Karl Barth

* 10. Mai 1886 - 10. Dezember 1968 +

Foto Karl Barth (c) Ev. Landeskirche

Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes
gesagt haben ... (Hebr. 13, 7)

Servire Deo est libertas

Hanns-Heinrich Schneider, Pfr.
Nieuwpoort (B), August 1998

Meinen Kindern Matthias und Maja

Collegium Borromaeum, Freiburg 1999/2000


Inhalt

Persönliche Anmerkung:

*) In meinem Vortrag folge ich dem Lebenslauf Karl Barths von E. Busch ohne weitere Hinweise auf Zitate. Diesem Werk sind auch die Bilder entnommen. Ihm, dem letzten Assistenten von Karl Barth, dem ich freundschaftlich verbunden bin, verdanke ich viele persönliche Hinweise zum Leben Karl Barths, wie aber auch Barths Tochter Franziska Zellweger-Barth und seinem Sohn Markus Barth. Viel erfahren habe ich auch von K. Barths Schüler, Helmut Gollwitzer, der mich ein wichtiges Stück im Leben begleitete. In einigen Gesprächen mit Marguerite Thurneysen, zu der meine Frau und ich in Basel Kontakt hielten, vervollständigten sich meine Informationen über K. Barth, sein Werk und ihn begleitende Persönlichkeiten.


Karl Barth

1. Warum Karl Barth?

Natürlich haben wir damals Ende der 60-iger Jahre studiert. Heftig wurde in unseren Kreisen Gott und die Welt diskutiert. Meine theologischen Lehrer kamen alle aus der Schule Karl Barths und der Bekennenden Kirche im Rheinland. Doch sie lehrten gegen den Trend der Zeit an: Einerseits erlebten wir noch die heftigen Nachwehen der Diskussion um Rudolf Bultmanns Entmythologisierung und die Bewegung "Kein anderes Evangelium", andererseits wurden wir mit dem "Politischen Nachtgebet" von Dorothee Sölle konfrontiert und dem, was sich dann die so genannte "moderne" Theologie nannte, die schließlich in der "Gott ist tot" Theologie" gipfelte oder, wie u.a. D. Sölle es sagte: "Der Theologie nach dem Tode Gottes".

Daneben beschäftigten uns die aktuellen Tagesthemen. In diese Zeit paßte für uns der Theologe Karl Barth nicht mehr, obgleich er uns als ein theologisches Fossil durchaus begleitete.

Viele Jahr später, längst ordiniert und mit einem Pfarramt betraut, lernte ich an der theologischen Fakultät der Universität Basel den ältesten Sohn Karl Barths kennen, den Neutestamentler Markus Barth. Ich belegte regelmäßig Vorlesungen bei ihm und Seminare und setzte mich nun erstmals ernsthaft und bewußt noch einmal mit dem Werk Karl Barths auseinander. Es ist ein Weg geworden, der sich über 20 Jahre hinstreckt und dessen Ende nicht abzusehen ist.

Warum Karl Barth? Die Antwort lautet: Weil man mit ihm nicht fertig wird, herausgefordert bleibt und wie kaum sonst in der Theologie auf das Zentrum aller Theologie verwiesen wird. So bleibt zu vermuten, dass der theologische Lehrer dieses Jahrhunderts, der schon zu Lebzeiten erlebte, ebenso in wie out zu sein, seine eigentliche Renaissance noch vor sich hat. Barth mutete sich anderen zu, er forderte und förderte. Für viele Weggefährten, Freunde, Schüler und Gegner war er eine Herausforderung, oft in seinen Positionen eine Zumutung, aber er wurde und wird gehört.

Karl Barths Werk ist abgeschlossen, doch es wird fortgeführt durch seine theologischen Schüler über die Zeit hinweg, durch Generationen hindurch, Grenzen sprengend und in sofern international und ökumenisch. Seine Theologie ist im 20. Jahrhundert formuliert worden, aber sie hat Zukunft. Die Antwort darauf, warum das so ist und sein wird, liegt im Leben und Werk dieses "Lehrers der Kirche". In seiner ersten Predigt sagt Karl Barth 1909:

Es kommt gerade für uns Theologen darauf an, dass wir all unser Handeln und Reden in unserem besonderen Beruf immer nur als einen Anfang ... betrachten, dessen Vollkommenheit in nichts anderem besteht als in der bleibenden Richtung auf das Ziel. Darum muß die erste Losung und die letzte für den Pfarrer und für die ganze Gemeinde sein, das Ziel im Auge zu behalten. Unser Anfang und unser Ziel ist aber Christus. [1]
Mit diesem "Anfangen" lebt Karl Barth bis in die letzten Tage seines 82-jähigen Lebens. Auch darin ist und bleibt er ein Vorbild in einer Zeit, die nach Orientierungen und Werten gerade zu schreit, sich aber nur allzu gern weigert, sich gedanklich auf den Weg zu machen, Unsicherheit zu wagen, den Zweifel anzunehmen und damit der Geistlosigkeit zu wehren.

2. Karl Barth: Kindheit und Jugend (1886 - 1911)

2.1. Kindheit und Schulzeit

Karl Barth wird am 10. Mai 1886 in Basel geboren. Sein Vater ist Theologe und Pfarrer, später auch Dozent an der
Universität Bern für Dogmatik, doch er lehrt auch Kirchengeschichte und Neues Testament. So kommt es, dass Karl Barth in Bern aufwächst. Seine Erziehung im Kreis einiger Geschwister ist der Zeit entsprechend streng, freundlich und verständnisvoll. Er geht nicht gern in die Schule, desto mehr nutzt er seine Freizeit aus, um sie mit seinen vielen Fähigkeiten und Begabungen zu gestalten.

Unvergeßlich ist für ihn, als er seinen Vater mit fünf, sechs Jahren einmal Klavierspielen hört, es ist Mozart, ein kleines Stück aus der Zauberflöte "Tamino mein, o welch ein Glück ...", das sich ihm unauslöschlich einprägt. Mozart begleitet ihn nun bis an den letzten Tag seines Lebens. Der Junge liest gern und viel, und er schreibt Gedichte, Dramen, historische Aufsätze. Seit seiner frühen Jugend muß Karl Barth eine Brille tragen. Ist seine Schrift zunächst groß und mit breiter Feder geschrieben, so wird sie im Laufe der Zeit immer kleiner und zierlicher. 1904 macht er sein Abitur. In der Rede, die er zu halten hat, stellt er unverblümt fest, wie ungern er zur Schule gegangen ist.

2.2. Studium

(c) Rudolf Bohren
Prophetie und Seelsorge
Eduard Thurneysen
Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1982, S. 48 Karl Barth beginnt in Bern zu studieren, auch bei seinem Vater. Er schließt sich der Studentenverbindung "Zofingia" an. Hier wird er zum aktiven Biertrinker und vor allem zu einem fröhlichen Pfeifenraucher - auch dies bis zu seinem Lebensende. In dieser Studentenverbindung lernt er Eduard Thurneysen kennen. Es beginnt eine lebenslange Freundschaft, die ein späterer Schüler der beiden, Rudolf Bohren, in seinem Buch "Prophetie und Seelsorge" einmal würdigen wird. Nicht zu unterschätzen ist der Einfuß Thurneysens auf das Lebenswerk Karl Barths.

Barth wechselt - auch auf Wunsch des Vaters, der das muntere Treiben seines Sohnes mißtrauisch beobachtet - mehrfach seine Studienorte.

So geht er nach Berlin, wo er den berühmten Adolf von Harnack hört. 1907 greift er jedoch wieder sein Studium in Bern auf, wo ihm seine erste große Liebe begegnet. Aber dem Willen beider Elternteile folgend, müssen die beiden sich trennen. Eine schmerzhafte Erinnerung bleibt ihm ...

Fritz Barth will seinem Sohn nun doch noch einmal eine anständige theologische Ausrichtung zukommen lassen, und so kommt Karl nach Tübingen, wo er u. a. auch Adolf Schlatter hört, um nach wenigen Semestern nach Marburg zu wechseln, wo er auf Wilhelm Herrmann stößt. Ihn bezeichnet Karl Barth als den Lehrer seiner Studienzeit. Am 4. November wird Karl Barth nach seinem Examen von seinem Vater im Berner Münster "konsekriert" ("ordiniert").

Für eine kurze Zeit geht Barth nach Marburg zurück, wo er eine theologische Zeitschrift, die "Christliche Welt" von Martin Rade redegiert. In dieser Zeit lernt er Rudolf Bultmann kennen. Die beiden bleiben sich ihr Leben lang - trotz unterschiedlicher theologischer Standpunkte - freundschaftlich verbunden.

2.3. Vikar und Hilfspfarrer in Genf

Karl Barth wird 1909 Vikar, dann "Hilfsgeistlicher" in Genf. Große Aufmerksamkeit widmet er schon damals seinen Predigtvorbereitungen, die oft 16 (!) Seiten lang sind. Er sieht sich selbst in jener Zeit als einen "Liberalen". In seinen Konfirmandenstunden stößt er auf die gleiche Unkenntnis und Unkirchlichkeit, wie wir sie heute auch noch wahrnehmen. In diese Zeit (1911) fällt seine Verlobung mit der noch nicht ganz 18-jährigen Nelly Hoffmann. Sie gehört zu seinem ersten Konfirmandenjahrgang und ist von ihm ein Jahr zuvor konfirmiert worden. Karl Barth arbeitet über das, was von ihm erwartet wird, hinaus, und setzt sich auch weiterhin theologischen Fragen aus, was dadurch erschwert wird, dass er schon bald die Gemeinde allein zu versorgen hat, da der Gemeindepfarrer die Stelle wechselt.

3. Safenwil (1911 - 1921)

3.1. Das Pfarramt

Das Leben Barths verändert sich schlagartig, als er nun Pfarrer in der Arbeiter- und Bauerngemeinde
Safenwil im Aargau wird. Der Ort hat zu jener Zeit 1625 Einwohner mit 1487 evangelischen Christen. In seiner Einführungspredigt drückt er seine Überzeugung aus, "dass ich euch nicht von Gott rede, weil ich einmal Pfarrer bin, sondern dass ich Pfarrer bin, weil ich von Gott reden muß, wenn ich mir selber, .., treu bleiben will." [2]

In seinen Safenwiler Jahren hält er an die 500 Predigten. Er wählt kurze prägnante Bibelverse, die er auslegt oder vielfach auch nur einen Begriff, den er seiner Predigt zugrunde legt. Das Echo ist keineswegs groß.

Viel Arbeit nimmt auch der 3 - 4 stündige Konfirmandenunterricht in Anspruch, den er gründlich vorbereitet. Verständlich, dass einige Fabrikanten im Ort die Konfirmanden lieber im Betrieb sehen, als beim Pfarrer im Konfirmandenunterricht. So bekommt er schon bald eine mächtige Opposition, als er die Zahl der Konfirmandenstunden erhöht. In seiner Funktion als Präsident der Schulpflege führt er den Mädchensport ein.

3.2. Die politische Dimension

Nebenher hält er Vorträge im Arbeiterverein, die große Beachtung finden. Dabei geht es um Fragen der Arbeiterbewegung für die Barth sich fürsorglich und engagiert einsetzt. In seinem Vortrag "Jesus Christus und die soziale Bewegung" führt er aus: "Der rechte Sozialismus ist das rechte Christentum in unserer Zeit, doch ist der rechte Sozialismus nicht das, was die Sozialisten jetzt machen, sondern was Jesus mache ... Und darum: Der Geist, der vor Gott gilt, ist der soziale Geist ..." [3]

In dieser Zeit lernt Barth die beiden Begründer der "Religiös-sozialen-Bewegung" der Schweiz kennen: Hermann Kutter (1863-1931), er ist Pfarrer am Neumünster in Zürich und Leonhard Ragaz (1868-1945), Pfarrer am Basler Münster. Sein Kontakt zum "Religiösen Sozialismus" ist für ihn in dieser Zeit wichtig, wenngleich er immer gewisse Hemmungen beibehalten wird, sich ganz mit ihm zu identifizieren.

3.3. Ehe und Freundschaft

Im März 1913 heiratet Karl Barth Nelly Hoffmann in der Nydeggkirche in Bern. Nelly ist sprachlich und musisch begabt, verzichtet aber, wie es damals oft geschieht, auf ein Musikstudium, eine eigene berufliche Karriere. Sie begleitet von nun an das lange, oft stürmische Leben Karl Barths durch mancherlei Höhen und Tiefen. 1914 wird ihnen ihre Tochter Franziska geboren.

Nur zweieinhalb Stunden von Safenwil entfernt, wird Barths Freund Eduard Thurneysen Pfarrer. Die Freundschaft der beiden vertieft sich hier endgültig. Oft besucht man sich gegenseitig, um sich über die Arbeit auszutauschen. Die beiden bewegt die Theologie, die Situation der Kirche, die politischen Ereignisse, auf die in Predigten und Stellungnahmen reagiert werden muß. Über 1000 Briefe (!) haben die beiden im Laufe ihres Lebens gewechselt, die später in mehreren Bänden publiziert werden und die nun ein interessantes theologie- und zeitgeschichtliches Dokument sind.

Rudolf Bohren schreibt in seinem Buch zu dieser Freundschaft: "Mit dem Heiligen Geist bekommen wir Freunde und mit den Freunden Geist ... Das Gespräch ist der Geburtsort aller Theologie ..." [4]

3.4. Die Krise

Am 1. August 1914 beginnt der erste Weltkrieg. Mit Entsetzen nimmt Barth das Manifest von 93 deutschen Intellektuellen zur Kenntnis, die öffentlich für die Kriegspolitik von Kaiser Wilhelm II. Stellung beziehen. Unter dieser Erklärung findet er ebenfalls die Namen seiner Berliner Lehrer, vor allem den von Harnack. Barth stellt rückblickend dazu fest:
Ich habe eine Götterdämmerung erlebt, als ich studierte, ... , wie Religion und Wissenschaft sich restlos in 42 cm Kanonen verwandelten ...

An ihrem ethischen Versagen zeigte sich, dass auch ihre exegetischen und dogmatischen Voraussetzungen nicht in Ordnung sein könnten ... [5]

Doch Barth zweifelt nicht nur an seinen Lehrern, sondern zugleich am europäischen Sozialismus, dennoch - und das ist typisch für ihn - tritt er gerade jetzt (1915) der Sozialdemokratie bei. Seine Arbeiter im Ort nennen ihn ebenso respekt-, wie liebevoll "Genosse Pfarrer!" Barth erfährt Kirche, kirchliches Tun und Theologie als höchst fragwürdig. Ihn stört das "Tolleranzsüpplein" der Kirche, die es nicht wagt, ihr eigenes Wort in dieser Situation zu sagen. Erst die Kriegssituation macht die Krise spürbar, in der man sich unausweichlich gedanklich befindet. So sagt er in Erkenntnis der Lage in seinem Vortrag "Die Gerechtigkeit Gottes", der Furore macht: "Es wird sich ... vor allem darum handeln, dass wir Gott überhaupt wieder als Gott anerkennen ... Das ist eine Aufgabe, neben der alle kulturellen, sozialen und patriotischen Aufgaben ... (ein) Kinderspiel sind." [6]

In einer Predigt stellt er fest: "Ein Pfarrer, der es den Leuten recht macht, ist ein falscher Prophet ...", und in einem Vortrag zur gleichen Zeit mit dem Titel: "Das Eine Notwendige": " Es sei bitter nötig, dass wir nun endlich, statt alles mögliche zu tun, mit dem Anfang anfangen und anerkennen, dass Gott Gott ist!" [7]

Um 1916 herum und angesichts der politischen, wie aber auch der theologischen und innerkirchlichen Situation spürt er, dass es in der Predigt noch ganz anders um Gott gehen muß. Die Gottesfrage ist für ihn nicht die Lösung des Problems, sondern zur ernsthaften Frage, ja Anfrage an seine Theologie geworden. Die "liberale" Theologie Schleiermachers und damit die des 19. Jahrhunderts kann keine Hilfe mehr sein. Diese Erkenntnis entfernt ihn zugleich immer weiter von den Religiös-Sozialen.

3.5. Der Römerbrief

Nach intensiven Gesprächen mit E. Thurneysen, der gerade seine Frau Marguerite heiratet, die sich gut mit Nelly Barth versteht, beginnt er unter einem "Apfelbaum" sitzend, den Römerbrief neu zu studieren. Es wird eine Entdeckung, die ihn in Atem hält. Die neuen Erkenntnisse fließen sofort in seine Arbeit ein. So sagt er in seinem Vortrag über "Die neue Welt der Bibel": "..In der Bibel werde etwas für uns ganz Ungeahntes sichtbar - nicht Historie, nicht Moral, nicht Religion, sondern eine geradezu neue Welt: Nicht die rechten Menschengedanken über Gott, sondern die rechten Gottesgedanken über den Menschen, und somit geleitet uns die Bibel aus der alten Menschenatmosphäre heraus und an die Tür einer neuen Welt, der Welt Gottes ..." [8]

Privat ändert sich in Barths Familienleben ebenfalls einiges, da im Oktober 1915 sein Sohn Markus geboren wird und im September 1917 ein weiterer Sohn: Christoph. Ein erster kleiner Predigtband, dem noch einige folgen, wird zusammen mit seinem Freund Thurneysen herausgegeben.

Neben aller Arbeit in der Gemeinde, neben Gottesdienst und Schuldienst, Vorträgen und seinen Studien am Römerbrief bleibt Barth auch politisch aktiv bis an die Grenzen seiner Gesundheit. In den sozialen Spannungen dieser Zeit gründet er in Safenwil eine Gewerkschaft, was die Unternehmer des Ortes nicht stillschweigend hinnehmen. Unnötiger Weise versagen sie sich einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Arbeiterbewegung und boykottieren Barth.

Im August 1917 kann Barth seine Arbeit am Römerbrief beenden. Dieses Werk, das Theologiegeschichte gemacht hat, kommt offiziell 1919 heraus, es liegt aber schon im Dezember 1918 dem Leser vor. Es geht hier um eine Neuentdeckung Gottes, eine entschlossene Ausrichtung auf seine Existenz hin, sein Handeln, sein Werk an den Menschen, so sagt es Barth später einmal. Ein wichtiges Ereignis ist der "Tambacher Vortrag", den er in jener Zeit (1919) in Deutschland, eben in Tambach zu halten hat: "Der Christ in der Gesellschaft". Scharf trennt Barth hier theologisch konsequent Christus und das Reich Gottes von allen denkbaren menschlich konservativen oder revolutionären Taten. Damit ist der Abschied vom Religiösen Sozialismus endgültig vollzogen.

Gerade dieser Vortrag macht ihn in Deutschland bekannt. Vergessen wir nicht, dass er bisher ein kleiner Landpfarrer im schweizerischen Aargau ist. Der Christian Kaiser Verlag übernimmt nun die weitere Betreuung des Römerbriefes, der bisher in der Schweiz keine überaus große Beachtung gefunden hat, was sich mit dem deutschen Verleger radikal ändert.

Barth macht sich seinen inneren Entwicklungen entsprechend - und weil eine neue Auflage notwendig wird - an eine Überarbeitung des Römerbriefes. Wieder ist der Freund E. Thurneysen eine große Hilfe. Barths sechsjährige Tochter erzählt stolz: "Der Papa schreibe jetzt an einem noch viel schöneren Römerbrief!" [9]

Und in Kreisen seiner Freunde kursiert die Anekdote: "Barth und Thurneysen sitzen sich einmal den ganzen Nachmittag rauchend gegenüber. Nach einer Stunde sagt Barth: "Vielleicht"!! und nach einer Stunde weiteren Schweigens der Freund: Vielleicht auch nicht!!! Das war das ganze Gespräch ..." [10]

Januar 1921 erhält Barth einen Ruf an die theologische Fakultät der Universität Göttingen. Im April wird dem Ehepaar Barth ein weiteres Kind geboren: Matthias.

Die 2. Fassung des Römerbriefes ist ein noch deutlicherer, ja radikalerer Versuch, sich von der Theologie des 19. Jahunderts abzugrenzen. Nicht mehr das fromme Selbstbewußtsein des Menschen, Gefühl und Anschauung stehen wie bei Schleiermacher im Mittelpunkt, sondern die Gottheit Gottes. Und so ist Gott "nicht die Beschwichtigung, sondern die Begrenzung des Menschen; er bringt ihn nicht ins Gleichgewicht, sondern in die Unruhe, in die Krisis ... [11]

Der Abschluß seiner Arbeiten am Römerbrief fällt zusammen mit seinem Abschied aus Safenwil. Ein wichtiger und einschneidender Lebensabschnitt ist für Karl Barth und seine Familie damit zu Ende.

4. Als Theologieprofessor in Göttingen und Münster (1921 - 1930)

4.1. Die Professur, eine neue Herausforderung

Karl Barth beginnt seine Arbeit in Göttingen nicht, wie üblich, mit einer Vorlesung, sondern mit einer Predigt, in der er ausführt: "Gerade die Frage nach Gott kann nicht abreißen, nicht aufhören, nicht erledigt werden ... Wir können nie fertig werden mit ihm und können es doch nicht lassen, immer neu mit ihm anzufangen ..."
[12]

Mehr als überrascht ist er, als er die Nachricht erhält, dass die theologische Fakultät der Universität Münster ihn zum Dr. theol. ernannt hat.

Noch am Ende seines Lebens stellt er rückblickend fest, dass er nie promoviert oder sich habilitiert hätte - und doch wird sein Leben von nun an vor allem durch die akademische Forschung und Lehre bestimmt werden.

Barth arbeitet hart und bereitet sich gründlich auf seine Vorlesungen und Seminare vor. Er ist inzwischen ein bekannter Theologe, aber seine Studenten freuen sich darüber, einen selbst studierenden Lehrer zu haben, der nicht aus Konserven lebt und lehrt. Mit den Kollegen verbindet ihn relativ wenig, stellen sie in der Regel ja den damals noch typischen deutschen Professorentyp dar. Als reformierter Theologe an einer lutherisch geprägten Fakultät hat Barth es ohnehin nicht einfach.

Hier begegnet er den Theologen Paul Tillich (1886-1965), der später in den USA lehrt und erneut Friedrich Gogarten (1887-1967), der ebenfalls einen Lehrstuhl in Göttingen übernimmt. Mit ihm gibt es mancherlei Übereinstimmung, doch im Laufe der Jahre auch viel Trennendes in Kernfragen. In Bremen lernt er auf einer Vortragsreise den Arzt Dr. Karl Stoevesandt kennen, dessen Sohn Hinrich später in Basel das Karl Barth Archiv leiten wird und die Gesamtausgabe der Werke Barths begleitet.

Im Laufe der Zeit lehrt Barth hier in Göttingen über den "Heidelberger Katechismus", "Calvin", "Zwingli", den "Jakobusbrief" und hält vor allem seine berühmte Vorlesung über "Schleiermacher", eine grundlegende Auseinandersetzung mit diesem maßgeblichen Theologen, des 19. Jahrhunderts.

Immer wieder wird Barth zu Vorträgen herangezogen. Ein viel beachteter ist der über "Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie". Hier bringt Barth prägnant zum Ausdruck, was dann die "Dialektische Theologie" genannt wird: "Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben ..." [13]

Es geht diesem theologischen Entwurf also um ein "Denken im Gespräch des Menschen mit dem ihm souverän begegnenden Gott." [14]

Im Gegenüber zur "liberalen Theologie" wird er auch angemessener als "Theologie des Wortes" bezeichnet. Sie prägt von nun an maßgeblich die Theologie des 20. Jahrhunderts.

Mit Thurneysen und Gogarten wird (1922) die theologische Zeitschrift "Zwischen den Zeiten" gegründet, damit bekommen die Freunde ein Organ an die Hand, um ihre theologischen Gedanken einem breiteren Interessentenkreis zur Kenntnis zu geben. Hier in Göttingen beginnt Barth im Frühjahr 1924 mit der Ausarbeitung seiner ersten Dogmatikvorlesung. Gerade dieses theologische Fachgebiet, die "Dogmatik", wird jetzt zu seiner Lebensaufgabe.

Im April 1925 wird sein Sohn Hans Jakob geboren. Im Herbst dieses Jahres nimmt Barth einen Ruf nach Münster in Westfalen an. Es ist eine Professur für Dogmatik und neutestamentliche Exegese. Zunehmend befaßt sich Barth mit dogmatischen Fragen. Sein erstes Werk in dieser Hinsicht, die "Prolegommena", liegt 1927 in gedruckter Form vor.

4.2. Charlotte (Lollo) von Kirschbaum

Einschneidend für Barth und sein Lebenswerk, wie aber auch für die Familie ist die Mitarbeit von Charlotte (Lollo) von Kirschbaum. 1924 lernt er sie flüchtig kennen, nun folgt sie ihm nach Münster, um ihm in seiner Arbeit zur Seite zu stehen. Sie wird ihm zu einer unerläßlichen Mitarbeiterin, ohne die er sein künftiges Arbeitspensum so nicht hätte schaffen können. Sie zieht zur Familie Barth und wird im Laufe der Zeit ein Familienmitglied. "An der Tatsache der Anwesenheit "Lollos" in Barths Leben und dann eben auch in Barths Hause nahmen in der Tat viele Anstoß, selbst gute Freunde ... Keine Frage, die innere Nähe, in die sie zu ihm kam, bedeutete besonders für Barths Ehefrau Nelly ein hartes Verzichtenmüssen! Sie mußte jetzt zurücktreten. Sie ließ ihren Mann darum aber nicht los. Auch sie versuchte auf ihre Weise, ihm auf seinem weiteren Weg zu folgen ..." [15]

Man kann sich vorstellen, wie belastend die Situation für alle Beteiligten ist, vor allem für die Kinder der Eheleute Barth. Doch Lollo wird unersetzbar, daher ist für die Beteiligten nichts an der Sitation zu ändern. Viel ist über diese Beziehung spekuliert worden. Die Rolle Lollos wird viele Jahre später, im Rahmen der feministischen Theologie, mit einem (in Teilaussagen) durchaus auch fragwürdigen Büchlein reflektiert und z.T. ein wenig gewagt kommentiert.

4.3. Barths Arbeit in Münster

Neben seinen Vorlesungen und Seminaren bleibt Barth ein gefragter Vortragsredner. In immer neuen Wendungen und Spiegelungen muß die "neue" Theologie bedacht und ins Bewußtsein der Menschen gebracht werden. Liest er ihm Rahmen seiner Professur in Münster z.B. über die "Eschatologie" (die Lehre von den letzten Dingen), "Die Geschichte der protestantischen Theologie seit Schleiermacher", die "Institutio Calvins", "Ethik" und "Dogmatik", so hält er darüber hinaus viele Vorträge zu verschiedensten Themen, die er einem breiten Zuhörerkreisen vorträgt..

In seinem Vortrag "Das Wort Gottes und die Theologie" von 1929 macht er noch einmal deutlich, worum es ihm im Entscheidenden geht. "Er will zur Besinnung aufrufen über das, was da geredet und getan wird, Besinnung auf das Eine, Notwendige, Unentrinnbare, dem unsere Kirchen, dem wir Pfarrer und Theologen ... mehr als je gegenüberstehen ..." [16]

Es ist ein breiter Fächer theologischer Fragestellungen, die Zeit und Kraft in Anspruch nehmen, da jede Vorlesung, jedes Seminar, jede Predigt und jeder Vortrag nach wie vor gründlich bedacht und ausgearbeitet werden. In dieser Zeit setzt sich Barth auch gründlich mit dem Katholizismus auseinander.

1926 hat Barth neben seiner schweizer auch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Gegen Ende seiner Zeit in Münster kündigen sich tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten im Kreis der Vertreter der "Dialektischen Theologie" an, Barth verliert alte, aber er gewinnt auch neue Freunde. Die zwanziger Jahre mit dem Ende seines Pfarramtes und seinen Berufungen nach Göttingen und Münster empfindet er rückblickend "als eine Zeit zwischen den Zeiten" [17]

5. Bonn (1930 - 1935)

5.1. Der Lehrer und die Lehre

Barth ist nun 44 Jahre alt, als er seine Tätigkeit in
Bonn aufnimmt. Nach wie vor stellt er hohe Ansprüche an seine Schüler, die eine strenge Aufnahmeprüfung über sich ergehen lassen müssen, wenn sie an seinen Seminaren teilnehmen wollen. Ihm ist es aber gar nicht unlieb, "die Pforte zum Pfarramt mit ein bißchen Furcht und Schrecken zu umgeben". [18]

So sammelt er eine große Schülerschar um sich, u.a. den später selbst einmal sehr bekannten Theologen Helmut Gollwitzer, der sich bereits in der "Bekennenden Kirche" einen Namen machen sollte. Seine Vorlesungen eröffnet Barth morgens um 7.00 Uhr mit einer kleinen Andacht, mit Schriftlesung und einem gemeinsam gesungenen Choral.

Die Bonner Jahre sind vor allem durch den Kirchenkampf gekennzeichnet, doch zunächst arbeitet Barth über den "Gottesbeweis" des Anselm von Canterbury, um sich dann desto energischer wieder der Dogmatik zuzuwenden. Wieder fängt Karl Barth von vorne an, er will all das bisher Gesagte nicht nur noch einmal ganz anders, sondern auch theologisch besser und richtiger sagen. Barth will keine "konfessionelle", wohl aber eine "Kirchliche Dogmatik" schreiben. Die Dogmatik "fragt heute wie zu jeder Zeit neu nach der Wahrheit, von der die Verkündigung der christlichen Kirche herkommt ..." [19]

1932 wird der erste Teilband der "Kirchlichen Dogmatik" (KD) veröffentlicht. Ein Werk, dass er ausdrücklich nicht nur für Theologen, sondern ebenso für interessierte Laien verfaßt, die ohnehin von Anfang an regen Anteil an seiner Arbeit nehmen. Hier wird deutlich, dass Barth aus einem Gemeindepfarramt kommt. Zunehmend ist er von den politischen Ereignissen beunruhigt, so hält er am 31. Januar 1931 in Berlin vor 1400 Menschen seinen Vortrag über "Die Not der evangelischen Kirche".

5.2. "Theologische Existenz Heute"

Längere Zeit äußert sich Barth nicht weiter öffentlich zu den politischen Ereignissen in Deutschland. Doch immer stärker bedrängt, verfaßt er im Juni 1933 seine Kampfschrift "Theologische Existenz Heute". Vorausgegangen ist ein starkes Anwachsen der "Deutschen Christen" (DC), die immer stärker eine Gleichschaltung der Kirche mit dem NS-Staat fordern und die den bis dahin unbekannten Marinepfarrer Ludwig Müller mit dem Segen A. Hitlers zum "Reichsbischof" machen.

In dieser Schrift führt Barth aus:

Das, was jetzt unter keinen Umständen geschehen darf, ist dies, dass wir im Eifer für irgend etwas, was wir für eine gute Sache halten, unsere theologische Existenz verlieren ... [20]

Diese unsere theologische Existenz, d.h. unsere Bindung an das Wort Gottes und die Geltung unserer besonderen Berufung zum Dienst am Wort Gottes kann uns heute verloren gehen ... [21]

Er schreibt weiter:
Was ich dazu zu sagen habe (Anm.: Zur Position der DC), ist einfach: Ich sage unbedingt und vorbehaltlos Nein zum Geist und zum Buchstaben dieser Lehre. Ich halte dafür, dass diese Lehre in der evangelischen Kirche kein Heimatrecht hat. Ich halte dafür, dass das Ende der evangelischen Kirche gekommen wäre, wenn diese Lehre, wie es der Wille der "Deutschen Christen" ist, in ihr zur Alleinherrschaft kommen würde. Ich halte dafür, dass die evangelische Kirche lieber zu einem kleinsten Häuflein werden und in die Katakomben gehen sollte, als dass sie mit dieser Lehre auch nur von Ferne Frieden schlösse ... [22]
Daraufhin entfaltet er in 9 Punkten seine fundamentale Ablehnung den Deutschen Christen und ihrem nationalsozialistischem Geist gegenüber. Barth beendet seine Schrift mit den Worten:
Darum kann die Kirche, kann die Theologie auch im totalen Staat keinen Winterschlaf antreten, kein Moratorium und auch keine Gleichschaltung sich gefallen lassen. Sie ist die naturgemäße Grenze jedes, auch des totalen Staates. Denn das Volk lebt auch im totalen Staat vom Worte Gottes ... Diesem Wort haben Kirche und Theologie zu dienen für das Volk ... [23]
Am 1. Juli 1933 kommt die "Theologische Existenz Heute" in den Buchhandel. Innerhalb von 14 Tagen werden vier Auflagen mit zusammen 12 000 Exemplaren herausgegeben. Als im Juli 1934 die Bayrische Politische Polizei beim Christian Kaiser Verlag in München alle weiteren Schriften beschlagnahmt, sind 37 000 Exemplare gedruckt. Ein Exemplar sendet er auch an Adolf Hitler, der nicht darauf reagiert.

5.3. Bekennende Kirche (BK) und die Theologische Erklärung von Barmen

100. Geburtstag Martin Miemöller Gegen Ende des Jahres 1933 beginnt sich der Widerstand innerhalb der evangelischen Kirche zu organisieren.
Martin Niemöller gründet den "Pfarrernotbund", es entsteht die "Bekennende Kirche". Zu Beginn des neuen Jahres gerät Barth unter Druck, als man auch von ihm den "Deutschen Gruß" am Anfang seiner Vorlesungen verlangt, was er strikt ablehnt. Ende Januar wird er von Kollegen nach Berlin gebeten, um einen Empfang bei Hitler mit vorbereiten zu helfen. Entsetzt über das, was bisher an Überlegungen und Positionen vorliegt, stellt er fest: "Wir haben einen anderen Glauben, wir haben einen anderen Geist, wir haben einen anderen Gott!" [24] Tumult entsteht!

Wir können heute nur noch erahnen, wie sehr damals innerhalb der Kirche um die richtigen Wege gekämpft wird. Aber man schenkt sich nichts und bezieht Position, was oft vergessen worden ist. Dabei wird auch die Judenfrage in bestimmten Kreisen u.a. um Barth und Bonhoeffer herum deutlich und öffentlich angesprochen - z.B. in Flugblättern in Millionenauflage und Kanzelabkündigungen.

Unter den Bekenntnissynoden jener Zeit ragt die vom 29. bis 31. Mai 1934 in Wuppertal - Barmen heraus. Es ist die erste überhaupt, die reformierte, unierte und lutherische Christen vereint und an der auch Laien teilnehmen. Einer der Teilnehmer ist der Kenzinger Friedrich Dittes, der dort die Badische Landessynode vertritt.

Maßgeblich formuliert Barth, was dann als die sechs "Barmer Thesen" von der Synode verabschiedet wird und Kirchengeschichte gemacht hat.

"Wir wären stumme Hunde, wenn wir ein reformiertes Bekenntnis aufstellen würden und nichts sagten über den "totalen" Staat" [25], sagt Barth in Barmen. Alle sechs Thesen sind mit einem Bibelwort überschrieben, dem folgt eine positiv formulierte These, worauf sich eine Verwerfung anschließt. So heißt es in der 1. These nach dem Bibelwort: 50 Jahre Barmer Theologische Erklärung

Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen ... [26]

Barth, und das wird hier wieder überdeutlich, fühlt sich mit seiner Theologie dem ersten Gebot verpflichtet. Dabei sehen gerade die lutherischen Vertreter der Bekennenden Kirche in Karl Barth eine Gefahr, der das Gespräch mit dem NS-Staat fast unmöglich macht, wo sie immer noch auf Vermittlungsmöglichkeiten hoffen. So muß das, was bisher als die "Bekennende Kirche" gilt, in dieser Form (Nov. 1934) als gescheitert angesehen werden.

5.4. Der Treueeid und Entlassung aus dem Staatsdienst

Nach dem Tode Hindenburgs (2. August 1934) verlangt Hitler den
"Treueeid" auf den "Führer" von allen Beamten, den Barth umgehend ablehnt, doch dahingehend modifiziert, dass er den Zusatz anbietet: "Soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann ..." Karl Barth wird am 26. November suspendiert, er kommt als Lehrer für die deutsche Jugend nicht mehr in Frage. Zusätzlich folgt bald schon ein Redeverbot. Mit Karl Barth muß auch sein Assistent Helmut Gollwitzer gehen.

Die Bonner Jahre empfindet Karl Barth als die bisher lebendigsten und reichsten Jahre seines Lehramtes, aber situationsbedingt muß er aus Deutschland heraus. Barth nimmt das Angebot seiner Heimatstadt Basel auf einen außerordentlichen Lehrstuhl an. Mit seiner Familie und Lollo von Kirschbaum verläßt er im Sommer 1935 Bonn, um von Basel aus seinen Dienst fortzuführen.

Die Bekennende Kirche, gerade im Rheinland, bleibt bestehen, sie ist inzwischen in den Gemeinden verwurzelt, so dass Barth mit seinem mutigen Wort und Einstehen für die Sache der Kirche fehlt. Es kommt vor, dass die Gemeinden der BK und der DC ihre Gottesdienste nacheinander feiern, einmal steht dann das Bild des Führers auf dem Altar und die Hakenkreuzfahne dahinter, danach das Kruzifix. Dies führt zu großen inneren Spannungen und ist in vielen Gemeinden bis heute in lebendiger Erinnerung.

6. Das Leuchtfeuer (1935 - 1946)

6.1. Widerstand und Hilfe

Bis Anfang 1939 können noch einige deutsche Studenten bei Karl Barth in Basel studieren, ohne dass ihnen diese Semester in Deutschland allerdings anerkannt werden. Ein amtlicher Beschluß deutscher Behörden stoppt schließlich diese Möglichkeit. Barth wagt sich sogar nach Deutschland zurück, wo er seinen Vortrag "Evangelium und Gesetz" hält.
Das Evangelium redet davon, dass und wie Gott, ..., den Menschen bestimmt, nämlich zum von Gott erwählten Bundespartner. Das Gesetz redet noch einmal davon, in dem es die Frage nach der dieser Bestimmung entsprechenden menschlichen Selbstbestimmung stellt ... [27]
Dieser Vortrag hat einen eminent politischen und kirchenpolitischen Hintergrund, sollte er doch bereits sehr viel früher in Barmen gehalten werden. Im Unterschied zur lutherischen Theologie und dem alten theologischen Thema von "Gesetz und Evangelium" stellt Barth hier ganz bewußt und im Rahmen seiner Theologie auch konsequent dem Gesetz das Evangelium voran.

Dieser Vortrag muß allerdings wegen des Redeverbotes in Gegenwart Barths verlesen werden. Danach wird Barth unter Begleitung der Staatspolizei endgültig über die schweizer Grenze abgeschoben. Dieser Vortrag wird also in Deutschland zu seinem Abschiedswort.

Die nun folgende Zeit ist erfüllt mit seinem Dienst an der theologischen Fakultät Basel, mit Vorlesungen und Seminaren, mit diversen Publikationen und Vorträgen in der Schweiz und im Ausland. Er setzt aber den Kirchenkampf aus der Schweiz fort, um in offener oder verschlüsselter Form seinen Freunden und Schülern zu helfen. Jetzt erst wird Barth von der Notwendigkeit eines aktiven politischen Widerstandes der Christen gegen den Nationalsozialistischen Staat überzeugt, was weitreichende Konsequenzen für ihn hat, da die neutrale Schweiz sein Engagement weder aus politischen noch aus wirtschaftlichen Gründen gern sieht. Die offizielle Schweiz ist - wie es sich heute immer deutlicher herausstellt - an einem guten Verhältnis zu den Machthabern in Deutschland interessiert. Barth ist auch hier - in seinem eigenen Heimatland - hellsichtiger.

Ununterbrochen setzt sich Barth mit der Dogmatik auseinander, unabhängig von den vielen anderen Fragestellungen, denen er nachgeht. So denkt er verstärkt über das Abendmahl nach und später über die Taufe. Das hergebrachte Sakramentsverständnis wird ihm in diesem Zusammenhang immer fragwürdiger. Auf seine Bitte hin, arbeitet sein Sohn Markus, der Neutestamentler wird, grundlegend über die Taufe, um seinem Vater in exegetischer Hinsicht eine Hilfestellung zu geben. Lange nach Barths Tod kommt der Sohn einer weiteren ausdrücklichen Bitte nach und veröffentlicht sein Werk zum Thema Abendmahl.

1938 gibt Barth eine neue theologische Zeitschrift heraus, da er in Deutschland nicht mehr publizieren darf. Im Herbst dieses Jahres wird der Verkauf sämtlicher Schriften Barths in Deutschland verboten.

Es erscheinen nun in der Schweiz die "Theologischen Studien". Im ersten Exemplar veröffentlicht Barth seinen Vortrag "Rechtfertigung und Recht" zum Problem von Staat und Kirche. Ohne einer Verwechslung von Staat und Kirche das Wort reden zu wollen, leitete er ... die politische Aufgabe der Kirche ab: "Nicht im Sinn eines passiven Untertanengehorsams, sondern einer aktiven, verantwortlichen Teilnahme am Staat. Freilich, der entscheidende Dienst der Kirche für den Staat sei ihre Verkündigung: `In dem sie die göttliche Rechtfertigung verkündigt, wird aufs Beste auch die Aufrichtung und Erhaltung des menschlichen Rechts gedient’" [28]

Barth stellt fest: "Er regiert die Welt, auch wenn die Staaten der Welt schlecht regiert werden ..." [29]

Angesichts eines totalitären Staates arbeitet Barth gründlich die Frage von Staat und Kirche auf, die beide ihre von Gott gegebenen Aufgaben zu erfüllen haben, wollen sie ihren Dienst recht versehen. Dabei bleibt Kirche Kirche und hat sich vom staatlichen Tun schon durch ihre andersgearteten Aufgaben zu unterscheiden. Der Staat hat das Seine zu tun, ohne die Aufgaben der Kirche übernehmen zu wollen ... Barth stellt in diesem Zusammenhang die Verantwortung des Wählenden, wie des Gewählten heraus. Für den Notstand gibt es ein Widerstandsrecht gerade auch für den Christen.

Dies wird von ihm explizit in seinem Schreiben an den tschechischen Theologen Josef Hromadka zum Ausdruck gebracht, bis hin zum bewaffneten Widerstand gegen Hitler und zwar um des Glaubens willen!

6.2. Der 2. Weltkrieg

Am 1. September 1939 beginnt der zweite Weltkrieg, den Barth aus der Schweiz heraus erlebt. Gespannt und traurig nimmt er Anteil am Geschehen in Deutschland. Er sieht es jetzt als seine Aufgabe an, "ordentlich" Theologie zu treiben, und so versieht er seinen Dienst in der gewohnt aktiven Weise, weit über die Universität hinaus.

Als guter Schweizer - und in Konsequenz seines Vortrages über "Rechtfertigung und Recht" meldet sich Barth zum bewaffneten Hilfsdienst. Da er ja seit seiner Jugend eine Brille tragen muß, ist es jetzt das erste Mal, dass er einen derartigen Dienst zu übernehmen hat, dazu noch in der Grenzstadt Basel.

In einem viel beachteten Referat vor 2000 Menschen fordert er die Schweizer im Juli 1942 zum Widerstand auf: "Entweder nachgeben oder widerstehen". Er übt Kritik, damit der Widerstand widerstandsfähig sei,

  1. an der Benachteiligung wirtschaftlich Schwacher,
  2. an der Nichtvertretung der Sozialisten in der Regierung (um eine breite mehrheitsfähige Regierung zu erhalten),
  3. an der Einschränkung der Presse- und Redefreiheit,
  4. (man beachte!) an der Beschneidung des Asylrechtes und
  5. an dem schwunghaften Handel der Schweiz mit den Achsenmächten ... [30]
16 000 Exemplare werden noch schnell gedruckt und verteilt, bevor das Referat von der Regierung verboten wird. Natürlich schickt Barth ein Exemplar zuvor dem Bundespräsidenten.

Barth schreibt Briefe und äußert sich über die Landesgrenzen hinaus sogar über den Rundfunk. Er hilft den Betroffenen des Krieges aller Seiten, wo immer er helfen kann. So hat er in dieser Zeit auch Kontakt mit Thomas Mann und Hermann Hesse. Angesichts der deutschen Niederlage Anfang 1945 ruft er in einem Vortrag "Die Deutschen und wir" dazu auf, den Deutschen freundlich zu begegnen, "Deutschland braucht nunmehr Freunde, Freunde, trotz allem!" [31]

Sofort nach der Kapitulation ist Barth einer der ersten namhaften Ausländer, die Deutschland besuchen, tief erschüttert über das Ausmaß der Zerstörung und den Verlust zahlreicher Schüler und Freunde.

Selbstkritisch in Bezug auf die schweizer Haltung während des Krieges gibt Barth nach seiner Rückkehr ein Interview in der "Weltwoche" unter dem Leitgedanken: "Und vergib uns unsere Schuld". Die "Stuttgarter Schuldbekenntnis" einiger Kirchenführer auf deutscher Seite findet Barth hingegen zu unkonkret. Am 2. November hält er wohl als erster Ausländer nach dem Krieg im Staatstheater Stuttgart seine Rede: "Ein Wort an die Deutschen!" Dabei lernt er Carlo Schmid kennen, dessen Gast er ist. Unter dem Stichwort "Nüchternheit" sagt er in dieser Rede, die dann mit der Lizenznummer 21 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung gedruckt werden darf:

Ein erwachtes deutsches Volk, ein deutsches Volk, das nun stehen und gehen will, wird ein Volk sein, das nüchtern werden und bleiben will. Es wird sich also auch keinen Illusionen, die sich ihm jetzt aufdrängen könnten, versagen ...

Deutsche Nüchternheit würde jetzt wohl vor allem bedeuten, dass man es unterläßt, sich in brausenden Klagen und Anklagen gegen die Anderen zu ergehen ... Deutsche Nüchternheit würde jetzt weiter darin bestehen, dass man sich nicht darauf versteift, nun möglichst schnell und völlig zu den Zuständen der Zeit vor 1933 zurückzukehren ... Und deutsche Nüchternheit würde jetzt schließlich und vor allem darin bestehen, dass man in allen deutschen Lebensgebieten resolut aufhörte, nach besonderen Führern, Autoritäten, anregenden und leitenden Instanzen, nach irgendwelchen Worten, Weisungen und Befehlen von oben, nach irgendwelchen gewaltigen Stimmen aus der Wolke zu fragen ... Deutsche Nüchternheit bestünde heute in dem entschlossenen Willen, dass der Führer, den Deutschland nun 12 Jahre lang gehabt hat, sein letzter Führer gewesen sein soll ... [32]

7. Die Nachkriegszeit (1946 - 1955)

7.1. Noch einmal: Bonn

Um auf seine Weise beim Wiederaufbau Deutschlands zu helfen, geht Barth gastweise im Sommer für 2 Semester zurück nach Bonn. Hier begegnet er gleich mehrmals
Konrad Adenauer, den er vor der Gründung einer "christlich demokratischen Partei" warnt. Barth will eine deutliche Trennung der Kirchen mit ihren Aufgaben und einer Partei, die den Namen "christlich" führen sollte.

Es ist Barths 50. Dozentensemester, verbunden mit seinem 60. Geburtstag, den er im zerstörten Bonn erlebt. Wie immer beginnt er seine Vorlesungen um 7.00 Uhr, um 8.00 beginnen im Hof die Baumaschinen mit ihrer Arbeit. Seine Zuhörer sind Theologen, viele Zuhörer anderer Fakultäten und Kriegsteilnehmer. Barth bittet die Schweizer um Hilfe für diese jungen Leute, denen es im zerstörten Bonn an allem mangelt. Es werden Nahrungsmittel, Bücher, doch eben (typisch für ihn!) auch dringend Rauchwaren für die Studenten benötigt. Er bekommt die erwünschten Dinge per Schiff und von schweizer Offizieren und Soldaten in Uniform überbracht, was in Bonn für reichlich Aufsehen sorgt.

Wieder wird Barth, neben aller Arbeit in der Fakultät und an seiner Dogmatik, als Vortragsredner gebeten. Beachtung findet sein Vortrag "Christengemeinde und Bürgergemeinde". Ganz im Sinne der "5. Barmer These" arbeitet Barth heraus, dass Kirche und Staat nicht einfach nur zwei getrennte Bereiche sind, sondern in Beziehung stehen: "Im Raum der Bürgergemeinde ist die Christengemeinde mit der Welt solidarisch und hat sie diese Solidarität resolut ins Werk zu setzen ...", dabei darf sie nicht etwa als eine "christliche" Partei auftreten. [33]

In dieser Zeit reist Barth auf Einladung auch nach Ost-Berlin, wo er die Spitzen der sozialistischen Einheitspartei kennen lernt. Mit einiger Sorge geht Barth in die Schweiz zurück, um von dort aus den alliierten Militärregierungen einige kritische Punkte zu benennen, die ihm aufgefallen sind. Es wird zu wenig getan, den Deutschen ein Gefühl für "demokratische Werte" zu vermitteln. Den Deutschen mutet Barth anderes zu, da er spürt, wie wenig sie geneigt sind, ihre Kriegsschuld wirklich innerlich aufzuarbeiten und schon sehr bald dazu übergehen, sich immer über die Schuld der anderen zu beschweren.

In Basel erkämpft er einer kleinen Gruppe von deutschen Studenten die Möglichkeit des Studiums, unter ihnen ist der spätere Bundesrichter Helmut Simon. Die Fakultät ist ohnehin international besetzt, da Studenten aus aller Welt zu Barth kommen, um ihn zu hören. Sein Wort hat internationales Gewicht, weit über seine Theologische Kompetenz hinaus. Immer wieder wird er zu Stellungnahmen aufgerufen. So äußert er sich jetzt zunehmend zur Stellung der Kirche im beginnenden Ost-West Konflikt.

7.2. Ökumene und Ost-West Konflikt

Barth wird 1947 gebeten, sich in der Ökumene zu engagieren, was er vermehrt tut. Mit großem Bedauern nimmt er allerdings zur Kenntnis, dass sich Rom an diesem beginnenden Prozeß nicht beteiligt.

Barth arbeitet in diesen Jahren unermüdlich an seiner "Kirchlichen Dogmatik", die ihm viel abverlangt, Zeit und Mühe kostet. Sieben Bände liegen inzwischen vor, der achte Band wird gerade 1951 fertig. Es ist inzwischen ein so gewaltiges Werk geworden, dass Otto Weber 1950 eine geraffte Inhaltsangabe, ja eine Führung durch die "KD" (Kirchliche Dogmatik) herausgibt. Jetzt liegt die "Versöhnunglehre" vor dem gerade 65-jähigen Theologen Karl Barth, eine Hauptaufgabe seiner ganzen Dogmatik.

Ausgerechnet in dieser Zeit gerät Barth in der Schweiz ins Kreuzfeuer. Er ist gegen die Art eines "Antikommunismus", wie er ihn wahrnimmt. Barth läßt sich überhaupt von keiner Seite im Ost-West Streit vereinnahmen. Er plädiert dafür, die Chance des endlich wiedererlangten Friedens für einen "dritten Weg" zu nutzen, der den Menschen beider Blöcke dienen muß. Christen, so fordert er, sollten gegen den Strom schwimmen und sich von keiner Propaganda vereinnahmen lassen, ganz gleich, von welcher Seite sie kommt. Durch diese Auseinandersetzung vertieft sich der Kontakt zu Gustav Heinemann. Auch Heinemann war Synodaler auf der Barmer Bekenntnis-Synode 1934. Eine sehr persönliche Freundschaft entsteht.

7.3. Die Entmythologisierung

Daneben wird Barth in eine ganz andere Auseinandersetzung hineingezogen, nämlich die Debatte um die "Entmythologisierung" und "Existentialisierung" der theologischen Sprache. Bei dieser Auseinandersetzung geht es vor allem um das Werk Rudolf Bultmanns, dem Barth bei seinen diesbezüglichen exegetischen Bemühungen nicht folgen kann. Er sieht hier die Theologie in die Sackgasse einer "philosophischen Anthropologie" laufen. Er wehrt sich leidenschaftlich gegen eine "Ethisierung" der Theologie. Die Endwehen dieser vielfach von Unkenntnis und Unsachlichkeit begleiteten Diskussion habe ich noch im Laufe meines Studiums erlebt.

Inzwischen ist der erste Teilband seiner "Versöhnungslehre" herausgekommen, den Barth seinen drei Söhnen widmet: Markus befindet sich im Aufbruch, einen Lehrstuhl in den USA einzunehmen, Christoph hat gerade Heimaturlaub von seiner Dozentur in Indonesien und Hans Jakob ist im künstlerischen Bereich aktiv. So ist nun keiner der drei Söhne mehr in Barths Nähe, was ihn dazu veranlaßt, sich wie Jakob zu fühlen, der ebenfalls seine Söhne ziehen lassen muß. Doch der Kontakt bleibt eng.

Nach längerer Zeit führt ihn jetzt sein Weg wieder einmal nach Deutschland, wo er den Vortrag "Das Geschenk der Freiheit" hält. Barth spürt sein zunehmendes Alter, was ihn dazu veranlaßt, seine Vortragstätigkeit allmählich einzuschränken und die verbleibende Kraft seinem Hauptwerk der "KD" zukommen zu lassen.

8. Es geht weiter (1955 - 1962)

8.1. W. A. Mozart

Ende Oktober 1955 zieht Karl Barth mit seiner kleiner gewordenen Familie in die Bruderholzalle 26 in Basel um. Es ist das erste eigene Haus Karl Barths und seiner Frau Nelly. Auch Lollo von Kirschbaum begleitet die beiden in das neu erworbene Domizil. Heute ist in diesem Haus das "Karl Barth Archiv" untergebracht. Nach dem Tode der Eheleute Barth wird es von den Kindern in eine Stiftung eingebracht. Die Arbeitszimmer Barths bleiben dabei unverändert.

1956 feiert Barth seinen 70. Geburtstag, wobei er mit einer dickleibigen Festschrift von Schülern, Weggefährten und Freunden geehrt wird. Wichtiger ist ihm allerdings das Jubiläumsjahr W.A. Mozarts, der vor 200 Jahren geboren worden war. Nach wie vor begleitet gerade dieser Musiker Barths Leben, so dass er in diesem Jahr zu einigen Stellungnahmen gebeten wird. Barth hat sich nicht gescheut, was theologiegeschichtlich sicher einmalig ist, Mozart in einer längeren Passage in einem Dogmatikband ganz beachtlich zu kommentieren.

Er wird gebeten einen "Dankbrief an Mozart" zu schreiben, der in jenem Jahr publiziert wird. Er bekennt dort u.a.: "... dass, wenn ich je in den Himmel kommen sollte, mich dort zunächst nach Mozart und dann erst nach Augustin und Thomas, nach Luther, Calvin und Schleiermacher erkundigen würde ..." [34] Darüber hinaus hält er einen Vortrag mit dem Titel "Mozarts Freiheit".

Mit einem trockenen Bescheid der Behörden wird ihm mitgeteilt, dass er "ausnahmsweise und bis auf weiteres" seinen Dienst versehen dürfe, da er nach Basler Gesetz eigentlich jetzt in den Ruhestand hätte treten müssen. Barth ist sich seines Alters bewußt. Soeben hat er sein 10. Enkelkind bekommen - entsprechend zu den 10 bisher erschienen Dogmatikbänden.

Angesichts der zahllosen Ehrungen nun auch durch die Universität stellt Barth fest:

Machen Sie möglichst wenig Aufhebens von meinem Namen! Weil es nur einen interessanten Namen gibt, während die Erhebung aller sonstigen nur zu falschen Bindungen führt und bei anderen nur langweilige Eifersucht und Verstockung erregen kann. Und nehmen Sie auch von mir keinen Satz ungeprüft entgegen ... Ein guter Theologe wohnt nicht in einem Gehäuse von Ideen, Prinzipien, Methoden. Er durchschreitet alle solche Gehäuse, um immer wieder ins Freie zu kommen. Er bleibt unterwegs ... [35]

8.2. "Gottes fröhlicher Partisan"

Seit 1954 hält Barth im Basler Gefängnis Gottesdienste. Diese Aufgabe nimmt er sehr ernst und setzt sie gern noch einige Jahre (bis 1964) fort. Es ist eine ganz besondere Gemeinde, mit der er im Laufe der Jahre 28 Gottesdienste feiert. Nach wie vor predigt er über kurze Bibelworte und so konkret wie möglich. Um die Gefangenen besser kennen zu lernen, besucht er viele von ihnen persönlich.

In diesem Jubiläumsjahr (1956) promoviert der junge katholische Theologe Hans Küng über die "Rechtfertigungslehre" in der Kirchlichen Dogmatik" Karl Barths. Barth kommt der Bitte dieses jungen Theologen nach und schreibt ein Vorwort zum Buch. Neben dem katholischen Theologen Urs von Balthasar, mit dem Barth in Basel ja ständig Kontakt hält, setzt sich hier nun ein weiterer katholischer Theologe mit dem Werk Barths auseinander.

Im Herbst dieses ereignisreichen Jahres hält Barth seinen Vortrag über "Die Menschlichkeit Gottes", der mich dann sehr viel später dazu bewegt, mich doch noch einmal mit der Theologie Barths auseinanderzusetzen. Barth selbst sagt: "Für mich war das ein Rückblick, für viele war’s eine Entdeckung.." [36] Er führt aus:

Die Wendung von damals hatte ausgesprochen kritisch-polemischen Charakter ... An Gott denken hieß (..) kaum verschleiert: An den religiösen, den christlich religiösen Menschen denken ... Keine Frage, hier wurde der Mensch groß gemacht auf Kosten Gottes ...
Und weiter:
Es wäre eines falschen Gottes falsche Göttlichkeit, in und mit der uns nicht sofort auch seine Menschlichkeit begegnete ... In Erkenntnis der Menschlichkeit Gottes ist die Christenheit, ist die Kirche ernst zu nehmen und zu bejahen ... Eben darum gibt es keine private Christlichkeit ... [37]
Die kommende Zeit ist wieder von der Arbeit an der Dogmatik geprägt und die Schar der Studenten, die bei Barth studieren wollen, nimmt eher zu, als ab. Auf dem Hintergrund des Ungarnaufstandes 1956 schließt sich Barth schon bald einem Votum Albert Schweitzers und 10 nahmhafter deutscher Wissenschaftler gegen die Atombewaffnung an. Er ist prinzipiell und für alle Staaten geltend, gegen eine solche Waffe. Übrigens ist er sich in dieser Frage neben vielen anderen auch mit dem Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch einig, dessen Kabarett er gern besucht.

Barth bleibt weiterhin ein gefragter Gesprächspartner, weshalb er im Herbst des Jahres 1958 einen Offenen "Brief an einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik" schreibt. Hier beantwortet er Fragen zur Existenz der Christen in der DDR. Ein breites Echo folgt. Dankbar von den Betroffenen selbst aufgenommen, ist er in Teilen der Presse umstritten.

Ein weiterer Dogmatikband kann fertig gestellt werden, und Barth setzt sich nun erneut mit der Tauffrage auseinander, wobei ihm das Buch über die "Taufe" seines Sohnes Markus hilft. Er lehnt die Säuglingstaufe ab, wie aber auch das "sakramentale Verständnis der Wassertaufe".

In wie weit eine breite Öffentlichkeit von Barth Notiz nimmt, zeigt, dass der "SPIEGEL" in seiner Weihnachtsausgabe vom 23.12.1959 einen Leitartikel über Barth herausbringt. Das Titelbild trägt die Überschrift: "Gottes fröhlicher Partisan". Die Titelgeschichte: "Karl Barth. Die Kunde vom unbekannten Gott." [38] Zwischen 1947 und 1994 wird Karl Barth allein in dieser Zeitschrift 127 Mal erwähnt, zum Teil in den Hauptartikeln.

9. Das Geschenk der letzten Jahre

9.1. Aktiver Ruhestand und Erfahrung eigener Grenzen

Seinen 75. Geburtstag feiert Barth im Kreis engster Freunde, wo er bekennt:
Ich habe nie gemeint, mit der "Kirchlichen Dogmatik" das letzte Wort gesprochen zu haben. Es ist mir sehr klar, auf jeder Seite könnte die Sache anders und besser gemacht werden ... [39]
Barth wird nun nach einem letzten Semester, wo er neben der Dogmatik das Abendmahl behandelt, am 1. März 1962 in den Ruhestand verabschiedet. Am Ende seines amtlichen 40-jährigen Lehrdienstes sagt er im Blick auf alle theologische Arbeit:

"... dass, wer sie tun will, nie mit freiem Rücken von schon erledigten Fragen, von schon erarbeiteten Resultaten, von schon gesicherten Ergebnissen herkommen ... kann, sondern darauf angewiesen ist, jeden Tag, ja zu jeder Stunde neu mit dem Anfang anzufangen." [39]

Seine endgültig letzte Vorlesung zum Thema "Die Liebe", beschließt er mit dem altkirchlichen Lobpreis: "Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist ..."

Den "Ruhestand" beginnt Barth mit einer ausgedehnten Reise in die USA, die er bisher trotz zahlreicher Einladungen noch nicht erlebt hat. Dagegen haben im Laufe der Jahre viele Amerikaner bei ihn studiert. Nach der Sommerpause nimmt er im Herbst die "streng privaten" Colloquien auf, allerdings nicht in der Uni, sondern im benachbarten Restaurant Bruderholz. Die Studenten kommen zuhauf. Darüber hinaus begleitet er ein Gesprächsforum seiner Doktoranten. In diesem Kreis werden eigene Arbeiten oder auch theologische Neuerscheunungen besprochen.

Bei einem solcher Gespräche mit rheinischen Jugendpfarrern (!) kommt es über der Bultmann-Frage zu einer lebhaften Diskussion, wobei einer der Anwesenden feststellt: "`Herr Professor, Sie haben Geschichte gemacht, aber nun sind Sie auch Geschichte geworden. Wir Jungen aber sind im Aufbruch zu neuen Ufern!’ Barth antwortete: `Wie schön, das höre ich gern, erzählen Sie uns etwas von diesen neuen Ufern’! - Er wußte nur leider nichts davon zu erzählen." [41]

Barths Arbeitskraft nimmt jetzt doch spürbar ab, er ist häufiger krank und muß sich wegen eines Krebsleidens, das ihn für den Rest seines Lebens in einem gewissen Maße behindern würde, operieren lassen. Zum Altwerden stellt er in seiner Lage fest: "Allerdings war es künftig so, dass ich oft mit einer mir selbst ganz unerklärlichen Traurigkeit zu streiten habe, in der mir alle Erfolge, die das Leben mir gebracht, gar nichts helfen. Aber ich sagte und sage mir beständig, dass der liebe Gott und die Engel sich wahrscheinlich erkundigen wollten und noch wollen, ob ich in der Lage sei, einige von den schönen Dingen, die ich seit 50 Jahren geschrieben habe, nun auch ein bißchen zu leben ..." [42]

Seine so unendlich verdiente Mitarbeiterin, Lollo von Kirschbaum, wird zum Jahreswechsel 1965/66 derartig geistig behindert, dass die Eheleute Barth sie in ein Heim einweisen lassen müssen, sie aber an jedem Wochenende besuchen. An der Seite Barths hat diese hochgebildete Frau auf eine Familie, wie auch auf einen eigenen beruflichen Weg und Erfolg verzichtet, allerdings in eigener Entscheidung.

Barth feiert 1966 seinen 80. Geburtstag in Verwunderung darüber, "dass er diesen Tag überhaupt noch erleben darf". Manche seiner alten Freunde sind längst nicht mehr am Leben, doch unter den vielen Gratulanten ist auch noch einmal Rudolf Bultmann. Eine weitere Festschrift die "Parrhesia" (= fröhliche Zuversicht), wird ihm von Freunden und Schülern gewidmet.

Ein Höhepunkt dieses Jahres ist Barths Besuch in Rom. Er trifft dort auf hohe katholische Würdenträger. Sein Besuch endet mit einer Privataudienz bei Papst Paul VI. Im Winter beendet er seine fast lebenslange Arbeit an der Kirchlichen Dogmatik mit einem Fragmentband, den er seiner Frau Nelly widmet, die ihn durch die vielen Höhen und Tiefen seines Lebens begleitet hat.

Es ist seine letzte größere Veröffentlichung. 9185 Seiten in 13 z.T. dickleibigen Bänden umfaßt diese Arbeit, die letztendlich unvollendet bleiben muß. Es fehlt eine ausgearbeitete "Lehre von der Eschatologie", von der Erlösung. Dennoch bleibt Barth in der gewohnten Weise mit Studenten, Schülern und verschiedensten Besuchsgruppen im Gespräch. Eine "späte Freundschaft" beginnt Karl Barth in den letzten Lebensjahren mit Carl Zuckmayer.

9.2. Das letzte Wort: Ein Hinweis!

Karl Barths Publikationen sind nicht zu zählen. Er veröffentlicht wohl an die 976 Einzeltitel zum Teil viele hundert Seiten lang. Bis 1977 wird man 2823 Titel zählen, die sich mit dem Werk Karl Barths auseinandersetzen. Diese Auseinandersetzung wird fortgeführt und ist in Titeln daher abschließend nicht zu benennen.

In den letzten Monaten seines Lebens wird Karl Barth zu einigen Rundfunkinterviews gebeten. Im Spätherbst 1968, wenige Wochen vor seinem Tod fragt er angesichts der katholischen und evangelischen Gottesdienste, die er situationsbedingt sonntags am Radio verfolgt, ganz im Geiste seines ökumenischen Denkens: "Warum wird bei uns nicht jeden Sonntag in jeder Kirche ( ...) auch das Heilige Abendmahl gefeiert? .. Würden wir nicht gerade so umfassend "Kirche des Wortes" - des Wortes, das nun einmal nicht Rede, sondern Fleisch wurde?" [43] Und in einem Interview im November 1968 zum Thema: "Musik für einen Gast": sagt er rückblickend auf sein arbeitsreiches und erfülltes Leben:

Das letzte Wort, das ich als Theologe und auch als Politiker zu sagen habe, ist nicht ein Begriff wie "Gnade", sondern ist ein Name: Jesus Christus. Er ist die Gnade, und er ist das Letzte, jenseits von Welt und Kirche und auch von Theologie. Wir können ihn nicht einfach "einfangen". Aber wir haben es mit ihm zu tun. Um was ich mich in meinem langen Leben bemüht habe, war in zunehmenden Maße, diesen Namen hervorzuheben und zu sagen: dort ... Dort ist auch der Antrieb zur Arbeit, zum Kampf, auch der Antrieb zur Gemeinschaft, zum Mitmenschen. Dort ist alles, was ich in meinem Leben in Schwachheit und Torheit probiert habe. Aber dort ist’s ... [44]
Am Montag den 9. Dezember arbeitet Barth weiter an einem erbetenen Vortrag mit dem Titel: "Aufbrechen - Umkehren - Bekennen", der dann im Januar zur ökumenischen Gebetswoche gehalten werden sollte. Doch dazu kommt es nicht mehr. Spät am Abend wird er von seinem treuen Freund Thurneysen angerufen. Sie sprechen über die bedrohliche Weltlage, als Barth dem Freund sagt: "Aber nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert!" [45]

Mitten im Satz bricht er die begonnene Arbeit ab, um sie auf den kommenden Tag zu verschieben, den er jedoch nicht mehr erlebt. Karl Barth stirbt in der Nacht von 9. auf den 10. Dezember 1968. Als Nelly Barth ihren Mann am kommenden Morgen - wie üblich - mit einem Stück von Mozart wecken will, findet sie ihren Mann verstorben vor. Anläßlich der Trauerfeier im Basler Münster sagt sein herausragender Schüler Eberhard Jüngel: "Karl Barth hat seiner Zeit viel gegeben. Sie hat zu wenig genommen. Es ist zu vermuten, dass die Zukunft der Theologie Karl Barths in weiter Ferne noch vor uns liegt ... [46]


10. Literaturverzeichnis

  1. Busch, Eberhard, Karl Barths Lebenslauf, München, 1976/2, S. 5 *)
  2. Busch, E., a.a.O., S. 73
  3. Busch, E., a.a.O., S. 82
  4. Bohren, Rudolf, Prophetie und Seelsorge; Neukirchener, 1982, S. 76/77
  5. Barth, K., Theologische Studien, EVZ, Zürich, 1956/1, S. 6
  6. Barth, K., Das Wort Gottes und die Theologie, Chr. Kaiser Verlag 1925, S. 5ff
  7. Busch, E., a.a.O. S. 102
  8. Barth, K. Das Wort Gottes, a.a.O. S. 18ff
  9. Busch, E., a.a.O., S. 130
  10. Busch, E., a.a.O., S. 130
  11. Busch, E., a.a.O., S. 132
  12. Busch, E., a.a.O., S. 136
  13. Barth, K. Das Wort Gottes, a.a.O., S. 156ff
  14. Busch, E., a.a.O., S. 157
  15. Busch, E., a.a.O., S. 199
  16. Marquard, R., Ein evangelisches Profil, Der Evangelische Bund 1/1986, S.8f
  17. Busch, E., a.a.O., S. 211
  18. Busch, E., a.a.O., S. 215
  19. Busch, E., a.a.O., S. 225
  20. Barth, K., Theologische Existenz Heute, Chr. Kaiser Verlag, 1933/1 S. 4
  21. Barth, K., Theologische Existenz Heute, a.a.O., S.5
  22. Barth, K., Theologische Existenz Heute, a.a.O., S. 23
  23. Barth, K., Theologische Existenz Heute, a.a.O., S. 40
  24. Busch, E., a.a.O., S. 255
  25. Jüngel, E., Zeitschrift für Theologie und Kirche, (ZTHK) Beiheft 6, 1986, S. 92
  26. Die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen,
    Ev. Gesangbuch, Ausgabe der Evang. Landeskirche in Baden, 1995, Nr. 888
  27. Jüngel, E., ZTHK, a.a.O., S. 100
  28. Barth, K., Eine Schweizer Stimme 1938-1945, TVZ, Zürich 1985/3, S. 13ff
  29. Jüngel, E., ZTHK, a.a.O., S. 110
  30. Barth, K., Eine Schweizer Stimme, a.a.O., S. 201ff
  31. Barth, K., Eine Schweizer Stimme, a.a.O., S. 334ff
  32. Barth, K., Ein Wort an die Deutschen, Stuttgart1945/1, S. 18ff
  33. Barth, K., Christengemeinde und Bürgergemeinde, München, 1946/1, S. 11+32
  34. Barth, K., Wolfgang Amadeus Mozart 1756/1956, Basel 1956/3, S. 8
  35. Busch, E., a.a.O., S. 435
  36. Busch, E., a.a.O., S. 439
  37. Barth, K., Theologische Studien, Nr. 48, EVZ, Zürich 1956/1, S. 4
  38. Der SPIEGEL, Jrg. 13, Nr.52, 23.12.1959.
  39. Busch, E., a.a.O., S. 469
  40. Busch, E., a.a.O., S. 472
  41. Busch, E., a.a.O., S. 482
  42. Busch, E., a.a.O., S. 489
  43. Barth, K., Letzte Zeugnisse, EVZ-Verlag, Zürich, 1970/2, S. 54/55
  44. Barth, K., Letzte Zeugnisse, a.a.O., S. 30/31
  45. Busch, E., a.a.O., S. 515
  46. Karl Barth, 1886-1968, Gedenkfeier im Basler Münster, EVZ, Zürich 1969, S. 47

11. Anlagen

11.1. Dankbrief von Karl Barth anläßlich seines 80. Geburtstages

11.2. Ansprache von H. Gollwitzer bei der Trauerfeier im Basler Münster

11.3. Sonderpostwertzeichen "Karl Barth", 10/1986

11.4. DER SPIEGEL, 13. Jhrg., Nr. 52, 23. 12. 1959

11.5. Der Führer-Eid

Letzte Änderung: 26.05.2002
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider