Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Judika (5. Sonntag der Passionszeit), Markus 10, 35-45

-> Predigt zum gleichen Text an Judika 1997

Begrüßung:

Liebe Gemeinde! Es ist eine Binsenweisheit, aber in der Welt, beim Zusammenleben von Menschen geht es nur allzu oft um Macht, um den Platz an der Sonne, um "Oben" und "Unten". Es ist durchaus menschlich, im Rahmen der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, sein Leben gestalten zu wollen, doch warum nur tun wir es so oft auf Kosten anderer? Wir reden lautstark von Ethik, leben aber nur allzu oft so, als hätten wir keine ethischen Maßstäbe mitbekommen, wir reden von Moral, aber bewegen uns so durchs Leben, als könnte sich ein jeder selbst zum Maß aller Dinge machen. Gott helfe uns, bedacht zu leben und er schenke uns einen Glauben, der für unser Leben und Zusammenleben mit anderen Menschen maßstäblich ist.

Wer von euch etwas Besonderes sein will, soll den anderen dienen, und wer von euch an der Spitze stehen will, soll sich allen unterordnen, sagt Jesus, der Herr.

Gebet:

Ich habe einen Traum, dass Gottes Häuser einladende Wohnungen sind und mitten im Leben stehen.

Mitten im Leben - Gott unter uns Menschen, nicht nur von Montag bis Samstag und auch nicht vor neuen Wegen verschlossen. Zugänglich für Junge und Alte, für Frauen und Männer, für Kranke wie Gesunde, ja sogar für Menschen unterschiedlicher Klassen und Rassen. Offen und zugänglich für unseren Starrsinn und unsere Unbeweglichkeit, offen für Neues, für Worte, die von Gott und dem Leben erzählen, für Menschen, die wir lieben und die wir nicht mögen, für Träume, gemalt in immer neuen Farben.

Ich habe einen Traum, dass Gottes Häuser einladende Wohnungen sind und mitten im Leben stehen - und ein guter Geist in ihnen wohnt. Bleibt das nur ein Traum, Herr, lass uns in und mit unserem Leben auf diese Frage eine Antwort finden.
Amen.

Predigttext:

Da gingen Jakobus und Johannes, die Söhne von Zebedäus, zu Jesus hin und sagten zu ihm: »Lehrer, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst!« »Was möchtet ihr denn?« fragte sie Jesus. »Was soll ich für euch tun?« Sie sagten: »Wir möchten, dass du uns rechts und links neben dir sitzen lässt, wenn du deine Herrschaft angetreten hast!« Jesus sagte zu ihnen: »Ihr wisst nicht, was ihr da verlangt! Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke? Könnt ihr die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?« »Das können wir!« sagten sie. Jesus erwiderte: »Ihr werdet tatsächlich den gleichen Kelch trinken wie ich und mit der Taufe getauft werden, die mir bevorsteht. Aber ich kann nicht darüber verfügen, wer rechts und links neben mir sitzen wird. Auf diesen Plätzen werden die sitzen, die Gott dafür bestimmt hat.«

Die anderen zehn hatten das Gespräch mit angehört und ärgerten sich über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus alle zwölf zu sich her und sagte: »Ihr wisst: Die Herrscher der Völker, ihre Großen, unterdrücken ihre Leute und lassen sie ihre Macht spüren. Bei euch muss es anders sein! Wer von euch etwas Besonderes sein will, soll den anderen dienen, und wer von euch an der Spitze stehen will, soll sich allen unterordnen. Auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für alle Menschen hinzugeben.«

Gerd Theißen, ein Heidelberger Theologieprofessor, sagte zu unserem heutigen Predigttext:

Wenn einmal unsere Kultur vom Wüstensand bedeckt sein wird, dann hoffe ich, dass man in der Wüste einen kleinen Fetzen Papier finden wird, auf dem nur ein Satz steht: "Wer der erste unter euch sein will, der sei Diener aller.’ Und ich hoffe, dass dann einige sagen: Ihr Leben (damals) hat sich gelohnt. Sie versuchten Herrschaft human zu gestalten. Ihr Glaube ist gerechtfertigt, denn er gab ihnen Kraft dazu. Ihre Kultur war tief problematisch und oft brutal. Aber um dieses Grundsatzes willen war es gut, in ihr zu leben - als Mensch, ( ...) und als Christ. [1] Auf diesem Weg helfe Gott uns allen zueinander." Amen.

Liebe Gemeinde!

Als ich den Predigttext jetzt erstmals wieder für unsere Predigt las, verschlug es mir ein wenig den Atem, denn gerade in dieser Situation unserer Welt ein solcher Text, wie soll man ihn auslegen, ohne in Selbstgerechtigkeit zu verfallen oder ungerecht zu sein, was aber muss umgekehrt nun auch gesagt werden, wollen wir den durchaus ernsten Anspruch Jesu an unser menschliches Zusammenleben nicht nur hören, sondern auch ein wenig besser verstehen?

Es geht in unserem Predigttext um die da oben und die da unten, letztlich um das öffentliche Ansehen und die Macht anderen gegenüber. Das ist also scheinbar gar nichts Besonderes, Außergewöhnliches, wenn schon die Jünger Jesu sich darum streiten, wer einmal rechts und links von ihm sitzen darf, wenn er in der Gegenwart Gottes sein wird. Immerhin, sie rechnen damit, dass es für Jesus, für sie selbst, eine Zukunft jenseits der Gräber dieser Welt gibt. Jesus weist dieses Anliegen seiner Freunde sofort zurück, weil das nicht in seiner Macht steht, und die anderen Jünger ärgert verständlicher Weise dieser Vorstoß - auf ihre Kosten - in die Nähe Jesu zu kommen.

Und nun sagt Jesus etwas, was aktueller gar nicht sein könnte. Er stellt das, was in unserer Welt wichtig ist und zählt auf den Kopf: Macht, Stärke, Größe, Ansehen, das Aussehen, der Einfluss, den ein Mensch auf andere und öffentliche Entscheidungen hat, der Dienstwagen, die Leibwächter, Kreuz und Krummstab, das Konto, die Aktien- und Immobilienpakete. Er sagt: "Ihr wisst: Die Herrscher der Völker, ihre Großen, unterdrücken ihre Leute und lassen sie ihre Macht spüren ..." und er fordert von seinen Jüngern und Anhängern: "Bei euch muss es anders sein! Wer von euch etwas Besonderes sein will, soll den anderen dienen, und wer von euch an der Spitze stehen will, soll sich allen unterordnen."

Da bleibt uns nur zu fragen: lebt Jesus in einer falschen Welt, voller Illusionen oder leben wir falsch? Wer hat hier recht, die Jünger, die sich einen bestimmten Platz in Jesu Nähe wünschen, wir alle, die wir ja nur allzu gern ein wenig Einfluss und Macht, ja öffentliches Ansehen hätten oder Jesus mit seiner Sicht einer Anti-Welt? Denn wer von uns dient schon gern, und je höher wir steigen, desto mehr genießen wir die Möglichkeiten der Macht und die Annehmlichkeiten von Mitarbeitern und Chauffeuren, die von der Terminplanung über das Schreiben der Reden, das Zurechtlegen von Anzügen und Krawatten schier alles erledigen. Fragen wir uns doch einmal: warum Politiker so ungern zurücktreten und die Führer der Wirtschaft nur mit Entschädigungen, die jenseits aller Vorstellungen liegen?

Können wir es überhaupt wagen, unseren Text so konkret zu lesen, dass wir ihn mit dem Krieg im Irak in einen Zusammenhang bringen und all jenen, die auf allen Seiten diesen Krieg zu verantworten haben? Wem dienenPräsident Buch,Toni Blair und andere mit diesem Krieg, wem Saddam Hussein, lesen sie denn nicht alle ihre Bibel und berufen sich immer wieder auf ihren Gott, so als müsste er ihnen verfügbar und zu Diensten sein?

Die Antwort darauf ist zunächst und vordergründig gesehen ganz einfach. Sören Kierkegaard, der große dänische Philosoph und Theologe sagte einmal:

Stell dir vor, Gott habe verboten, am Sonntag mit einer Kutsche in den Tierpark zu fahren; was müsste man tun, um sowohl das Vergnügen als auch die Frömmigkeit miteinander zu verbinden? Man müsste einen Bischof bestellen der den Kutschwagen feierlich einsegnet und sogar selber auf dem Kutschbock Platz nimmt. Dann hast Du die Christenheit, die es vortrefflich versteht, ein heiliges und gottwohlgefälliges Werk aus gerade dem Tun zu machen, das Gott ausdrücklich untersagt hat. [2]
Wir Menschen legen uns "Gott" bzw. das, was wir dafür halten, so zurecht, wie wir es brauchen, wir manipulieren uns einen Gott, der unseren Vorstellungen nicht in die Quere kommt und operieren dann mit diesem Abbild Gottes. Wer Gott sagt und sich auf religiöse Verhaltensweisen beruft, der kann ja kein schlechter Mensch sein, der muss einfach recht haben.

Wir hören es hier bei Jesus anders: "Wer von euch etwas Besonderes sein will, soll den anderen dienen, und wer von euch an der Spitze stehen will, soll sich allen unterordnen ..." Warum? Jesus antwortet auf sich selbst und seinen Dienst in der Welt bezogen: "Auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für alle Menschen hinzugeben." Hier hören wir etwas von Dienst, vom Gottes-Dienst Jesu und damit von dem, was dieser Welt ein anderes Gesicht geben würde.

Dienen, wir spüren es alle, macht nicht unbedingt Spaß, aber darum geht es wohl auch nicht. Der Dienst von dem hier gesprochen wird, ist keine Festschreibung von Herrschaft, kein Sanktionieren von gesellschaftlichem "Oben" und "Unten". Hier geht es um eine Weltsicht, um eine Sicht auch vom Menschen, welche die Welt und uns Menschen versucht aus dem Blickwinkel Gottes zu sehen. Natürlich gibt es Herrschaft: die Welt muss regiert werden, die Wirtschaft geleitet, die Familie geordnet zusammen leben können, es kommt aber darauf an, aus welchem Geist heraus ich diese Herrschaft ausübe und wem ich mich in meinem Tun verantwortlich weiß?

Jesus geht, als dieses Gespräch stattfindet, mit seinen Jüngern und Freunden auf Jerusalem zu, er weiß, was ihn dort erwartet: Jubel, Verurteilung und schließlich sogar der unvermeidliche Tod, das war sein Gottes-Dienst, der Dienst an seinem Gott - und für die Welt. Unvermeidlich, weil er den religiös, wie politisch Mächtigen mit seiner Sicht Gottes zu unbequem wird. Hier ist einer, der Dinge sagt, welche die Welt revolutionieren könnten, der darauf aufmerksam macht, dass der Mensch auf der Seite Gottes seine Menschenwürde zurückbekommen muss und Leid und Elend, Not und Verfolgung, Verletzung und Tod, Heimatlosigkeit und Hunger auf ein Mindestmaß zu begrenzen und Aufgabe für den jeweils Stärkeren sind. Wer die Menschenwürde verletzt, kann sich dabei nie auf den biblischen Gott berufen, wer dem Leben des Menschen und dem Zusammenleben dient, dient Gott.

Jesus verweist auf sein bevorstehendes Leiden und damit darauf, dass es Nachfolge nie einfach und bequem geben wird, denken wir doch nur an Namen wie Maximilian Kolbe, Dietrich Bonhoeffer, Karl Barth oder Martin Luther King. Menschen, die sich ihren Glauben etwas kosten ließen, für die der Glaube keine Billigware und Gott kein menschlich manipulierbares Göttlein war, sondern, die bereit waren, ihre Nachfolge Jesu mit Verfolgung und zum Teil sogar mit dem Tod zu bezahlen.

Die so genannten "Heiligen" der katholischen Kirche, die ja auch zum Glaubensgut der Evangelischen Kirche gehören, zeigen viele Wege zu dieser Menschlichkeit auf - mitten in der Welt und zu einem oftmals hohen Preis. Denken wir nur an Franz von Assisi an den wir hier in unserer Kirche Sonntag für Sonntag erinnert sind. Er vermittelte in Sachen der Kreuzzüge sogar zwischen moslemischen Sultanen und den Christen, um des Friedens willen. Worauf Jesus also aufmerksam macht, ist, dass es nicht darauf ankommt, darüber zu spekulieren, wo wir einmal in der Gegenwart Gottes sitzen werden, sondern darauf, dass Gott seinen Ort schon hier und jetzt indieser Welt hat, an dem er aus unserem Leben heraus gehört und wahrgenommen wird.

Niemand sollte sich daher zu schnell und vordergründig auf "Gott" berufen, wenn er nicht auch dazu bereit wäre, um seines Glaubens willen, Gott, dem Wohl und der Würde anderer Menschen zu dienen. Wer den Namen des biblischen Gottes in den Mund nimmt, wird um den Menschen nicht herum kommen, seine Not, seine Bedürfnisse, seine Würde. Nur so transportieren wir in unseren Vorstellungen Gott nicht aus der Welt heraus, sondern holen ihn in unsere Welt und das Zusammenleben aller Menschen hinein. Wer unseren Gott, den Gott Jesu, gern in einem jenseitigen "Himmel" sieht, sorgt ja dafür dass dieser weit weg ist, und den Menschen mit seinen eigenen Absichten nicht stört. Darum kann ich einerseits durchaus fromm reden und doch andererseits ganz und gar an Gott vorbeileben. In dem, was wir tun und wie wir leben wird deutlich, aus was für einem Geist heraus wir leben, und ob dieser etwas mit dem Gott der Juden, Christen und Moslems zu tun hat - oder eben doch nur mit den Göttern und Götzen menschlicher Macht und Willkür?

Jesus weiß, worauf er sich einlässt, als er bewusst auf Jerusalem zugeht. Er weiß, hier wird sich sein Leben, sein Dienst vollenden. Er lebt seinen Glauben, seine Gottesbeziehung leidenschaftlich, er lebt ihn so, dass sogar das Leiden nicht ausgespart bleibt. Sein Leiden ist ein Mitleiden an der Welt mit ihren krummen, kleinen, herrschsüchtigen, tyrannischen Verhältnissen. Der Weg zum Kreuz wird so zur Kreuzung für alle, die sich auf ihn berufen, denn an ihm muss es sich entscheiden, in welcher Beziehung ich zu Gott und Mensch stehe. Billiger wird es Nachfolge im Glauben nicht geben, sie ist so teuer wie das Leben selbst.

Überlassen wir es also Gott, wo und wie wir einmal in seiner Gegenwart sein werden, wo wir hier sein und wie wir hier leben sollen, das ist uns bekannt: auf der Seite aller Menschen, die uns und unseren Glauben brauchen, damit diese Welt endlich das Gesicht bekommt, das Gott ihr ursprünglich geschenkt hat, das Gesicht eines Menschen: jung oder alt, gesund oder krank, traurig oder fröhlich, ein Gesicht mit tiefen Furchen oder vielen kleinen Lachfalten, Gesichter, in denen sich die Liebe Gottes zu seinem Geschöpf widerspiegelt. So schenke Gott uns und allen Menschen dieser Welt den Mut zu einem glaubwürdigen Gottes-Dienst, der auch den Dienst am Menschen daher nicht ausspart. Daran muss sich unser Glaube und der aller Mächtigen dieser Welt, will er wirklich "christlich" und glaubwürdig sein, messen lassen.
Amen.


Literatur:

  1. Theißen, Gerd, Calwer Predigthilfen 1996/1997, Stuttgart, 1996, S.166
  2. Drewermann, E., Das Markusevangelium, 2. Teil, Olten, 19914, S. 140
Letzte Änderung: 10.04.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider