Eine Predigtreihe, 1998
In Dankbarkeit für unsere schöne alte Kirche, die 1659-62 als eine Klosterkirche des Franziskanerordens erbaut wurde - und für alle Gemeindeglieder, die in ihr Gottesdienst feiern.
Der Seitenaltar erinnert uns in jedem Gottesdienst an unsere Wurzeln. Da Franz von Assisi sich wie kaum ein anderer dem Evangelium verpflichtet fühlt, können wir in ihm einen katholischen - evangelischen Heiligen sehen. Gerade er verbindet uns daher in besonderer Weise mit unseren katholischen Mitchristen.
Wir sehen auf dem Hauptteil unseres Seitenaltares Antonius von Padua. Er tritt schon mit 25 Jahren - 1220 - der franziskanischen Bruderschaft bei. Ihm wird von Franz die Aufgabe übertragen, als `Doctor evangelicus den Brüdern die Heilige Schrift zu deuten und zu predigen. Man erkennt ihn an der Lilie, dem Jesuskind und dem Buch, als Symbol der Weisheit.
An Franziskus erinnert uns das kleine, den Altar abschließende, Bild. Wir erkennen ihn an seiner Stigmatisierung, den Wundmalen Christi, die seinen Körper gezeichnet haben. Er ist daher hier, wie so oft dargestellt, kein fröhlicher, sondern ein leidender Franz von Assisi.
Lange hat Euer Pfarrer warten müssen (was ihm nicht leicht fiel), um diesen Gruß von mir an Euch zu hören, weil Ihr etwas über die Ferne der Zeit hinweg aus meinem Leben und Werk hören möchtet. Doch so einfach ist es nun einmal nicht, mit uns Himmlischen Kontakt aufzunehmen und Antwort zu erhalten, weil jeder Gruß in Euer Leben hinein allein und ausschließlich über unseren Bruderschwester den Heiligen Geist geht.
Auch ein Leben kann predigen, kann Gott den Schöpfer ehren. Und wenn ich Euch nun ein wenig von mir berichte, dann nicht, weil Ihr mich rühmen sollt, sondern weil es allein um das Lob Gottes geht. Sicher bin ich ein herausfordernder, anstrengender Heiliger, weil ich mich allein auf das Evangelium beziehe, doch gerade darin bin ich zumindest aus Eurer Sicht wohl auch der evangelischste. Damit schlage ich über die Zeit hinweg eine ökumenische Brücke zwischen den Kirchen. So seid ihr alle, meine Schwestern und Brüder, mit mir zusammen dazu berufen, unseren Schöpfer mit unserem ganzen Leben fröhlich zu loben und zu ehren. Daher mein Gebet:
Allmächtiger - Heiligster - Höchster und erhabenster Gott1182 werde ich in Assisi geboren, als mein Vater, ein reicher Tuchhändler, gerade auf einer seiner vielen Reisen ist. Meine Mutter lässt mich schon bald auf den Namen Johannes taufen. Als mein Vater endlich heimkommt, nennt er mich einer französischen Mode jener Zeit folgend: Franz. Ich bin ein fröhliches Kind. Ich singe und werde in bunte Gewänder gekleidet. Vor allem mein Vater erzieht mich wie einen jungen Edelmann. Alle seine geschäftlichen Hoffnungen ruhen auf mir - und ich genieße es, im Mittelpunkt zu stehen. Der große Dante nennt mich einmal `die Sonne von Assisi. Meine Freunde lieben unsere gemeinsamen Gelage, Spiel und Tanz, sie lieben mich wirklich nicht nur meines Geldes wegen, sondern weil ich so aufgeschlossen, freundlich und fröhlich bin.
Jedes Gut - Höchstes Gut - Ganzes Gut - Du allein bist gut
Dir geben wir zurück:
Alle Lieder - Alle Herrlichkeit - Alle Gnade - Alle Ehre -
Allen Segen - Alles Gute -
Es geschehe - es geschehe. Amen.
Selbstverständlich ziehe ich mit in den Krieg (1202) gegen Perugia, erhoffe ich mir doch eine große Karriere als Ritter. Aber schon bald werde ich gefangengenommen und muss ein Jahr im Gefängnis schmachten, bis mein Vater es endlich schafft, mich freizukaufen. Immer in der Hoffnung, dass ich als Kaufmann sein Geschäft fortführe und unseren Reichtum mehre.
Ich mache mich sogar noch einmal auf, um (1205) an einem Kreuzzug teilzunehmen, kehre dann aber heim, weil ich einen inneren Ruf vernehme, dem Krieg und seiner Gewalt nicht weiter zu folgen. Ich verändere mich, ziehe mich immer häufiger in eine abgeschiedene, halbzerfallene Kirche `San Damiano zurück, um zu beten. Und hier höre ich die Stimme meines Herrn: `Franziskus! Siehst du meine Kirche, wie sie zerfällt? Geh, und baue meine Kirche wieder auf! Seit diesem Augenblick meiner 2. Geburt geht es mir nicht mehr um mich, mein Leben, mein Glück, um meinen Wohlstand, um all das, was mein Vater von mir erwartet, sondern es geht mir darum, das Werk Christi fortzuführen.
Von meinem Vater nehme ich heimlich Tuchballen und verkaufe sie, um Geld für den Aufbau meiner kleinen Kirche zu bekommen. Zu meinem Erstaunen weist der alte Priester das Geld zurück. Mit ein paar Gefährten, die mir helfen, betteln wir nun das Geld zusammen und sammeln Steine, um `San Damiano wieder aufzubauen, wie es der Herr gesagt hat. Über all der Arbeit, sehe ich allmählich immer erbärmlicher aus, ich, der bekannte Sonyboy von Assisi und der Traum meines Vaters. Wütend stellt er mich schließlich zur Rede, er schlägt mich, ich bekomme Hausarrest, er verklagt mich vor Gericht, doch da ich mich auf Gott berufe, wird der Bischof zu Rate gezogen.
So treffen wir uns, mein Vater und ich, vor dem geistlichen Herrn. Ganz Assisi ist auf den Beinen. Mein Vater fordert in blindmachender Enttäuschung seinen Besitz, die heimlich von mir verkauften Tuchballen, zurück, daraufhin lege ich alle meine Kleider ab und übergebe sie meinem Vater mit den Worten: Bis heute nannte ich Pietro Bernadone meinen Vater, von nun an sage ich nur noch: Vater unser, der Du bist im Himmel. So stehe ich nackt zwischen dem Bischof und meinem Vater, und das johlende Volk schweigt - betroffen. Da kleidet mich der Bischof in seinen eigenen Mantel und ich gehe durch die Menge davon. Zurück bleiben der unbeschwerte Spieler, der Träumer und heitere Sänger, von diesem Augenblick an bin ich ein fröhlicher, aber freier Armer. Ich habe und besitze nichts mehr - außer Gott in meinem Herzen und meiner Liebe zur `Frau Armut.
Mit meinen Brüdern bauen wir ganz allmählich unsere Kirche wieder auf, und ich erfahre mit jedem Stein, den ich setze, dass Gott mir etwas ganz anderes sagen will: Nicht San Damiano soll ich aufbauen, eine kleine zerfallene Ortskirche, sondern die dem Prunk und der Oberflächlichkeit verfallene Weltkirche. Ich beginne, mit meinen kleinen Möglichkeiten zu predigen. Ich will nichts anderes, als mit der Schöpfung den Schöpfer zu loben und den, der uns zu seinem Lob befreit hat: Christus! Immer wieder will ich singend vor ihn treten, um meinen Dank und meine Freude zum Ausdruck zu bringen. So kehre ich nun, mit seinem Geist erfüllt, das Unterste nach oben, statt Stärke wähle ich die Schwachheit, statt Rechthaberei erlaube ich mir die Verwundbarkeit, gegen den Zorn (auch den meines Vaters) stelle ich die Liebe. Was ich mache, ist, dass ich Gott fröhlich und frei in mir Raum gebe. Über dem Geist der Bibel werde ich für Kirche und Welt zu einem Protestanten.
Glaubt mir, dabei habe ich oft nichts zu essen, ich bin schwach, ich werde verletzt und verwundet, man begegnet mir gerade in meiner Heimat mit gekränktem Zorn, doch in all dem erfahre ich die Liebe Gottes, der mich durch meinen Lebensweg die Demut lehrt, den Mut zum unbeschwerten Dienst.
Und so lerne ich die Menschen anzusprechen, so wie ein jeder es verstehen kann, ganz gleich, ob es ein Bauer, ein Ritter, ein Bischof oder schließlich der Papst ist. Weil ich Gott mein Herz geöffnet habe, finden nun auch die Menschen Platz darin und die Tiere und die Pflanzen. In jedem und allem begegnet mir Gott.
Immer mehr Brüder gesellen sich zu uns, so dass wir die "Spielleute Gottes" genannt werden. Keiner darf eigenen Besitz haben, keiner Geld, denn das haben wir gelernt: `Eigentum trennt dich von Gott! Eigentum trennt dich von denen, die mit dir leben - und damit trennt Eigentum dich vom Leben. Gott hat kein Haus, er hat die Gestalt eines Armen von Nazareth angenommen.
Als einer der Brüder mich bittet, ihm ein Psalmbuch zu lassen, damit er die Psalmen lesen kann, sage ich ihm: Wenn du erst ein Psalterium hast, dann wirst du begehrlich werden und ein ganzes Gebetbuch besitzen wollen. Und wenn du das besitzt, wirst du auf einem Lehrstuhl sitzen wollen wie ein großer Prälat, und wenn du dort sitzt, dann wirst du zu deinem Bruder sagen, bring mir das Gebetbuch - und du machst ihn zu deinem Diener, Du aber sollst sein Diener sein!
Doch liebe Freunde, auch ich erlebe meine Schwierigkeiten, meine Niederlagen. Kein Heiliger kommt leidlos und ohne Tränen davon. Seht euch mein Bild in eurer Kirche einmal genau an. Mit wachsendem Neid sieht man, wie wir durch das Land ziehen und Gott loben. Immer mehr Menschen kommen, um uns zu hören. Aber die Predigt gehört zum Amt des Priesters und ist nach deren Meinung nicht unsere Aufgabe. So wandere ich schließlich mit einigen Freunden nach Rom, wo mir PapstInnozenz der Dritte in seiner unendlichen Pracht und Herrlichkeit schließlich (1209) die Erlaubnis erteilt, dass ich und alle meine Brüder predigen dürfen.
Auch Frauen schließen sich uns an, wie meine geliebte Klara, die nach Predigten von mir in Assisi und einigen Gesprächen (1212) den Entschluss fasst, nachts in einem Brautkleid ihr Elternhaus zu verlassen, um mit uns in freier, fröhlicher Armut zu leben und Gott allein zu dienen und mit ihm den Menschen. Schon bald müssen wir uns schmerzhaft trennen, weil die Frauen ihren eigenen Ort haben sollen, wo sie Gott dienen können. Sie leben nun in meiner geliebten Kirche St. Damian. In Treue zu meinem Auftrag, zu meiner Berufung, kann ich sie so liebevoll und aufmerksam begleiten.
Sicher habt ihr gehört, dass ich mich immer wieder einmal in die Einsamkeit der Berge zurückziehe, um allein Gott, der Natur und der Kreatur nahe zu sein. Hier rede ich dann mit den Vögeln am Himmel, den Tieren, die mir begegnen, dem Wasser und den Pflanzen. Ich singe ihnen ein fröhlich, dankbares Lied von der Schöpfung und zeige ihnen durch meine Liebe, dass Gott sie liebt. Lacht ihr nun? Aber bedenkt doch: Redet ihr denn nicht auch mit den Tieren, die euch umgeben? Mit euren Hunden und Katzen, den Vögeln? Redet ihr denn nicht mit den Pflanzen in Euren Wohnungen und Gärten? Tut es, lasst sie spüren, dass ihr sie liebt und schenkt ihnen etwas von der Liebe Gottes, und ihr werdet mit ihnen den neuen, den messianischen Frieden der Schöpfung erfahren. So kommt dann ein Stück des verlorenen Paradieses in euer Leben zurück.
Ich habe nie eine Regel für unsere Bruderschaft gewollt. Doch nun sind es weit über 6000 Männer, die nach meiner einfachen Regel leben: Der brüderlichen Liebe, der Treue zur Armut, der Demut und dem Gehorsam unserer Kirche gegenüber. Aber wie so oft im Leben, gibt es auch unter uns bald Spannungen und der Ruf nach einer verbindlichen Regel wird immer lauter. Auch uns ist der Himmel nicht immer greifbar, das Leben oft hart und schwer. Darum stelle ich 63 verschiedene Bibelstellen zusammen, die dem Papst jedoch als eine Ordensregel nicht ausreichen. Wie auch manche eurer Politiker meint er, dass man mit der Bibel allein keinen Orden, keine Gesellschaft oder Gemeinschaft leiten kann. Daher müssen wir uns (1223) eine neue Regel geben, die uns der Papst schließlich erlaubt. So sind wir nun doch gegen meinen ausdrücklichen Wunsch und Willen ein Orden geworden, der Orden der "geringen Brüder", so nenne ich ihn.
Ich ziehe mich zurück, meine Kraft ist verbraucht, mein Körper ist zu schwach geworden für die einfachsten Verrichtungen, und meine Augen schmerzen. Ich habe einem Bruder die Verantwortung für unsere Brüder übergeben, zugleich aber deutlich gemacht, dass es unter uns keine Herrschaft geben darf. Hier in der Einsamkeit prägt sich Christus so in meinen Leib hinein, dass er sogar mit seinen Wundmalen an mir sichtbar wird.
Dennoch, sage ich euch, habe ich allen Grund, Gott, zu danken. Darum schreibe ich ihm mein - auch bei euch bekanntes und beliebtes - Lied von Bruder Sonne und Schwester Mond. Über allen körperlichen Qualen, die immer stärker werden, spüre ich den Tod nahen. Ich heiße ihn als meinen Bruder willkommen, so dass ich meinem `Sonnengesang noch den Vers vom Bruder Tod hinzufüge. Den Tod (1226) erwartend, lasse ich mich nackt auf den Boden legen, tröste und segne, die mir beistehen wollen und sterbe so in Gottes Hand.
Nackt bin ich auf die Welt gekommen, nackt habe ich mein neues Leben begonnen, nackt trete ich vor meinen Gott, begleitet von dem Gesang meiner Brüder und einiger Lerchen, die gerade in diesem Augenblick ihr unbeschwertes Lied anstimmen.
Letzte Änderung: 29.06.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider