Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Ökum. Gottesdienst zum "Jahr der Bibel 2003"
St. Laurentius, 16.2.2003
Römer 10,14-18

Predigttext

Sie können sich aber nur zu ihm bekennen, wenn sie vorher zum Glauben gekommen sind. Und sie können nur zum Glauben kommen, wenn sie die Botschaft gehört haben. Die Botschaft aber können sie nur hören, wenn sie ihnen verkündet worden ist. Und sie kann ihnen nur verkündet werden, wenn Boten mit der Botschaft ausgesandt worden sind. Aber genau das ist geschehen! Es ist eingetroffen, was vorausgesagt war: »Welche Freude ist es, wenn die Boten kommen und die Gute Nachricht* bringen!« Doch nicht alle sind dem Ruf der Guten Nachricht gefolgt. Schon der Prophet Jesaja sagt: »Herr, wer hat schon unserer Botschaft Glauben geschenkt?« Der Glaube kommt also aus dem Hören der Botschaft; die Botschaft aber gründet in dem Auftrag, den Christus gegeben hat. Haben sie vielleicht die Botschaft nicht gehört? Aber natürlich haben sie die Botschaft gehört; in den Heiligen Schriften* heißt es ja: »Ihr Ruf ging über die ganze Erde, bis hin zu ihren äußersten Grenzen war er zu hören.«


Liebe Gemeinde!

Natürlich kennen wir das alle: ein Wort, das uns aufbaut, bestärkt, ermutigt, Brücken schlägt zwischen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen, ein Wort, das uns nachdenklich macht, fordert und fördert und somit Perspektiven für unser Leben, für Gegenwart und Zukunft eröffnet - und wir alle kennen natürlich auch das Gegenteil davon: Worte, die zerstören, entmutigen, Zugänge erschweren, Beziehungen vernichten und Unfrieden stiften. Was wäre der Mensch, was wären wir, ohne Worte, ohne uns vermitteln, verständigen zu können?

Wir eröffnen mit diesem ökumenischen Gottesdienst auch in unserer Mitte das "Jahr der Bibel". Die Bibel? -dasWort Gottes, ja lockt das denn noch jemanden hinter dem Ofen hervor? Müssen wir denn wirklich auch heute noch auf Gott hören, wo wir uns doch selbst so viel zu sagen haben, die Buchauslagen überquellen, die Zeitschriften kaum noch zu zählen, Rundfunk und Fernsehen ununterbrochen auf Sendung sind? Ja, es stimmt, geredet - auf welche Weise auch immer - wird viel in der Welt, aber was bekommen wir da zu hören?

Hört man sich gerade unter Jugendlichen einmal um, so macht man sehr schnell die Erfahrung, dass wir es heute mit religiösen Analphabeten zu tun haben: Maria wird mit Eva verwechselt, Joseph mit Jakob. Jesus, das war einmal irgend so ein frommer Mann, eben wie Albert Schweizer oder Martin Luther King. Zuhause ist man im Internet und Gott braucht man eigentlich nur noch für Kommunion, Konfirmation und Firmung (ohne Moos ist schließlich nichts los ...), für Hochzeiten und Beerdigungen, - eben für das religiöse Gefühl, den schönen Schein, den geordneten Abschied. Kardinal Lehmann stellte dazu fest, "dass viele Eltern religiös inzwischen sprachlos geworden sind ..." [1]

"Das Wort wird Fleisch!", so heißt es im Johannesevangelium, das bedeutet: das Wort, welches Gott der Welt sagen will, bekommt eine Gestalt, Verstand und Gefühl, Hände und Füße. Es geht mit dem Menschen Jesus von Nazareth mitten in die Welt hinein und es hat seine Wirkung. Immerhin eine solche, dass man diesen Menschen schließlich als ein absolutes Ärgernis an ein Kreuz geschlagen hat. Die Bibel? "Das Land, in dem Jesus lebte, hat klare Konturen: Da gibt es die Wüste und den blauen See im Norden; da bessern Fischer ihre Netze aus: Netze, die unter der Last zu zerreißen drohen; da dümpeln Boote; das Meer schlägt in die Schiffe; die Leute, Jesus voran, haben Hunger; von Motten und Würmern ist die Rede; von Huren und Dieben, von Säufern und Fressern ... [2]

Da laufen - allein im Neuen Testament - Nackte durch die Blätter; Männer klettern auf Bäume; ein Soldat verliert ein Ohr; da geht ein Kamel eher durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt. Komik über Komik, Humor, wer es lesen, deuten und sich daran freuen kann. Doch auch die Nacht, Unfrieden und Streit, Verfolgung und der Tod haben ihren Platz darin. Geld und Besitz spielen eine Rolle, Arme und Reiche. Die Bibel ist ein Buch voller Leben und Lebendigkeit, voller Weisheit und Liebe, voll von Gott, von dem Gott, der sich nicht vom Leben des Menschen abtrennen lässt. Nicht einmal dadurch, wenn dieser ihn scheinbar vergessen hat und nun meint, sein eigener Gott zu sein, "gottlose Selbstgötter", wie Heinrich Heine sie einmal spöttisch nannte.

Wer die Bibel in die Hand nimmt und sie zu lesen lernt, dem wird mitten in der eigenen, ganz persönlichen Welt eine ganz neue, andere Welt eröffnet, eine Welt, die mit Gott rechnet. Doch täuschen wir uns nicht: Auch in der Bibel gibt es Zweifler, Lebensmüde, Suizidgefährdete - und ein jeder von uns, der die Bibel in die Hand nimmt, wird damit leben müssen, dass es eben auch dort keine glatten Antworten gibt, vor allem aber dort nicht, wo ich die Bibel als ein preisgünstiges Rezeptbuch für ein gelingendes Leben betrachte. So billig ist Gott nicht zu haben und ein religiöses Fastfood gibt es nicht.

Der evangelische Theologe Karl Barth sagte:

"Den Inhalt der Bibel bilden eben gar nicht die rechten Menschengedanken über Gott, sondern die rechten Gottesgedanken über den Menschen. Nicht wie wir mit Gott reden sollen, steht in der Bibel, sondern was er uns zu sagen hat, nicht wie wir den Weg zu ihm finden, sondern wie er den Weg zu uns gesucht und gefunden hat ... Das steht in der Bibel ... [3]

In unserem Predigtwort heißt es ohne jedes Wenn und Aber: "Der Glaube kommt also aus dem Hören der Botschaft, die Botschaft aber gründet in dem Auftrag, den Christus gegeben hat (Römer 10,17)." Das ist genau der Punkt, um den es geht. Wir wollen in diesem "Jahr der Bibel", das Wort, als Wort Gottes noch einmal verstärkt wieder ins Bewusstsein rücken. Ob Gott das nötig hat, weiß ich natürlich nicht, dass wir es aber nötig haben, das ist mir, wenn ich mich allein schon in meinem Leben umschaue, mehr als bewusst. Und ob es dem modernen Menschen nun gefällt oder nicht: zunächst kommt es wirklich erst einmal darauf an, auf das Wort Gottes, das uns - unter anderem - durch die Predigt vermittelt wird, zu hören. Dabei lässt Goethe seinen Faust einmal sagen: "Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube ...!"[4], doch selbst Faust kommt später auf einem langen Weg innerer Auseinandersetzungen noch zu ganz anderen Überzeugungen.

Der Glaube folgt dem Hören der Botschaft, der Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes. Den christlichen Glauben haben wir eben nicht einfach, auch wenn wir das meinen. Wir sind als Christen tatsächlich auf die Kirche, den gemeinschaftlichen Gottesdienst mit Sakrament und Predigt angewiesen. Nur so kommt das Wort, das Fleisch wurde, in die Welt hinein - ansonsten laufen wir Gefahr, eben doch nur immer wieder uns selbst zu hören. Für MartinLuther war klar, "und wenn der Prediger wie Bileams Esel wiehert, ja, wenn Beelzebub selber die Kanzel besteigt - Gott spricht , sofern er will, auch durch Esel und Teufel hindurch ..." [5]

Wir haben eben miteinander in dieser ökumenischen Gemeinschaft das Glaubensbekenntnis gesprochen. Ist uns dabei eigentlich aufgefallen, dass dort die Bibel, als das "Wort Gottes" nicht vorkommt? Das bedeutet, dass wir als Christen an Gott, an Jesus Christus und an den Heiligen Geist glauben, der aus der "Gemeinschaft der Heiligen" heraus bezeugt wird, nicht aber an die Bibel. Sie ist nicht der Gegenstand unseres Glaubens, sondern der Weg schlechthin, um überhaupt an diesen Gott glauben zu können. Wer meint, auch ohne die Bibel auszukommen und zu glauben, wird sicher immer etwas zu glauben haben: an die Liebe, die Schönheit, die Natur und was es da alles so geben mag, - doch er wird nie bei dem Gott ankommen, worauf wir alle einmal getauft, konfirmiert oder firmiert wurden. Weshalb wir die Bibel brauchen ist also klar: um an den Gott glauben zu können, den wir selbst im Glaubensbekenntnis bekennen.

Natürlich ist die Bibel von Menschen geschrieben, mit menschlichen Mitteln und Möglichkeiten. Da finden wir literarische Gattungen: Sagen, Mythen, Legenden oder Märchen, wir finden Briefe, Lieder, Gebete und Botschaften. Doch eben so wird Gott bezeugt, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, - der Gott Jesu und seiner Jünger, - der Gott der Heiligen, all jener also, die uns ein Vorbild für unseren Glauben sind, und der Gott, der unter uns - hier in unserer Stadt - Sonntag für Sonntag verkündigt und gemeinschaftlich verehrt wird. Anders als mit menschlichen Worten bringt sich Gott nicht zu Gehör, denn wir Menschen können eben nur sehr menschlich von Gott hören und reden, alles andere würde unsere Möglichkeiten und Fähigkeiten sprengen.

Der christliche Glaube ist daher auch keine Privatangelegenheit, er will erfahrbar gemacht, erlebbar werden in Wort und Tat. Das Wort macht uns mitverantwortlich dafür, dass selbst unser Glaube ein Gesicht, Hände und Füße bekommt. Im Religionsunterricht malte mir ein Kind einmal einen Kelch mit Händen und Füßen, es hatte vielleicht mehr verstanden, als ich in dicken Büchern zuvor über das Abendmahl gelesen hatte.

Wer dieses Wort hört, wird sein Leben ja ebenso erleben, wie jeder andere Mensch auch: er wird lernen und arbeiten müssen, um leben zu können; - er wird Erfahrungen von inneren und äußeren Auseinandersetzungen machen, um reif zu werden; - er wird lieben und leiden, weil es eine leidlose Liebe nicht gibt; - er wird sich an Anfängen im Leben erfreuen, wie dann aber auch Verluste, das Leiden und den Tod erfahren. Dabei wird es keine Lebenssituation geben, der vom biblischen Wort und Geist her nicht eine Perspektive gegeben ist, sicher: kein Patentrezept, aber doch ein Wort, das Zukunft möglich macht, weil man die Gegenwart von Gott begleitet weiß.

Wir erfahren uns zur Zeit in einer Situation, die vielen unter uns mehr als bedrückend und besorgniserregend erscheint. Hier sind wir als Christen gefragt, ob unsere Zuversicht stärker ist, als unsere Angst; - unser Vertrauen größer, als unsere Sorge um einen möglichen Krieg; - unser Gottvertrauen umfassender, als zu glauben, dass unser Leben wirklich in der Hand eines amerikanischen Präsidenten oder eines irakischen Diktators liegen könnte? Wir Menschen sind in der Lage, wirklich viel zerstören zu können, wir können sogar Kriege anfangen, töten, die Natur und Umwelt vernichten, das alles ist uns möglich - dabei weiß ein jeder Bibelleser oder Predigthörer, dass unser Leben und alles Leben dieser Welt letztendlich in Gottes Hand ist. Und eben dort ist die Existenz der Welt und unser aller Leben auch gut aufgehoben. Nehmen wir mit der Tageszeitung auch die Bibel wieder einmal in die Hand und hören wir neben den alltäglichen Botschaften aus Rundfunk und Fernsehen auch immer wieder neu auf das, was Gott uns zu sagen hat. Die Welt bekäme schnell ein anderes Gesicht.

Wir haben das Jahr der Bibel vor uns. Lesen wir sie doch wieder einmal, um vielleicht ganz neue, ungewöhnliche Erfahrungen mit Gott und seinem Wort zu machen. Wenn wir in Kenzingen nun den Versuch starten, die Bibel ganz abzuschreiben, dann doch auch, damit wir durch diese Form der Auseinandersetzung herausgefordert, die Welt eben nicht sich selbst überlassen, sondern ihr als der Welt Gottes und des Menschen Hoffnung und Zukunft zu schenken. Fangen wir noch einmal mit diesem Wort an, es ist ein gutes Wort, eine frohe Botschaft für die Welt, die uns allen gut tut.
Amen.


Literatur:

  1. Lehmann, Kardinal K., Konradsblatt 6/2002, S. 4
  2. Jens, W., Republikanische Reden, München, 1976, S. 30
  3. Barth, K., Das Wort Gottes und die Theologie,
    Die neue Welt der Bibel, München, 1925, S. 18
  4. Goethe, J.W., Goethes Werke, Band III,
    Hrsg. T. Friedrich, Leipzig, S. 30
  5. Jens, W., a.a.O., S. 13
Letzte Änderung: 12.03.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider