Wie immer beginnt er seine
Vorlesungen um 7.00 Uhr, um 8.00 beginnen
im Hof die Baumaschinen mit ihrer Arbeit.
Seine Zuhörer sind Theologen, viele Zuhörer
anderer Fakultäten und Kriegsteilnehmer.
Barth bittet die Schweizer um Hilfe für
diese jungen Leute, denen es im zerstörten
Bonn an allem mangelt. Es werden Nahrungsmittel,
Bücher, doch eben (typisch für ihn!) auch
dringend Rauchwaren für die Studenten benötigt.
Er bekommt die erwünschten Dinge per Schiff
und von schweizer Offizieren und Soldaten
in Uniform überbracht, was in Bonn für reichlich
Aufsehen sorgt.
Wieder wird Barth, neben aller Arbeit in
der Fakultät und an seiner Dogmatik, als
Vortragsredner gebeten. Beachtung findet
sein Vortrag "Christengemeinde und Bürgergemeinde".
Ganz im Sinne der "5. Barmer These" arbeitet
Barth heraus, dass Kirche und Staat nicht
einfach nur zwei getrennte Bereiche sind,
sondern in Beziehung stehen: "Im Raum der
Bürgergemeinde ist die Christengemeinde
mit der Welt solidarisch und hat sie diese
Solidarität resolut ins Werk zu setzen ...",
dabei darf sie nicht etwa als eine "christliche"
Partei auftreten. [33]
In dieser Zeit reist Barth auf Einladung
auch nach Ost-Berlin, wo er die Spitzen
der sozialistischen Einheitspartei kennen
lernt. Mit einiger Sorge geht Barth in die
Schweiz zurück, um von dort aus den alliierten
Militärregierungen einige kritische Punkte
zu benennen, die ihm aufgefallen sind. Es
wird zu wenig getan, den Deutschen ein Gefühl
für "demokratische Werte" zu vermitteln.
Den Deutschen mutet Barth anderes zu, da
er spürt, wie wenig sie geneigt sind, ihre
Kriegsschuld wirklich innerlich aufzuarbeiten
und schon sehr bald dazu übergehen, sich
immer über die Schuld der anderen zu beschweren.
In Basel erkämpft er einer kleinen Gruppe
von deutschen Studenten die Möglichkeit
des Studiums, unter ihnen ist der spätere
Bundesrichter
Helmut Simon. Die Fakultät
ist ohnehin international besetzt, da Studenten
aus aller Welt zu Barth kommen, um ihn zu
hören. Sein Wort hat internationales Gewicht,
weit über seine Theologische Kompetenz hinaus.
Immer wieder wird er zu Stellungnahmen aufgerufen.
So äußert er sich jetzt zunehmend zur Stellung
der Kirche im beginnenden Ost-West Konflikt.
Barth arbeitet in diesen Jahren unermüdlich
an seiner "Kirchlichen Dogmatik", die ihm
viel abverlangt, Zeit und Mühe kostet. Sieben
Bände liegen inzwischen vor, der achte Band
wird gerade 1951 fertig. Es ist inzwischen
ein so gewaltiges Werk geworden, dass
Otto Weber
1950 eine geraffte Inhaltsangabe,
ja eine Führung durch die "KD" (Kirchliche
Dogmatik) herausgibt. Jetzt liegt die
"Versöhnunglehre"
vor dem gerade 65-jähigen Theologen Karl
Barth, eine Hauptaufgabe seiner ganzen Dogmatik.
Ausgerechnet in dieser Zeit gerät Barth in
der Schweiz ins Kreuzfeuer. Er ist gegen
die Art eines "Antikommunismus", wie er
ihn wahrnimmt. Barth läßt sich überhaupt
von keiner Seite im Ost-West Streit vereinnahmen.
Er plädiert dafür, die Chance des endlich
wiedererlangten Friedens für einen "dritten
Weg" zu nutzen, der den Menschen beider
Blöcke dienen muß. Christen, so fordert
er, sollten gegen den Strom schwimmen und
sich von keiner Propaganda vereinnahmen
lassen, ganz gleich, von welcher Seite sie
kommt. Durch diese Auseinandersetzung vertieft
sich der Kontakt zu
Gustav Heinemann.
Auch Heinemann war Synodaler auf der Barmer Bekenntnis-Synode
1934. Eine sehr persönliche Freundschaft
entsteht.
Inzwischen ist der erste Teilband seiner
"Versöhnungslehre" herausgekommen, den Barth
seinen drei Söhnen widmet: Markus befindet
sich im Aufbruch, einen Lehrstuhl in den
USA einzunehmen, Christoph hat gerade Heimaturlaub
von seiner Dozentur in Indonesien und Hans
Jakob ist im künstlerischen Bereich aktiv.
So ist nun keiner der drei Söhne mehr in
Barths Nähe, was ihn dazu veranlaßt, sich
wie Jakob zu fühlen, der ebenfalls seine
Söhne ziehen lassen muß. Doch der Kontakt
bleibt eng.
Nach längerer Zeit führt ihn jetzt sein Weg
wieder einmal nach Deutschland, wo er den
Vortrag "Das Geschenk der Freiheit" hält.
Barth spürt sein zunehmendes Alter, was
ihn dazu veranlaßt, seine Vortragstätigkeit
allmählich einzuschränken und die verbleibende
Kraft seinem Hauptwerk der "KD" zukommen
zu lassen.
1956 feiert Barth seinen 70. Geburtstag,
wobei er mit einer dickleibigen Festschrift
von Schülern, Weggefährten und Freunden
geehrt wird. Wichtiger ist ihm allerdings
das Jubiläumsjahr W.A. Mozarts, der vor
200 Jahren geboren worden war. Nach wie
vor begleitet gerade dieser Musiker Barths
Leben, so dass er in diesem Jahr zu einigen
Stellungnahmen gebeten wird. Barth hat sich
nicht gescheut, was theologiegeschichtlich
sicher einmalig ist, Mozart in einer längeren
Passage in einem Dogmatikband ganz beachtlich
zu kommentieren.
Er wird gebeten einen "Dankbrief an Mozart"
zu schreiben, der in jenem Jahr publiziert
wird. Er bekennt dort u.a.: "... dass, wenn
ich je in den Himmel kommen sollte, mich
dort zunächst nach Mozart und dann erst
nach Augustin und Thomas, nach Luther, Calvin
und Schleiermacher erkundigen würde ..."
[34]
Darüber hinaus hält er einen Vortrag
mit dem Titel "Mozarts Freiheit".
Angesichts der zahllosen Ehrungen nun auch
durch die Universität stellt Barth fest:
In diesem Jubiläumsjahr (1956) promoviert
der junge katholische Theologe
Hans Küng
über die "Rechtfertigungslehre"
in der Kirchlichen
Dogmatik" Karl Barths. Barth kommt der Bitte
dieses jungen Theologen nach und schreibt
ein Vorwort zum Buch. Neben dem katholischen
Theologen
Urs von Balthasar, mit dem Barth
in Basel ja ständig Kontakt hält, setzt
sich hier nun ein weiterer katholischer
Theologe mit dem Werk Barths auseinander.
Im Herbst dieses ereignisreichen Jahres hält
Barth seinen Vortrag über "Die Menschlichkeit
Gottes", der mich dann sehr viel später
dazu bewegt, mich doch noch einmal mit der
Theologie Barths auseinanderzusetzen. Barth
selbst sagt: "Für mich war das ein Rückblick,
für viele wars eine Entdeckung.."
[36]
Er führt aus:
Barth bleibt weiterhin ein gefragter Gesprächspartner,
weshalb er im Herbst des Jahres 1958 einen
Offenen "Brief an einen Pfarrer in der Deutschen
Demokratischen Republik" schreibt. Hier
beantwortet er Fragen zur Existenz der Christen
in der DDR. Ein breites Echo folgt. Dankbar
von den Betroffenen selbst aufgenommen,
ist er in Teilen der Presse umstritten.
Ein weiterer Dogmatikband kann fertig gestellt
werden, und Barth setzt sich nun erneut
mit der Tauffrage auseinander, wobei ihm
das Buch über die "Taufe" seines Sohnes
Markus hilft. Er lehnt die Säuglingstaufe
ab, wie aber auch das "sakramentale Verständnis
der Wassertaufe".
In wie weit eine breite Öffentlichkeit von
Barth Notiz nimmt, zeigt, dass der
"SPIEGEL"
in seiner Weihnachtsausgabe vom 23.12.1959
einen Leitartikel über Barth herausbringt.
Das Titelbild trägt die Überschrift: "Gottes
fröhlicher Partisan". Die Titelgeschichte:
"Karl Barth. Die Kunde vom unbekannten Gott."
[38]
Zwischen 1947 und 1994 wird Karl Barth
allein in dieser Zeitschrift 127 Mal erwähnt,
zum Teil in den Hauptartikeln.
"... dass, wer sie tun will, nie mit freiem
Rücken von schon erledigten Fragen, von
schon erarbeiteten Resultaten, von schon
gesicherten Ergebnissen herkommen ... kann,
sondern darauf angewiesen ist, jeden Tag,
ja zu jeder Stunde neu mit dem Anfang anzufangen."
[39]
Seine endgültig letzte Vorlesung zum
Thema "Die Liebe", beschließt er mit dem
altkirchlichen Lobpreis: "Ehre sei dem Vater
und dem Sohn und dem Heiligen Geist ..."
Den "Ruhestand" beginnt Barth mit einer ausgedehnten
Reise in die USA, die er bisher trotz zahlreicher
Einladungen noch nicht erlebt hat. Dagegen
haben im Laufe der Jahre viele Amerikaner
bei ihn studiert. Nach der Sommerpause nimmt
er im Herbst die "streng privaten" Colloquien
auf, allerdings nicht in der Uni, sondern
im benachbarten
Restaurant Bruderholz. Die
Studenten kommen zuhauf. Darüber hinaus
begleitet er ein Gesprächsforum seiner Doktoranten.
In diesem Kreis werden eigene Arbeiten oder
auch theologische Neuerscheunungen besprochen.
Bei einem solcher Gespräche mit rheinischen
Jugendpfarrern (!) kommt es über der Bultmann-Frage
zu einer lebhaften Diskussion, wobei einer
der Anwesenden feststellt: "`Herr Professor,
Sie haben Geschichte gemacht, aber nun sind
Sie auch Geschichte geworden. Wir Jungen
aber sind im Aufbruch zu neuen Ufern! Barth
antwortete: `Wie schön, das höre ich gern,
erzählen Sie uns etwas von diesen neuen
Ufern! - Er wußte nur leider nichts davon
zu erzählen."
[41]
Barths Arbeitskraft nimmt jetzt doch spürbar
ab, er ist häufiger krank und muß sich wegen
eines Krebsleidens, das ihn für den Rest
seines Lebens in einem gewissen Maße behindern
würde, operieren lassen. Zum Altwerden stellt
er in seiner Lage fest: "Allerdings war
es künftig so, dass ich oft mit einer mir
selbst ganz unerklärlichen Traurigkeit zu
streiten habe, in der mir alle Erfolge,
die das Leben mir gebracht, gar nichts helfen.
Aber ich sagte und sage mir beständig, dass
der liebe Gott und die Engel sich wahrscheinlich
erkundigen wollten und noch wollen, ob ich
in der Lage sei, einige von den schönen
Dingen, die ich seit 50 Jahren geschrieben
habe, nun auch ein bißchen zu leben ..."
[42]
Seine so unendlich verdiente Mitarbeiterin,
Lollo von Kirschbaum, wird zum Jahreswechsel
1965/66 derartig geistig behindert, dass
die Eheleute Barth sie in ein Heim einweisen
lassen müssen, sie aber an jedem Wochenende
besuchen. An der Seite Barths hat diese
hochgebildete Frau auf eine Familie, wie
auch auf einen eigenen beruflichen Weg und
Erfolg verzichtet, allerdings in eigener
Entscheidung.
Barth feiert 1966 seinen 80. Geburtstag in
Verwunderung darüber, "dass er diesen Tag
überhaupt noch erleben darf". Manche seiner
alten Freunde sind längst nicht mehr am
Leben, doch unter den vielen Gratulanten
ist auch noch einmal Rudolf Bultmann. Eine
weitere Festschrift die "Parrhesia" (= fröhliche
Zuversicht), wird ihm von Freunden und Schülern
gewidmet.
Ein Höhepunkt dieses Jahres ist Barths Besuch
in Rom. Er trifft dort auf hohe katholische
Würdenträger. Sein Besuch endet mit einer
Privataudienz bei
Papst Paul VI. Im Winter
beendet er seine fast lebenslange Arbeit
an der Kirchlichen Dogmatik mit einem Fragmentband,
den er seiner Frau Nelly widmet, die ihn
durch die vielen Höhen und Tiefen seines
Lebens begleitet hat.
Es ist seine letzte größere Veröffentlichung.
9185 Seiten in 13 z.T. dickleibigen Bänden
umfaßt diese Arbeit, die letztendlich unvollendet
bleiben muß. Es fehlt eine ausgearbeitete
"Lehre von der Eschatologie", von der Erlösung.
Dennoch bleibt Barth in der gewohnten Weise
mit Studenten, Schülern und verschiedensten
Besuchsgruppen im Gespräch. Eine "späte
Freundschaft" beginnt Karl Barth in den
letzten Lebensjahren mit
Carl Zuckmayer.
Karl Barths Publikationen sind nicht zu zählen.
Er veröffentlicht wohl an die 976 Einzeltitel
zum Teil viele hundert Seiten lang. Bis
1977 wird man 2823 Titel zählen, die sich
mit dem Werk Karl Barths auseinandersetzen.
Diese Auseinandersetzung wird fortgeführt
und ist in Titeln daher abschließend nicht
zu benennen.
In den letzten Monaten seines Lebens wird
Karl Barth zu einigen Rundfunkinterviews
gebeten. Im Spätherbst 1968, wenige Wochen
vor seinem Tod fragt er angesichts der katholischen
und evangelischen Gottesdienste, die er
situationsbedingt sonntags am Radio verfolgt,
ganz im Geiste seines ökumenischen Denkens:
"Warum wird bei uns nicht jeden Sonntag
in jeder Kirche ( ...) auch das Heilige Abendmahl
gefeiert? .. Würden wir nicht gerade so
umfassend "Kirche des Wortes" - des Wortes,
das nun einmal nicht Rede, sondern Fleisch
wurde?"
[43]
Und in einem Interview im November
1968 zum Thema: "Musik für einen Gast":
sagt er rückblickend auf sein arbeitsreiches
und erfülltes Leben:
Mitten im Satz bricht er die begonnene Arbeit
ab, um sie auf den kommenden Tag zu verschieben,
den er jedoch nicht mehr erlebt. Karl Barth
stirbt in der Nacht von 9. auf den 10. Dezember
1968. Als Nelly Barth ihren Mann am kommenden
Morgen - wie üblich - mit einem Stück von
Mozart wecken will, findet sie ihren Mann
verstorben vor. Anläßlich der Trauerfeier
im Basler Münster sagt sein herausragender
Schüler Eberhard Jüngel: "Karl Barth hat
seiner Zeit viel gegeben. Sie hat zu wenig
genommen. Es ist zu vermuten, dass die Zukunft
der Theologie Karl Barths in weiter Ferne
noch vor uns liegt ...
[46]
Letzte Änderung: 26.05.20026. Das Leuchtfeuer (1935 - 1946)
6.1. Widerstand und Hilfe
Bis Anfang 1939 können noch einige deutsche
Studenten bei Karl Barth in Basel studieren,
ohne dass ihnen diese Semester in Deutschland
allerdings anerkannt werden. Ein amtlicher
Beschluß deutscher Behörden stoppt schließlich
diese Möglichkeit. Barth wagt sich sogar
nach Deutschland zurück, wo er seinen Vortrag
"Evangelium und Gesetz" hält.
Das Evangelium redet davon, dass und wie Gott, ..., den Menschen
bestimmt, nämlich zum von Gott erwählten
Bundespartner. Das Gesetz redet noch einmal
davon, in dem es die Frage nach der dieser
Bestimmung entsprechenden menschlichen Selbstbestimmung
stellt ...
[27]
Dieser Vortrag hat einen eminent politischen
und kirchenpolitischen Hintergrund, sollte
er doch bereits sehr viel früher in Barmen
gehalten werden. Im Unterschied zur lutherischen
Theologie und dem alten theologischen Thema
von "Gesetz und Evangelium" stellt Barth
hier ganz bewußt und im Rahmen seiner Theologie
auch konsequent dem Gesetz das Evangelium
voran.
6.2. Der 2. Weltkrieg
Am 1. September 1939 beginnt der zweite Weltkrieg,
den Barth aus der Schweiz heraus erlebt.
Gespannt und traurig nimmt er Anteil am
Geschehen in Deutschland. Er sieht es jetzt
als seine Aufgabe an, "ordentlich" Theologie
zu treiben, und so versieht er seinen Dienst
in der gewohnt aktiven Weise, weit über
die Universität hinaus.
16 000 Exemplare werden noch schnell gedruckt
und verteilt, bevor das Referat von der
Regierung verboten wird. Natürlich schickt
Barth ein Exemplar zuvor dem Bundespräsidenten.
Ein erwachtes deutsches Volk, ein deutsches
Volk, das nun stehen und gehen will, wird
ein Volk sein, das nüchtern werden und bleiben
will. Es wird sich also auch keinen Illusionen,
die sich ihm jetzt aufdrängen könnten, versagen ...
7. Die Nachkriegszeit (1946 - 1955)
7.1. Noch einmal: Bonn
Um auf seine Weise beim Wiederaufbau Deutschlands
zu helfen, geht Barth gastweise im Sommer
für 2 Semester zurück nach Bonn. Hier begegnet
er gleich mehrmals
Konrad Adenauer,
den er vor der Gründung einer
"christlich demokratischen
Partei"
warnt. Barth will eine deutliche
Trennung der Kirchen mit ihren Aufgaben
und einer Partei, die den Namen "christlich"
führen sollte.
7.2. Ökumene und Ost-West Konflikt
Barth wird 1947 gebeten, sich in der Ökumene
zu engagieren, was er vermehrt tut. Mit
großem Bedauern nimmt er allerdings zur
Kenntnis, dass sich Rom an diesem beginnenden
Prozeß nicht beteiligt.
7.3. Die Entmythologisierung
Daneben wird Barth in eine ganz andere Auseinandersetzung
hineingezogen, nämlich die Debatte um die
"Entmythologisierung" und "Existentialisierung"
der theologischen Sprache. Bei dieser Auseinandersetzung
geht es vor allem um das Werk
Rudolf Bultmanns,
dem Barth bei seinen diesbezüglichen exegetischen
Bemühungen nicht folgen kann. Er sieht hier
die Theologie in die Sackgasse einer "philosophischen
Anthropologie" laufen. Er wehrt sich leidenschaftlich
gegen eine "Ethisierung" der Theologie.
Die Endwehen dieser vielfach von Unkenntnis
und Unsachlichkeit begleiteten Diskussion
habe ich noch im Laufe meines Studiums erlebt.
8. Es geht weiter (1955 - 1962)
8.1. W. A. Mozart
Ende Oktober 1955 zieht Karl Barth mit seiner
kleiner gewordenen Familie in die Bruderholzalle
26 in Basel um. Es ist das erste eigene
Haus Karl Barths und seiner Frau Nelly.
Auch Lollo von Kirschbaum begleitet die
beiden in das neu erworbene Domizil. Heute
ist in diesem Haus das "Karl Barth Archiv"
untergebracht. Nach dem Tode der Eheleute
Barth wird es von den Kindern in eine Stiftung
eingebracht. Die Arbeitszimmer Barths bleiben
dabei unverändert.
Machen Sie möglichst wenig Aufhebens von
meinem Namen! Weil es nur einen interessanten
Namen gibt, während die Erhebung aller sonstigen
nur zu falschen Bindungen führt und bei
anderen nur langweilige Eifersucht und Verstockung
erregen kann. Und nehmen Sie auch von mir
keinen Satz ungeprüft entgegen ... Ein guter
Theologe wohnt nicht in einem Gehäuse von
Ideen, Prinzipien, Methoden. Er durchschreitet
alle solche Gehäuse, um immer wieder ins
Freie zu kommen. Er bleibt unterwegs ...
[35]
8.2. "Gottes fröhlicher Partisan"
Seit 1954 hält Barth im Basler Gefängnis
Gottesdienste. Diese Aufgabe nimmt er sehr
ernst und setzt sie gern noch einige Jahre
(bis 1964) fort. Es ist eine ganz besondere
Gemeinde, mit der er im Laufe der Jahre
28 Gottesdienste feiert. Nach wie vor predigt
er über kurze Bibelworte und so konkret
wie möglich. Um die Gefangenen besser kennen
zu lernen, besucht er viele von ihnen persönlich.
Die Wendung von damals hatte ausgesprochen
kritisch-polemischen Charakter ... An Gott
denken hieß (..) kaum verschleiert: An den
religiösen, den christlich religiösen Menschen
denken ... Keine Frage, hier wurde der Mensch
groß gemacht auf Kosten Gottes ...
Und weiter:
Es wäre eines falschen Gottes
falsche Göttlichkeit, in und mit der uns
nicht sofort auch seine Menschlichkeit begegnete ...
In Erkenntnis der Menschlichkeit Gottes
ist die Christenheit, ist die Kirche ernst
zu nehmen und zu bejahen ... Eben darum gibt
es keine private Christlichkeit ...
[37]
Die kommende Zeit ist wieder von der Arbeit
an der Dogmatik geprägt und die Schar der
Studenten, die bei Barth studieren wollen,
nimmt eher zu, als ab. Auf dem Hintergrund
des
Ungarnaufstandes 1956
schließt sich
Barth schon bald einem Votum
Albert Schweitzers
und 10 nahmhafter deutscher Wissenschaftler
gegen die Atombewaffnung an. Er ist prinzipiell
und für alle Staaten geltend, gegen eine
solche Waffe. Übrigens ist er sich in dieser
Frage neben vielen anderen auch mit dem
Kabarettisten
Hanns Dieter Hüsch
einig,
dessen Kabarett er gern besucht.
9. Das Geschenk der letzten Jahre
9.1. Aktiver Ruhestand und Erfahrung eigener Grenzen
Seinen 75. Geburtstag feiert Barth im Kreis
engster Freunde, wo er bekennt:
Ich habe nie gemeint, mit der "Kirchlichen Dogmatik"
das letzte Wort gesprochen zu haben. Es
ist mir sehr klar, auf jeder Seite könnte
die Sache anders und besser gemacht werden ...
[39]
Barth wird nun nach einem letzten Semester,
wo er neben der Dogmatik das Abendmahl behandelt,
am 1. März 1962 in den Ruhestand verabschiedet.
Am Ende seines amtlichen 40-jährigen Lehrdienstes
sagt er im Blick auf alle theologische Arbeit:
9.2. Das letzte Wort: Ein Hinweis!
Das letzte Wort, das ich als Theologe und
auch als Politiker zu sagen habe, ist nicht
ein Begriff wie "Gnade", sondern ist ein
Name: Jesus Christus. Er ist die Gnade,
und er ist das Letzte, jenseits von Welt
und Kirche und auch von Theologie. Wir können
ihn nicht einfach "einfangen". Aber wir
haben es mit ihm zu tun. Um was ich mich
in meinem langen Leben bemüht habe, war
in zunehmenden Maße, diesen Namen hervorzuheben
und zu sagen: dort ... Dort ist auch der
Antrieb zur Arbeit, zum Kampf, auch der
Antrieb zur Gemeinschaft, zum Mitmenschen.
Dort ist alles, was ich in meinem Leben
in Schwachheit und Torheit probiert habe.
Aber dort ists ...
[44]
Am Montag den 9. Dezember arbeitet Barth
weiter an einem erbetenen Vortrag mit dem
Titel: "Aufbrechen - Umkehren - Bekennen",
der dann im Januar zur ökumenischen Gebetswoche
gehalten werden sollte. Doch dazu kommt
es nicht mehr. Spät am Abend wird er von
seinem treuen Freund Thurneysen angerufen.
Sie sprechen über die bedrohliche Weltlage,
als Barth dem Freund sagt: "Aber nur ja
die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn
es wird regiert!"
[45]
10. Literaturverzeichnis
Ev. Gesangbuch, Ausgabe der Evang. Landeskirche in Baden, 1995, Nr. 888
11. Anlagen
11.1. Dankbrief von Karl Barth anläßlich seines 80. Geburtstages
11.2. Ansprache von H. Gollwitzer bei der Trauerfeier im Basler Münster
11.3. Sonderpostwertzeichen "Karl Barth", 10/1986
11.4. DER SPIEGEL, 13. Jhrg., Nr. 52, 23. 12. 1959
11.5. Der Führer-Eid
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider