Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Gottesdienst zur 2. Gewerbeausstellung der Handels- und Gewerbevereinigung Kenzingen, 21.4.2002
Lukas 12, 16-20

Begrüßung:

Liebe Gemeinde!

Sehr herzlich begrüße ich Sie in diesem Gottesdienst anlässlich der 2. Gewerbeausstellung der Handels- und Gewerbevereinigung. "Kenzingen zeigt sich!", da ehrt es die Veranstalter, dass ein so herausgehobener Anlass eben auch gottesdienstlich bedacht werden soll. Es geht ja nicht nur um eine Leistungsschau, denn wir haben in Kenzingen wirklich einiges zu bieten, sondern auch darum, unser Tun zu reflektieren. Handel und Gewerbe, ja die Wirtschaft schlechthin sind Themen der Bibel, sind gesellschaftliche Aufgaben und Herausforderungen, die sich ethischen Fragen zu stellen haben. Über Fest, Feier und dem Angebot von über 75 Ausstellern hinaus wollen wir Gott für all die Möglichkeiten danken, die uns gegeben sind. Und nichts davon ist wirklich und letztendlich selbstverständlich.

Sehr herzlich soll ich Sie alle von meinem Freund und Kollegen Pfarrer Frank Martin grüßen, der heute leider dienstlich verhindert ist. Wirklich gern hätte er diesen Gottesdienst mit uns zusammen gefeiert. Ebenso darf ich Ihnen einen herzlichen Gruß von Herrn Bürgermeister Guderjan ausrichten, der ebenfalls gern diesen Gottesdienst mit uns zusammen gefeiert hätte, aber leider nicht anwesend sein kann.

Weil unser Leben so vielfach bedroht, Wesentliches und Unwesentliches nur noch so schwer auseinander zuhalten ist, darum hören wir wieder einmal das erste Gebot: "Ich bin der Herr, dein Gott! Du wirst keine anderen Götter haben neben mir ...", dann nämlich nicht, wenn uns Gott selbst wieder wichtig geworden ist. Und darum feiern wir miteinander diesen Gottesdienst.

Elisabeth Kraft:

Für die 9. Klasse der Hauptschule Kenzingen darf ich Sie heute um Ihr Opfer für einen ganz besonderen Zweck bitten. Aus dem Religionsunterricht heraus ergab sich die Frage nach Menschen, die uns fremd oder die durch Behinderungen daran gehindert sind, Zugänge zu finden. Zugänge zu anderen Menschen, Zugänge aber auch zu Gebäuden in unserer Stadt. Uns fiel auf, dass es Behinderte schwer haben, in bestimmten Geschäften einkaufen zu können, da Stufen sie behindern. Das gilt auch für das Rathaus, die Katholische- und Evangelische Kirche. So haben wir aus dem Unterricht heraus darüber nachgedacht, wie Menschen aus dem Altenwohnheim der Arbeiterwohlfahrt in der Eisenbahnstraße und behinderte Menschen aus der Stadt in die Evangelische Kirche kommen könnten? Dies ist möglich, in dem man eine Tür vom Kreuzgang des alten Klosters zur Evangelischen Kirche wieder einbaut, die es dort einmal gab.

Wir möchten zum Abschluss unserer Kenzinger Schulzeit - in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche und dem Altenwohnheim - versuchen, dieses Sozialprojekt noch abzuschließen. Eine Tür schafft Zugänge, helfen Sie uns doch dabei bitte mit. Ich danke Ihnen im Namen der Hauptschule, der Evangelischen Kirchengemeinde und dem Altenwohnheim sehr für das, was Sie geben können und möchten.

Gebet:

Herr, guter Gott! Wir haben allen Grund, Dir zu danken. Wir danken dir, dass wir hier in Kenzingen zeigen dürfen, was wir produzieren, leisten und vermarkten können, wir danken dir für alle, die diese 2. Gewebeausstellung besuchen und besucht haben. Herr, wir dürfen stolz darauf sein, was uns alles möglich ist. Doch schenke uns auch die innere Ruhe und die Bereitschaft, dass wir uns unserer menschlichen Grenzen bewusst bleiben und uns nicht zu Göttern aufschwingen.

Wir danken dir für den Wohlstand, der uns gegeben ist, für die wirtschaftliche Kraft und die Freude an dem, was wir mit unseren Produkten leisten und schaffen können. Sei bei allen, die es schwer in ihrem Beruf haben, die sich Sorgen um ihren Betrieb machen müssen. Wir danken dir aber auch, dass wir konsumieren dürfen, dass uns in unserem Leben unvergleichlich mehr geschenkt und mitgegeben ist, als wir zum Leben brauchen. So lass uns nicht allein von dem leben, was wir haben und besitzen, sondern von dem, was uns in unserer Menschlichkeit auszeichnet.

Herr, segne und behüte Handel und Gewerbe in unserer Stadt, sei bei allen, die als Unternehmer Verantwortung für andere Menschen übernommen haben und allen, die durch ihre Arbeit dazu beitragen, dass überhaupt etwas produziert wird. Segne alle, die hier politische Verantwortung tragen und alle, die sich in Vereinen, Organisationen, Parteien, Musik- und Sportvereinen für das Zusammenleben in unserer Mitte stark machen und die damit auch dem Sinn des Lebens dienen. Herr segne und behüte die beiden Kirchen in unserer Stadt, alle Konfessionen und Religionen, dass sie dazu beitragen, dass der Friede unter uns erhalten bleibt und die Ehrfurcht vor Gott und dem Mitmenschen. Amen.

Text:


Jesus erzählte ihnen eine Geschichte:

»Ein reicher Grundbesitzer hatte eine besonders gute Ernte gehabt. `Was soll ich jetzt tun?’ überlegte er. `Ich weiß gar nicht, wo ich das alles unterbringen soll! Ich hab's’, sagte er, `ich reiße meine Scheunen ab und baue größere! Dann kann ich das ganze Getreide und alle meine Vorräte dort unterbringen und kann zu mir selbst sagen: Gut gemacht! Jetzt bist du auf viele Jahre versorgt. Gönne dir Ruhe, iss und trink nach Herzenslust und genieße das Leben!’ Aber Gott sagte zu ihm: `Du Narr, noch in dieser Nacht werde ich dein Leben von dir zurückfordern! Wem gehört dann dein Besitz?’«


Liebe Gemeinde!

"Kenzingen zeigt sich", [1] unter diesem Motto findet die 2. Gewerbeausstellung der Handels- und Gewerbevereinigung von rund 75 Ausstellern statt. Was aber soll da ein Gottesdienst? Ich höre schon die Kritiker, dass sich die Kirche auf diese Weise vor die Interessen der Wirtschaft spannen lässt oder jene, die mehr unreflektiert als letztendlich bedacht, der Kirche vorwerfen, immer nur nach den weltlichen Fleischtöpfen zu schielen. Doch ist das wirklich so einfach?

Auch im Namen meines katholischen Kollegen, Herrn Pfarrer Frank Martin, danke ich sehr für die Einladung der Handels- und Gewerbevereinigung zu diesem Gottesdienst, zeigt sich doch darin das große Vertrauen, das sich zwischen Handel, Gewerbe und den Kirchen zumindest in unserer Mitte aufgebaut hat. Und es wäre mehr als weltfremd, daran vorbeizusehen, dass wir alle ja in sehr unterschiedlicher Weise aufeinander angewiesen sind. Und eben das weiß auch die Bibel, der historische Jesus. Kardinal Lehmann schreibt in einem Aufsatz:

"Jesus hat sein und seiner Jünger Verhalten immer wieder symbolisch im Blick auf verschiedene Berufe und ihre Motive plausibel gemacht; er zieht z.B. den Hirten, Arzt, Lehrer, Boten, Hausherrn, Diener, Fischer, Baumeister, Erntearbeiter, Richter und König zum Vergleich heran. Aber auch der Kaufmann, Wechsler und Verwalter, also der damalige "Unternehmer", treten mit ganz bestimmten Fähigkeiten ihres Berufes positiv und beispielhaft in den Horizont von Jesu Botschaft." "Warum", so fragt Lehmann, "sollte darum nicht auch die heutige Kirche etwas von der Kraft zur schöpferischen Initiative und von der praktischen Geistesgegenwart dieser Berufe lernen - ohne sich dabei hurtig der `Welt’ anzupassen, denn es geht zweifellos um jeweils ganz verschiedene Berufungen ..." [2]
Vergessen wir nicht: Christen sind Konsumenten, Geschäftsleute und Industrielle sind Christen. Wenn Jesus seinen Jüngern und Zuhörern diese durchaus kritische Geschichte vom reichen Grundbesitzer erzählt, dann sicher nicht, um vor dem Besitz schlechthin zu warnen, umgekehrt aber den Blick dafür zu schärfen, dass kein Wohlstand der Welt unserem Leben auch nur eine einzige Minute hinzufügen könnte, wenn dieses abgelaufen ist. Hinter der Frage Jesu, wem aller Besitz einmal gehören wird, steht die Frage nach dem Sinn, nach den Zielsetzungen und Werten, für die es zu leben und zu arbeiten lohnt. Wir würden ein stückweit am Leben vorbeileben, wenn wir über aller engagierter Arbeit die Einmaligkeit des Lebens aus dem Blick verlieren. Uns sind Grenzen gesetzt, denen niemand ausweichen kann.

Zu dieser Einmaligkeit des Lebens gehört, dass wir Menschen uns nicht durch unseren Wohlstand isolieren, von all jenen abgrenzen, die unsere Mittel und Möglichkeiten, das Leben lebenswert zu gestalten, nicht haben. Wir wissen um unsere soziale Verantwortung. Ich habe diesen Gottesdienst gern übernommen, weil ich ihn auch dazu benutzen wollte, einmal allen ausdrücklich und öffentlich zu danken, die sich immer wieder mitverantwortlich gefühlt haben, wenn es finanziell in einem Verein, einer Organisation, ja auch den Kirchen klemmte. Ich denke nur an die beispielhafte Unterstützung unseres Anliegens seitens der Handels- und Gewerbevereinigung im Zusammenhang der Orgelrenovierung.

Wieder höre ich hier die Kritiker, die meinen, dass das eigentlich nichts Besonderes sei, da man ja ruhig etwas von dem abgeben kann, was man hat. Vergessen wir dabei nicht, dass jeder Euro, der aus der Wirtschaft irgendwohin gespendet wird, erst einmal erwirtschaftet und verdient sein muss, bevor er gespendet werden kann. Und dazu gehört, dass wir ernstnehmen, wenn wir in der Hauptversammlung der Handels- und Gewerbevereinigung hören konnten, dass es "keine Überlebensgarantie für jeden Betrieb" gibt. [3] Die großen Sorgen der Wirtschaft wurden uns am Freitagabend in der Begrüßungsansprache von Herrn Zipse deutlich gemacht. Er verwies darauf, "dass wir unbedingt positive Impulse (in der Wirtschaft) brauchen ..., Jammern und Klagen ermuntert keinen Kunden zum Kaufen ..."

Wenn wir alle, die wir auf Spenden und Ideen aus Wirtschaft und Gewerbe in Kenzingen angewiesen bleiben, das ernstnehmen, uns wirklich bewusst machen, dann muss auch klar sein, dass wir Verbraucher in unserem Verhalten nicht immer gleich nach anderen Märkten schielen. Wo immer es geht, sollten zunächst einmal Kenzinger Betriebe unterstützt werden. Schließlich sind alle, die hier in der Gewerbeausstellung deutlich machen, was in unserer Mitte produziert und angeboten wird, unsere Nachbarn, Freunde, Mitglieder in Vereinen und Organisationen, den Kirchengemeinden, Mitbürgerinnen und Mitbürger unserer Stadt und die lebt nun einmal auch von ihrer wirtschaftlichen Kraft.

"Kenzingen zeigt sich," und ich glaube, dass wir etwas zu zeigen haben, das weiterreicht als die hier ausgestellte Produktpalette!" Es geht mir in der Folge zu dem, was Jesus in seiner kleinen Beispielgeschichte sagt, um den Geist, in dem in unserer Mitte produziert, vermarktet und konsumiert wird, es geht um den Sinn, den wir in unserer Arbeit finden und mit dem wir uns mit Gütern eindecken, die weit darüber hinausgehen, was wir für unser Leben wirklich brauchen. Vielleicht erinnern Sie sich, dass ich als Norddeutscher, den es auf einem langen Weg nach Kenzingen geführt hat, zum 750-jährigen Stadtjubliäum von Kenzingen 1999 an Thomas Mann erinnerte:

"Als dieser damals gebeten wurde, eine Festansprache zur 700 Jahrfeier seiner Heimatstadt Lübeck zu halten, überraschte er seine Zuhörer mit dem merkwürdigen Titel "Lübeck als geistige Lebensform." Diesen merkwürdig klingenden, aber faszinierenden Gedanken aufgreifend, fragte ich uns: "Kenzingen als geistige Lebensform, was könnte das sein? Was macht für uns diese Stadt zu einer "geistigen Lebensform? In wie weit prägt Kenzingen unser eigenes Leben, unsere ganz persönlichen Vorstellungen von Werten, von Sinn und Glück? Was macht eine Stadt, unsere Stadt, lebens-, ja vielleicht sogar liebenswert?" [4]

Viel ist in den vergangenen Jahren über die Verbindung von `Religion’ und `Markt’, ja der Werbung nachgedacht worden. Unzählige Werbefilme mit Pfarrern, Mönchen und Nonnen, so wie biblischen Motiven bis hin zum Abendmahl zeigen es. "Kaufen", so wird es uns vorgegaukelt, soll zu einem "göttlichen Vergnügen" werden. "Der Verbraucher alten Zuschnitts suchte nach Gütern, weil er sie brauchte. Jetzt suchen die Waren den Käufer, der die Waren (oft) nicht braucht. Wenn der Grundbedarf längst gedeckt ist, dann muss eben zum Einkaufen verführt werden ... Die religiöse Sehnsucht nach dem Unendlichen verkümmert nun zur Sehnsucht nach einer unendlichen Anhäufung von Waren." [5]

Ich denke, dass dort gewarnt werden muss, wo wir die Sensibilität für den Sonntag, für Feiertage, für das Heilige in unserer Mitte verlieren, wo uns über Geschäft und Arbeit einerseits, andererseits aber dem Wunsch, jederzeit konsumieren zu können, das Wesentliche ins Abseits gerät. Wir müssen, jeder auf seine Weise, produzieren oder konsumieren, wir müssen für unser Produkt werben, damit es Käufer findet, das alles ist keine Frage. Doch welche Antwort findet ein jeder von uns auf die eben aufgeworfenen Fragen? Wir spüren es alle bis tief in das wirtschaftliche Leben hinein, dass selbst Kenzingen ja keine Insel der Glückseligkeit ist.

Der biblische Herrschaftsauftrag bedingt die Sorge um das einem Menschen Anvertraute. In diesem Sinne heißt es in Genesis 2,15: dass der Mensch "ihn (seinen Lebensraum) bebaue und bewahre." Was hier schöpfungstheologisch ausgesagt wird, ist das in die Verantwortung nehmen des Menschen für seine Welt. Bebauen und Bewahren haben ihrem Wortsinn nach mit "Kultur" zu tun. Dieses aktive Handeln des Menschen gestaltet und erobert die Welt, doch darf das nicht in Raubbau und Zerstörung enden. Wir tragen die Verantwortung für das Gesicht der Welt und unsere Welt beginnt hier. Kaum irgendwo sonst wird die Gottähnlichkeit des Menschen für uns so offensichtlich, wie im schöpferischen Tun des Menschen.

So modisch salopp kann es also wohl nicht gehen, wie es der bekannte Modeschöpfer Karl Lagerfeld einmal in einem Interview zum Ausdruck brachte: "Nach mir die Sintflut. Am Anfang stehe ich. Am Ende stehe ich. Und sonst ist mir alles egal ..." Einen solchen Zeitgeist beschrieb Siegfried Lenz mit den Worten: "Ein Grabstein über unsere Zeit müsste die Inschrift tragen: Jeder wollte das Beste - für sich ..." [6]

Das darf in unserer Mitte eben nicht gelten. Jeder von uns, die Mitglieder der Handels- und Gewerbevereinigung, alle Aussteller hier, wie die Konsumenten teilen sich ja den einen Lebensraum, unsere Stadt und da kommt es nun darauf an, wie ein jeder auf seine eigene Weise sich einbringt, um das Leben hier gemeinschaftlich und sozialverträglich zu gestalten und offen füreinander zu sein. Schon diese Empfindsamkeit für das Miteinander in einer Stadt wäre die gewünschte geistige Lebensform.

Jesus erzählt eine Geschichte! Er erzählt sie, weil er darum weiß, wie sehr uns der Wohlstand blind machen kann, so dass wir mehr von dem leben, was auf unserem Konto ist, als von dem, was wir mit unserem ganzen Leben in eine Stadt einbringen können. Er erzählt sie nicht, um Menschen zu ärgern, sondern darum, sie empfindsam zu machen, über den eigenen Gartenzaun hinweg zu blicken. Achten wir aufeinander, hier in unserer kleinen Stadt, wo produziert, vermarktet und konsumiert wird, ein jeder auf seine Weise und mit seinen Mitteln und Möglichkeiten.

Handel und Gewerbe wünsche ich, dass es wirtschaftlich bergauf geht und die Arbeit und alle Mühe sich auch wieder lohnen. Ich wünsche, dass Menschen Arbeit haben und ihren Sinn und Freude darin finden, so dass wir alle miteinander produzieren oder konsumieren können, ohne darüber das Wesentliche zu vergessen: unsere Grenzen, die uns von Gott gesetzt sind. Er mache einen jeden von uns auf seine Weise empfindsam für die wahren Werte menschlichen Lebens.
Amen.


Literatur:

  1. Hüge, I., Badische Zeitung, Nördlicher Breisgau, 13. April 2002, S. 23
  2. Lehmann, K., Glauben bezeugen, Gesellschaft gestalten, Freiburg 1993, S. 435
  3. Seitz, R., Badische Zeitung, Nördlicher Breisgau, 21.03.2002
  4. Schneider, H.-H., Predigt zum 750-jährigen Stadtjubiläum von Kenzingen, 18.07.1999
  5. Segbers, F., Kult der Ware, Die Religion des Marktes unter theologischer Kritik,
    Evangelische Kommentare, 4/1997, 212 f
  6. Kramer, Otto-Uwe, Dr. Probst, Vom Wertewandel, Vortrag, Neustadt, 1996, S. 12
außerßerdem: Letzte Änderung: 26.05.2002
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider