Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Abendgottesdienst am 25.6.2000
(1. Sonntag nach Trinitatis)

Jeremia 23, 16 - 29:
So spricht der Herr aller Kraft und Macht: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des Herrn. Sie sagen denen, die des Herrn Wort verachten: Es wird euch wohl gehen, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. Aber wer hat im Rat des Herrn gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? Siehe, es wird ein Wetter des Herrn kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. Und des Herrn Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen. Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie. Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren. Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, daß sich jemand so heimlich verbergen könne, daß ich ihn nicht sehe? spricht der Herr. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht der Herr. Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen und wollen, daß mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der Herr. Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Gebet:

Herr, guter Gott! Rette dich aus unserem Mund, der dich so vermittelt, wie wir dich haben wollen: lieb, unkompliziert, einfach und bequem. Unser Leben ist anstrengend genug, da wollen wir nicht auch noch über dich nachdenken müssen. Rette dich selbst aus unseren Bildern von rechts und links, von oben und unten. Von jedem Wort leben wir, das du uns zusprichst, aus dem du uns anredest. Dein Wort meint uns, meint mich. Du nennst mich bei meinem Namen, ich gehöre zu dir. So lehre uns - auch wenn es uns herausfordert, unser Denken und Fühlen kostet - dein Wort recht zu hören. Darum bitten wir.
Amen.


Predigt

Liebe Gemeinde!

"So spricht der Herr", so spricht der Herr! Immer wieder hören wir in unserem kleinen Text diese Bekräftigungs- und Bestätigungsformel. Doch was hört Israel, was wir, wenn wir meinen, Gott zu hören? Es ist an der Zeit für Jeremia, seinen Hörern, Freunden wie Gegnern deutlich und unmissverständlich zu sagen, dass wir Menschen eben nicht immer Gott hören, wenn wir `Gott’ zu hören bekommen, denn dieser Gott ist nicht allein ein Gott der Nähe, sondern auch ein Gott der Ferne, ein uns unverfügbarer Gott. Es ist ein ernstes Wort, das uns heute zugemutet wird, weil es uns letztendlich vor Fragen stellt, die entschieden werden müssen: Wem vertrauen wir das Wort Gottes an, wem glauben wir, wenn es um Gott oder die Götter der Welt geht?

Da führen Menschen Gott im Munde, als hätten sie ihn gepachtet, es wird über ihn verfügt, wie über etwas, was wir einfach so besitzen, uns zur Verfügung halten könnten, wann und wie immer wir ihn im Leben gerade brauchen. Gott wird zu einem beliebigen Gegenstand versachlicht, was an der Gottheit Gottes schlicht vorbeigedacht, vorbeigeglaubt ist. Viel zu oft reden wir oberflächlich und unernst über Gott, so, wie wir ja auch Menschen schnell nach dem Mund reden.

Der Prophet spricht von Gott aus über seinen Dienst, über die Aufgaben eines Propheten. Dabei spüren wir, wie er seinen Hörern "Gott" zumutet und damit zugleich sich selbst. Mit einem solchen Wort macht man sich unbeliebt. Aber wenn es um Gott geht, kann es gar nicht ernsthafter und entschiedener gehen. Vor allem, wenn wir vermeiden wollen, über die vielen Göttlein, die Menschen sich selbst zurechtlegen, doch nur wieder bei uns selbst im Menschen anzukommen, womit wir schlicht und einfach uns mit Gott verwechselt hätten.

Propheten sagen, was stört, sie ecken an, legen die Hand in die offene Wunde, wobei ihr Dilemma ist, dass die Wahrheit oft erst nach ihrem Tod ans Licht kommt. Immer wieder müssen sie den Mächtigen ins Angesicht widerstehen, der Volksmasse widersprechen. Nicht nur die Bibel kennt diese Situationen, wir alle kennen sie bis in unsere Gegenwart hinein. An einigen wenigen Beispielen aus unserer jüngsten Geschichte möchte ich versuchen, die Frage `Gott oder die Götter’ für uns selbst, für unsere Gegenwart, unseren Glauben zu formulieren:

In seiner kleinen Schrift "Theologische Existenz Heute" spricht Karl Barth, einer der geistlichen Führer der Bekennenden Kirche, 1933 angesichts der Deutschen Christen und ihren Irrlehren von der verwüsteten Kirche, weshalb Theologie und Kirche keinen Winterschlaf antreten und sich keine Gleichschaltung durch den Nationalsozialistischen Staat gefallen lassen dürfen. Er ruft - typisch für ihn - zu einem fröhlichen Widerstand auf. Er schickt sogar Adolf Hitler ein Exemplar mit einer entsprechenden Widmung. Die Wirkung der Schrift war unglaublich. 37000 Exemplare wurden in mehreren Auflagen gedruckt, die letzten wurden dann im Juli 1934 von der Bayrischen politischen Polizei beschlagnahmt (E. Busch, K. Barth, Lebenslauf).

Neben Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer, Karl Niemöller, Helmut Gollwitzer wagten viele Christen in jenen Jahren ein Wort wider den Zeitgeist, die falschen, verführerischen Propheten eines tausendjährigen Reiches und wurden damit in ihrer Zeit und ganz konkreten Umwelt zu Propheten Gottes, zu bedrängten und verfolgten Zeugen, oft ohne Rücksicht auf das eigene Leben.

Wie wir vor Entscheidungen gestellt sein können, vor ein klares Ja oder Nein, wenn es um unseren Glauben, um Gott selbst geht, zeigt eine weitere Episode jener Zeit. Immer wieder wird Karl Barth zu Vorträgen, Gesprächen und Beratungen herangezogen, so auch vor einem Gespräch von Kirchenführern mit Hitler in Berlin. Der Theologe Karl Fetzer legte hierfür ein Thesenpapier vor, welches am kommenden Tag als Gesprächsgrundlage dienen sollte. Doch Barth entsetzt über das, was hier von `christlichen’ Theologen angedacht wurde, konnte nur noch feststellen: `Wir haben einen anderen Glauben, wir haben einen anderen Geist, wir haben einen anderen Gott’.

Diese Aussage schlug ein wie eine Bombe. In Barths Lebenslauf heißt es: `Wilder Tumult entstand, Fetzer war einer Ohnmacht nahe, einige schrien, andere wollten Barth rausschmeißen, und eine Gruppe verließ das Lokal. Für Karl Barth hieß Mitarbeit nun - so lange es noch möglich war - zu protestieren...’ Barth wurde des Landes verwiesen, Bonhoeffer hingerichtet, Niemöller kam ins Konzentrationslager und Gollwitzer in eine Strafkompanie nach Russland. Es gibt die Situation, und das ist hier in aller Ernsthaftigkeit zu spüren, wo wir uns entscheiden müssen, wo es keinen Kompromiss mehr gibt, weil es um Gott geht und eben nicht um irgend eine persönliche `religiöse’ Meinung, die so oder auch ganz anders behauptet werden kann.

Ein letztes Beispiel mag das hinsichtlich unseres Wortes vertiefen: In meiner Seelsorge höre ich gerade angesichts von Beerdigungen sehr oft: "Ach, Herr Pfarrer, zur Kirche ist er ja nicht gegangen, aber er fand Gott eben im Wald, den er so sehr liebte." Doch: liebt hier jemand den Wald oder Gott? Was finden wir - wenn wir einmal ebenso selbstkritisch, wie ehrlich zu uns selbst sind - im Wald, in unseren Hobbies, die uns so wichtig, ja lebensentscheidend bedeutsam sind? Wohin werden wir denn gedanklich geführt? Und ist es dann wirklich der biblische Gott oder nicht doch nur etwas sehr Menschliches, was da unseren vermeintlichen Glauben ausmacht?

Es gilt, den modernen Propheten zu widerstehen, all jenen, die das schnelle Glück, eine ewige Jugend, fadenscheinige Schönheit oder oberflächlichen Reichtum anbieten, all den Heilsversprechern, Gurus, Schamanen, Sterndeutern und was sich heute selbst dazu aufruft, ein wenig Gott zu spielen. Ludwig Feuerbach und Karl Marx hatten Recht, wenn sie im 19. Jahrhundert gegen eine Religion protestierten, die nichts anderes als eine Illusion des Glücks ist. Sie hat allerdings wenig mit Gott, sehr viel aber mit den menschlichen Göttern und Götzen zu tun. Und wenn Friedrich Nietzsche dann erstmals den "Tod Gottes" behauptet, so ist es des Menschen Gott, nicht aber der Gott der Bibel, der tot ist.

Wo finden wir denn bei all unseren `religiösen’ Bemühungen die "Gemeinschaft der Heiligen", die wir im Glaubensbekenntnis, wie ja auch bei jeder Taufe bezeugen, wo hören wir das "Wort Gottes", dass aus biblischer Sicht Fundament allen christlichen Glaubens ist, wo teilen wir das "Abendmahl", das unseren Glauben und unser Bekenntnis öffentlich macht: im Wald, vor dem Fernseher, dem Schönheitschirurgen, im Bett am Sonntagmorgen?

Die Beispiele zeigen, dass wir alle täglich zu Entscheidungen aufgerufen sind, die vielleicht weniger spektakulär, als für die Christen der Bekennenden Kirche sind, dennoch aber über die Wahrhaftigkeit unseres Glaubens entscheiden. Doch woher wissen wir, dass es Gott ist, der zu uns spricht?

Wir können es spüren, ja oft wissen, wenn wir das verkündigte, uns zugesprochene Wort am biblischen Wort messen. Da wird nicht jede moderne Frage sogleich eine einfache Antwort finden. Doch aus dem Geist der Bibel heraus lassen sich unsere menschlichen Fragen, aber auch Antworten herauslesen und -hören: die Frage nach Krieg und Frieden, der Wissenschaft und Forschung, dem Umgang mit dem Geld und unserem Finanzwesen, der Frage nach Krankheit, Not oder dem Tod, dem Sinn unserer Existenz? Der Grundgedanke wird bei allen Fragen, bei all unserem Tun und Lassen der sein, ob wir Gott in dem erkennen können, was uns in unserem Denken bewegt und leitet.

Dabei müssen wir ganz vorsichtig sein, wenn wir zu hören bekommen: Gott sagt oder Gott meint, denn sehr oft sind wir mit derartigen Aussagen wieder nur bei uns selbst angekommen und verkaufen unser Wort als das Wort Gottes. So stehen wir mit unserem Leben immer in der Spannung der Erfahrung der Gottesnähe oder der Gottesferne, und werden uns jederzeit zwischen Gott und den Göttern zu entscheiden haben.

Es liegt an uns, wie hier in unserer Mitte, in unserer Gemeinde, unserer kleinen Stadt, Gott erlebbar gemacht wird, wie wir es wagen, dort, wo wir leben, in unseren Familien, Freundeskreisen, den Vereinen und Organisationen, den politischen Parteien und im Beruf einen Glauben zu vermitteln, der nicht nur glaubwürdig, sondern auch einladend, ja ermutigend und fröhlich ist, der sich den Herausforderungen und der Fragen dieser Welt ernsthaft stellt, ohne sich vorschnell den Meinungsmachern anzupassen, weil es so am einfachsten und bequemsten ist.

Wo wir es wieder und wieder lernen, Gott unendlich ernst zu nehmen, werden wir in gleicher Weise lernen, die Welt mit ihren Sorgen und Nöten, aber auch ihren Schönheiten ernst zu nehmen. Wir werden das Ja und das Nein sagen lernen, weil es der biblische Gott ist, der uns dazu ermutigt. Wir werden mit unserem Glauben unterwegs bleiben, weil wir diesen Gott immer nur - jeden Tag neu - suchen können, um ihn da in unserem Leben zu erfahren, wo er sich von uns erfahren lassen will. Und wo wir uns dem Wort Gottes aussetzen, die gottesdienstliche Gemeinschaft und das Abendmahl miteinander teilen, dort ist Gott selbst mit seinem guten Geist gegenwärtig. Wer das auf seine Richtigkeit hin überprüfen möchte, der schaue wieder einmal in die Bibel hinein, dem geistig, geistlichen Fundament des christlichen Glaubens.

Propheten waren nie bequem, Gott ist es sicher nicht, ein einfaches Christsein wurde niemandem von uns versprochen, darum liegt es an uns, was wir uns unseren Glauben kosten lassen: an Zeit, an Engagement, an Geist, an Glaubwürdigkeit. Einen billigen Glauben gibt es nicht. Erst in der Auseinandersetzung wird Gott zu einem Gott der Nähe gegen alle Erfahrungen einer scheinbaren Gottesferne. Bitten wir ihn in unser Leben, in unsere Gemeinde hinein und bleiben wir miteinander in seinem Geist auf dem Weg.
Amen.


Gebet:

Herr, hab Dank für Dein Wort. Bewahre uns vor falschen Propheten, vor allen, die deinen Namen im Munde führen, sich auf dich berufen, aber ihre eigenen Götter und Götzen meinen. Schenke uns allen in unserer Zeit und Gesellschaft mehr Ernsthaftigkeit im Umgang mit deinem Wort, denn nur so werden wir lernen können, auch glaubwürdiger zu leben.

Schenke uns das rechte Unterscheiden zwischen Dir, unserem Gott, und unseren religiösen Gefühlen. Unsere Welt braucht dein Wort, wir brauchen deinen guten Geist, lass ihn zum prägenden und tragenden Maßstab unseres Lebens werden, damit unser Leben seinen Sinn erfährt, auch Glück und Heil in einer oft glücklosen und heillosen Welt. Amen.

Und alles, was uns heute bewegt, fassen wir zusammen, indem wir beten:

Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.


Pfr. Hanns-Heinrich Schneider
Letzte Änderung: 06.09.2000